Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 22.01.2001
Aktenzeichen: 1 U 290/99
Rechtsgebiete: ZPO, StVO


Vorschriften:

ZPO § 288 Abs. 1
ZPO § 290
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
StVO § 3 Abs. 3
StVO § 3 Abs. 2 a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 290/99

Verkündet am 22. Januar 2001

In dem Rechtsstreit

pp.

wegen Schadensersatzes aus Verkehrsunfall

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. E, den Richter am Oberlandesgericht P und den Richter am Amtsgericht W auf die mündliche Verhandlung vom 8. Januar 2001

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 5. November 1999 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Kleve wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens tragt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.

I.

Das Landgericht hat die Schmerzensgeldklage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Unter Berücksichtigung der Beweisaufnahmen in beiden Instanzen kann der Senat ein unfallursächliches Verschulden der Beklagten zu 2) als Grundvoraussetzung für den geltend gemachten Schmerzensgeldanspruch nicht feststellen.

1.) Die Klägerin legt der Beklagten zu 2) im zweiten Rechtszug erstmals zur Last, das Rotlicht auf ihrer Verkehrsampel mißachtet zu haben. Die Klägerin sei nämlich bei Grün auf der Fußgängerampel auf die Fahrbahn getreten, so daß die für die Beklagte zu 2) maßgeblichen Ampeln Rot angezeigt hätten.

Dieser Sachvortrag vermag eine Verurteilung der Beklagten schon deshalb nicht zu rechtfertigen, weil die Klägerin bereits in erster Instanz zugestanden hat, daß die Lichtzeichenanlage im Zeitpunkt des Unfalls außer Betrieb war. Der Senat wertet dieses Vorbringen als Geständnis im Sinne des § 288 Abs. 1 ZPO. Die Tatsache der Ampelschaltung ist einem Geständnis zugänglich. Allerdings kann sich ein gerichtliches Geständnis nur auf Behauptungen beziehen, welche die Gegenpartei vorgetragen hat. Im Streitfall liegen die Dinge aber so, daß die Beklagten sich das Vorbringen der Klägerin zur Ampelschaltung zu eigen gemacht haben und anschließend darüber vorbehaltlos verhandelt worden ist. Das genügt, um eine Geständniswirkung anzunehmen.

Das im ersten Rechtszug abgelegte gerichtliche Geständnis behält seine Wirksamkeit auch für die Berufungsinstanz (§ 532 ZPO). Anders wäre es, wenn das Geständnis wirksam widerrufen worden wäre. Das ist indessen nicht der Fall. Die Klägerin hat zwar mit der Berufungsbegründung den Widerruf erklärt. Dieser ist aber nicht begründet. Denn die Klägerin als widerrufende Partei hat nicht bewiesen, daß das Geständnis der Wahrheit nicht entspreche und durch einen Irrtum veranlaßt sei (vgl. § 290 ZPO).

Ein Irrtum im Sinne des § 290 ZPO liegt nicht vor. Denn die Klägerin hat nicht bewiesen, daß die von ihr zugestandene Tatsache der Wahrheit nicht entspricht. Der Senat hat sich, wie noch auszuführen ist, nicht davon überzeugen können, daß die Ampelanlage an der Fußgängerfurt im Unfallzeitpunkt eingeschaltet war. Ferner scheitert der Widerruf, worauf die Berufungserwiderung mit Recht hinweist, daran, daß die Klägerin keinem Irrtum im Sinne des § 290 ZPO erlegen ist. Dabei hat der Senat berücksichtigt, daß es bezüglich der Kenntnis der Klägerin auf das Wissen ihrer Eltern bzw. ihres Anwalts ankommt. Der Irrtum müßte sich auf die Wahrheit der hier in Rede stehenden Tatsache, also die Ampelschaltung, bezogen haben. Es ist nicht auszuschließen, daß die Eltern der Klägerin von ihrem Sohn, dem Zeugen M S, unmittelbar nach dem Unfall darüber informiert worden sind, daß die Kinder bei Grünlicht die Straße überquert haben. M will seine Eltern direkt nach dem Unfall entsprechend informiert haben. Die Annahme der Eltern, M komme als Zeuge nicht in Betracht, ist ein Rechtsirrtum, der mit dem Gegenstand des Geständnisses nichts zu tun hat.

Die zugestandene Tatsache, daß die Ampelanlage im Unfallzeitpunkt ausgeschaltet war, ist nicht beweisbedürftig und vom Senat ungeprüft als wahr zu berücksichtigen. Das hat zur Folge, daß die Klägerin nicht damit gehört werden kann, die Beklagte zu 2) habe beim Überfahren der Fußgangerfurt Rotlicht auf ihrer Ampel gehabt.

2.) Aber selbst wenn die Klägerin die Tatsache, daß die Ampelanlage im maßgeblichen Zeitpunkt außer Betrieb war, nicht zugestanden oder ein etwaiges Geständnis wirksam widerrufen haben sollte, ändert sich im Ergebnis nichts. Denn der Senat hat nicht feststellen können, daß die Beklagte zu 2) Rotlicht mißachtet hat. Mit großer Wahrscheinlichkeit war die Lichtzeichenanlage tatsächlich abgeschaltet, als die Beklagte zu 2) sich dem Fußgängerüberweg näherte und die Klägerin dort erfaßte. Lediglich der in zweiter Instanz vernommene Zeuge M S hat Angaben gemacht, aus denen sich ein Eingeschaltetsein der Ampeln ergibt. Während er zunächst bekundet hat, er selbst habe den Knopf (Ruftaste) betätigt, hat er auf Nachfrage eingeräumt, seine Schwester habe dies getan. Zwischendurch hat er mehrmals in Wir-Form gesprochen. Sicher war er sich nicht, wer den Knopf gedrückt hat. Daß er von einem der beiden Kinder betätigt worden sei, war für ihn hingegen klar. Es sei auf der Fußgängerampel auch Grünlicht angezeigt worden. Alsdann sei die Klägerin losgegangen.

Der Senat hat erhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt dieser Angaben. Der Zeuge hat insgesamt keinen glaubwürdigen Eindruck auf den Senat gemacht. Er wirkte unsicher und leicht beeinflußbar. Verschiedentlich mußte er Irrtümer einräumen. Auch unter Berücksichtigung der besonderen Situation, in der der jugendliche Zeuge, ein Bruder der schwerverletzten Klägerin, gestanden hat, weshalb nicht jedes Wort auf die Goldwaage gelegt werden kann, bleiben in den entscheidenden Punkten unüberwindbare Zweifel an der Richtigkeit der Zeugenaussage.

Verstärkt werden sie dadurch, daß unbeteiligte Zeugen Angaben zur Ampelschaltung gemacht haben, die den Schluß nahelegen, daß die LZA tatsächlich außer Betrieb war. Der Berufung ist allerdings zuzugeben, daß diese Zeugen, nämlich die Herren dem Unfallgeschehen, nicht in den Blick genommen haben. Die Aussage, der insoweit am meisten Bedeutung beizumessen ist, stammt von dem Zeugen R. Er hat schneller aus dem Fenster seines Wohnzimmers geschaut als der Zeuge R aus seinem Fenster. Während R die Ampelanlage erst nach dem Aufprall hat sehen können, hat der Zeuge R von seinem Sitzplatz aus den Aufprall als solchen miterlebt. Er hat gesehen, wie die Klägerin von dem PKW erfaßt und hochgeschleudert wurde und ein Stück weit über die Straße rutschte. In diesem Augenblick seien die Ampeln für den Fahrzeugverkehr in Gegenrichtung dunkel, also abgeschaltet, gewesen. Damit unvereinbar ist die Angabe des Zeugen M S, die Klägerin sei bei Grün über die Straße gegangen. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß nach dem Vermerk des Polizeibeamten A vom 03.04.1997 (Bl. 13 d.BA) nach dem Grünlicht für Fußgänger erst noch Rotlicht für Fußgänger aufleuchtet, bevor die LZA wieder abschaltet. Dieses Rotlicht hat kein einziger Zeuge wahrgenommen.

3.) Ohne Erfolg bleibt die Berufung auch insoweit, als sie - auf dem Boden der Annahme einer ausgeschalteten LZA - der Beklagten zu 2) eine unfallursächliche Geschwindigkeitsüberschreitung vorwirft. Wie sie nicht verkennt, kann eine höhere Ausgangsgeschwindigkeit als 46 km/h nicht festgestellt werden. Richtig ist zwar, daß die nach § 3 Abs. 3 StVO zulässige Höchstgeschwindigkeit nur unter günstigsten Umständen 50 km/h betragen darf. Die tatsächlichen Verhältnisse zur Unfallzeit und am Unfallort waren indessen nicht so gelagert, daß die Beklagte zu 2) mit geringerer Geschwindigkeit als 46 km/h fahren mußte.

Dabei verkennt der Senat nicht, daß bereits Dunkelheit herrschte und die Kalkarer Straße eine Ortsdurchfahrt ist, an der links und rechts auch Wohnhauser stehen. Indessen handelt es sich nicht um ein reines Wohngebiet.

Konkrete örtliche Gefahrenmomente hatten allerdings Anlaß für eine Geschwindigkeitsreduzierung geben können. Insoweit versucht die Klägerin für sie Günstiges daraus herzuleiten, daß die Ampelanlage abgeschaltet war. Es müsse der Grundsatz gelten, daß eine Ampel ohne Lichtzeichen nicht die Annahme rechtfertige, die Ampel liege still. Gerade eine Ampel ohne Lichtzeichen erfordere von einem Fahrer besondere Aufmerksamkeit. Er müsse seine Geschwindigkeit herabsetzen und bremsbereit sein. Zudem dürfe er generell sich nicht darauf beschränken, nur die Fahrbahn zu beobachten. Sein Augenmerk müsse er auch auf die Bürgersteige richten und beobachten, ob sich dort Fußgänger befinden, die möglicherweise an der Übergangsstelle im Bereich der abgeschalteten Ampeln die Straße überqueren wollen.

4.) Dieser Argumentation kann der Senat insoweit nicht beipflichten, als sie darauf abzielt, aus der Tatsache des Ausgeschaltetseins der LZA einen konkreten Grund für eine Geschwindigkeitsreduzierung herzuleiten. Das allein genügt nach Meinung des Senats hier nicht. Ampeln an Fußgängerüberwegen, die bei Beginn der Dunkelheit abschalten (Bedarfsampeln), sind gerade bei Durchfahrten durch kleinere Ortschaften keine augenfälligen und besondere Aufmerksamkeit erfordernden Ausnahmen. Ampeln für den kreuzungsfreien Durchfahrtverkehr, die außer Betrieb sind, setzen für sich allein genommen in der Regel kein konkretes Gefahrensignal.

Dafür, daß ein besonderes Zeichen auf den Fußgängerüberweg hingewiesen hat, ist nichts vorgetragen und auch nichts ersichtlich. Soweit es um die großräumige schraffierte Fläche im mittleren Bereich der Kalkarerstraße geht, war dieser Umstand für die Beklagte zu. 2) gleichfalls kein zwingender Grund, die Geschwindigkeit herabzusetzen.

Zu folgen ist der Berufung allerdings im Ausgangspunkt insoweit, als sie die Beobachtungspflicht der Beklagten zu 2) auf den Fahrbahnrand und die Bürgersteige ausdehnt. Hätte die Beklagte zu 2) die Klägerin in diesem Bereich wahrgenommen oder bei sorgfältiger Beobachtung auch nur erkennen können, so wäre sie unter Umständen verpflichtet gewesen, mit ihrer Geschwindigkeit deutlich unter 50 km/h herunterzugehen. Dies gilt insbesondere für den Fall, daß nach der gewöhnlichen Lebenserfahrung oder nach den besonderen Umständen der konkreten Situation eine Gefährdung der Klägerin zu erwarten war. Zwar gilt auch gegenüber Kindern grundsätzlich der Vertrauensgrundsatz. Wenn das Verhalten der Kinder oder die Situation, in der sie sich befinden, Auffälligkeiten zeigen, die zu Gefährdungen führen könnten, muß indessen von dem Kraftfahrer verlangt werden, daß er besondere Vorkehrungen zur Abwendung der Gefahr trifft, beispielsweise indem er seine Geschwindigkeit verringert oder in Bremsbereitschaft geht (vgl. BGH NJW 2001, 152 m.w.N.).

5.) Eine derartige, den Vertrauensgrundsatz einschränkende Situation, hat der Senat nicht feststellen können. Erwiesen ist lediglich, daß die Klägerin für die Beklagte zu 2) von rechts gekommen ist. Ob sie vorher auf dem Bürgersteig gestanden und gewartet hat, ist nicht gesichert. Nicht auszuschließen ist, daß sie - für die Beklagte zu 2) nicht oder jedenfalls erst zu spät erkennbar - angelaufen kam, um die Straße zu überqueren.

Damit die Vorschrift des § 3 Abs. 2 a StVO ihre besondere Schutzwirkung zugunsten eines Kindes entfaltet (die Klägerin gehörte mit 12 Jahren noch zum Kreis der geschützten Kinder), muß zumindest eine Annäherung an die Fahrbahn für den Fahrzeugführer erkennbar sein. Die bloße Möglichkeit, daß ein Kind die Fahrbahn überqueren kann, reicht auch innerorts im Allgemeinen nicht aus. Abgesehen davon war es bereits dunkel, so daß die Beklagte zu 2) nicht ohne weiteres mit dem plötzlichen Auftauchen eines Kindes auf der Fahrbahn rechnen mußte. Entscheidend ist hier aber, daß keine sicheren Feststellungen zu der Frage getroffen werden können, wo die Klägerin sich aufgehalten hat, bevor sie die Fahrbahn betreten hat. Es ist nicht einmal gesichert, daß sie innerhalb der Markierungen des Überwegs die Straße überqueren wollte. Einiges spricht zwar für diese Überquerungsrichtung. Hinreichende Klarheit besteht in diesem Punkt aber nicht. Neutrale Zeugen, die den Beginn der Straßenüberquerung beobachet haben, stehen nicht zur Verfügung. Der Zeuge R hat die Anstoßstelle innerhalb der beiden Markierungen der Fußgangerfurt gesehen, war sich in dieser Frage aber nicht sicher. Auch der Sachverständige S hat in diesem Punkt keine klare Antwort geben können. In der Skizze, die er seinem Gutachten beigefügt hat, hat er die Unfallörtlichkeit mit X innerhalb der Furt gekennzeichnet. Er hat jedoch darauf hingewiesen, daß es sich hier lediglich um eine nicht auszuschließende Möglichkeit handele. Eine Kollision kurz hinter der Furt sei keineswegs von der Hand zu weisen.

Nach der Schilderung von M S hat die Klägerin die Straße innerhalb der Furt überqueren wollen. Sie sei normal gegangen, nicht etwa gelaufen. Er habe noch versucht, sie festzuhalten, weil er das herannahende Auto bemerkt habe. Diese Bekundungen stoßen gleichfalls auf erhebliche Bedenken. Der Senat ist sich nicht einmal sicher, daß M S überhaupt in Begleitung seiner Schwester gewesen ist. Jedenfalls ist nicht erwiesen, daß die Klägerin - für die Beklagte zu 2) erkennbar - in der Nähe der Fußgängerfurt gestanden hat. Sie kann auch angelaufen gekommen sein. Denkbar ist auch, daß sie - stehend, gehend oder laufend - von Straßenschildern, Begrenzungspfosten oder dem Ampelmast verdeckt war. Das Foto mit der Nr. I läßt derartige Sichtbehinderungen in Betracht ziehen. Auch der ca. 1 m hohe graue Kasten (mutmaßlich ein Elektroschaltkasten) unmittelbar neben dem Ampelmast vor dem Wohnzimmerfenster des Zeugen R kann -worauf das LG mit Recht hinweist - dazu beigetragen haben, die Sicht auf die dunkel gekleidete Klägerin zu erschweren. Keinesfalls sieht der Senat eine hinreichende Grundlage für die Annahme, daß die Beklagte zu 2) zwei Kinder am Fahrbahnrand als potentielle Überquerer in ausreichendem Abstand hat erkennen können.

Ohne konkrete Anhaltspunkte für eine konkrete Gefährdung der Klägerin war die Beklagte zu 2) nicht gehalten, ihre Geschwindigkeit herabzusetzen und/oder in Bremsbereitschaft zu gehen.

6.) Damit stellte sich dem Senat nur noch die Frage, ob die Beklagte zu 2) den Unfall dadurch schuldhaft herbeigeführt hat, daß sie bei frühestmöglicher Erkennbarkeit der Klägerin falsch reagiert hat, sei es, daß sie Abwehrmaßnahmen verspätet eingeleitet hat, sei es daß sie ihr Fahrzeug fehlerhaft abgebremst öder gesteuert hat. Doch auch unter diesen Gesichtspunkten läßt sich ein unfallursächliches Fehlverhalten der Beklagten zu 2) nicht sicher feststellen. Dabei hat der Senat auch in Betracht gezogen, ob durch ein rechtzeitiges Abbremsen oder durch ein anderes Lenken des Fahrzeugs der Unfall wenigstens in seinen Folgen für die Klägerin in erheblicher Weise hätte abgemildert werden können. Auch dies hat sich nicht zweifelsfrei klären lassen.

Entscheidene Unsicherheitsfaktoren bestehen darin, daß weder die Stelle, wo die Klägerin die Straße hat überqueren wollen, noch ihre Geschwindigkeit mit der erforderlichen Sicherheit feststellbar sind. Die Aussage, die der Zeuge R in diesem Punkt vor dem Landgericht gemacht hat - er habe die Klägerin kurz vor dem Aufprall auf der Straße stehen sehen - hat sich bei seiner Vernehmung durch den Senat als falsch, zumindest als mißverständlich, herausgestellt. Nach seiner Beobachtung hat die Klägerin nicht auf der Fahrbahn gestanden, bevor sie von dem PKW erfaßt wurde. Er hat sie erstmals im Zeitpunkt des Aufpralls, nicht etwa davor, gesehen. Wie der Zeuge erklärt hat, sei er bei seiner Vernehmung in erster Instanz falsch verstanden worden. Es sei auch nicht richtig, wenn es im Protokoll (Bl. 83) heiße, die Klägerin habe die Straße vom Elternhaus weg überquert. Derartiges hat der Zeuge nicht gesehen und auch nicht bekunden wollen.

Nach der Aussage des Zeugen M S ist die Klägerin "normal" über die Straße gegangen. Das kann so gewesen sein, überzeugt davon ist der Senat keineswegs. Auch in diesem Punkt stößt die Aussage des Zeugen S auf erhebliche Bedenken. Wenn die Klägerin 3, möglicherweise auch 3,5 m, auf der Straße zurückgelegt hat, wofür nach dem Gutachten des Sachverständigen S einiges spricht, ist es schwer verständlich, wenn der Zeuge M, der die Straße nicht betreten haben will, sie an der Schulter zurückgehalten haben will, als er das Auto gesehen habe. Das paßt nicht zusammen.

Durchaus möglich ist, daß die Klägerin mit höherer Geschwindigkeit unterwegs war, als der Sachverständige es für ein Kind der Altersgruppe 12 bis 13 Jahre für den Normalfall in Rechnung gestellt hat. Bei einer möglichen Bewegungsgeschwindigkeit von 6 bis 13 km/h hätte sie für die rund 3 m lange Wegstrecke eine Zeit von 1,8 bzw. 0,8 Sekunden benötigt. Wie der Sachverständige weiter berechnet hat, hätte die Beklagte zu 2) bei einer normalen Reaktions- und Bremsansprechzeit von insgesamt 1,0 Sekunden für die 9,5 bis 10 m lange Wegstrecke zwischen dem Reaktionsort und dem Unfallort eine Zeit von 0,7 bis 0,8 Sekunden benötigt. Aus "mathematischer Sicht" hält er eine Unaufmerksamkeit der Beklagten zu 2) nicht für nachweisbar. Zur Vermeidung des Unfalls hätte die Beklagte zu 2) die Reaktionsaufforderung zwischen mindestens 1,8 und 1,9 Sekunden erhalten müssen. Um die Kollision räumlich zu vermeiden, hätte die Beklagte zu 2) die Gefahr also mindestens rund 2 Sekunden vor der späteren Unfallstelle wahrnehmen müssen. Zu diesem Zeitpunkt kann die dunkel gekleidete Klägerin nach den Ausführungen des Sachverständigen jedoch eine derart unauffällige Position gehabt haben, daß sie noch nicht als gefährdete Person erkennbar war.

Insgesamt ist der Sachverständige zu dem Ergebnis gelangt, daß eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit dafür spreche, daß die Eigengeschwindigkeit der Klägerin so hoch gewesen sei, daß der Beklagten zu 2) die erforderliche Wahrnehmungszeit nicht zur Verfügung gestanden habe.

Nach diesen gutachterlichen Erkenntnissen bleiben auch dem Senat durchgreifende Zweifel an einem unfallursächlichen Fehlverhalten der Beklagten zu 2), gleichviel unter welchem Blickwinkel. Die Grundsätze des Anscheinsbeweises können der Klägerin nicht helfen; sie hat den Vollbeweis zu führen.

II.

Nach alledem war die Berufung mit den Nebenentscheidungen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO zurückzuweisen.

Ein Anlaß, die Revision zuzulassen, besteht nicht (§ 546 Abs. 1 ZPO).

Streitwert für das Berufungsverfahren und Beschwer für die Klägerin: 40.000,- DM.

Ende der Entscheidung

Zurück