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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 21.12.2000
Aktenzeichen: 10 W 112/00
Rechtsgebiete: ZPO, BRAGO


Vorschriften:

ZPO § 78 Abs. 1
BRAGO § 28
Bestellt eine auswärtige beklagte Partei einen an ihrem Wohn- oder Geschäftssitz ansässigen Anwalt, der schon vorprozessual mit ihrer Verteidigung gegen die spätere Klageforderung befasst war, zum Prozessbevollmächtigten, so sind die durch dessen notwendige Tätigkeiten bei dem Prozessgericht verursachten Geschäftsreisekosten erstattungsfähig. Dem steht nicht zwingend der Umstand entgegen, dass die Kanzlei des Anwalts weiter vom Prozessgericht entfernt ist - hier um ca. 50 km - als der Sitz der Partei.

(Abgrenzung zu OLG Frankfurt MDR 2000, 1215 = JurBüro 2000, 587)


OLG Düsseldorf 10. Zivilsenat

Beschluss vom 21. Dezember 2000

Az.: 10 W 112/00

Gründe:

Das gemäß § 104 Abs. 3 ZPO in Verbindung mit § 11 Abs. 1 RpflG als sofortige Beschwerde zulässige Rechtsmittel der Beklagten hat in der Sache Erfolg. Der Rechtspfleger hat es zu Unrecht abgelehnt, zugunsten der Beklagten die Positionen Fahrtkosten und Abwesenheitsgeld (§ 28 BRAGO) in Höhe von insgesamt 102,80 DM zu berücksichtigen, die im Zusammenhang mit der Wahrnehmung des Verhandlungstermins am 17. Januar 2000 vor dem Landgericht Düsseldorf durch die in Bonn ansässigen Prozeßbevollmächtigten der Beklagten entstanden sind.

2) In der Sache führt die Beschwerde antragsgemäß zu einer zusätzlichen Festsetzung der Fahrtkosten in Höhe von 72,80 DM (§ 28 Abs. 2 Nr. 1 BRAGO) sowie des Tage- und Abwesenheitsgeldes in Höhe von 30 DM (§ 28 Abs. 3 Satz 1 BRAGO) gemäß der Kostennote der auswärtigen Prozeßbevollmächtigten der Beklagten vom 28. April 2000. Diese Kosten sind in der angefochtenen Entscheidung mit der unzutreffenden Begründung abgesetzt worden, die Beklagte habe als kaufmännisches Unternehmen sogleich einen am Prozeßort Düsseldorf ansässigen Anwalt beauftragen können. Somit sind insgesamt 5.992,80 DM zugunsten der Beklagten festzusetzen.

a) Am 1. Januar 2000 ist das Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte vom 17. Dezember 1999 (BGBl. 1999 Teil 1 Nr. 56 vom 22.12.1999, S. 2448 ff.) in Kraft getreten, demzufolge das anwaltliche Lokalisationsprinzip in Wegfall geraten ist. Folglich sind Rechtsanwälte mit Zulassung bei einem Amts- oder Landgericht in Anwaltsprozessen (Zivilprozessen) vor einem Land- oder Familiengericht der alten und neuen Bundesländer einschließlich des gesamten Landes Berlin postulationsfähig. Die in Bonn ansässigen Prozeßbevollmächtigten der Beklagten, die ihren Geschäftssitz in H hat, waren somit in der Lage, für diese im Verhandlungstermin am 17. Januar 2000 vor dem Landgericht Düsseldorf aufzutreten.

b) Der erkennende Senat hat bereits in seinem zur Veröffentlichung vorgesehenen Beschluß vom 14. Dezember 2000 (Az. 10 W 107/00) dargelegt, daß es für eine auswärtige, zur klageweisen Durchsetzung eines Anspruchs entschlossene Partei naheliege, das entsprechende Mandat dem an ihrem Wohn- oder Geschäftssitz ansässigen Anwalt als Prozeßbevollmächtigten zu erteilen, der bereits zuvor mit der außergerichtlichen Geltendmachung der Forderung befaßt gewesen sei. Da dieser bereits die tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhänge in Bezug auf den Anspruch kenne, sei seine Beauftragung eine notwendige Maßnahme zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung im Sinne des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die infolge der Beauftragung des auswärtigen Prozeßbevollmächtigten dann anfallenden Reisekosten einschließlich des Tage- und Abwesenheitsgeldes seien grundsätzlich erstattungspflichtig, wenn es nicht zu der Beauftragung eines weiteren bei dem Prozeßgericht ansässigen Anwaltes komme (Senat a.a.O.).

c) Diese Ausführungen gelten entsprechend für eine beklagte Partei, die an ihrem Wohn- oder Geschäftssitz den Rechtsanwalt zu ihrem Prozeßbevollmächtigten bestellt, der vorprozessual mit ihrer Verteidigung gegen die spätere Klageforderung beauftragt war. Gerade die Einzelheiten des vorliegenden Falles machen deutlich, daß die Mandatierung der bereits außergerichtlich tätig gewordenen Anwälte für die Beklagte eine notwendige Maßnahme zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO bedeutete: Die Anwälte hatten vorprozessual umfassend ihre Interessen in der hier in Rede stehenden Rechtsstreitigkeit wahrgenommen und insbesondere an dem Abschluß und der Durchführung des klagegegenständlichen Aufhebungsvertrages vom 28. April 1999 mitgewirkt. Der Kläger hat mit seiner Klage vom 20. Oktober 1999 unter anderem die Feststellung begehrt, daß das Beratungsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch diesen Aufhebungsvertrag vorzeitig beendet worden sei. Die Beklagte macht mit ihrer Beschwerdeschrift zu Recht geltend, daß ihre Prozeßbevollmächtigten wegen ihrer vorangegangenen Tätigkeit die umfassendste Sach- und Detailkenntnis hatten und deshalb am besten in der Lage waren, sie in dem nachfolgenden Rechtsstreit zu vertreten. Dabei kommt es noch nicht einmal entscheidend darauf an, daß die für die frühere Tätigkeit der Anwälte gemäß § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO angefallene Geschäftsgebühr auf die entsprechende Gebühr für das anschließende gerichtliche Verfahren angerechnet wird (§ 118 Abs. 2 Satz 1 BRAGO).

d) Zwar ist für die Beklagte zunächst eine Düsseldorfer Rechtsanwältin aufgetreten, ehe sich ihre jetzigen Prozeßbevollmächtigten aus Bonn mit Schriftsatz vom 12. Januar 2000 bestellten. Dieser Wechsel beruht jedoch auf der seit dem 1. Januar 2000 geltenden Neufassung des § 78 Abs. 1 ZPO. Er bleibt in kostenerstattungsrechtlicher Hinsicht ohne Bedeutung, da die Gebühren der früheren Prozeßbevollmächtigten nicht mehr Gegenstand des Festsetzungsgesuches der Beklagten sind.

3) Die Erstattungsfähigkeit der Reisekosten der auswärtigen Prozeßbevollmächtigten der Beklagten scheitert schließlich nicht daran, daß sie nicht an ihrem Geschäftssitz in H ansässige Anwälte mit der Wahrnehmung ihrer Interessen vor dem Landgericht Düsseldorf beauftragt hat, sondern Anwälte aus Bonn.

a) Es wird die Auffassung vertreten, die Reisekosten eines in der Nähe des Sitzes der Partei tätigen Rechtsanwaltes bildeten grundsätzlich die Höchstgrenze, bis zu der die Kosten eines auswärtigen Prozeßbevollmächtigten erstattungsfähig seien (OLG Frankfurt MDR 2000 1215, 1216 = JurBüro 2000 587). Folgte man dieser Auffassung, wären die zusätzlichen Reisekosten, die sich aus der Beauftragung eines sowohl vom Sitz der Partei als auch vom Ort des Prozeßgerichts weit entfernt ansässigen Prozeßbevollmächtigten ergäben, grundsätzlich nicht erstattungsfähig. Fraglich ist hier aber schon, ob die zusätzliche Entfernung von ca. 50 km zwischen dem Geschäftssitz der Beklagten und der Kanzlei ihrer Prozeßbevollmächtigten ausreicht, um die Erstattungsfähigkeit der zusätzlichen Reisekosten dieser Bevollmächtigten als sogenannte Distanzanwälte auszuschließen.

b) Jedenfalls darf hier folgendes nicht unberücksichtigt bleiben: Selbst wenn die Beklagte einen bei dem Prozeßgericht in Düsseldorf zugelassenen Rechtsanwalt zu ihrem Prozeßbevollmächtigten bestellt hätte, wären für sie Reisekosten zu dessen Unterrichtung angefallen. Grundsätzlich sind die Reisekosten der Partei zur einmaligen, ersten Information ihres nicht an ihrem Wohnort befindlichen Prozeßbevollmächtigten erstattungsfähig (Senat, Beschluß vom 4. Januar 1996, Az.: 10 W 251/95, veröffentlicht in NJW-RR 1997, 128 mHa Zöller/Herget, ZPO; 19. Aufl., § 91, Stichwort "Reisekosten"). Nichts anderes gilt für den vorliegenden Fall: Der Rechtsstreit war weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht einfach gelagert. Die Klageschrift vom 20. Oktober 1999 betraf einen Gegenstandswert von fast 240.000 DM und umfaßte einschließlich ihrer siebzehn Anlagen 51 Seiten.

Gemäß § 91 Abs. 1 Satz 2 ZPO umfaßt die Kostenerstattung auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen entstandene Zeitversäumnis, wobei die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden sind. Zwar hätten die fiktiven Kosten für eine Informationsreise des Geschäftsführers der Beklagten von H zu einem Düsseldorfer Prozeßbevollmächtigten nach Maßgabe der §§ 1, 9, 10 ZSEG wahrscheinlich nicht die Höhe der streitigen Fahrtkosten nebst Abwesenheitsgeld erreicht. Die damit verbundene Ersparnis hätte aber nach Lage der Dinge weniger als 50 DM betragen und hätte außer Verhältnis zu dem Informationsaufwand gestanden, der angefallen wäre, wenn die Beklagte nicht die mit ihrer vorprozessualen Vertretung befaßt gewesenen Anwälte zu ihren Prozeßbevollmächtigten bestellt hätte.

4a) Abschließend ist darauf hinzuweisen, daß die Festsetzungsfähigkeit der durch die Rechtspflegerin unberücksichtigt gelassenen Reisekosten des Prozeßbevollmächtigten nicht an der Bestimmung des § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO scheitert. Danach sind der obsiegenden Partei die Mehrkosten nicht zu erstatten, die dadurch entstehen, daß der bei dem Prozeßgericht zugelassene Rechtsanwalt seinen Wohnsitz oder seine Kanzlei nicht an dem Ort hat, an dem sich das Prozeßgericht oder eine auswärtige Abteilung dieses Gerichts befindet. Diese Bestimmung bezieht sich nicht auf die Postulationsfähigkeit eines Anwaltes, sondern auf dessen Zulassung bei einem bestimmten Gericht (Lokalisierung) im Sinne der §§ 18 ff. BRAO (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann a.a.O., § 91, Rdnr. 46; OLG Frankfurt a.a.O.). Grundgedanke dieser Erstattungsbeschränkung ist die Erwägung, daß der Anwalt mit seinem Antrag auf Zulassung bei dem Prozeßgericht trotz seines auswärtigen Wohnsitzes oder der auswärtigen Kanzlei die Mehrkosten und den zusätzlichen Zeitaufwand abschätzen und generell auf seine eigene Rechnung nehmen konnte, daß also der "Luxus" des auswärtigen Kanzleiortes oder Wohnsitzes nicht auf Kosten des Prozeßgegners seines Auftraggebers gehen darf (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann a.a.O., § 91, Rdnr. 50). Nach dem Gesetz ist somit ein Ausschluß der Erstattung von Reise- und Abwesenheitskosten nur für den am Prozeßgericht im Sinne des § 18 BRAO zugelassenen Rechtsanwalt vorgesehen. Der Ausschluß bezieht sich somit nicht auf einen auswärtigen Prozeßbevollmächtigten, der seit dem 1. Januar 2000 aufgrund der Neufassung des § 78 ZPO auch vor dem Prozeßgericht auftreten kann.

b) Ebenso wenig hindert § 91 Abs. 2 Satz 1 zweiter Halbsatz ZPO die Festsetzungsfähigkeit der fraglichen Reisekosten. Danach ist die Erstattung von Reisekosten eines bei dem Prozeßgericht nicht zugelassenen Rechtsanwalts davon abhängig, ob seine Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Da sich nach der alten Fassung des § 78 Abs. 1 ZPO eine Partei im Anwaltsprozeß ohnehin von einem bei dem Prozeßgericht zugelassenen Anwalt vertreten lassen mußte, konnte in aller Regel die Erstattungsfähigkeit der Reisekosten eines weiteren auswärtigen Anwaltes nicht bejaht werden. Diese Sperrwirkung gilt aber seit dem 1. Januar 2000 nicht mehr, da der bei dem Prozeßgericht zugelassene Anwalt nicht mehr zwangsläufig der Prozeßbevollmächtigte einer Partei ist, sondern das entsprechende Mandat von einem auswärtigen Anwalt ausgeübt werden kann.

Ende der Entscheidung

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