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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 10.04.2000
Aktenzeichen: 1 U 206/99
Rechtsgebiete: BGB, StVG, PflVG, ZPO


Vorschriften:

BGB § 823
BGB § 847
BGB § 254
StVG § 7 Abs. 1
StVG § 9
PflVG § 3 Nr. 1 u. 2
ZPO § 97
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
ZPO § 546
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 206/99 1 O 307/98 LG Duisburg

Verkündet am 10. April 2000

G, Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In dem Rechtsstreit

pp.

wegen Schadensersatzforderung aus Verkehrsunfall

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. E, des Richters am Oberlandesgericht S und des Richters am Landgericht B auf die mündliche Verhandlung vom 13. März 2000

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg vom 29.06.1999 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Zu Recht hat das Landgericht Ersatzansprüche des Klägers auf Zahlung eines Schmerzensgeldes und auf Ersatz des materiellen Schadens aus dem Unfallereignis vom 04.09.1996 in W, an dem der Kläger als Radfahrer und der Erstbeklagte als Halter und Fahrer eines Pkw VW Golf beteiligt waren, abgewiesen.

Der Kläger kann ein Schmerzensgeld für von ihm bei dem Unfall erlittene Körperverletzungen von den Beklagten gemäß den §§ 823, 847 BGB nicht verlangen, weil das dafür erforderliche Verschulden des Erstbeklagten am Zustandekommen des Unfalls nicht nachgewiesen ist.

Allerdings ist im Ausgangspunkt davon auszugehen, daß der Erstbeklagte die Vorfahrt des Klägers als Radfahrer beachten mußte. Der Erstbeklagte beabsichtigte nämlich unstreitig, von der J Straße nach rechts in die Bundesstraße B abzubiegen, während der Kläger - aus Sicht des Erstbeklagten von rechts kommend - auf einem für seine Fahrtrichtung linken Radweg entlang der B fuhr, obwohl dieser Radweg für Radfahrer in Fahrtrichtung des Klägers unstreitig nicht freigegeben war.

Zwar wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung die Frage der Vorfahrtsberechtigung eines ordnungswidrig auf dem Radweg in falscher Fahrtrichtung fahrenden Radfahrers nicht einhellig beurteilt. So verneint das Oberlandesgericht Bremen in seinem Urteil vom 11.02.1997 (DAR 1997, 272 ff) das Vorfahrtsrecht des verbotswidrig auf einem linken Radweg fahrenden Radfahrers, weil derjenige, der kein Recht zum Fahren habe, auch kein Vorfahrtsrecht haben könne. Demgegenüber hat das Oberlandesgericht Hamm in zwei Entscheidung vom 10.03. 1995 und vom 24.10.1996 (DAR 1996, 321 und NZV 1997, 123) die grundsätzliche Vorfahrt auch des verbotswidrig auf einem linken Radweg fahrenden Radfahrers bejaht. Der letzteren Auffassung schließt sich auch der erkennende Senat an.

Bei der gerichtlichen Beurteilung, wie weit das Vorfahrtsrecht geht, ist der Grundsatz der Klarheit und Einfachheit der Verkehrsregel zu beachten. Die auf einem an einer Vorfahrtstraße langführenden Radweg fahrenden Radfahrer nehmen ohne weiteres an dem Vorfahrtsrecht der Hauptstraße teil. Das ist für alle Verkehrsteilnehmer - jedenfalls im Hinblick auf verkehrsgemäß auf einem Radweg fahrende Radfahrer - selbstverständlich. Würde man die Entscheidung darüber, ob der auf einem Radweg fahrende Radfahrer Vorfahrtsrecht hat oder nicht, davon abhängig machen, ob er den Radweg für seine eingeschlagene Fahrtrichtung benutzen kann, wäre die Gefahr nicht auszuschließen, daß der in eine solche Vorfahrtstraße aus einer untergeordneten Straße einbiegende Autofahrer nicht mehr ohne weiteres erkennen kann, ob ein auf dem Radweg in Gegenrichtung fahrender Radfahrer Vorfahrtsrecht hat oder nicht. Das hängt von der Beschilderung des Radweges ab, die an der Einmündung selbst nicht immer erkennbar ist. Darüber hinaus widerspricht es auch nicht allgemeinen Verkehrsregeln, das Vorfahrtsrecht auch für Verkehrsteilnehmer zu bejahen, die sich ihrerseits verkehrswidrig verhalten.

Ein Verstoß des Erstbeklagten gegen seine gegenüber dem von rechts kommenden Kläger bestehende Wartepflicht kann indessen nicht festgestellt werden. Eine Vorfahrtverletzung durch den Erstbeklagten setzt voraus, daß er die ungehinderte Durchfahrt des Klägers auf dem Radweg verhindert hat. Diese Feststellung kann nicht getroffen werden, weil der Hergang des Unfalls in wesentlichen Teilen nicht aufgeklärt worden ist und auch nicht aufklärbar erscheint.

Der Erstbeklagte, dessen Sicht nach rechts durch eine Grundstücksbegrenzungsmauer beeinträchtigt war, wie die von den Beklagten vorgelegten Lichtbilder erkennen lassen, hat unwiderlegt erklärt, er sei langsam vorgerollt, um eine ungehinderte Sicht nach rechts zu bekommen. Dabei ist er unstreitig mit der Front seines Fahrzeuges in den Bereich des Radweges eingedrungen. Es steht nun aber nicht fest, wie weit der Kläger auf seinem Fahrrad zu diesem Zeitpunkt vom Pkw des Erstbeklagten entfernt war und ob er nicht ohne weiteres trotz des Eindringens des Pkw in den Bereich des Radweges an der Front des Beklagtenfahrzeuges hätte vorbeifahren können.

Denn es ist unstreitig bei dem Unfall nicht zu einem Kontakt zwischen Fahrrad und Pkw gekommen, der Kläger ist vielmehr durch seine heftige Bremsreaktion nach vorne über seinen Lenker gestürzt. Eine derartige Vollbremsung wäre aber nur dann unfallursächlich, wenn, wie der Kläger behauptet, der vom Erstbeklagten geführte Pkw unmittelbar vor ihm angefahren wäre. Dieser vom Kläger behauptete Sachverhalt läßt sich aber aufgrund der vor dem Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme nicht feststellen.

Die polizeiliche Verkehrsunfallskizze weist vielmehr aus, daß die Einmündung der J Straße in die B einen Trichter bildet, innerhalb dessen es dem Kläger ohne weiteres möglich gewesen wäre, durch ein leichtes Ausweichen nach rechts an der Front des Pkw vorbeizufahren, ohne dabei selbst in den fließenden Verkehr der B zu geraten. Da sich nicht ausschließen läßt, daß der Kläger im Zeitpunkt des Vorrollens des Beklagtenfahrzeuges noch so weit entfernt war, daß er bei ausreichender Aufmerksamkeit dieses zumutbare Ausweichmanöver ohne weiteres hätte durchführen können, andererseits der Erstbeklagte aber, um Sicht zu gewinnen, gezwungen war, leicht in den Bereich des Radweges vorzurollen, kann eine Vorfahrtverletzung durch den Erstbeklagten letztlich nicht festgestellt werden. Damit fehlt es an einem unfallursächlichen Verschulden des Erstbeklagten und Ansprüche auf Schmerzensgeld bestehen für den Kläger nicht.

Das Landgericht hat die Klage auch wegen des vom Kläger erhobenen Feststellungsanspruchs auf Ersatz zukünftiger materieller Schäden zu Recht abgewiesen.

Zwar haften die Beklagten grundsätzlich auch ohne Verschulden des Erstbeklagten aus dem Gesichtspunkt der Betriebsgefahr für die bei dem Kläger entstandenen unfallbedingten Schäden gemäß den §§ 7 Abs. 1 StVG, 3 Nr. 1 und 2 PflVG. Die von den Beklagten zu vertretende Betriebsgefahr tritt aber bei der gemäß den §§ 9 StVG, 254 BGB gebotenen Abwägung der auf beiden Seiten gesetzten Verursachungsanteile in den Hintergrund, so daß ihre Haftung vollständig entfällt. Der Unfall ist in erster Linie auf die ordnungswidrige Benutzung des linken Radweges durch den Kläger zurückzuführen. Zwischen dem Verstoß des Klägers gegen das Verbot, den linken Radweg zu benutzen, und dem Unfallereignis besteht auch ein rechtlicher Ursachenzusammenhang. Denn dieses Verbot soll gerade die Gefahr, die sich hier verwirklicht hat, vermeiden. Da nach rechts einbiegende Autofahrer erfahrungsgemäß an Einmündungen, bei denen sie auch Radwege überqueren müssen, häufig nicht mit von rechts kommenden Radfahrern rechnen, sondern sich lediglich darauf konzentrieren, den von links herankommenden Verkehr zu beobachten, besteht eine generelle Kollisionsgefahr zwischen Pkw und Radfahrer, welche das Verbot, linke Radwege zu benutzen, gerade ausschließen will. Der Verstoß des Klägers ist deshalb bei der gebotenen Abwägung mit zu berücksichtigen und verdrängt die Betriebsgefahr des vom Erstbeklagten geführten Pkw.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Die Anordnung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Für die Zulassung der Revision gemäß § 546 ZPO besteht kein gerechtfertigter Anlaß.

Der Streitwert der Berufung und die Beschwer des Klägers betragen: 23.000 DM.

Ende der Entscheidung

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