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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 18.01.2002
Aktenzeichen: 4 Ws 53/01
Rechtsgebiete: StrRehaG, StPO


Vorschriften:

StrRehaG § 13
StrRehaG § 14
StrRehaG § 15
StrRehaG § 17
StPO § 311 Abs. 3 Satz 1
StPO §§ 44 ff.
StPO §§ 359 ff.
StPO § 359 Nr. 5
Im Falle inhaltsgleicher "Doppelrehabilitierung" besteht für die Aufhebung der zweiten Rehabilitierungsentscheidung keine Rechtsgrundlage; einer doppelten Auszahlung der Entschädigung kann dadurch entgegengewirkt werden, dass der zweite Beschluss für gegenstandslos erklärt wird.
Oberlandesgericht Dresden 4. Strafsenat

Beschluss

Aktenzeichen: 4 Ws 53/01 150 AR-R 1022/99 StA Chemnitz 13 Reha 9001/01 GenStA Dresden

vom 18. Januar 2002

in der Rehabilitierungssache des

Tenor:

Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Landgerichts Chemnitz vom 06. Juli 2001 wird zurückgewiesen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erhoben. Im Beschwerdeverfahren entstandene notwendige Auslagen des Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

I.

Mit Beschluss vom 23. September 1992 hat das Bezirksgericht Chemnitz im Verfahren BSRH 1657/90 das Urteil des Kreisgerichts Plauen-Stadt vom 13. Mai 1975 aufgehoben und festgestellt, dass dem Betroffenen ein Anspruch auf soziale Ausgleichsleistungen für die Nachteile zusteht, die ihm durch den Freiheitsentzug in der Zeit vom 08. Mai bis 18. Juni 1975 entstanden sind. Unter dem 25. Mai 2000 hat das Landgericht Chemnitz im vorliegenden Verfahren BSRH 858/99 eine erneute inhaltsgleiche Rehabilitierung ausgesprochen. Mit weiterem Beschluss vom 06. Juli 2001 hat das Landgericht festgestellt, dass der vorgenannte Beschluss vom 24. Mai 2000 wegen "Doppelrehabilitierung" gegenstandslos ist. Gegen diese Entscheidung hat die Staatsanwaltschaft fristgerecht Beschwerde eingelegt. Sie vertritt die Auffassung, dass die Entscheidung vom 24. Mai 2000 nicht für gegenstandslos hätte erklärt werden dürfen, sondern stattdessen hätte aufgehoben werden müssen.

II.

Die Beschwerde hat im Ergebnis keinen Erfolg.

Insoweit kann dahinstehen, ob das Rechtsmittel überhaupt statthaft und damit zulässig ist (vgl. insoweit OLG Rostock NZV 1994, 287). Jedenfalls ist es unbegründet.

Für die von der Staatsanwaltschaft begehrte Aufhebung des Beschlusses vom 24. Mai 2000 besteht keine Rechtsgrundlage.

1. Rehabilitierungsentscheidungen sind - auch wenn sie in Form eines Beschlusses ergehen - sowohl der formellen, als auch der materiellen Rechtskraft fähig mit der Folge, dass eine einmal ergangene Entscheidung einer erneuten über denselben Verfahrensgegenstand entgegensteht (KG VIZ 1994, 439; Pfister in Pfister/Mütze Rehabilitierungsrecht § 12 Rdnr. 78 bis 80; Wende in PK Rehabilitierung 2. Aufl. § 13 Rdnr. 29; vgl. auch Bruns/ Schröder/Tappert Rehabilitierung § 12 Rdnr. 31). Somit hätte im vorliegenden Fall die zweite Rehabilitierung nicht erfolgen dürfen.

2 . Fraglich ist jedoch, wie mit einem zweiten, rechtskräftigen Rehabilitierungsbeschluss zu verfahren ist, der - wie hier - trotz bestehender Sperrwirkung ergangen ist.

Eine ausdrückliche Regelung findet sich hierzu im Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz nicht. Vielmehr verweist § 15 StrRehaG insoweit auf die Vorschriften der StPO.

a) Danach ergibt sich sowohl unter dem Gesichtspunkt der bereits zuvor bejahten Rechtskraft als auch im Hinblick auf die Regelung des § 311 Abs. 3 Satz 1 StPO, wonach das Gericht nicht einmal zur Abhilfeentscheidung im Beschwerdeverfahren befugt ist (zur Anwendbarkeit dieser Norm auf die befristete Beschwerde nach § 13 StrRehaG vgl. Bruns/Schröder/Tappert a.a.O. § 15 Nr. 4 und § 13 Nr. 41) die grundsätzliche Unabänderlichkeit der getroffenen und nicht rechtzeitig angefochtenen Entscheidung (OLG Stuttgart MDR 1982, 341; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 45. Aufl., Einleitung Rdnr. 112 a).

b) Die Strafprozessordnung sieht allerdings - abgesehen von der hier nicht einschlägigen Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß §§ 44 ff. StPO - eine Durchbrechung der Rechtskraft im Wege der Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß §§ 359 ff. StPO, welche grundsätzlich im Bereich der strafrechtlichen Rehabilitierung analog Anwendung finden (Ladner/Schwarze in PK Rehabilitierung 2. Aufl. § 1 Rdnr. 258), vor. Insbesondere wird eine auf § 359 Nr. 5 StPO gestützte Wiederaufnahme in den Fällen für möglich gehalten, in denen entgegen dem Grundsatz "ne bis in idem" eine Doppelverurteilung eines Angeklagten erfolgt und der Umstand der entgegenstehenden Rechtskraft erst nach Unanfechtbarkeit der zweiten Verurteilung bekannt geworden ist, weil die Erkenntnis, dass die Strafklage verbraucht war, eine neue Tatsache im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO darstelle (vgl. Rieß in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl., Einleitung Abschnitt J Nr. 130; Schmid in KK StPO § 359 Rdnr. 20).

Im vorliegenden Fall kann - entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft - eine Aufhebung des Beschlusses vom 24. Mai 2000 jedoch nicht auf die genannte Vorschrift gestützt werden, weil diese lediglich eine Wiederaufnahme zu Gunsten des Verurteilten rechtfertigt die Beseitigung einer vollumfänglichen Rehabilitierung für den Betroffenen jedoch unter keinem Gesichtspunkt eine günstige Wirkung beinhalten kann (vgl. dazu BayObLGSt 1970, 115, 118 für den vergleichbaren Fall der Einstellung des Verfahrens wegen Verjährung). Dies unterscheidet den Fall auch von der in der Beschwerde in Bezug genommenen Entscheidung des 3. Strafsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 15.12.2000 (3 Ws 38/00), in dem Verfahrensgegenstand ein Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung und damit eine belastende Maßnahme war.

c) Vorliegend kommt - entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft - jedoch auch ein außerordentlicher Widerruf des Beschlusses nicht in Betracht. Ein solcher wird in der Rechtsprechung zum Teil anerkannt in Fällen, in denen dem Beschluss durch nachträglich bekannt gewordene Tatsachen der Boden völlig entzogen worden und grobes prozessuales Unrecht entstanden ist, das anders nicht geheilt werden kann (BGH NJW 1951, 771; OLG Stuttgart MDR 1982, 341; OLG Köln NJW 1981, 2208; OLG Schleswig NJW 1978, 1016).

Hier kann offen bleiben, ob ein solcher Widerruf überhaupt anzuerkennen ist (ablehnend jedenfalls für Beschlüsse, die mit befristetem Rechtsmittel anfechtbar sind, BayObLGSt 1970, 115, 116 ff.), denn es entsteht kein grobes prozessuales Unrecht, das anders nicht zu beseitigen wäre. Vielmehr wird dem berechtigten Anliegen, im Falle der hier in Rede stehenden und damit allein zu entscheidenden Doppelrehabilitierung zu verhindern, dass der Betroffene die daraus resultierenden Folgeansprüche zweifach mit Erfolg geltend macht, namentlich eine doppelte Kapitalentschädigung nach § 17 StrRehaG erhält, durch die angefochtene Entscheidung des Landgerichts Chemnitz in ausreichendem Maße Rechnung getragen.

Die dem dortigen Tenor zu entnehmende Formulierung, der Beschluss der Rehabilitierungskammer des Landgerichts Chemnitz vom 24. Mai 2000 sei gegenstandslos, ist inhaltlich dahingehend zu verstehen, dass von der genannten Entscheidung keinerlei Rechtswirkungen ausgehen sollen.

Diese Wirkung kann sich - entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft - nicht lediglich auf Grund der Annahme ergeben, dass die Nichtbeachtung der entgegenstehenden Rechtskraft die Nichtigkeit des zweiten Beschlusses zur Folge hat (was allerdings generell bei Nichtbeachtung von Verfahrenshindernissen von der Rechtsprechung - soweit ersichtlich - zwar für Fälle schwerster offenkundiger Fehler nicht ausgeschlossen wird, im hier vorliegenden Fall jedoch nicht zu bejahen sein dürfte; vgl. dazu BGH wistra 90, 67; Rieß in Löwe/Rosenberg a.a.O., Rdnr. 130 m.w.N.), sondern entspräche in der Konsequenz auch einer Entscheidung auf der Grundlage des § 458 Abs. 1 StPO, wonach die Unzulässigkeit der Vollstreckung aus einem Urteil festgestellt werden kann. Eine entsprechende Anwendung dieser Norm wird für die Fälle der Nichtbeachtung des Grundsatzes "ne bis in idem" im Strafverfahren als Möglichkeit der Korrektur bejaht (OLG Koblenz JR 1981, 520; Rieß in Löwe/Rosenberg a.a.O., Rdnr. 130; Schmid a.a.O., StPO § 359 Rdnr. 21; Kleinknecht/Meyer-Goßner a.a.O., § 359 Nr. 39 und § 458 Nr. 9).

Unabhängig von seiner etwaigen dogmatischen Begründung wird durch den angefochtenen Beschluss jedenfalls klargestellt, dass die zweite Entscheidung für die Stellen (z. B. die Entschädigungsstelle), die über die Folgeansprüche in selbstständigen Verfahren eigenverantwortlich - etwa auch im Hinblick auf die Gewährung von Doppelleistungen (vgl. beispielsweise Bruns/Schröder/Tappert a.a.O., § 17 Nr. 16 für die Kapitalentschädigung) - entscheiden, ohne Bedeutung sein soll. Der Gefahr einer unberechtigten doppelten Erfüllung von Folgeansprüchen wird auf diese Weise effektiv entgegengewirkt, ohne dass es einer Aufhebung bedürfte.

3. Nach alledem kann dem Beschwerdebegehren nicht entsprochen werden mit der Folge, dass das Rechtsmittel zu verwerfen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 14 StrRehaG.

Ende der Entscheidung

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