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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 04.08.1999
Aktenzeichen: 8 U 2159/99
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 345
§ 345 ZPO

1. Ein Verhandeln zur Hauptsache i.S.v. § 345 ZPO setzt nicht voraus, dass Sachanträge gestellt werden. Es genügt, dass nach Erörterung von Streitfragen materiell- oder prozessrechtlicher Art ein Verweisungsantrag gemäß § 281 Abs. 1 ZPO gestellt wird.

2. Der Auslegungsgrundsatz, wonach bei Unklarheit über die Art des eingelegten Rechtsbehelfs davon auszugehen ist, dass die Partei das prozessual "Vernünftige" anstrebt, ist auch dann anwendbar, wenn mangels Erfüllung der jeweiligen Zulässigkeitsvoraussetzungen keiner der in Betracht kommenden Rechtsbehelfe Erfolg verspricht.


OLG Dresden, 8. Zivilsenat

Beschluss vom 04. August 1999, Az.: 8 U 2159/99

Aktenzeichen: 8 U 2159/99 2 O 11313/98 LG Leipzig

Beschluss

des 8. Zivilsenats

vom 04.08.1999

In dem Rechtsstreit

Autoleasing GmbH, vertr. d.d. Geschäftsführer , ,

- Klägerin / Berufungsbeklagte -

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte & Partner, ,

gegen

W , ,

- Beklagter / Berufungskläger -

Prozessbevollmächtigte:

wegen Schadensersatzes u.a.

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden ohne mündliche Verhandlung durch

Richter am Amtsgericht Bokern, Richterin am Amtsgericht Dennhardt und Richter am Landgericht Kadenbach

beschlossen:

Tenor:

1. Eine Entscheidung zur Vorlage vom 09.07.1999 unterbleibt.

2. Die Sache wird zur Entscheidung über den Einspruch des Beklagten gegen das Versäumnisurteil vom 30.04.1999 an die Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des Landgerichts Leipzig zurückgegeben.

Gründe:

I.

Die Klägerin erwirkte bei dem Amtsgericht Leipzig im schriftlichen Verfahren ein Versäumnisurteil über 9.699,02 DM nebst Zinsen gegen den Beklagten. Auf dessen fristgerechten Einspruch wurde Termin zur mündlichen Verhandlung über Einspruch und Hauptsache auf den 02.12.1998 bestimmt. Zum Termin erschienen nach Aufruf der Sache der Prozessbevollmächtigte der Klägerin und der Beklagte persönlich. Der Beklagte übergab ein Schreiben vom 25.11.1998, in welchem er folgende Anträge ankündigte:

1. die Klage insgesamt abzuweisen in allen Punkten der Klageschrift,

2. der Klägerin die entstandenen Verfahrenskosten sowie aller Nebenkosten aufzuerlegen,

3. meine Schadensforderung durch unberechtigten Einzug des Fahrzeuges vom 22.01.1998, Betragshöhe 14.731,50 DM brutto und 115,35 DM brutto sowie bis heute angefallene Nebenkosten zuzulassen und für rechtens zu erklären.

Eine Abschrift dieses Schreibens wurde dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin ausgehändigt. Ausweislich des Sitzungsprotokolls erörterte das Gericht mit den Erschienenen die Sach- und Rechtslage. Sachanträge wurden nicht gestellt. In dem Protokoll heißt es u. a.: "... Beide Parteien werden gem. § 506 darauf hingewiesen, dass nach Einreichung der Widerklage in Höhe von 14.731,50 DM die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Leipzig nicht mehr gegeben ist. Der Beklagte erklärt hierauf: Es wird beantragt, den Rechtsstreit an das zuständige Landgericht Leipzig zu verweisen ..."

Das Amtsgericht erklärte sich daraufhin für sachlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Landgericht Leipzig.

In dem auf den 30.04.1999 anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung erschienen wiederum der Prozessbevollmächtigte der Klägerin und der Beklagte persönlich. Auf Antrag der Klägerin wurde ein Versäumnisurteil verkündet, dessen Tenor in den Ziff. 1 und 2 wie folgt lautet:

1. Das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Leipzig vom 21.10.1998 bleibt aufrechterhalten.

2. Die Widerklage wird abgewiesen.

Dieses Urteil wurde dem Beklagten am 19.05.1999 zugestellt. Mit Schreiben vom 06.05.1999, welches von ihm selbst unterzeichnet war und am 07.05.1999 beim Landgericht einging, erhob der Beklagte "Einspruch gegen das am Freitag, dem 30.04.1999, verkündete Versäumnisurteil" und legte "das Rechtsmittel der Berufung" ein. Des Weiteren beantragte er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Mit Schreiben vom 03.06.1999, welches ebenfalls von ihm selbst unterzeichnet war und am 07.06.1999 beim Landgericht einging, "erneuerte" der Beklagte sein Rechtsmittel.

Mit Beschluss vom 09.07.1999 verwarf das Landgericht den "Einspruch gegen das Versäumnisurteil zu Ziff. 2" und legte die Sache zur Entscheidung über "die Berufung des Beklagten" dem Oberlandesgericht vor.

II.

Eine Berufung ist nicht eingelegt.

1. Bei dem angefochtenen Urteil des Landgerichts Leipzig vom 30.04.1999 handelt es sich nicht um ein "zweites" Versäumnisurteil i.S.v. § 345 ZPO, sondern um ein zweites "erstes" Versäumnisurteil gem. §§ 331 Abs. 1, Abs. 2, Halbs. 1, 343 Satz 1 ZPO.

Voraussetzung für den Erlass eines "zweiten" Versäumnisurteils gem. § 345 ZPO ist, dass die durch (echtes) Versäumnisurteil verurteilte Partei Einspruch eingelegt hat und in dem darauf bestimmten Termin zur Verhandlung über den Einspruch und die Hauptsache nicht erscheint oder nicht zur Hauptsache verhandelt. In dem Termin vom 02.12.1998 vor dem Amtsgericht Leipzig wurde indessen "zur Hauptsache verhandelt". Das Verhandeln i.S.v. § 345 ZPO erfordert nicht, dass Sachanträge gestellt werden. Es genügt vielmehr, dass die Parteien über einen außerhalb des Prozessgeschehens liegenden Streitpunkt materiell- oder prozessrechtlicher Art, etwa über die örtliche Zuständigkeit verhandeln (vgl. BGH, NJW 1967, 728). Ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 02.12.1998 ist mit den Parteien die Sach- und Rechtslage erörtert worden. Dabei ging es, wie aus dem vermerkten richterlichen Hinweis auf den unzureichenden Beweisantritt des Beklagten zu dem von ihm erhobenen Erfüllungseinwand hervorgeht, auch um die Hauptsache. Mithin haben die Parteien i.S.d. § 345 ZPO zur Hauptsache verhandelt.

Dementsprechend ist das Versäumnisurteil des Landgerichts vom 30.04.1999 trotz des vorangegangenen, im schriftlichen Verfahren erlassenen Versäumnisurteils des Amtsgerichts als "erstes" Versäumnisurteil anzusehen. Im Übrigen ist das Versäumnisurteil vom 30.04.1999 auch als solches tenoriert, denn das Landgericht hat das Versäumnisurteil des Amtsgerichts aufrechterhalten. Bei einem "zweiten" Versäumnisurteil gem. § 345 ZPO hätte aber der Einspruch gegen das "erste" Versäumnisurteil verworfen werden müssen.

2. Der Beklagte hat sich gegen das Versäumnisurteil vom 30.04.1999 einheitlich mit dem Rechtsbehelf des Einspruchs gewandt.

In seinen Schreiben vom 06.05.1999 und vom 04.06.1999, mit denen sich der Beklagte gegen das Versäumnisurteil vom 30.04.1999 wendet, bezeichnet er seinen Rechtsbehelf selbst als "Einspruch" und "Berufung". Prozesshandlungen, zu denen auch die Einlegung eines Rechtsbehelfs gehört, sind auslegungsfähig. Dabei ist in entsprechender Anwendung von § 133 BGB der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften. Im Zweifel ist davon auszugehen, dass die Partei das prozessual "Vernünftige" anstrebt, also denjenigen Rechtsbehelf gewählt hat, der der Interessenlage der Partei nach objektiven Maßstäben entspricht (BGH, NJW-RR 1995, 1183). Vorliegend besteht die Besonderheit, dass das vom Beklagten unterzeichnete Schreiben unabhängig davon, ob man es als Einspruch oder Berufung auslegt, der vorgeschriebenen Form nicht genügt. Sowohl der an das Landgericht zu richtende Einspruch als auch die an das Oberlandesgericht zu richtende Berufung bedürfen gem. §§ 340, 78 ZPO bzw. §§ 518, 78 ZPO der Unterschrift eines bei dem jeweiligen Gericht zugelassen Rechtsanwalts. Unter diesen Umständen erscheint gleichwohl die Auslegung als Einspruch "vernünftiger" zu sein. Dafür spricht zum einen, dass der Einspruch der zutreffende Rechtsbehelf gegen das Versäumnisurteil vom 30.04.1999 ist. Zum anderen handelt es sich beim Einspruch um den kostengünstigeren Rechtsbehelf, was sich insbesondere bei der bevorstehenden Verwerfung zugunsten des Beklagten auswirken wird. Daher ist die Sache zur Entscheidung an das Landgericht zurückzugeben.

3. Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass auch der Antrag des Beklagten auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe vom Landgericht zu bescheiden sein wird.



Ende der Entscheidung

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