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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 07.04.2003
Aktenzeichen: 1 U 169/02
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 286
ZPO § 287
BGB § 288
BGB § 291
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 169/02

Verkündet am 7. April 2003

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichtes Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 10.03.03 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. E... den Richter am Oberlandesgericht K... und die Richterin am Landgericht S...

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers zu 1. wird unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das am 13. August 2002 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefaßt:

Die Beklagten zu 1) und 3) werden verurteilt, an den Kläger gesamtschuldnerisch 600 Euro nebst 4 % Zinsen seit dem 05.07.2000 zu zahlen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen von den Kosten erster Instanz:

- von den Gerichtskosten die Klägerin zu 2) 50 %, der Kläger zu 1) 42 % und die Beklagten zu 1) und 3) den Rest,

- von den außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 1) dieser 85 % und die Beklagten zu 1) und 3) den Rest,

- von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) und 3) die Klägerin zu 2) 50 %, der Kläger zu 1) 39 % und die Beklagten zu 1) und 3) je den Rest,

- die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2) die Kläger

- und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 2) diese selbst,

und von den Kosten zweiter Instanz

- von den Gerichtskosten der Kläger 85 % und die Beklagten zu 1) und 3) den Rest,

- von den außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 1) dieser 83 % und die Beklagten zu 1) und 3) den Rest,

- von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) und 3) der Kläger 78 % und diese selbst den Rest,

- und die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2) der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

I.

Die zulässige Berufung ist überwiegend nicht begründet. Der Kläger hat über den von der Beklagten zu 1. vorgerichtlich gezahlten Betrag hinaus keinen Anspruch auf Ersatz materieller Schäden; sein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes ist lediglich in Höhe von 600 Euro begründet.

II.

Der Kläger kann von den Beklagten, deren Einstandspflicht dem Grunde nach zwischen den Parteien unstreitig ist, Ersatz der wegen des stationären Krankenhausaufenthaltes angefallenen Selbstbeteiligung in Höhe von insgesamt 52,50 DM verlangen. Die Einlieferung in das Krankenhaus und der stationäre Aufenthalt dort erfolgten infolge und allein wegen des Unfalls. Die Unkostenpauschale war indessen lediglich in Höhe von 40,00 DM zuzusprechen. Zwar schulden die Beklagten auch Ersatz weitergehender Kosten, dies indessen nur bei konkretem Nachweis, der hier nicht erfolgt ist.

Auf diese Schadenspositionen sowie auf den an dem Fahrzeug des Klägers entstandenen Schaden hat die Beklagte zu 1. vorgerichtlich 2.500 DM gezahlt. Hierdurch sind alle Ansprüche auf Ersatz der materiellen Schäden des Klägers abgegolten, auch soweit ihm Schäden an seinem Fahrzeug entstanden sind. Es ist nicht feststellbar, dass ihm ein hierüber hinausgehender Schaden an seinem Pkw entstanden wäre. Der Sachverständige Prof. Dr. W... hat nämlich überzeugend dargelegt, nicht alle in dem vorgerichtlichen Gutachten aufgeführten Reparaturarbeiten seien infolge des Verkehrsunfalls erforderlich geworden, sondern vielmehr auf einen Vorschaden zurückzuführen, der teilweise lediglich durch optisches Beiputzen mit Spachtelmasse behoben worden sei. Soweit den Ausführungen des Sachverständigen zufolge in diesen Teilbereichen allenfalls ein Anspruch auf Ersatz der Kosten für eine Spachtelreparatur in Betracht kommt, konnte auch hierfür ein Ersatz im Sinne eines Mindestschadens nicht zuerkannt werden. Denn hierfür fehlt es an hinreichenden Angaben des Klägers zu den insoweit erforderlichen Kosten. Es ist daher nicht ersichtlich, dass ein über den vorgerichtlich gezahlten Betrag hinausgehender Schaden entstanden ist.

III.

Ein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes besteht in Höhe von 600 Euro. Es liegen nämlich hinreichend Anhaltspunkte vor, die die Annahme einer unfallbedingten körperlichen Beeinträchtigung rechtfertigen.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Schmerzensgeldanspruch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Geschwindigkeitsänderung, die das Fahrzeug des Klägers durch den Anstoß erhielt, vergleichsweise gering - ca. 6 km/h - war. Allerdings wird zum Teil die Auffassung vertreten, unterhalb einer bestimmten Grenze, die teilweise bei 10 km/h gezogen wird (z.B. OLG Hamm, Urteil vom 04.06.1998, 6 U 200/96, r+s 1998, 326), zum Teil auch bei 7 bis 8 km/h liegen soll, könne keine HWS-Verletzung eintreten. Der Senat lehnt indessen in ständiger Rechtsprechung die Festlegung einer "Harmlosigkeitsgrenze", unterhalb derer eine Verletzung der Halswirbelsäule ausgeschlossen sein soll, selbst bei Auffahrunfällen ab (z.B. Senat, Urteil vom 22. Juli 2002, Az: 1 U 32/01). Nach den Erfahrungen des Senates, der sich ständig mit Fällen aus dem Bereich der HWS-Problematik zu befassen hat, ist nämlich eine Verletzung der Halswirbelsäule selbst bei Geschwindigkeitsänderungen unter 7 km/h, hier knapp 6 km/h, nicht ausgeschlossen. Gegen die schematische Annahme einer solchen "Harmlosigkeitsgrenze" spricht überdies, dass der Eintritt einer HWS-Verletzung nicht allein von der kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung, sondern daneben von einer Reihe anderer Faktoren abhängig ist, wobei u.a. auch der Kopfhaltung und Sitzposition des betreffenden Fahrzeuginsassen Bedeutung beizumessen sein kann (vgl. BGH, Urteil vom 28. Januar 2003, Az: VI ZR 139/02); beides ist erfahrungsgemäß insbesondere bei Beifahrern sehr unterschiedlich, so dass sich schon von daher für Beifahrer eine typisierende Anwendung verbietet. Soweit der Gutachter Prof. Dr. W... zu einer gegenteiligen Auffassung kommt, vermag diese schon deshalb nicht zu überzeugen, weil er, wie er selbst einräumt, in diesem Bereich nicht über die ausreichende Sachkunde verfügt.

Allerdings reicht hier die ermittelte kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung von rund 6 km/h für sich allein genommen nicht aus, um eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für den unfallursächlichen Eintritt von Beschwerden im Sinne des § 287 ZPO zu bejahen, insbesondere kommt dem Kläger, worauf das Landgericht zu Recht hingewiesen hat, nicht eine Beweiserleichterung, etwa in Form eines Anscheinsbeweises, zugute, dies schon wegen der bei dem Beifahrer bestehenden Unsicherheiten hinsichtlich der innegehabten Sitzposition nicht, scheidet hier aber auch wegen der zu geringen Geschwindigkeitsänderung aus.

Es treten indessen weitere Umstände hinzu, die die Schlußfolgerung rechtfertigen, dass der Kläger tatsächlich infolge des Unfalls eine körperliche Beeinträchtigung erlitten hat. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die Frage, ob sich der Kläger bei dem Unfall überhaupt eine Verletzung zugezogen hat, die haftungsbegründende Kausalität betrifft, für die die strengen Anforderungen des § 286 ZPO gelten. Nach dieser Vorschrift hat das Gericht nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht wahr zu erachten ist. Die nach § 286 ZPO erforderliche Überzeugung erfordert jedoch keine absolute oder unumstößliche Gewißheit und auch keine "an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit", sondern nur einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewißheit, der Zweifeln Schweigen gebietet.

Vorliegend ergeben sich aus den gesamten Umständen sowie aus den vorgelegten medizinischen Berichten, dass bei dem Kläger unfallbedingt eine körperliche Beeinträchtigung eingetreten ist. Der Kläger wurde nämlich wegen der Beschwerden noch vom Unfallort aus mit einem Krankentransportwagen in ein Krankenhaus gebracht. Dort wurde er untersucht und ein Verdacht auf Commotio, HWS-Zerrung, BWS-Zerrung und Thoraxprellung diagnostiziert, überdies war die Beweglichkeit der Halswirbelsäule noch eingradig schmerzhaft. Bereits dieser enge zeitliche Zusammenhang zwischen Unfall und erster Untersuchung legt den Eintritt unfallbedingter Beschwerden nahe, denn je kürzer das Intervall zwischen der Kollision und dem erstmaligen Auftreten von Beschwerden ist, desto eher liegt ein Unfallzusammenhang vor.

Wenngleich bei der Untersuchung keine knöchernen Verletzungen festgestellt wurden, so können die Beschwerden doch nicht ganz geringfügiger Natur gewesen sein, denn immerhin waren sie für den behandelnden Arzt Anlaß genug, den Kläger zum Zwecke der Beobachtung und der Kontrolle der Vitalzeichen im Klinikum stationär aufzunehmen. Dass der behandelnde Arzt in seinen Befund lediglich "Verdacht" aufnahm, steht dem nicht entgegen, denn angesichts fehlenden röntgenologischen Befundes ist eine derartige Diagnose ohnehin nur schwer objektivierbar. Die von dem Kläger angegebenen und in dem ärztlichen Bericht festgehaltenen Beschwerden, Kopfschmerzen und Schwindel, sind indessen typisch für eine HWS-Verletzung. Zwar bedürfen ärztliche Bescheinigungen vom Unfalltag oder zeitnah zum Unfall erstellt dann sorgfältiger Überprüfung, wenn sie allein auf den Angaben des angeblich Verletzten beruhen (vgl. OLG Hamm NZV 2001, 468). Andererseits spricht die sofortige Einlieferung in eine Klinik für den Eintritt von Beschwerden und gegen ein Vortäuschen von Schmerzen.

Im Einklang damit steht, dass zwei Tage später, am 13.01.2000, dem Tag der Entlassung, festgestellt wurde: "Deutliche Besserung der Beschwerden, noch Ziehen in der Halswirbelsäule, die bis in den Hinterkopf ausstrahlen", und Arbeitsunfähigkeit (Minderung der Erwerbsfähigkeit: 100 %) vom 11.01. bis zum 13.01.2000 bescheinigt wurde. Hinzu kommt, dass der Kläger sich nach der Entlassung aus dem Krankenhaus in weitere ärztliche Behandlung begeben hat. Hier wurde durch den behandelnden Arzt Dr. T... "Commotio cerebri, HWS-Distorsion mit Cephalgien in Z.n. Verkehrsunfall" diagnostiziert. Ob nun tatsächlich einen HWS-Distorsion vorgelegen hat, kann im Ergebnis dahinstehen; denn jedenfalls bestehen keine durchgreifenden Zweifel daran, dass der Kläger die von ihm geschilderten Beschwerden infolge des Unfalls tatsächlich erlitten hat. Denn insoweit hat die Befundung durch den zweitbehandelnden Arzt jedenfalls Indizwirkung.

Vor diesem Hintergrund ist eine weitere Begutachtung nicht veranlaßt, dies insbesondere auch deshalb nicht, weil der Kläger nunmehr beschwerdefrei ist und sich weitere aussagekräftige Befunde heute ohnehin nicht mehr erheben lassen.

Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerden auf einer anderen Ursache als dem Unfall beruhen könnten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist angesichts des vergleichsweise jungen Alters des Klägers - er war im Unfallzeitpunkt 23 Jahre alt - eine degenerative Veränderung der Halswirbelsäule, die durchaus ein ähnliches Beschwerdebild hervorzurufen geeignet ist, unwahrscheinlich, denn derartige Veränderungen treten regelmäßig erst in deutlich höherem Alter auf, wie dem Senat aus einer Vielzahl von orthopädischen Gutachten bekannt ist.

Infolge des Unfalls litt der Kläger unter Schmerzen im Nacken- und Schulterbereich und zunächst auch unter Kopfschmerzen; in der Zeit vom 11.01.00 bis zum 02.02.00 (3 Wochen und 2 Tage) war er arbeitsunfähig. Da die Beschwerden nicht sehr gravierend und ohne weitere Behandlungsnotwendigkeit abgeklungen sind, ist ein Schmerzensgeld in Höhe von 600 Euro angemessen.

IV.

Zinsen schulden die Beklagten seit Rechtshängigkeit gemäß § 291 BGB, allerdings lediglich in Höhe von 4 %, da § 288 BGB in der Fassung vom 30.03.2000 lediglich auf nach dem 01.05.2000 fällig gewordene Forderungen Anwendung findet, der hier streitgegenständliche Unfall sich indessen bereits im Januar 2000 ereignete und auch die Zahlungsaufforderung an die Beklagte zu 1. sowie ihre Ablehnung spätestens im April 2000 erfolgten.

Die Entscheidungen über die Kosten folgt aus § 92 ZPO, jene über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 2.766,54 Euro

Ende der Entscheidung

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