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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 24.01.2008
Aktenzeichen: WVerg 10/07
Rechtsgebiete: VgV


Vorschriften:

VgV § 13 S. 6
1. Auch Vergaben nachrangiger Dienstleistungen nach Anhang I B zur VOL/A (2. Abschnitt) sind der Kontrolle durch die Nachprüfungsorgane unterworfen.

2. Die Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrags hängt regelmäßig nicht davon ab, wieviel Zeit zwischen der Rüge und seiner Einreichung verstrichen ist.

3. Die übereinstimmende Aufhebung einer vom Auftraggeber zuvor erklärten Kündigung eines Dienstleistungsauftrages mit der Folge einer von den Parteien gewollten Vertragsverlängerung stellt eine Neuvergabe dar.

4. Wird als Folge einer Aufhebung eines Vergabeverfahrens durch die Vergabekammer eine auf eine mehrjährige Leistungserbringung angelegte Vergabe neu ausgeschrieben, so sind Verhandlungen über eine Zwischenlösung bis zum Abschluss dieses Vertrages und seiner Umsetzung mit den Unternehmen zu führen, die sich an der aufgehobenen Ausschreibung mit einem Angebot beteiligt haben, das keine oder jedenfalls keine unter Gleichheitsgesichtspunkten beachtlichen Mängel aufgewiesen hat. Ein im Ergebnis von Verhandlungen mit nur einem der Bieter geschlossener Vertrag über eine Zwischenlösung ist in entsprechender Anwendung von § 13 S. 6 VgV nichtig.


Oberlandesgericht Dresden Beschluss

Aktenzeichen: WVerg 10/07

Verkündet am 24.01.2008

In der Vergabesache

wegen Vergabeauftrag für die Betreibung einer Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber

hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Dresden aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15.01.2008 durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Bastius, Richter am Oberlandesgericht Piel und Richter am Oberlandesgericht Bokern

beschlossen:

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer des Freistaates Sachsen beim Regierungspräsidium Leipzig vom 24.08.2007 (1/SVK/054-07) wird zurückgewiesen.

2. Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens und die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin tragen der Antragsgegner und die Beigeladene je zur Hälfte. Ihre eigenen außergerichtlichen Kosten tragen der Antragsgegner und die Beigeladene selbst.

3. Beschwerdewert: bis zu 50.000,00 EUR.

A.

Die Beteiligten streiten darüber, ob eine vergaberechtswidrige, der Nachprüfung gem. §§ 102 ff. GWB unterworfene De-Facto-Vergabe von Dienstleistungen der Daseinsvorsorge vorliegt, wenn der Auftraggeber nach Aufhebung eines förmlichen Vergabeverfahrens, zu der ihn die Vergabenachprüfungsorgane verpflichtet haben, für einen nicht unerheblichen Übergangszeitraum eine Fortsetzungsvereinbarung mit dem bisherigen Leistungserbringer - zwecks Vorbereitung, Durchführung und Abschluss einer neuen öffentlichen Ausschreibung - trifft, ohne die im aufgehobenen Vergabeverfahren aufgetretenen Bieter beteiligt oder informiert zu haben.

Im Ergebnis einer früheren öffentlichen Ausschreibung des F , an der sich auch die jetzige Antragstellerin, eine gemeinnützige GmbH, beteiligt hatte, betreibt die Beigeladene in seinem Auftrag seit dem Jahre 2001 eine Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in . Den ursprünglichen Betreibervertrag, der zunächst bis zum 31.07.2005 geschlossen war und sich ohne Kündigung mit sechsmonatiger Kündigungsfrist jeweils um ein Jahr, längstens bis zum 31.07.2009 verlängerte, kündigte der Auftraggeber im Januar 2007 zum 31.07.2007. Bereits im Juli 2006 hatte er die beabsichtigte Neuvergabe der Leistungen zum 01.08.2007 für einen Zeitraum von vier Jahren (mit zusätzlicher Verlängerungsoption) im Ausschreibungsblatt veröffentlicht. Insgesamt sechs Bieter, darunter die Antragstellerin und die Beigeladene, gaben Angebote ab. Im Februar 2007 teilte der Auftraggeber den Bietern seine Absicht mit, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen. Ein daraufhin von der Antragstellerin angestrengtes erstes Nachprüfungsverfahren hatte Erfolg. Die Vergabekammer verpflichtete den Auftraggeber mit unangefochten gebliebenem Beschluss vom 10.04.2007 (1 SVK 20/07), das Vergabeverfahren aufzuheben. Hintergrund war die in der seinerzeitigen Vergabebekanntmachung enthaltene, von keinem der Bieter erfüllte und nach Einschätzung der Vergabekammer schlechthin unerfüllbare Forderung, als Eignungsnachweis unter anderem eine "Gewerbegenehmigung" vorzulegen.

Nach ersten, in einem Vermerk vom 19.04.2007 festgehaltenen Vorüberlegungen zum weiteren Prozedere teilte der Auftraggeber den Bietern mit Schreiben vom 30.04.2007 mit, dass er das Vergabeverfahren aufgehoben habe und beabsichtige, eine erneute öffentliche Ausschreibung nach öffentlicher Vergabebekanntmachung durchzuführen. Im Anschluss an eine bereits im Mai 2007 erzielte mündliche Verständigung schloss er mit der Beigeladenen ohne vorherige Information an die anderen Bieter, die sich im aufgehobenen Vergabeverfahren beteiligt hatten, am 11.06.2007 eine schriftliche "Fortsetzungsvereinbarung". Darin vereinbarten die Parteien eine Fortsetzung des Betreibervertrages bis zum 31.07.2008 (mit der Auftraggeberoption zweifacher Verlängerung um je sechs Monate bei Vorliegen eines wichtigen Grundes) und stimmten darin überein, "dass die zum 31.07.2007 ausgesprochene Kündigung damit zurückgenommen ist". Ausgenommen wurden die ursprünglich Vertragsbestandteil gewesenen Bewachungsleistungen, die zum 01.08.2007 anderweitig vergeben wurden; im Gegenzug verringerte sich das monatliche Entgelt um pauschal 5.000,00 EUR brutto. Den Auftragswert für den um ein Jahr verlängerten Zeitraum schätzt der Auftraggeber auf rund 930.000,00 EUR netto. Den nach damaliger Einschätzung endgültigen Zeitplan, der eine öffentliche Bekanntmachung der neuen Ausschreibung am 19.10.2007, eine Angebotsfrist bis zum 22.11.2007, eine Zuschlags- und Bindefrist bis zum 28.02.2008 und ein Inkrafttreten des neuen Betreibervertrages am 01.08.2008 vorsah, stellte er am 13.07.2007 auf.

Auf die Sachstandsanfrage der Antragstellerin vom 12.06.2007 teilte der Auftraggeber mit Schreiben vom 19.06.2007 mit, dass sich die angekündigte Neuausschreibung in der Vorbereitung befinde, die Veröffentlichung für Oktober 2007 beabsichtigt sei und für den Übergangszeitraum bis zum 31.07.2008 der bestehende Vertrag weiterhin seine Wirksamkeit behalte. Die Rüge der Antragstellerin vom Folgetag, die Leistungen des Verlängerungsvertrages seien im Wettbewerb zu vergeben und die Neuausschreibung sei innerhalb kürzerer Zeit als bis zum 31.07.2008 abzuschließen, wies er mit Schreiben vom 22.06.2007 zurück.

Am 24.07.2007 hat die Antragstellerin die Nachprüfung beantragt. Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Vergabekammer (1.) eine Verletzung der Antragstellerin in ihren Rechten aus § 97 Abs. 7 GWB festgestellt und den Auftraggeber verpflichtet, (2.) das am 11.06.2007 eingeleitete freihändige Vergabeverfahren zum Abschluss eines Betreibervertrages für den Zeitraum vom 01.08.2007 bis zum 31.07.2008 aufzuheben sowie (3.) für den Fall fortbestehender Beschaffungsabsicht die Leistungen unter Beachtung der Vergabegrundsätze und -vorschriften neu zu vergeben.

Mit der form- und fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde erstrebt der Auftraggeber die Zurückweisung des Nachprüfungsantrages. Die Beigeladene schließt sich seinem Begehren an. Die Antragstellerin verteidigt die angegriffene Entscheidung.

Im Anschluss an die Erörterungen im ersten Verhandlungstermin vor dem Senat haben die Beteiligten Möglichkeiten der einvernehmlichen Streitbeilegung geprüft, aber letztlich nicht gefunden. Der Antragsgegner hat jedoch den Zeitplan für die beabsichtigte Neuvergabe überarbeitet und diesen der dann bekanntgemachten neuen Ausschreibung zugrunde gelegt. Die mittlerweile unter anderem aufgrund diverser Bieterrügen und -rückfragen um zwei Wochen verlängerte Angebotsabgabefrist läuft bis zum 21.01.2008; der Zuschlag ist nunmehr für den 15.03.2008 vorgesehen, das Inkrafttreten des neuen langfristigen Betreibervertrages - bei vorgeschalteter einmonatiger "Übergabe" an den neuen Betreiber - für den 01.06.2008. Die Antragstellerin und auch die Beigeladene, die in ähnlichen Vergabeverfahren bereits mehrfach gegeneinander gestritten haben, bezweifeln, ob diese Termine für Zuschlagserteilung und Vertragsbeginn eingehalten werden (können).

B.

Die zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die Entscheidung der Vergabekammer ist nicht zu beanstanden. Sie ist auch mit Blick auf die Fortentwicklung des Sachverhaltes richtig.

I.

Das Nachprüfungsbegehren der Antragstellerin ist zulässig. Die in dem angefochtenen Beschluss angestellten Erwägungen treffen zu.

1. Mit Recht hat die Vergabekammer angenommen, dass auch bei einer Vergabe nachrangiger Leistungen im Sinne des Anhangs 1 B zur VOL/A (2. Abschnitt) vergaberechtlicher Primärrechtsschutz eröffnet sein kann.

Dass auf die Vergabe solcher Leistungen gem. § 1a Nr. 2 Abs. 2 VOL/A neben den Basisparagraphen lediglich die §§ 8a, 28a VOL/A anwendbar sind, ändert nichts an ihrer Eigenschaft als zu beschaffende Dienstleistungen im Sinne von § 97 Abs. 1 GWB. Deren Vergabe unterliegt nach nationalem Recht, sofern die weiteren Voraussetzungen der §§ 98 ff. GWB erfüllt sind, der Nachprüfung gem. §§ 102 ff. GWB (vgl. zuletzt OLG Saarbrücken, Beschluss vom 20.09.2006 - 1 Verg 3/06, VergabeR 2007, 110). Für seine gegenteilige Ansicht stützt sich der Beschwerdeführer zu Unrecht auf die Entscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 02.09.2003 - Verg W 3/03 und Verg W 5/03 (VergabeR 2003, 654). Dort wurde für eine außerhalb eines förmlich-wettbewerblichen Verfahrens erfolgte Vergabe nachrangiger Leistungen des Schienenpersonennahverkehrs erkannt, dass sie der Nachprüfung gem. §§ 102 ff. GWB entzogen sei, weil § 15 Abs. 2 AEG insoweit eine spezielle, die Vorschriften der §§ 97 ff. GWB verdrängende Regelung enthalte und der mit Wirkung zum 01.12.2002 geschaffene § 4 Abs. 3 VgV als bloße Regelung der Verordnungsgebers den zuvor nicht eröffneten Anwendungsbereich der Vorschriften des 4. Teiles des GWB nicht habe erweitern können. An dieser Auslegung der nationalen Vorschriften hat sich das Brandenburgische Oberlandesgericht nicht aufgrund anderslautender europarechtlicher Vorgaben gehindert gesehen, sondern zusammengefasst ausgeführt, dass die Dienstleistungsrichtlinie RL 92/50/EWG für nicht prioritäre Leistungen weder die Einhaltung eines förmlich-wettbewerblichen Vergabeverfahrens noch die Gewährung vergaberechtlichen Überprüfungsschutzes zwingend vorschreibe. Dies hat dem (deutschen) Gesetzgeber nicht die Befugnis genommen, nachrangige Dienstleistungen nach Anhang I B der Vergabenachprüfung zu unterwerfen, wie dies in § 99 GWB geschehen ist.

Damit kommt es für die Rechtswegeröffnung nicht mehr darauf an, ob die hier zu vergebenden Dienstleistungen, wie die Beigeladene nunmehr selbst verneint, überhaupt nachrangige Leistungen im Sinne des Anhangs 1 B zur VOL/A 2. Abschnitt in Gestalt von "Beherbungsleistungen" der Kategorie 17 darstellen.

2. Die Antragstellerin hat die Nachprüfung nicht verspätet beantragt.

§§ 107 ff. GWB sehen für die Anrufung der Vergabekammer keine Frist vor. Zulässigkeitsanforderungen ergeben sich insoweit lediglich aus § 107 Abs. 3 GWB, wonach im Vergabeverfahren erkannte bzw. bestimmte erkennbare Verstöße gegen Vergabevorschriften unverzüglich bzw. innerhalb bestimmter Frist gegenüber dem Auftraggeber gerügt sein müssen. Hat der Antragsteller diesen Rügeerfordernissen im Vorfeld der Nachprüfung genügt, wie es im Streitfall nach den zutreffenden Ausführungen der Vergabekammer geschehen ist, kommt es für die Zulässigkeit seines Nachprüfungsbegehrens regelmäßig nicht darauf an, wieviel Zeit er anschließend bis zur Einreichung des Nachprüfungsantrages hat verstreichen lassen (vgl. Senatsbeschluss vom 06.06.2002, WVerg 4/02, Umdruck S. 11 f). Für die vom Auftraggeber erstinstanzlich erwogene Annahme einer rechtsmissbräuchlich späten Anrufung der Vergabekammer ist schon angesichts des überschaubaren Zeitraumes von wenig mehr als einem Monat zwischen Empfang der Nichtabhilfemitteilung vom 22.06.2007 und Eingang des Nachprüfungsantrages am 24.07.2007 kein Raum.

3. Die im Rahmen der Begründetheitsprüfung angestellten Überlegungen der Vergabekammer, die Ausübung von Vertragsverlängerungsoptionen des Auftraggebers, sei es durch aktive Wahrnehmung eines entsprechenden Optionsrechtes, sei es durch Unterlassen einer eingeräumten Kündigungsmöglichkeit, könne vergaberechtlich von vornherein - mangels (neuer) "Vergabe" - irrelevant sein, vorliegend sei aber für den in Streit stehenden Interimszeitraum aufgrund der zwischenzeitlichen Kündigung des Betreibervertrages trotz deren nachträglich einvernehmlicher Aufhebung von einer Neuvergabe auszugehen, sind ebenfalls richtig. Sie werden im Beschwerdeverfahren auch weder vom Auftraggeber noch von der Beigeladenen angegriffen.

4. Die Antragsbefugnis der Antragstellerin (§ 107 Abs. 2 GWB) hat die Vergabekammer ebenfalls zutreffend bejaht.

Insbesondere fehlt der Antragstellerin entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers und der Beigeladenen nicht das erforderliche "Interesse am Auftrag". Allerdings muss dieses vom Antragsteller darzulegende Interesse regelmäßig auf den konkreten Auftrag bezogen sein, den der Auftraggeber zu vergeben beabsichtigt oder dessen wirksame Erteilung in Streit steht. Das ist hier aber der Fall. Dabei kann offen bleiben, ob bereits das zunächst hervorgehobene Anliegen der Antragstellerin, den Auftraggeber zu einer deutlich zügigeren Ausschreibung und endgültigen Neuvergabe zu veranlassen, um die Chance zu erhalten, jedenfalls für einen großen Teil des jetzigen Übergangszeitraumes den Auftrag zu erhalten, das erforderliche Interesse vermittelt. Denn jedenfalls hat die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren weiter betont, selbst kurzfristig zur Verfügung zu stehen und die streitgegenständlichen Leistungen ungeachtet ihres vorübergehenden Charakters erbringen zu wollen.

5. Der Nachprüfungsantrag ist schließlich auch nicht aufgrund wirksamer Auftragserteilung unzulässig.

Die Vergabekammer kann in zulässiger Weise nicht mehr angerufen werden, sobald der Vertrag, an dem der Antragsteller Interesse zu haben behauptet, wirksam zustande gekommen ist, weil dann zuvor begangene Verstöße gegen vergaberechtliche Bestimmungen nicht mehr beseitigt werden können (BGHZ 146, 202, 206; 158, 43, 48). Das gilt unabhängig davon, ob die Einigung unter Beachtung der Vorgaben des § 97 Abs. 1 GWB oder in anderer Weise zustande gekommen ist. Deshalb ist nach einem wirksamen Vertragsschluss ein Nachprüfungsantrag auch dann unzulässig, wenn der Mangel eines geregelten Vergabeverfahrens gerügt wird (BGHZ 162, 116, 125).

An dieser Zulässigkeitsvoraussetzung scheitert das Nachprüfungsbegehren der Antragstellerin indes nicht. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers und der Beigeladenen ist die "Fortsetzungsvereinbarung" vom 11.06.2007 unwirksam.

a) Ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot, der regelmäßig zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäftes führt (§ 134 BGB), scheidet allerdings aus. Die während des Nachprüfungsverfahrens bestehenden Zuschlagsverbote (z.B. §§ 115 Abs. 1, 118 Abs. 3 GWB) greifen nicht ein, weil die "Fortsetzungsvereinbarung" bereits vor dessen Einleitung geschlossen wurde. Den sonstigen formellen und materiellen Vergabevorschriften lässt sich, jedenfalls soweit hier von Interesse, ein gesetzliches Verbot nicht entnehmen.

b) Für eine Sittenwidrigkeit gem. § 138 Abs. 1 BGB, wie sie etwa im Falle des bewussten Hinwegsetzens beider Vertragspartner über die Ausschreibungspflichtigkeit eines Auftrages angenommen wird (KG, Beschluss vom 11.11.2004 - 2 Verg 16/04, VergabeR 2005, 236), fehlt es an Anhaltspunkten. Nachdem der Auftraggeber das ursprüngliche Vergabeverfahren - in Vollzug der bestandskräftig gewordenen Entscheidung der Vergabekammer vom 10.04.2007 - aufgehoben hatte, plante und bereitete er eine neue Ausschreibung vor. Zugleich erteilte er der bisherigen Betreiberin für eine Übergangszeit von einem Jahr den Auftrag. Dem lag, wie unter anderem der Inhalt des Aktenvermerks vom 19.04.2007 und der E-Mail des zuständigen Referenten des Innenministeriums vom 10.05.2007 belegt, nicht nur zugrunde, dass der Auftraggeber eine Freihändige Vergabe des auf mehrere Jahre angelegten Gesamtauftrages selbst für vergaberechtswidrig und deshalb eine neue Ausschreibung für erforderlich hielt. Vielmehr hatte er gleichzeitig die Notwendigkeit einer "Übergangslösung" für die Erfüllung des ihm gesetzlich zugewiesenen Vorsorgeauftrages ausgemacht, eine solche Lösung in einer einvernehmlichen befristeten Fortsetzung des bisherigen Betreibervertrages gefunden und insoweit keinerlei vergaberechtliche Bedenken oder Erfordernisse gesehen oder auch nur erwogen. Eben deshalb unterließ er nicht nur jedwede Information an die anderen Bieter, sondern auch Verhandlungen mit der Beigeladenen auf der Grundlage gerade ihres im aufgehobenen Vergabeverfahren abgegebenen Angebotes. Bei dieser Sachlage kann keine Rede davon sein, die Vergabestelle habe sich sehenden Auges außerhalb des Vergaberechts begeben und dies etwa gar im Einvernehmen mit der Beigeladenen.

c) Der am 11.06.2007 erteilte Auftrag ist indes entsprechend § 13 Satz 6 VgV nichtig, weil es der Auftraggeber vor Vertragsschluss unterlassen hat, die Antragstellerin (und die weiteren damaligen Bieter) über seine Absicht zu unterrichten, mit der Beigeladenen eine "Fortsetzungsvereinbarung" zu treffen.

Eine unmittelbare Anwendung dieser Vorschrift kommt zwar nicht in Betracht.

Da die Informationspflichten aus § 13 Satz 1 und 2 VgV und die Nichtigkeitsfolge im Falle ihrer Missachtung Teil eines nach Maßgabe des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen eingeleiteten und durchgeführten geregelten Vergabeverfahrens sind, ist § 13 VgV nicht unmittelbar anwendbar, wenn ein derart geregeltes Verfahren tatsächlich nicht stattgefunden hat (BGHZ 162, 116, 131). So verhält es sich hier. Ein geregeltes Vergabeverfahren hat es im Zusammenhang mit dem "Interimsauftrag" nicht gegeben.

§ 13 VgV findet aber entsprechende Anwendung.

Nach der Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofes vom 01.02.2005 - X ZB 27/04 - (BGHZ 162, 116) kann der Grundgedanke der Vorschrift auch in Fällen zum Tragen kommen, in denen entgegen § 97 Abs. 1 GWB zur Beschaffung von Dienstleistungen ein geregeltes Vergabeverfahren nicht eingeleitet wird, weil und soweit auch dann die Gefahr besteht, dass an dem Auftrag interessierte Unternehmen als Folge eines Vertragsschlusses keinen Primärrechtsschutz erlangen können. Eine lückenfüllende Analogie ist danach möglich, wenn die Beschaffung einer Dienstleistung immerhin zur Beteiligung mehrerer Unternehmen, zu verschiedenen Angeboten und schließlich zu einer Auswahl durch den öffentlichen Auftraggeber geführt hat. Denn dann gibt es bestimmte außenstehende Dritte, die - wie im Falle eines geregelten Vergabeverfahrens - als Bieter aufgetreten sind und deren Angebote aus Gründen nicht berücksichtigt werden sollen, die zunächst allein der Auftraggeber kennt, die aber möglicherweise vergaberechtlich nicht tragfähig sind. Um den gebotenen effektiven Rechtsschutz nicht leerlaufen zu lassen, ist der Auftraggeber in einer solchen Konstellation bei Meidung der Nichtigkeitssanktion gehalten, den anderen Bietern diese Gründe rechtzeitig vor Vertragsschluss mitzuteilen (BGHZ 162, 116, 131 ff.; so auch Senat, Beschluss vom 16.10.2001 - WVerg 7/01, VergabeR 2002, 142; OLG Jena, Beschluss vom 14.10.2003 - 6 Verg 5/03, VergabeR 2004, 113; OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 23.02.2005 - Verg 78/04, VergabeR 2005, 503 und Verg 85/04, VergabeR 2005, 508 sowie vom 24.02.2005 - Verg 88/04, NZBau 2005, 535; OLG München, Beschluss vom 07.06.2005 - Verg 4/05, VergabeR 2005, 620; OLG Celle, Beschluss vom 14.09.2006 - 13 Verg 3/06, VergabeR 2007, 86; OLG Naumburg, Beschluss vom 15.03.2007 - 1 Verg 14/06, VergabeR 2007, 512). Danach ist namentlich in Fällen einer nicht erfolgreich abgeschlossenen Ausschreibung ein anschließendes Verhandlungsverfahren jedenfalls mit den Bietern eben dieser Ausschreibung zu betreiben. Der Bieterstatus wirkt dann im Verhandlungsverfahren fort, auch wenn in diesem ein Angebot nicht abgegeben worden ist und - mangels Kenntnis - auch nicht abgegeben werden konnte (vgl. Senatsbeschluss vom 16.10.2001 aaO.).

Nach diesen Grundsätzen ist im Streitfall eine analoge Anwendung des § 13 VgV angezeigt.

Den zitierten Entscheidungen ist allerdings gemeinsam, dass sie Fälle zum Gegenstand hatten, in denen der öffentliche Auftraggeber einen im Wettbewerb zu erteilenden bestimmten Auftrag ohne vorherige Benachrichtigung eines für eben diesen Auftrag hervorgetretenen Bietinteressenten "inhaltsgleich" vergab. Hier dagegen hat der Auftraggeber den nach seiner durchgängig öffentlich erklärten Absicht durch mehrjährigen Betreibervertrag langfristig zu deckenden Beschaffungsbedarf gerade nicht - auch nicht annähernd vollständig - durch eine Freihandvergabe befriedigt. Gerade um einen vergaberechtlich sicheren und auch wettbewerblich möglichst erfolgversprechenden Weg zu beschreiten, hat er sich vielmehr zu Recht für eine erneute öffentliche Ausschreibung entschieden, die zudem etwa den aktualisierten Prognosen zum Unterbringungsbedarf in der Aufnahmeeinrichtung Rechnung tragen soll.

Das hat einen Wettbewerb mit dem Ziele, für die Zwischenzeit den Betrieb der Aufnahmeeinrichtung vertraglich sicherzustellen, aber nicht entbehrlich gemacht. Den bis zum Abschluss des neuen förmlichen Vergabeverfahrens voraussichtlich erforderlichen Zeitraum durch einen befristeten Auftrag an die bisherige Betreiberin ohne vorherige Information interessierter Dritter zu überbrücken, stellt unter den konkreten Umständen des Streitfalles im Gegenteil eine nach Sinn und Zweck sowie der Interessenlage dem unmittelbaren Anwendungsbereich des § 13 VgV entsprechende Vergabe dar. Gegenständlich unterscheidet sich der (Übergangs-)Auftrag nur ganz unwesentlich von den Dienstleistungen, deren Erbringung die Bieter, der Ausschreibung im später aufgehobenen Vergabeverfahren folgend, offeriert hatten; lediglich die nach Aufwand auf der einen und entsprechender Vergütung auf der anderen Seite im Gesamtvergleich nicht erheblich ins Gewicht fallenden Bewachungsleistungen wurden ausgeklammert. In zeitlicher und sonstiger Hinsicht ist ausschlaggebend, dass der Auftrag für einen beträchtlichen Zeitraum von (mindestens) einem Jahr ab dem 01.08.2007 Dienstleistungen mit einem Bruttovolumen in voraussichtlich siebenstelliger Höhe dem Wettbewerb entzog und der Auftraggeber vor dieser Vergabe erkennen konnte und musste, dass in den Angeboten aller Bieter, die sich zuvor für einen langfristigen Betreibervertrag ab eben diesem 01.08.2007 interessiert gezeigt hatten, bei objektiver Betrachtung zugleich deren Interesse (auch) an einem ab diesem Zeitpunkt für die Dauer von immerhin mindestens einem Jahr zu vergebenden Auftrag zum Ausdruck kam. Bei dieser Sach- und Interessenlage ist es gerechtfertigt, den hervorgetretenen Bietern hinsichtlich des "Interimsauftrages" eine bietergleiche Stellung zu attestieren. Deshalb hatte der Auftraggeber, bevor er den ins Auge gefassten Vertrag mit der Beigeladenen schloss, die anderen Bieter rechtzeitig über seine Absicht zu unterrichten.

Dem Eintritt der Nichtigkeitsfolge des § 13 Satz 6 VgV steht nicht entgegen, dass im Zeitpunkt des Abschlusses der Fortsetzungsvereinbarung am 11.06.2007 die Voraussetzungen eines der Tatbestände des § 3 Nr. 4 VOL/A und ggf. des § 3 a Nr. 2 VOL/A erfüllt gewesen sein mögen. Denn wenn auch hiernach der Weg zu einer Freihändigen Vergabe oder zu einem Verhandlungsverfahren eröffnet gewesen sein mag, so aber doch nur unter Beteiligung jedenfalls auch der Antragstellerin.

Dies gilt auch für den Anwendungsbereich der §§ 3 Nr. 4 f, 3 a Nr. 2 d VOL/A.

Eine danach erforderliche besondere Dringlichkeit kann zwar bei Leistungen der dem Auftraggeber verpflichtend zugewiesenen Daseinsvorsorge in der Situation nach Aufhebung eines geregelten Vergabeverfahrens für einen gewissen Zeitraum selbst dann gegeben sein, wenn die Gründe für die Aufhebung in der Sphäre des Auftraggebers liegen. Im Streitfall konnte der Auftraggeber eine besondere Dringlichkeit der (Interims-)Leistungen aber jedenfalls nicht mit der Folge für sich in Anspruch nehmen, dass jegliche Verhandlungen - auch - mit den anderen Bietern unterbleiben durften. Zwischen Aufhebung des Vergabeverfahrens im April 2007 und Beginn des nach dem Willen des Auftraggebers für ein Jahr zu überbrückenden Leistungszeitraumes am 01.08.2007 lagen gut drei Monate. Innerhalb dieses Zeitraumes konnten Verhandlungen mit dem auch in Bezug auf die "Interimslösung" bietergleich hervorgetretenen, zahlenmäßig überschaubaren Interessentenkreis ohne weiteres geführt und zum Abschluss gebracht werden. Die unmittelbare, durch sofortige Vergabe ohne vorhergehende, diese Interessenten einbeziehende Verhandlungen zu bannende Gefahr eines auftragslosen Zustandes bestand auch nicht bei Vertragsschluss am 11.06.2007. Selbst von diesem Zeitpunkt an waren es noch sieben Wochen bis zum Auslaufen des gekündigten Betreibervertrages. Ein bei Durchführung eines Verhandlungsverfahrens mit den Bietern der zuvor gescheiterten förmlichen Vergabe ggf. dennoch verbleibender Überbrückungsbedarf hätte überdies in keinem Fall mit einer Beschaffungsregelung gedeckt werden dürfen, die dem Auftraggeber eine "Interimsbeauftragung" für bis zu zwei Jahre (unter Einschluss seiner Verlängerungsoptionen) gestattete; das ist durch Dringlichkeitsüberlegungen gleich welcher Art nicht mehr zu rechtfertigen.

II.

Der Nachprüfungsantrag ist begründet. Die Entscheidung des Auftraggebers vom 11.06.2007, den Auftrag ohne Beteiligung der Antragstellerin am Verhandlungsverfahren zu vergeben, verletzt diese in ihren Rechten aus § 97 Abs. 7, Abs. 1 GWB i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 VgV, §§ 3 Nr. 4, 3 a Nr. 2 VOL/A.

1. Wie ausgeführt, war es vergaberechtswidrig, der Antragstellerin die Gelegenheit vorzuenthalten, ihrerseits ein Angebot zum Abschluss eines den Interimszeitraum bis zum Abschluss eines langfristigen Betreibervertrages überbrückenden Vertrages abzugeben.

2. Die Rechtsverletzung der Antragstellerin dauert an. Das Ziel des Nachprüfungsbegehrens ist, soweit es einen noch zu erlangenden "Interimsauftrag" betrifft, nicht infolge veränderter Umstände unerreichbar geworden; Erledigung ist nicht eingetreten.

Allerdings kann sich der zu vergebende Auftrag, legt man die ursprüngliche, am 11.06.2007 verwirklichte Beschaffungsabsicht des Auftraggebers zugrunde, naturgemäß nur noch auf einen zunehmend kürzer gewordenen Leistungszeitraum beziehen. Dieser Zeitraum ist mit seiner untersten Grenze bis zum 31.05.2008, dem angedachten Zeitpunkt der Übernahme der Einrichtung durch den Partner eines langfristigen Vertrages, bemessen. Würde mit Gewissheit oder doch jedenfalls einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sein, dass dieser Termin eingehalten werden wird, so würde es wenig sinnvoll erscheinen, gleichwohl dem Auftraggeber nicht völlig unbedeutende Zeit in Anspruch nehmende Verhandlungen auch mit der Antragstellerin abzuverlangen. Dies hatte den Senat bewogen, in seinem Beschluss vom 23.11.2007 anzuregen, das Nachprüfungsverfahren in der Hauptsache für erledigt zu erklären. Seither haben sich die tatsächlichen Umstände aber geändert. Handelte es sich bis zur mündlichen Verhandlung des Senats vom 15.01.2008 bei der der ausgeschriebenen Vergabe innewohnenden Gefahr einer Verzögerung der Auftragserteilung durch ein Nachprüfungsverfahren um nicht mehr als das jeder Vergabe oberhalb der Schwellenwerte abstrakt drohende Risiko, so ist nunmehr die Verlängerung der Ausschreibung konkret zu besorgen. Die Vertreter der Antragstellerin und der Beigeladenen haben in der mündlichen Verhandlung vom 15.01.2008 von unerledigten Rügen und weiteren als den bislang erhobenen Beanstandungen gesprochen. Das lässt die Annahme, der langfristige Betreibervertrag werde ab dem 01.06.2008 umgesetzt werden, nicht mehr mit der erforderlichen Sicherheit zu. Dass der Antragsgegner kaum umhinkommen wird, ungeachtet der sich aus § 13 Satz 6 VgV ergebenden Nichtigkeit an der Fortsetzungsvereinbarung für eine weitere Übergangszeit festzuhalten, ist allein der Tatsache zuzuschreiben, dass auch eine mit Nachdruck betriebene Verhandlung der Interimsvergabe nicht von heute auf morgen abgeschlossen sein kann und wird.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die hälftige Kostentragung der Beigeladenen dabei auf der Erwägung, dass sie das Ziel der sofortigen Beschwerde mit einem gleichlautenden Antrag unterstützt und dadurch ein entsprechendes Kostenrisiko übernommen hat. Der Streitwert ist gemäß § 50 Abs. 2 GKG festgesetzt; der Senat hat überschlägig die ab Einleitung des Beschwerdeverfahrens verbleibende Bruttoauftragssumme zu Grunde gelegt.

Ende der Entscheidung

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