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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 29.04.2004
Aktenzeichen: 4 Ws 93/03
Rechtsgebiete: StrRehaG, SMAD-Befehl


Vorschriften:

StrRehaG § 1 Abs. 5
SMAD-Befehl Nr. 201
Entscheidungen der Kommission für Beschlagnahme und Sequestration sowie der Entnazifizierungskommission gemäß SMAD-Befehl Nr. 201 und hierauf fußende Maßnahmen waren keine strafrechtlichen Maßnahmen und sind daher nicht gemäß § 1 Abs. 5 StrRehaG rehabilitierungsfähig.
Oberlandesgericht Dresden Beschwerdesenat für Rehabilitierungssachen Beschluss

Aktenzeichen: 4 Ws 93/03

vom 29. April 2004

in der Rehabilitierungssache des

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts Chemnitz vom 11. April 2003 wird als unbegründet verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erhoben.

Gründe:

I.

Im vorliegenden Rehabilitierungsverfahren erstrebt der Antragsteller die strafrechtliche Rehabilitierung des Betroffenen hinsichtlich verschiedener nach Kriegsende im Zuge der Bodenreform sowie der Umgestaltung der Eigentumsverhältnisse im Bereich der Wirtschaft ergangener Entscheidungen und Maßnahmen. Mit Beschluss vom 23. Juli 2002 hat das Landgericht Chemnitz den ursprünglichen Rehabilitierungsantrag vom 18. Dezember 2001 zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung wurde kein Rechtsmittel eingelegt. Vielmehr hat der Verfahrensbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 11. September 2002 die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt. Diesen Antrag hat das Landgericht Chemnitz mit Beschluss vom 11. April 2003 als unbegründet zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die fristgerecht eingelegte Beschwerde, in deren Rahmen nunmehr beantragt wird, die Verurteilung des Betroffenen durch die Kommission für Beschlagnahme und Sequestration beim Innenminister des Landes Sachsen als "Nazi-Verbrecher" in Anwendung des SMAD-Befehls Nr. 201/1947 für rechtsstaatswidrig zu erklären und aufzuheben (Antrag Nr. 1), ebenso die Verurteilung des Betroffenen durch die Landesbodenkommission als "Nazi-Verbrecher" in Anwendung des Artikels II Nr. 2 b der Bodenreform-Verordnung des Landes Sachsen vom 10. September 1945 (Antrag Nr. 2), die gegen den Betroffenen ergangene Entscheidung der Entnazifizierungskommission des Landkreises Roch-litz vom 08. Dezember 1947, in der dieser als "Nazi-Aktivist" eingestuft wird (Antrag Nr. 3) und die Einziehung des Eigentums an zwei näher bezeichneten Grundstücken in C..... als Folge der vorgenannten Entscheidungen der Kommission für Beschlagnahme und Sequestration bzw. der Landesbodenkommission (Antrag Nr. 4).

II.

Die Beschwerde ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Zutreffend hat das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung die beantragte Wiederaufnahme abgelehnt, denn auch auf der Grundlage des neuen Vorbringens kann eine strafrechtliche Rehabilitierung nicht erfolgen.

Die hier einzig in Betracht zu ziehende Vorschrift des § 1 Abs. 5 StrRehaG erstreckt die Anwendung der Vorschriften des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes auch auf Maßnahmen, die keine gerichtlichen Entscheidungen sind, jedoch nur auf solche mit strafrechtlichem Charakter, welcher vorliegend zu verneinen ist.

Allerdings erfasst die Norm, die auch systembedingtes Unrecht im Umfeld oder Vorfeld "geordneter" strafrechtlicher Verfolgung einfangen soll, nicht nur solche Maßnahmen, die in einem förmlichen Strafverfahren ergangen sind, sondern ist so zu interpretieren, dass ein inhaltlicher oder thematischer Zusammenhang einer staatlichen Zwangsmaßnahme mit einem Vorwurf einer nach DDR-Recht oder DDR-Rechtspraxis strafbaren Handlung ausreichend sein kann (Bruns/Schröder/Tappert StrRehaG § 1 Rdnr. 185; KG VIZ 1993, 88; OLG Rostock OLG-NL 1996, 288).

Nach dem Vorbringen des Verfahrensbevollmächtigten ist hier davon auszugehen, dass die seinerzeitigen Entscheidungen der Kommission für Beschlagnahme und Sequestration gemäß SMAD-Befehl Nr. 154/181 Ziff. 8 in Verbindung mit dem SMAD-Befehl Nr. 201, der Landesbodenkommission gemäß Artikel II. Nr. 2 b der Bodenreform-Verordnung wie auch der Entnazifizierungskommission gemäß SMAD-Befehl Nr. 201 auf den gegen den Betroffenen erhobenen Vorwurf gestützt wurden, dieser sei "Nazi- oder Kriegsverbrecher" bzw. "Nazi-Aktivist" gewesen, sich also auf einen Sachverhalt bezogen, der nach dem damaligen Verständnis entsprechend den Regelungen des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 bzw. der Kontrollratsdirektive Nr. 38 als strafbares Unrecht angesehen wurde und gegebenenfalls eine entsprechende strafrechtliche Verurteilung nach sich ziehen konnte. Danach kann hier ein inhaltlicher oder thematischer Zusammenhang mit einem für strafbar erachtenen Verhalten nicht von vornherein verneint werden.

Allerdings kommt gleichwohl eine Rehabilitierung auf der Grundlage des § 1 Abs. 5 StrRehaG nicht in Betracht, denn diese Vorschrift ist - wie das gesamte Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz - generell nur dann anwendbar, wenn das jeweils in Rede stehende staatliche Handeln seinerzeit als spezifisch strafrechtliche Vergeltung für das missbilligte Verhalten angesehen worden ist (OLG Brandenburg VIZ 1995, 679; OLG Dresden Beschluss vom 23. März 2004 4 Ws 13/04 -).

Dies war mit der auf die Umverteilung von Landbesitz zielenden Bodenreform, der Umgestaltung der Eigentumsverhältnisse im Bereich der Wirtschaft, der Entnazifizierung, mit der die Entfernung von Unterstützern des nationalsozialistischen Regimes aus maßgeblichen Positionen des gesamten öffentlichen Lebens verfolgt wurde, und den zu deren Umsetzung ergangenen Entscheidungen und Maßnahmen jedoch nicht bezweckt.

Anderes ergibt sich auch nicht für die Entscheidungen, für die der SMAD-Befehl Nr. 201 zur Anwendung gelangte. Dieser hatte nach seinen einleitenden Absätzen das Ziel, bei Maßnahmen "zur Säuberung der öffentlichen Behörden, der staatlichen und der wichtigen Privatunternehmen von ehemaligen aktiven Faschisten, Militaristen und Kriegsverbrechern" einen Unterschied zu machen zwischen "ehemaligen aktiven Faschisten, Militaristen und Personen, die wirklich an Kriegsverbrechen und Verbrechen anderer Art, die von den Hitleristen begangen wurden, schuldig sind, einerseits, und den nominellen, nicht aktiven Faschisten, die wirklich fähig sind, mit der faschistischen Ideologie zu brechen und ... an der Wiederherstellung eines friedlichen demokratischen Deutschlands teilzunehmen, andererseits". Die in jenem Befehl folgenden Anweisungen zur Erreichung dieses Zieles richteten sich zum einen an "Gerichtsorgane" (Nr. 3) und Staatsanwaltschaften oder andere entsprechende Organe zwecks Bestrafung der Kriegsverbrecher, aktiven Nazis etc. unter Anwendung der in der Kontrollratsdirektive Nr. 38 vorgesehenen Sanktionen (Nr. 7), zum anderen in weiten Teilen aber auch an die "deutschen Verwaltungsorgane", etwa in Bezug auf die - hier in Rede stehenden - Beschlagnahmen und Sequestrierungen in Nr. 5 des Befehls oder die Entnazifizierungskommissionen (Nrn. 2 und 6). Hieraus folgt, dass der SMAD-Befehl Nr. 201 nicht ausschließlich Regelungen zur Strafverfolgung des in Rede stehenden Personenkreises enthielt, so dass dessen Anwendung allein nicht zwangsläufig einer hierauf gestützten Entscheidung oder Maßnahme strafrechtlichen Charakter verleiht. Die vom Verfahrensbevollmächtigten in diesem Zusammenhang zitierte Entscheidung des Oberlandesgerichts Brandenburg (VIZ 1994, 564) zwingt zu keiner anderen Bewertung, denn diese bezog sich auf ein Strafurteil einer sogenannten "201-Strafkammer" auf der Grundlage der Kontrollratsdirektive Nr. 38, das hier gerade nicht vorliegt, und könnte somit für den hier zu entscheidenden Fall lediglich insoweit von Belang sein, als dort das Vorliegen einer Entscheidung eines deutschen Gerichts bejaht wurde (ebenso Bruns/Schröder/Tappert § 11 Rdnrn. 21 und 22).

Der erforderliche Strafcharakter ergibt sich auch nicht aus dem Vorbringen des Verfahrensbevollmächtigten, mit dem dieser nachzuweisen sucht, dass die vorgenannten Kommissionsentscheidungen und die hierauf fußenden Maßnahmen insgesamt die "Bestrafung" der von ihnen Betroffenen zum Ziel hatten. Mit der Durchführung der Maßnahmen gingen zweifellos Sanktionswirkungen einher, die von den damaligen Machthabern ebenso zweifellos auch erwünscht waren. Diese tragen jedoch keinen Strafcharakter im Sinne des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes. Soweit in diesem Zusammenhang der Begriff der "Bestrafung" oder eine vergleichbare Terminologie zur Beschreibung der Sanktionswirkungen Verwendung fand oder noch findet, dient dies der plakativen Veranschaulichung, kann aber die technische Begriffsbestimmung, die nach spezifischen und materiellen Kriterien zu erfolgen hat nicht beeinflussen.

Danach sind die hier in Rede stehenden Entscheidungen und Maßnahmen jedoch eindeutig verwaltungsrechtlicher Natur, die auch nicht dadurch in Frage gestellt wird, dass die diesbezüglichen Regelungen zum Teil an Umstände anknüpfen, die sich gleichzeitig als strafbares Verhalten darstellen. Wie heute, so konnte auch damals ein bestimmter Sachverhalt unterschiedliche staatliche Reaktionen zur Konsequenz haben, die ihren jeweils eigenen Regelungen folgen. So war etwa für ein sogenanntes Kriegsverbrechen einerseits die strafrechtliche Verurteilung auf der Grundlage des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 bzw. der Kontrollratsdirektive Nr. 38 vorgesehen, andererseits aber auch die Enteignung nach Maßgabe der insoweit geltenden besatzungsrechtlichen Vorschriften bzw. der Bodenreform-Verordnung. Ebenso wie eine an strafbares Verhalten anknüpfende Schadensersatzverpflichtung ihren zivilrechtlichen Charakter behält mit der Folge, dass nach einhelliger Auffassung eine Rehabilitierung nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz nicht einmal dann erfolgen kann, wenn über den Anspruch im Strafurteil mit entschieden worden ist (grundlegend Bruns/Schröder/Tappert a.a.O. § 1 Rdnr. 26; Schwarze in PK-Rehabilitierung 2. Aufl. § 1 Rdnr. 11 m.N. auf die Rechtsprechung), verbleibt es vor diesem Hintergrund auch bei der verwaltungsrechtlichen Natur der Durchführung der Enteignungsmaßnahmen und der diesen zugrundeliegenden Entscheidungen mit entsprechenden rehabilitierungsrechtlichen Folgen.

Die Tatsache, dass mit den Kommissionsentscheidungen ein sozialethisches Unwerturteil über den Betroffenen gefällt wurde, begründet ebenfalls keinen Strafcharakter. Der Ausspruch eines solchen ist zwar Straftatbeständen und den auf dieser Grundlage ergangenen Entscheidungen in besonderem Maße immanent (in diesem Sinne ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 04. Juli 2003, veröffentlicht in ZOV 2003, 304 zu verstehen), jedoch nicht ausschließlich diesen vorbehalten. Auch der Umstand, dass im Falle einer strafrechtlichen Verurteilung nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 eine Vermögenseinziehung erfolgen konnte, rechtfertigt nicht den Schluss, dass jeder anderen Form eines entsprechenden Vermögensverlustes automatisch Strafcharakter zukäme.

Danach sind weder die Kommissionsentscheidungen noch die darauf fußenden Enteignungen als strafrechtliche Maßnahmen im Sinne des § 1 Abs. 5 StrRehaG zu bewerten, so dass diese nicht im Wege der strafrechtlichen Rehabilitierung für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben werden können. Der Senat verkennt hierbei nicht, dass im Rahmen der seinerzeitigen gesamtgesellschaftlichen Umstrukturierungen schweres Unrecht zugefügt wurde. Jedoch kann eine Rehabilitierung nur im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben erfolgen, deren Voraussetzungen - jedenfalls was das allein in die Zuständigkeit des Rehabilitierungssenats des Oberlandesgerichts fallende Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz betrifft - hier nach dem vorstehend Dargelegten aber nicht erfüllt sind.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 14 StrRehaG.

Ende der Entscheidung

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