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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 10.11.2003
Aktenzeichen: 1 U 16/03
Rechtsgebiete: BGB, PflVG, StVG, ZPO


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 1
BGB § 847
BGB § 847 Abs. 1
PflVG § 3 Nr. 1
PflVG § 3 Nr. 2
StVG § 7
StVG § 17
ZPO § 287
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 16/03

Verkündet am 10. November 2003

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. E... des Richters am Oberlandesgericht K... sowie der Richterin am Landgericht G... auf die mündliche Verhandlung vom 13. Oktober 2003

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung seines weitergehenden Rechtsmittels das am 11. Dezember 2002 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 1.278,23 € nebst 4 % Zinsen seit dem 28. November 2000 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, sämtliche materiellen und immateriellen Schäden des Klägers, die ihm auf Grund des Verkehrsunfalls vom 21.08.1999, 11.05 Uhr, Kreuzung B Straße/H...straße in Oberhausen entstehen, zu ersetzen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Anschlußberufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden zu 57 % dem Kläger und zu 43 % den Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

I.

Die zulässige Berufung des Klägers hat einen geringen Teilerfolg. Das Landgericht hat ihm zu Unrecht einen Ersatzanspruch zum Ausgleich seiner unfallbedingten immateriellen Schäden versagt. Unter Berücksichtigung der vorprozessualen Zahlung der Beklagten zu 1. in Höhe von 2.500 DM sind die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldbetrages von 1.278,23 € (2.500 DM) verpflichtet. Dem weitergehenden Ersatzbegehren des Klägers bleibt der Erfolg versagt.

Die Anschlussberufung der Beklagten ist unbegründet. Nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme steht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit fest, dass das Unfallereignis vom 21. August 1999 mitursächlich für die fortdauernden Beschwerden ist, die der Kläger in seiner oberen rechten Extremität von der Halswirbelsäule ausgehend bis in den kleinen Finger hinein verspürt. Zwar zeigten sich bereits zum Zeitpunkt des Unfallereignisses degenerative Verschleißerscheinungen zwischen den 5. und den 7. Halswirbelkörpern. Entsprechend den zutreffenden Feststellungen des Landgerichts ist es indes durch das Kollisionsereignis zu einer richtungsweisenden Verschlimmerung der Vorschädigung mit der Ausbildung einer radikulären Symptomatik im Rahmen eines sogenannten C 8-Syndroms gekommen mit der Folge von - im Vergleich zum Vorzustand deutlich intensivierten - Bewegungs- und Schmerzbeeinträchtigungen.

Der streitige Sachverhalt ist nach dem durch das Landgericht eingeholten neurologischen Gutachten des Sachverständigen Professor Dr. S... vom 18. Dezember 2001 (Bl. 118 ff. der Akte) in Verbindung mit der ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme des Sachverständigen vom 10. Juni 2002 (Bl. 155 ff. der Akte) hinreichend geklärt. Einer weiteren Sachaufklärung durch mündliche Anhörung des Sachverständigen oder durch Einholung eines weiteren fachärztlichen Gutachtens bedarf es nicht.

Rechtsgrundlage für das begründete Schmerzensgeldbegehren des Klägers sind die Vorschriften der §§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 3 Nr. 1 und 2 Pflichtversicherungsgesetz. Dieselbe Rechtsgrundlage ist - neben den Vorschriften der §§ 7, 17 StVG - auch einschlägig für den begründeten Feststellungsantrag.

Unstreitig trifft die Beklagten die volle Haftung für die Folgen des Unfallereignisses, welches sich am 21. August 1999 auf der Kreuzung B Straße mit der H...straße in Oberhausen ereignet hat.

II.

Zum Rechtsmittel des Klägers.

1)

Er macht mit seiner Berufung zu Recht geltend, dass entgegen der durch das Landgericht vertretenen Ansicht seine unfallbedingten immateriellen Beeinträchtigungen nicht durch die vorprozessuale Schmerzensgeldzahlung der Beklagten zu 1. in Höhe von 2.500 DM ausgeglichen sind. Andererseits hat er keinen Anspruch auf das verlangte weitergehende Schmerzensgeld von 12.500 DM, entsprechend 6.391,15 €. Vielmehr ist die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes auf die Summe von insgesamt 2.556,46. €, entsprechend 5.000 DM, begrenzt. Unter Berücksichtigung der vorprozessualen Abschlagsleistung der Beklagten zu 1. verbleibt damit der ihm im Tenor zuerkannte Rest.

2)

Nach dem Ergebnis des neurologischen Gutachtens des Sachverständigen Professor Dr. S... vom 18. Dezember 2001 hat die Behauptung des Klägers keine Bestätigung gefunden, durch den Unfall sei es zu einer Schädigung des rechtsseitigen Nervus radialis sowie des Nervus ulnaris gekommen. Den streitigen Tatsachenvortrag hält der Kläger in der Berufungsinstanz auch nicht mehr aufrecht.

3)

Die körperlichen Beeinträchtigungen, die sich infolge des Kollisionsereignisses bei dem Kläger eingestellt haben, sind in den Gründen des angefochtenen Urteils zutreffend dargestellt (Bl. 5 UA; Bl. 188 der Akte). Danach hat die chronische degenerative Vorschädigung der Halswirbelsäule eine richtungsweisende Verschlimmerung durch Entwicklung eines sensiblen C 8-Syndroms erfahren, ohne dass damit eine Verletzung der rechten Körperseite verbunden war. Vielmehr ist die Beweglichkeit der Halswirbelsäule schmerzbedingt endgradig eingeschränkt. Nach den weiteren Feststellungen des neurologischen Sachverständigen haben sich Sensibilitätsstörungen, nämlich eine Hypästhesie sowie eine Hypalgesie des Kleinfingers rechts sowie des ellenseitigen Handrandes und Unterarms eingestellt (Bl. 128 der Akte).

a)

Nach der Einschätzung des Sachverständigen sind die Angaben des Klägers zu seinen Beschwerden glaubhaft und Aggravationstendenzen lassen sich nicht feststellen (Bl. 124 der Akte). Folglich ist von der Richtigkeit der Beschwerdeangaben des Klägers auszugehen, die dieser gegenüber dem Sachverständigen gemacht hat. Danach strahlt gelegentlich ein rechtsseitiger Nackenschmerz in das Schulterblatt aus und setzt sich in den rechten Ellenbogen bis in den Kleinfinger der rechten Hand fort. Damit verbunden sind Kälte- und Taubheitsgefühle. Diese Erscheinungen werden durch Alltagsverrichtungen provoziert, wie z. B. durch Gartenarbeiten (Bl. 121 der Akte). Daneben bestehen noch leichte Beschwerden im Grundgelenk des unfallgeschädigten Kleinfingers (Bl. 121 der Akte).

b)

Eine operative Behandlung des C 8-Syndroms hält der Sachverständige derzeit für nicht indiziert, sondern nur für den Fall angezeigt, dass es in Zukunft zu einer weiteren Zunahme der Beschwerden kommt (Bl. 130 der Akte).

c)

Unstreitig war es bei dem Kläger durch die Kollision als Erstbeeinträchtigung zu einer Zerrung der Halswirbelsäule sowie des linken Kleinfingergrundgelenkes gekommen. Wegen der erstgenannten Verletzung musste der Kläger eine Woche lang eine Cervikalstütze tragen, während die Beeinträchtigung des kleinen Fingers mit einem Salbenverband behandelt wurde (Bl. 218, 219 der Akte). Die Zerrung der degenerativ vorgeschädigten Halswirbelsäule machte nach dem weiteren Vorbringen des Klägers eine Reizstrom- sowie eine Infiltrationsbehandlung erforderlich. Zudem musste er sich ab Mitte September 1999 einer krankengymnastischen Behandlung unterziehen (Bl. 219 der Akte). In der Zeit vom Unfalltag bis zum 17. September 1999 war die Arbeitsfähigkeit des Klägers zu 100 % beeinträchtigt, bis zum 25. November 1999 zu 40 % und bis zum Ende des Jahres 1999 zu einer Quote von 20 % (Bl. 219 der Akte). Die Einzelheiten zu der dem Kläger zuteil gewordenen ärztlichen Behandlung sowie zu seiner unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit ergeben sich aus dem Bericht des behandelnden Arztes Dr. W... vom 11. November 1999 (Bl. 25/27 der Akte). Dem darauf beruhenden Tatsachenvortrag des Klägers treten die Beklagten in ihrer Berufungserwiderung nicht konkret entgegen. Sie machen vielmehr - teilweise erfolglos - geltend, der Kläger sei wegen seiner als "Molesten" bezeichneten Unfallverletzung und deren Folge mit einem Schmerzensgeldbetrag in Höhe von 2.500 DM großzügig abgefunden worden (Bl. 242 der Akte).

4 a)

Sachlich unbegründet ist indes die Behauptung des Klägers, das Unfallereignis habe jedenfalls mitursächlich eine sensible. Polyneuropathie ergeben, die zu einer Störung der Vibrationsempfindung an den Sprunggelenken beidseits geführt habe (Bl. 220, 221 der Akte). Diese Störung hat das Landgericht zu Recht bei der Schmerzensgeldbemessung unberücksichtigt gelassen. Denn nach den zweifelsfreien Darlegungen des Sachverständigen in seiner ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 10. Juni 2002 besteht keinerlei Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der Polyneuropathie (Bl. 156 der Akte). Nach seiner Ansicht kommt als Auslöser der festgestellten nervlichen Beeinträchtigung eine Diabeteserkrankung des Klägers in Betracht. Überdies ist zu berücksichtigen, dass die Empfindungsstörung in den Sprunggelenken der Füße in keinen anatomischem Zusammenhang mit der Schädigung der Halswirbelsäule gebracht werden kann.

b)

Ebenso wenig kann schmerzensgelderhöhend die Tatsache Berücksichtigung finden, dass nach den Ausführungen des Sachverständigen Professor Dr. S... in seiner Stellungnahme vom 10. Juni 2002 unfallbedingt eine verlängerte F-Wellen-Latenz des N.ulnaris rechts eingetreten ist. Den Darlegungen des Sachverständigen lässt sich nicht entnehmen, dass mit dieser Störung ein eigenständiges Beschwerdebild verbunden ist. Vielmehr steht nach seinen Ausführungen die verlängerte F-Wellen-Latenz in einem Zusammenhang mit dem rechtsseitigen schmerzhaften C 8-Syndrom und ist dessen neurologische Ausprägung.

5 a)

Wie noch bei der Abhandlung der Unbegründetheit der Anschlussberufung der Beklagten auszuführen sein wird, berührt es nicht die schadensersatzrechtliche Einstandsverpflichtung der Beklagten nicht, dass die unfallbeeinträchtigte Halswirbelsäule des Klägers degenerativ vorgeschädigt ist. Insoweit hat sich das Unfallereignis im Sinne einer deutlichen Verschlechterung der Beschwerdesymptomatik ausgewirkt. Da der Verletzte aber nur Anspruch auf ein angemessenes Schmerzensgeld hat, für dessen Festsetzung nach § 847 BGB Billigkeitsgesichtspunkte maßgebend sind, kann es nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung bei der Höhezumessung durchaus geboten sein zu berücksichtigen, dass die zum Schaden führende Handlung des Schädigers nur eine bereits vorhandene Schadensbereitschaft in der Konstitution des Geschädigten ausgelöst hat und die Gesundheitsbeeinträchtigungen Auswirkungen dieser Schadensanfälligkeit sind (BGH NJW 1997, 455, 456 mit Hinweis auf BGH NJW 1962, 243; BGH VersR 1968, 648, 650; BGH NJW 1971, 33 sowie BGH VersR 1981, 1178, 1180).

b)

Nach dem vorprozessual erstellten fachchirurgischen Gutachten des Klinikums Duisburg vom 31. August 2000 (Verfasser: Dr. K... sowie Dr. K...) ist bei dem Kläger unfallunabhängig eine fortgeschrittene Degeneration der unteren Halswirbelsäule in den Bewegungssegmenten HWK 5/HWK 6 sowie HWK 6/HWK 7 zu diagnostizieren (Bl. 52 der Akte). Diese Vorschädigung hat nach den Erkenntnissen des gerichtlich bestellten Sachverständigen Professor Dr. S... durch das Unfallereignis eine richtungsweisende Verschlimmerung durch Entwicklung eines sensiblen C 8-Syndroms erfahren (Bl. 130 der Akte). Als deren Folge besteht das oben genannte Beschwerdebild, insbesondere eine wiederholte Schmerzausstrahlung von der rechten Nackenseite über den rechten Ellenbogen bis in den Kleinfinger der rechten Hand. Hingegen hatte er vor dem Unfallereignis nur gelegentliche Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule, ohne dass es insbesondere zu einem Bandscheibenvorfall gekommen war (Gutachter Prof. Dr. S... v. 18, Dezember 2001, Seite 5, Bl. 122 d.A.).

6a)

Das fortgeschrittene Lebensalter des Klägers, der zum Unfallzeitpunkt 68 Jahre alt war, hat der Senat weder als schmerzensgelderhöhend noch -mindernd bewertet. Zwar ist es in der Regel als ein gewichtiger Zumessungsfaktor im Rahmen der nach § 847 Abs. 1 BGB maßgeblichen Bewertungskriterien zu berücksichtigen, wenn ein jüngerer Verkehrsteilnehmer von einer Unfallverletzung mit Dauerfolgen, insbesondere entstellender Art betroffen ist. Umgekehrt verbietet es sich aber, Abstriche bei der billigen Geldentschädigung eines älteren Unfallopfers mit der Begründung zu machen, er befinde sich in einem fortgeschrittenen Lebensstadium.

b)

Das durch den Kläger als zögerlich beanstandete Regulierungsverhalten der Beklagten zu 1. kann indes nicht in dem durch ihn geltend gemachten Umfang bei der Schmerzensgeldzumessung Berücksichtigung finden. Zwar hat sich die Beklagte zu 1. in ihrem vorprozessualen Schreiben vom 30. Oktober 2000 für eine nicht zügige Beantwortung eines gegnerischen Anspruchsschreibens vom 29. September 2000 entschuldigt, ehe sie auf das bis dahin bereits gezahlte und als "sehr großzügig" bezeichnete Schmerzensgeld von 1.500 DM die Abschlusszahlung von weiteren 1.000 DM folgen ließ (Bl. 42/43 der Akte). Andererseits darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Kläger in dem unfallbeeinträchtigten Wirbelsäulenbereich degenerativ vorgeschädigt ist und sich damit Abgrenzungsprobleme stellen, in welchem Umfang die durch ihn geklagten Beschwerden auf das Unfallereignis zurückzuführen sind. Diese Tatsachenfrage hat erst durch das seitens des Landgerichts eingeholte neurologischen Gutachtens des Sachverständigen Professor Dr. S... eine hinreichende Klärung gefunden. Insbesondere hat sich danach die bereits durch den Kläger vorprozessual aufgestellte Behauptung einer Unfallschädigung des Nervus radialis sowie des Nervus ulnaris als unzutreffend herausgestellt. Deswegen kann die Tatsache, dass es über die vorprozessual geleistete Zahlung von 2.500 DM hinaus es in der Folgezeit zu keiner weiteren Entschädigungsleistung der Beklagten zu 1. gekommen ist, den Beklagten nicht zwangsläufig als ein ihre Schmerzensgeldverpflichtung erhöhender Umstand angelastet werden.

7)

Unter Berücksichtigung aller nach § 847 Abs. 1 BGB maßgeblichen Zumessungsfaktoren stellt sich im Ergebnis der begründete Anspruch des Klägers auf Ersatz seiner immateriellen Unfallbeeinträchtigungen auf das doppelte der vorprozessual durch die Beklagte zu 1. erbrachten Entschädigungsleistung, also auf insgesamt 5.000 DM, so dass eine in Höhe von 1.278,23 € gerechtfertigte Restforderung des Klägers verbleibt.

III.

Zur Anschlussberufung der Beklagten.

Die Anschließung, mit welcher die Beklagten unter Abänderung des angefochtenen Urteils die vollständige Klageabweisung erstreben, bleibt ohne Erfolg.

1)

Sie dringen zunächst nicht mit dem Einwand durch, das klägerische Feststellungsbegehren sei unbegründet, da nach den Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen eine etwaige Zunahme des C 8-Syndroms nicht mehr als Unfallfolge gewertet werden könne (Bl. 232 der Akte).

a)

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Beklagten nicht die Richtigkeit der Ausführungen des Sachverständigen Professor Dr. S... in Abrede stellen, wonach die vorgeschädigte Halswirbelsäule des Klägers unfallbedingt eine weitere Schädigung durch Ausbildung einer radikulären Symptomatik erfahren hat. Für diese Feststellung spricht auch das Privatgutachten des neurologischen Facharztes Dr. H... vom 29. Juli 2002 (Bl. 167 ff. der Akte), welches die Beklagten im Rahmen ihrer kritischen Auseinandersetzung mit den gutachterlichen Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen Professor Dr. S... vorgelegt haben. Auch in dem Privatgutachten ist dargelegt, aufgrund der vorliegenden Befunde sei von einer - wenn auch als vorübergehend bezeichneten - unfallbedingten Verschlimmerung von Beschwerden einer degenerativen HWS-Erkrankung auszugehen (Bl. 171 der Akte). Damit steht außer Zweifel, dass die klagegegenständlichen Beeinträchtigungen, welche der Kläger zur Begründung seines Schmerzensgeldbegehrens anführt, auf das kumulative Zusammenwirken von zwei Ursachenkomplexen zurückzuführen sind: Zum einen auf die unfallunabhängigen Verschleißerscheinungen zwischen den Halswirbelkörpern 5 und 7. Zum anderen auf die traumatische Einwirkung, der die Halswirbelkörper anlässlich des Kollisionsereignisses ausgesetzt waren.

b)

Bei dieser Sachlage ist die Kollision Mitursache für die durch den Kläger angegebenen Beschwerden in der oberen Extremität. Diese Mitursächlichkeit reicht für die Bejahung der Einstandsverpflichtung der Beklagten bezüglich der materiellen und immateriellen Schadensfolgen, die dem Kläger aus dem Unfallereignis erwachsen. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung kann sich der Schädiger nicht mit Erfolg darauf berufen, der klagegegenständliche Schaden sei nur deshalb eingetreten, weil der Verletzte aufgrund besonderer Konstitution für den Schaden besonders anfällig gewesen sei (BGH NJW 1997, 455, 456 mit Hinweis auf BGH NJW 1996, 2425). Auch der Umstand, dass sich der mit einer schadensbegünstigenden Anlage Behaftete einer gefahrenträchtigen Situation, nämlich der Teilnahme am Straßenverkehr, ausgesetzt hat, ändert grundsätzlich nichts an der vollen Haftung des Schädigers. Er ist insbesondere auch nicht geeignet, ein Mitverschulden des Verletzten zu begründen (BGH a.a.O.).

2)

Der Senat vermag sich jedoch nicht der in dem Privatgutachten geäußerten Einschätzung anzuschließen, es sei nur zu einer vorübergehenden unfallbedingten Verschlimmerung der Beschwerden der degenerativen Wirbelsäulenerkrankung gekommen, weil üblicherweise "unfallabhängige Beschwerden in der vorliegenden Konstellation insgesamt in zwei bis drei Wochen vollständig ausheilen" (Bl. 171, 172 der Akte).

Einer derartigen Schlussfolgerung stehen die Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen Professor Dr. S... entgegen, der dem Senat als ein sehr zuverlässiger und kompetenter neurologischer Sachverständiger bekannt ist. Auf der Grundlage seiner plausiblen Ausführungen ist davon auszugehen, dass das oben angegebene Beschwerdebild, welches der Kläger bei seiner klinischen Untersuchung geschildert hat, fortdauert und nicht nur vorübergehender Art ist.

a)

Die neurologische Untersuchung des Klägers durch den Sachverständigen mit neurophysiologischer Zusatzdiagnostik hat am 26. Oktober 2001, also mehr als zwei Jahre nach dem Unfallereignis, stattgefunden (Bl. 119 der Akte). Da der Sachverständige keinerlei Aggravationstendenzen vorgefunden hat (Bl. 124 der Akte), hatte er auch keinen Anlass, die Richtigkeit der durch den Kläger geschilderten fortdauernden Beschwerdesymptomatik in Zweifel zu ziehen. Nachdem dieser bei der Befragung zunächst angegeben hatte, er habe seit vielen Jahren "gelegentliche Kreuzschmerzen im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule", ohne dass ein Bandscheibenvorfall eingetreten sei (Bl. 122 der Akte), hat er "zu den aktuellen Beschwerden" unter anderem geschildert, er leide seit dem Unfall an rechtsseitigen Nackenschmerzen mit gelegentlichen Ausstrahlungen in das rechte Schulterblatt und bis in den Kleinfinger der rechten Hand hinein (Bl. 121 der Akte). Damit ist anhand der Symptomschilderungen des Klägers hinreichend wahrscheinlich, dass es infolge des Unfalls zu einer richtungsweisenden Verschlimmerung der degenerativen HWS-Erkrankung durch den Eintritt einer Wurzelläsion gekommen ist. Als neurophysiologisches Korrelat dieser Symptomatik hat der Sachverständige ausweislich seiner ergänzenden Stellungnahme vom 10. Juni 2002 eine verlängerte F-Wellen-Latenz des N.ulnaris rechts in Kombination mit einer reduzierten Amplitude des sogenannten N13- und N20-Potentials rechts nach sensibler Stimulation des N.ulnaris rechts angegeben.

b)

Angesichts dieser Befunde ist entgegen den Ausführungen im Privatgutachten Dr. H... vom 29. Juli 2002 nicht die Annahme gerechtfertigt, es sei nur zu einer vorübergehenden unfallbedingten Verschlimmerung von Beschwerden einer degenerativen HWS-Erkrankung gekommen (Bl. 171 der Akte). Es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass zugunsten des Klägers, der unstreitig bei der Kollision eine Zerrung der Halswirbelsäule davongetragen hat, die Beweismaßerleichterung des § 287 ZPO eingreift. Die Bestimmung der Höhe des wegen der geltend gemachten Folgebeeinträchtigungen verlangten Schmerzensgeldes betrifft die sogenannte haftungsausfüllende Kausalität, im Rahmen der alle diejenigen Umstände Berücksichtigung finden müssen, die sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme als hinreichend wahrscheinlich darstellen. Der Senat erachtet es nun aber als hinreichend wahrscheinlich, dass der Kläger an der persistierenden Beschwerdesymptomatik leidet, die er dem gerichtlich bestellten Sachverständigen gegenüber angegeben hat und die ihre Mitursache in dem Unfallereignis hat. Dies gilt um so mehr mit Rücksicht auf die Tatsache, dass die Symptomatik nach den Darlegungen des Sachverständigen Professor Dr. S... eine Korrelat in den elektrophysiologischen Messbefunden findet.

c)

Dagegen lässt sich mit den Ausführungen im Privatgutachten Dr. H... vom 29. Juli 2002 nicht einwenden, den elektrophysiologischen Befunden sei Aussagekraft nur für den Fall beizumessen, dass Vergleichswerte aus der Zeit vor dem Unfallereignis vorlägen (Bl. 172 der Akte). Da der Kläger nach eigenen Angaben in den Jahren vor der Kollision nur "gelegentliche Kreuzschmerzen im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule" hatte (Bl. 122 der Akte), ergab sich für ihn in der Vergangenheit offensichtlich nicht die Notwendigkeit einer umfassenden fachärztlichen Untersuchung des HWS-Bereiches einschließlich einer neurologischen Begutachtung. Selbst wenn aber die verlängerte F-Wellen-Latenz des N.ulnaris rechts in Kombination mit einer reduzierten Amplitude des sogenannten N13- und N20-Potentials rechts nach sensibler Stimulation des N.ulnaris rechts noch nicht einmal indiziell für die Richtigkeit der durch den Sachverständigen Professor Dr. S... angenommenen richtungsweisend Verschlimmerung der degenerativen HWS-Erkrankung spräche, änderte dies nichts an der Glaubhaftigkeit der Angaben des Klägers über seine persistierenden Beschwerden. Es ist nicht davon auszugehen, dass er sich ohne zwingenden Grund der langwierigen Reizstrom- und Infiltrationsbehandlung sowie der krankengymnastischen Förderung ausgesetzt hat, über die sich die Stellungnahme des behandelnden Arztes Dr. W... vom 11. November 1999 verhält. Die durch den Sachverständigen Professor Dr. S... dargestellte Krankengeschichte des Klägers enthält keinerlei Anhaltspunkte für die Notwendigkeit derartiger Behandlungsmaßnahmen vor dem Unfallereignis.

d)

Zwar mögen entsprechend den Angaben im Privatgutachten vom 29. Juli 2002 unfallabhängige Beschwerden der durch den Kläger beklagten Art in der Regel in wenigen Wochen vollständig ausheilen. Es darf jedoch nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Kläger nicht nur wegen degenerativer Erscheinungen an der Halswirbelsäule vorgeschädigt ist, sondern dass er auch an einer unfallunabhängigen Polyneuropathie leidet. Die traumatische Einwirkung infolge des Unfallgeschehens auf einen für die oberen Körperextremitäten sensiblen Bereich der Wirbelsäule lässt hinsichtlich der Ursachenanteile somit eine Gemengelage entstehen, welche nicht in einem Vergleich mit den üblichen Rekonvaleszenzzeiten gesehen werden kann.

3)

Um die Unfallbedingtheit des vom Anspruchsteller geltend gemachten Verletzungs- und Beschwerdebildes zu ermitteln, ist der medizinische Befund so, wie er sich unmittelbar vor dem Unfall darstellte, zu rekonstruieren und mit demjenigen zu vergleichen, der nach dem Unfall gegeben war. Ergibt der Vergleich, dass der spätere Zustand zusätzliche Verletzungen oder Beschwerden aufweist, so ist diese Verschlimmerung gegenüber dem Vorzustand nach der ständigen Rechtsprechung des Senats eine Folge des Unfalls, denn sie entfällt, wenn man das Schadensereignis wegdenkt. Zumindest ist sie durch den Unfall mitverursacht worden. Während der Kläger vor der Kollision nur gelegentlich Beschwerden im Bereich der Halswirbelsäule hatte, steht nunmehr fest, dass er noch Jahre nach dem Unfall an von der Halswirbelsäule ausgehenden radikulären Beschwerdesymptomen leidet, die durch Alltagsverrichtungen hervorgerufen werden.

4 a)

Wird die Feststellung der Pflicht zum Ersatz künftigen Schadens aus einer bereits eingetretenen Rechtsgutverletzung beantragt, so ist der Feststellungsantrag jedenfalls dann begründet, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Eintritts künftiger Schäden gegeben ist (BGH VersR 1997, 1508, 1509 sowie BGH NJW 1991, 2707, 2708). Eine derartige Wahrscheinlichkeit ist im vorliegenden Fall zu bejahen.

b)

Der Sachverständige Professor Dr. S... hält für die Zukunft eine Zunahme der auf das C 8-Syndrom zurückzuführenden Beschwerden für möglich. Zwar soll nach seiner Auffassung eine derartige Zunahme nicht mehr als Unfallfolge zu bewerten sein (Bl. 130 der Akte). Dies ändert jedoch nichts daran, dass die richtungsweisende Verschlimmerung, die die degenerative Beschwerdesymptomatik der Halswirbelsäule des Klägers auch noch Jahre nach dem Unfall aufweist, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit noch in Zukunft fortwirkt. Sollte sich die Notwendigkeit der durch den Sachverständigen aufgezeigten Möglichkeit einer operativen Behandlung des unfallbedingten C 8-Syndroms mit den damit verbundenen weiteren materiellen und immateriellen Beeinträchtigungen des Klägers herausstellen, käme dem Unfallereignis in der Ereigniskette der Verschlechterungen des Halswirbelsäulenleidens des Klägers eine für die Begründetheit des Feststellungsantrages ausreichende Mitursächlichkeit zu.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

Die Anordnung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Der Gegenstandswert für den Berufungsrechtszug beträgt 8.947,61 €. Davon entfällt auf die Berufung des Klägers ein Anteil von 6.391,15 € und auf die Anschließung der Beklagten ein solcher von 2.556,46 €.

Zur Zulassung der Revision besteht kein Anlass, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.

Ende der Entscheidung

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