Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 13.10.2003
Aktenzeichen: 1 U 36/03
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 847 Abs. 1 a.F.
ZPO § 287
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 36/03

Verkündet am 13. Oktober 2003

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht X sowie der Richter am Oberlandesgericht X und X auf die mündliche Verhandlung vom 29. September 2003

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 8. Januar 2003 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 13. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 17.895,22 € nebst 4 % Zinsen seit dem 9. Mai 1997 zu zahlen.

Die Anschlussberufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache in vollem Umfang Erfolg. Die Anschlussberufung der Beklagten ist unbegründet.

Über den dem Kläger durch das Landgericht zuerkannten Schmerzensgeldbetrag von 5.112,92 € hinaus ist die Beklagte im Umfang von insgesamt 17.895,22 € (35.000 DM) zum Ausgleich seiner unfallbedingten immateriellen Schäden verpflichtet. Unter Berücksichtigung der vorprozessualen Zahlungen der Beklagten in Höhe von insgesamt 15.000 DM macht im Ergebnis der begründete Schmerzensgeldanspruch des Klägers die Summe von 50.000 DM aus.

Die Beklagte dringt nicht mit ihrem Einwand durch, der dem Kläger durch das Landgericht zuerkannte Ausgleichsbetrag sei der Höhe nach übersetzt. Andererseits wird das erstinstanzlich dem Kläger zuerkannte Schmerzensgeld dem Umfang seiner unfallbedingten immateriellen Beeinträchtigungen nicht in dem erforderlichen Umfang gerecht.

I.

Im Einzelnen ist folgendes auszuführen:

1)

Unstreitig trifft die Beklagte die volle Ersatzverpflichtung für die Schäden, die der Kläger infolge des Unfallereignisses vom 16. Februar 1993 erlitten hat, als der Versicherungsnehmer der Beklagten, Herr X, auf der L 30 in X sein Vorfahrtsrecht missachtete. Ein anspruchsmindernder Mitverschuldensanteil ist zu Lasten des Klägers nicht in Ansatz zu bringen.

2)

Die für die Schmerzensgeldbemessung nach § 847 Abs. 1 BGB a.F. maßgeblichen Kriterien sind in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils, auf die der Senat insoweit Bezug nimmt, zutreffend dargestellt (Bl. 6 UA; Bl. 503 dA).

3)

Zu berücksichtigen ist zunächst das beträchtliche Ausmaß der Verletzungen mit Kopfbeteiligung, die der Kläger anlässlich der Kollision erlitten hat.

a)

Neben einem Schädel-Hirn-Trauma ersten Grades ist es unter anderem zu einer Abtrennung des Oberkiefers vom oberen Gesichtschädel gekommen. Durch die traumatische Einwirkung haben sich in den Augen- und Kiefernhöhlen sowie in den Kiefernknochen Frakturen ergeben. Diese Beeinträchtigungen machten eine Reposition des gesamten Mittelgesichtes einschließlich einer Ober- und Unterkieferschienung mittels Plattenosteosynthesematerials erforderlich. Zudem ist nach der Krankenhauseinlieferung des Klägers ein Bruch der linken Kniescheibe diagnostiziert worden.

b)

Zudem muss die Tatsache Berücksichtigung finden, dass sich im Zuge des Heilverlaufes erhebliche Komplikationen gezeigt haben. Der Sachverständige Prof. Dr. X hat in seinem Gutachten vom 23. September 1998 im Einzelnen ausgeführt, dass nach einer operativen Versorgung der Kniescheibenfraktur mittels einer Zuggurtungsosteosynthese sich eine Thrombose der Knievene eingestellt hat, die ebenfalls im Rahmen eines chirurgischen Eingriffs beseitigt werden musste. Dieser hatte wiederum eine Schädigung des Nervus cutaneus an der Vorderseite des mittleren Unterschenkeldrittels zur Folge, welche sich in einer verminderten Sensibilität in diesem Bereich bemerkbar macht. Zudem leidet der Kläger seit der Thrombosebeseitigung an einem Tarsaltunnelsyndrom mit Missempfindungserscheinigungen an der linken Fußsohle.

c)

Es bedarf keiner weiteren Ausführungen dazu, dass die Unfallverletzungen, die sich daran anschließenden Heilbehandlungsmaßnahmen und die die linke Extremität des Klägers betreffenden Komplikationen mit ganz erheblichen Beeinträchtigungen für ihn verbunden waren. Ganz abgesehen davon, dass die massiven Gesichtsschädelverletzungen einen besonders schmerzempfindlichen Körperteil des Klägers betrafen, war auch seine körperliche Beweglichkeit durch den Bruch der Kniescheibe erheblich beeinträchtigt. Nach der Frakturversorgung mittels der Zuggurtungsosteosynthese musste der verletzte Bereich in einem sogenannten Tutor gelagert und ruhig gestellt werden. Die stationäre Krankenhausbehandlung des Klägers hat einen etwa zweimonatigen Zeitraum in Anspruch genommen; die ambulante Weiterbehandlung des Klägers hat noch einmal fast zwei Jahre gedauert. Die krankengymnastische Behandlung des Klägers hat sich fast 1 1/2 Jahre hingezogen. Bis zum Sommer des Jahres 1994 musste sich der Kläger einer medikamentösen Therapie zur Behandlung der Schmerzen an der linken Fußsohle unterziehen (Gutachten X vom 23.09.1998, Bl. 272 dA). Sieht man von den Operationsmaßnahmen unmittelbar nach der Krankenhauseinlieferung ab, hatte der Kläger in der Folgezeit noch drei chirurgische Eingriffe - unter anderem zur Entfernung des an verschiedenen Körperstellen eingebrachten Osteosynthesematerials - zu überstehen. Seinen bei seiner Anhörung durch den Senat gemachten Angaben zufolge steht noch eine weitere Operationsmaßnahme an.

d)

Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass entsprechend den Feststellungen des Landgerichts der Kläger unfallbedingt an einer geringgradigen chronischen Schleimhautschwellung der linken Kieferhöhle leidet, die ihm zwar keine Beschwerden bereitet, deren Ausheilung aber auch nicht zu erwarten ist (Bl. 8 UA, Bl. 504 dA). Gravierender ist die Tatsache, dass nach der Fraktur das Kiefergelenk des Klägers nicht vollständig wieder hergestellt werden konnte, weil es nach den Darlegungen der Sachverständigen Prof. X und Prof. X rechtsseitig eine Druckschmerzhaftigkeit sowie eine als "Reiben" beschriebene Funktionsstörung aufweist (Bl. 457 dA). Zu erwähnen sind noch der unfallbedingte Verlust des Zahnes Nr. 48 sowie das verbleiben einer Sensibilitätsstörung im Bereich des linken Mundwinkels in einer Größe von etwa 2 cm x 2 cm, eine sogenannte Hypästhesie.

e)

Der dargelegte Umfang der Verletzung des Klägers und deren Folgen ist im Wesentlichen unstreitig. Unabhängig davon stützen sich die diesbezüglichen Feststellungen des Landgericht auf insgesamt sieben gutachterliche Stellungnahmen von fachärztlichen Sachverständigen, gegen welche die Parteien auch in der Berufungsinstanz keine Einwendungen vorbringen.

4)

Soweit der Kläger erstinstanzlich das Vorhandensein weiterer Verletzungen als Folge des Kollisionsereignisses behauptet hat, wie etwa eine Wangenschwellung, eine Asymtrie des Gesichts sowie Sprachbehinderungen, haben diese Beeinträchtigungen nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme entweder keine Bestätigung gefunden oder sie sind nicht auf das Schadensereignis zurückzuführen. Die dahingehenden Feststellungen des Landgerichts (Bl. 11 UA; Bl. 505 R dA) werden durch den Kläger nicht angefochten.

5)

Andererseits ist nicht außer Acht zu lassen, das zwischenzeitlich die Verletzungen des Klägers weitgehend ausgeheilt sind. Er war bereits Ende Juli 1993 soweit hergestellt, dass er seinem Beruf als Außenhandelskaufmann wieder nachgehen konnte. Die Darlegung der Beklagten in ihrer Berufungserwiderung, die Gesichtsverletzungen seien gut verheilt, reizlos und kosmetisch in keiner Weise entstellend (Bl. 531 dA), entspricht den Feststellungen des Landgerichts (Bl. 7 UA; Bl. 503 R dA). Davon konnte sich auch der Senat ein Bild machen. Der Vortrag der Beklagten, die endgradige Bewegungseinschränkung des linken Kniegelenks von 5 Grad im Vergleich zum rechten Kniegelenk führe nicht zu einer spürbaren Beeinträchtigung, entspricht den Feststellungen des Landgerichts (Bl. 7, 8 UA; Bl. 503 R, 504 dA). Gegenüber dem Oberarzt Dr. X hat der Kläger ausweislich des Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. X vom 1. Januar 2001 angegeben, seit seiner Arbeitsaufnahme im Sommer 1993 "sei alles soweit in Ordnung bis auf eine Verengung des linken Nasenlochs; seit dem Unfall habe er auch eine krumme Nase" (Bl. 377 dA).

6)

Die Beklagte dringt nicht mit ihrem Einwand durch, entgegen den Darlegungen im angefochtenen Urteil stehe die festgestellte Nasenscheidewandverkrümmung des Klägers nicht in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Unfall; dies gelte auch für eine auf die Verkrümmung zurückzuführende Behinderung der linken Nasenatmung (Bl. 532 dA).

a)

Wie das Landgericht in den Gründen der angefochtenen Entscheidung zutreffend dargelegt hat, betreffen die streitigen Verletzungsfolgen die Höhe des klägerischen Schmerzensgeldanspruches und damit die Frage der haftungsausfüllenden Kausalität, so dass zu Gunsten des Klägers die Beweiserleichterungen des § 287 ZPO eingreifen (Bl. 9 UA, Bl. 504 R dA). Es reicht demnach die Feststellung, dass die objektivierbare Nasenscheidewandverkrümmung und die Behinderung der linken Nasenatmung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückzuführen sind.

b)

Zwar haben die Sachverständigen X (Gutachten vom 1. Januar 2001; Bl. 410) sowie Dr. X (Gutachten vom 26. Februar 2002; Bl. 458) übereinstimmend ausgeführt, man könne gutachterlich eine anlagenbedingte Verkrümmung der Nasenscheidewand nicht von einer unfallbedingten Verschlimmerung abgrenzen. Über dies könne die Septumdeviation bereits vor dem Unfall vorgelegen haben; möglicherweise sei sie auch durch das Schadensereignis selbst verursacht worden. Das Landgericht hat zu Recht als entscheidend erachtet, dass nach den - mangels einer feststellbaren Simulationstendenz - glaubhaften Angaben des Klägers dieser vor dem Unfall über keine Behinderung der Nasenatmung klagte. Selbst wenn also eine anlagenbedingte Nasenscheidewandverkrümmung vorläge, wäre diese vor dem Schadensereignis symptomlos gewesen. Nach dem HNO-Zusatzgutachten des X-Krankenhauses vom 19. Juli 1996 soll die eingeschränkte Nasenluftpassage mit hoher Wahrscheinlichkeit dem Unfallereignis zuzuordnen sein (Bl. 84 dA). Berücksichtigt man schließlich das erhebliche Ausmaß der Kopfverletzungen des Klägers, die unter anderem eine Reposition des Mittelgesichts erforderlich machten, spricht eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für die Annahme, dass die traumatische Unfalleinwirkung zumindest mitursächlich für die Septumdeviation und die damit verbundene Nasenatmungsbehinderung ist.

7)

Ins Leere geht darüber hinaus der Einwand der Beklagten, der Kläger könne sich nicht mit Erfolg auf die Beweiserleichterung des § 287 ZPO berufen, weil er die Auswertung computerthomografischer Aufnahmen verhindert habe (Bl. 532 dA).

a)

Im Auftrag des durch das Landgericht beauftragten HNO-Sachverständigen Prof. Dr. X hatte der zuständige Oberarzt, Prof. Dr. X, bereits mit Schreiben vom 25. November 1999 mitgeteilt, zur Gutachtenerstattung benötige man die im Februar/März 1993 in der Klinik für Kiefer- und Plastische Gesichts-Chirurgie der Heinrich-Heine-Universität gefertigten Röntgenaufnahmen (Bl. 336 dA). Wegen der Unauffindbarkeit dieser Aufnahmen folgte eine sich über 8 Monate hinziehende Korrespondenz, im Zuge welcher der Kläger schließlich unter dem Datum des 3. August 2000 schriftsätzlich mitteilte, er sei nicht mehr im Besitz der Röntgenaufnahmen, weil er diese einem der zahlreichen ihn behandelten Ärzte überlassen habe, ohne sie zurückerhalten zu haben (Bl. 354 dA).

b)

Daraufhin hat sich die Einzelrichterin des Landgerichts mit Schreiben vom 6. September 2000 an den Sachverständigen X damit einverstanden erklärt, dass - wie dieser in einer Zuschrift vom 24. Juli 2001 vorgeschlagen hatte - die Gutachtenerstattung auf der Grundlage eines Zusatzgutachtens unter Durchführung eines Computertomogramms bei Prof. Dr. X in X erfolgen sollte (Bl. 357, 350 dA). Die Erstellung dieses röntgenologischen Fachgutachtens erfolgte unter dem Datum des 4. Dezember 2000 und fand Eingang in das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. X vom 1. Januar 2001 (Bl. 373 ff. dA).

c)

Bei dieser Sachlage mag dem Kläger eine Nachlässigkeit bei der Nachforschung hinsichtlich des Verbleibs der fraglichen Röntgenaufnahmen anzulasten sein; es ist indes kein Raum für die Annahme einer ihm vorzuwerfenden Beweisvereitelungsabsicht.

8)

Zu Recht macht der Kläger in seiner Berufungsbegründung geltend, das Landgericht habe seine unfallbedingte dauerhafte Minderung der Erwerbsfähigkeit um 30 % nicht hinreichend gewürdigt (Bl. 520 dA).

a)

Der durch das Landgericht beauftragte Sachverständige Prof. Dr. X hat in seinem Gutachten vom 23. September 1998 ausgeführt, wegen der Einschränkung der Beweglichkeit des linken Kniegelenks, der Schädigung des Nervus cutaneus, des Tarsaltunnelsyndroms, der degenerativen Veränderungen am linken Kniegelenk und wegen der verbliebenen Narben sei aus unfallchirurgischer Sicht eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 % in Ansatz zu bringen (Bl. 287-289 dA). Bei dieser Bewertung hat der Sachverständige die Folgen der Gesichtsverletzung ausdrücklich unberücksichtigt gelassen verbunden mit dem Hinweis, diese seien noch in einem Zusatzgutachten zu überprüfen. In einer gutachterlichen Stellungnahme vom 12. September 2002 hat der Sachverständige Prof. Dr. X angegeben, auf mund-, kiefer- und gesichtschirurgischem Fachgebiet stelle sich die Minderung der Erwerbsfähigkeit auf insgesamt 20 % (Bl. 474, 475 dA). In einer abschließenden gutachterlichen Stellungnahme hat dann der Sachverständige Prof. Dr. X unter dem Datum des 14. Oktober 2002 im Hinblick auf die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. X die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers mit insgesamt 30 % in Ansatz gebracht (Bl. 480, 481 dA). Diese Einschätzung hält auch der Senat angesichts der multiplen Verletzungen des Klägers für zutreffend.

b)

Zwar hat das Landgericht dargelegt, es sei unter Berücksichtigung sämtlicher Unfallfolgen "eine Gesamt-MdE von 30 % anzunehmen" (Bl. 10, 11 UA; Bl. 505, 505 R dA). Andererseits hat es bei der Begründung der dem Kläger zuerkannten Schmerzensgeldforderung von noch 25.000 DM nur auf eine "MdE von 20 % infolge der Knie- und der Gesichtsverletzungen" abgestellt (Bl. 12 UA; Bl. 506 dA). Dieser Begründungszusammenhang lässt darauf schließen, dass das Landgericht im Ergebnis den tatsächlichen unfallbedingten Erwerbsminderungsgrad des Klägers nicht richtig berücksichtigt hat.

9)

Unbegründet ist darüber hinaus der Einwand der Beklagten, die gut verheilten Verletzungen hätten nur geringfügige Dauerschäden hinterlassen (Bl. 531 dA).

a)

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats sind bei der Schmerzensgeldzumessung auch solche Verletzungsfolgen zu berücksichtigen, die nach der anlässlich der letzten mündlichen Verhandlung bestehenden Sachlage möglich erscheinen und objektiv vorhersehbar sind. Insoweit darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Sachverständige Prof. Dr. X in seinem Gutachten vom 23. September 1998 ausgeführt hat, ein Fortschreiten der Kniescheibenarthrose sei möglich (Bl. 289 dA). Wenn auch im Folgegutachten des Sachverständigen vom 29. August 2002 einschränkend dargelegt ist, eine solche Verschlechterung sei "nicht hochwahrscheinlich" (Bl. 473 dA), ändert dieser Umstand nichts daran, dass eine Fortentwicklung der degenerativen Verschleißerscheinung vom objektiven medizinischen Standpunkt aus vorhersehbar und damit bei der Schmerzensgeldzumessung zu berücksichtigen ist.

b)

Nach den Darlegungen des Sachverständigen Dr. X in seinem Gutachten vom 26. Februar 2002 (Bl. 457 dA) ist wegen der Funktionsbeeinträchtigung im rechten Kiefergelenk des Klägers langfristig mit einer potentiellen Verschlechterung im Sinne einer Arthrose zu rechnen. Auch diese Tatsache, welche das Landgericht nicht in seine Erwägungen einbezogen hat, muss bei der Schmerzensgeldbemessung Berücksichtigung finden.

c)

Fraglich sind darüber hinaus die Heilungschancen hinsichtlich des Tarsaltunnelsyndroms. Die Heilungsaussichten konnten von dem Sachverständigen Prof. Dr. X nicht abschließend beurteilt werden, zumal nach seinen Darlegungen bei der erforderlichen Behandlungsmaßnahme der Freilegung und Neurolyse des Nervus tibialis Komplikationen zu erwarten sind (Bl. 288 dA).

d)

Schließlich hält der Sachverständige Dr. X ausweislich seines Gutachtens vom 26. Februar 2002 eine operative Korrektur des Nasenseptums für möglich und sinnvoll (Bl. 458 dA).

e)

Allgemein ist zu berücksichtigen, dass das Unfallereignis mit seinen gravierenden Folgen den Kläger zu einem Zeitpunkt getroffen hat, als er knapp 21 Jahre alt war. Er war vor dem Schadensereignis in großem Umfang als Freizeitsportler aktiv. Nach der ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme des Sachverständigen Prof. Dr. X vom 29. August 2002 können längere Belastungen des linken Kniegelenks Schmerzen zur Folge haben, weil durch den Unfall bereits ein Verschleiß des Kniegelenks eingetreten ist (Bl. 473 dA). Aufgrund dessen sind die sportlichen Aktivitäten des Klägers zwangsläufig eingeschränkt. Da ein Fortschreiten der Kniescheibenarthrose zumindest nicht unwahrscheinlich ist, ist auch der weitere Umfang der Freizeitaktivitäten des Klägers fraglich.

10)

Im Rahmen der Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes kann die Hinauszögerung der Schadensregulierung durch die Versicherungsgesellschaft zu Gunsten des Verletzten Berücksichtigung finden (OLG Hamm, ZfS 1982, 67; OLG Karlsruhe, NJW 1973, 851).

a)

Nach dem Unfallereignis am 16. Februar 1993 hat es fast drei Jahre gedauert, ehe die Beklagte mit Schreiben vom 22. Januar 1996 bekannt gab, sie erkenne die Schadensersatzansprüche des Klägers dem Grunde nach an (Bl. 7 dA). Dies obwohl die X AG bereits unter dem Datum des 5. Januar 1994 im Auftrag der Staatsanwaltschaft Düsseldorf ein Unfallrekonstruktionsgutachten mit dem Ergebnis gefertigt hatte, dass bei Einhaltung der an der Kollisionsstelle zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h der Zusammenstoss für den Kläger weder räumlich noch zeitlich vermeidbar gewesen wäre (Bl. 147, 148 dA). Nach dem schriftlichen Anerkenntnis der Beklagten verging ein weiteres halbes Jahr, ehe sie am 26. Juli 1996 eine Vorschusszahlung in Höhe von 10.000 DM leistete (Bl. 2 dA). Es folgte gut ein halbes Jahr später (6. Februar 1997) die letzte Zahlung der Beklagten von 5.000 DM, nachdem sie den Kläger zuvor mit Schreiben vom 24. Januar 1997 wegen seiner berechtigten weitergehenden Schmerzensgeldforderungen auf den Klageweg verwiesen hatte (Bl. 8 dA). Angesichts dieser Sachlage musste der Kläger ungebührlich lange auf die - zudem unzureichenden - vorprozessualen Leistungen der Beklagten warten.

b)

Entgegen der durch den Kläger vertretenen Ansicht findet indes die lange Dauer des erstinstanzlichen Erkenntnisverfahrens (Eintritt der Rechtshängigkeit der Klage am 9. Mai 1997, Urteilsverkündigung am 8. Januar 2003) seine Erklärung nicht in einem obstruktiven Prozessverhalten der Beklagten. Nachdem der Kläger auf eine gerichtliche Verfügung vom 29. Februar 1997 hin eine Vielzahl ärztlicher und gutachterlicher Unterlagen zu den Akten gereicht hatte (Bl. 14 ff. dA), stellte die die Beklagte in ihrer Klageerwiderung vom 6. Juni 1997 eine Vielzahl von Unfallverletzungen unstreitig, welche sie anhand der zu den Akten gelangten Unterlagen zu verifizieren glaubte. Das Bestreiten der Beklagen beschränkte sich weitgehend auf die streitigen körperlichen Beeinträchtigungen des Klägers und deren Folgen, die nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme keine Bestätigung gefunden haben, wie etwa Wangenschwellungen, Sprachbehinderungen und Occlusionsschwierigkeiten des Mundes. Gleichfalls in Abrede gestellt hatte die Beklagte die Unfallbedingtheit der Septumdeviation in Verbindung mit den seitens des Klägers beklagten Nasenatmungsschwierigkeiten. Insoweit ist nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme eine - wenn auch vor dem Unfallereignis symptomlose - Anlageschädigung des Klägers nicht auszuschließen.

c)

Das Landgericht hat sich veranlasst gesehen, eine Vielzahl fachärztlicher Sachverständigengutachten einzuholen. Die langwierige Verzögerung, die sich nach den obigen Darlegungen im Zusammenhang mit der Erstattung des HNO-Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. X vom 1. Januar 2001 wegen des Fehlens der unfallnahen Röntgenaufnahmen ergeben hat, ist nicht der Beklagten anzulasten.

11)

Unter Berücksichtigung aller Umstände hält der Senat die Schmerzensgeldforderung des Klägers in Höhe von insgesamt 50.000 DM für begründet. Abzüglich der vorprozessualen Zahlungen der Beklagten im Umfang von 15.000 DM verbleibt zu Gunsten des Klägers ein Saldo von 35.000 DM, entsprechend 17.895,22 €.

III.

1)

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

2)

Die Anordnung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

3)

Der Gegenstandswert für den Berufungsrechtszug beträgt insgesamt 35.000 DM, entsprechend 17.895,22 €. Davon entfällt auf die Berufung des Klägers ein Anteil von 12.782,30 € und auf die Anschließung der Beklagten ein solcher von 5.112,92 €. Die Beschwer der Beklagten liegt somit unter 20.000 €.

4)

Zur Zulassung der Revision besteht kein Anlass, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.

Ende der Entscheidung

Zurück