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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 03.08.2000
Aktenzeichen: 10 W 57/00
Rechtsgebiete: ZPO, BRAGO


Vorschriften:

ZPO § 91 Abs. 2 S. 3
ZPO § 689 Abs. 3
BRAGO § 13 Abs. 2
BRAGO § 43
ZPO §§ 91 Abs. 2 S. 3, 689 Abs. 3; BRAGO §§ 13 Abs. 2, 43

1. Bezogen auf die bis zum 31. Dezember 1999 geltende Rechtslage kommt es für die Erstattungsfähigkeit der Mahnanwaltskosten nicht darauf an, ob Widerspruch gegen den Mahnbescheid zu erwarten war.

2. Der Gläubiger verliert seinen Anspruch auf Erstattung der Mahnanwaltskosten nicht dadurch, daß er sogleich am Sitz eines zentralen Mahngerichts ansässige Rechtsanwälte mit der Beantragung des Mahnbescheides beauftragt.

3. Das Mahnverfahren und das nachfolgende Verfahren vor dem Prozeßgericht sind nicht dieselbe gebührenrechtliche Angelegenheit.

4. Auch eine Kapitalgesellschaft hat bei der Geltendmachung einer geschäftsbezogenen Geldforderung Anspruch auf Erstattung der Mahnanwaltskosten.


OLG Düsseldorf 10. Zivilsenat

Az.: 10 W 57/00

Beschluß vom 3. August 2000

Gründe:

Das gemäß § 104 Abs. 3 ZPO i.V.m. § 11 Abs. 1 RpflG als sofortige Beschwerde zulässige Rechtsmittel der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Die Rechtspflegerin hat in der angefochtenen Entscheidung zu Recht diejenigen Aufwendungen der Klägerin als erstattungsfähig angesehen, die dieser dadurch entstanden sind, daß sie in Hagen ansässige Anwälte mit der Beantragung des Mahnbescheides gegen die Beklagte bei dem dortigen Amtsgericht beauftragt hat. Die insoweit gemäß § 43 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO angefallene Gebühr sowie die Auslagenpauschale nach § 26 BRAGO stellen notwendige Kosten der Rechtsverfolgung im Sinne des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO dar. Das Rechtsmittelvorbringen rechtfertigt keine abändernde Entscheidung.

1)

Die Klägerin, die ihren Geschäftssitz in Münster hat, hat unter dem Datum des 22. Oktober 1999 bei dem zentralen Mahngericht in Hagen den Erlaß eines Mahnbescheides wegen rückständiger Maklerprovisionen in Höhe von insgesamt 13.676,40 DM gegen die in Dinslaken ansässige Beklagte beantragt. Der Antrag wurde durch Hagener Anwälte eingereicht. Nach dem antragsgemäßen Erlaß des Mahnbescheides am 25. Oktober 1999 und nach Eingang des Widerspruches der Beklagten wurde die Sache am 13. Dezember 1999 an das Landgericht Duisburg als das zuständige Prozeßgericht abgegeben. Mit Schriftsatz vom 30. Dezember 1999 bestellten sich in Duisburg ansässige Anwälte als Prozeßbevollmächtigte der Klägerin. Die Beklagte beantragte sodann wiederholt Verlängerung der ihr gesetzten Klageerwiderungsfrist. Im Termin am 24. Februar 2000 ließ sie gegen sich ein Versäumnisurteil ergehen, ohne zuvor eine Klageerwiderung zu den Akten gereicht zu haben. Die Parteien streiten im Kostenfestsetzungsverfahren über die Erstattungsfähigkeit der Mahnanwaltskosten der Klägerin in Höhe von insgesamt 875 DM.

2)

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats kommt es für die Erstattungsfähigkeit der Vergütung eines Mahnanwalts nicht auf die Frage an, ob Widerspruch gegen den Mahnbescheid zu erwarten war oder nicht (JurBüro 1988, 1192; JurBüro 1990, 1178; Rpfleger 1992, 131; JurBüro 1995, 262; so auch OLG Celle JurBüro 1982, 86 und 1985, 715 sowie OLG Hamburg JurBüro 1995, 91 und JurBüro 1996, 38). Demgegenüber macht die herrschende Meinung die Erstattungsfähigkeit der Kosten des Mahnanwaltes bei einem Anwaltswechsel anläßlich des Übergangs vom Mahnverfahren zum Streitverfahren mit Rücksicht auf § 91 Abs. 2 Satz 3 ZPO davon abhängig, ob der Gläubiger mit einem Widerspruch des Schuldners rechnen mußte (vgl. die Nachweise bei Zöller/Herget, Kommentar zur ZPO, 21. Aufl., § 91, Rdnr. 13, Stichwort "Mahnverfahren"). Der vorliegende Fall gibt dem Senat - jedenfalls für die bis zum 31. Dezember 1999 geltende Rechtslage - keinen Anlaß, von seiner bisherigen Rechtsprechung abzuweichen.

a)

Die Widerspruchsprognose erweist sich in der Praxis als ein weitgehend untaugliches Kriterium zur Beurteilung der Frage der Erstattungsfähigkeit von Mahnanwaltskosten, denn sie führt zu einer in ihrer Fülle kaum zu überschauenden Kasuistik (vgl. die Anmerkung von Hansens zu der Senatsentscheidung vom 1. Dezember 1994, Az.: 10 W 127/94 in JurBüro 1995, 262 ff.). Gerade der vorliegende Fall macht deutlich, daß ein Gläubiger im Grunde genommen stets mit der Einlegung des Widerspruchs gegen einen Mahnbescheid rechnen muß, und sei es auch nur auf dem Hintergrund des Bestrebens des Schuldners, den Erlaß eines Vollstreckungstitels möglichst lange hinauszuzögern: Die Beklagte konnte oder wollte offensichtlich gegen die schlüssige Klageforderung keine Einwendungen tatsächlicher oder rechtlicher Art geltend machen. Gleichwohl hat sie Widerspruch gegen den ihr am 28. Oktober 1999 zugestellten Mahnbescheid eingelegt mit der Folge, daß erst am 24. Februar 2000 antragsgemäß ein Versäumnisurteil gegen sie erlassen werden konnte.

b)

Der Gläubiger eines Geldanspruchs kann diesen nach freier Wahl im Mahnverfahren oder im ordentlichen Verfahren geltend machen. Wählt er das Mahnverfahren, so ist das Amtsgericht seines Wohnsitzes zum Erlaß des Mahnbescheides ausschließlich zuständig (vgl. § 689 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Beauftragt der Gläubiger einen bei dem Mahngericht zugelassenen Anwalt mit der Verfolgung seiner Rechte, so ist dies grundsätzlich - insbesondere bei einer wirtschaftlich bedeutsamen Zahlungsforderung wie im vorliegenden Fall - eine zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendige Maßnahme im Sinne des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Durch das Mahnverfahren hat der Gesetzgeber dem Gläubiger die Möglichkeit eröffnet, mit einem geringen finanziellen und zeitlichen Aufwand zu einem Titel gegen den Schuldner zu gelangen. Versucht der Gläubiger, mit diesem geringen Aufwand auszukommen, liegt dies grundsätzlich auch im Interesse des Schuldners. Dem Gläubiger ist es grundsätzlich nicht zuzumuten, mit dem Antrag auf Erlaß des Mahnbescheids einen am Sitz des Prozeßgerichts ansässigen Rechtsanwalt zu beauftragen, so daß der eventuelle spätere Anwaltswechsel im Sinne des § 91 Abs. 2 Satz 3 ZPO notwendig ist.

c)

Denn das Mahnverfahren und der nachfolgende Rechtsstreit erster Instanz sind nicht als dieselbe gebührenrechtliche Angelegenheit anzusehen, wie sich aus der Anrechnungsbestimmung des § 43 Abs. 2 BRAGO und aus der Verweisung in § 43 Abs. 3 BRAGO ergibt (so auch OLG Hamburg MDR 1997, 597; OLG Schleswig JurBüro 1997, 413; Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, Kommentar zur BRAGO, 14. Aufl., § 134, Rdnr. 12; anderer Ansicht: KG Rpfleger 2000, 238 m.w.N.). Überdies ist in der Anlage 1 zu § 11 Abs. 1 GKG das Mahnverfahren (Ziff. I Nr. 1100) dem Prozeßverfahren erster Instanz (Ziff. II Nr. 1201f) gegenübergestellt. Gemäß § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO sind nun aber der obsiegenden Partei die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts in allen Prozessen - also in jeder gebührenrechtlich selbständigen Angelegenheit - zu erstatten.

3)

Die Erstattungsverpflichtung der Beklagten scheitert nicht daran, daß die Klägerin nicht an ihrem Geschäftssitz in Münster ansässige Bevollmächtigte mit der Beantragung des Mahnbescheides beauftragt hat, sondern Hagener Anwälte. Dies ist darauf zurückzuführen, daß nicht das nach § 689 Abs. 2 Satz 1 ZPO zuständige Amtsgerichts Münster den Mahnbescheid erlassen hat, sondern das Amtsgericht Hagen. In diesem Zusammenhang ist die Bestimmung des § 689 Abs. 3 Satz 1 und 2 ZPO zu berücksichtigen, wonach die Landesregierungen ermächtigt werden, durch Rechtsverordnungen Mahnverfahren einem Amtsgericht für die Bezirke mehrerer Amtsgerichte zuzuweisen, wenn dies ihrer schnelleren und rationelleren Erledigung dient. Die Landesregierungen können ihrerseits die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen. Das Land Nordrhein-Westfalen hat von dieser Ermächtigung durch Rechtsverordnungen vom 7. September 1988 (GVGl 88, 366), 3. Februar 1989 (GVBl 89, 88) sowie 28. Februar 1989 (GVGl 89, 100) Gebrauch gemacht, die jeweils eine zentrale Zuständigkeit des Amtsgerichts Hagen begründen. Aus dieser justizinternen Zuständigkeitszuweisung darf der Klägerin jedoch für das Mahnverfahren kein kostenrechtlicher Nachteil erwachsen (Senat Beschluß vom 1. Dezember 1994, Az: 10 W 127/94, veröffentlicht in JurBüro 1995, 262). Ist folglich nicht das am Wohn- oder Geschäftssitz des Gläubigers gelegene Amtsgericht aus justizinternen Gründen für den Erlaß des Mahnbescheides zuständig, verliert er seinen Anspruch auf Erstattung der Mahnanwaltskosten nicht allein aufgrund des Umstandes, daß er sogleich am Sitz des zentralen Mahngerichts ansässige Anwälte mit der Beantragung des Mahnbescheides beauftragt. Dabei kommt es hier noch nicht einmal entscheidend darauf an, daß nach den unwidersprochen gebliebenen Vorbringen der Klägerin sie seit Jahren ihre Hagener Anwälte mit sämtlichen Mahn- und Vollstreckungsangelegenheiten aus ihrem Geschäftsbereich mandatiert.

4a)

Die Beklagte beruft sich schließlich ohne Erfolg darauf, bei der Klägerin handele es sich um eine im Wirtschaftsverkehr sehr erfahrene Kapitalgesellschaft, die ohne anwaltliche Hilfe selbst den Mahnbescheid bei dem zuständigen Amtsgericht habe beantragen können. Den Anspruch auf Ersatz von Mahnanwaltskosten hat auch der geschäftsgewandte Gläubiger, der eine für sein Unternehmen typische Forderung im Wege der §§ 688 ff. ZPO geltend macht (OLG Nürnberg - 1. Zivilsenat - MDR 1999, 1467 mit Hinweis auf OLG Nürnberg - 5. Zivilsenat - MDR 1998, 927; anderer Ansicht: OLG Nürnberg - 8. Zivilsenat MDR 1999, 1407). Aus § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO ergibt sich, daß jeder Rechtssuchende befugt ist, sich bei einer Klage oder Rechtsverteidigung anwaltlicher Hilfe zu bedienen und daß der unterlegende Gegner die damit verbundenen Kosten zu erstatten hat. Dieser Anspruch ist unabhängig davon gegeben, ob der Rechtssuchende anwaltlicher Hilfe bedurfte oder nicht. Für das dem Erkenntnisverfahren vorangehende Mahnverfahren gilt nichts anderes (OLG Nürnberg - 1. Zivilsenat - a.a.O.).

b)

Unabhängig von diesen dogmatischen Erwägungen ist in praktischer Hinsicht zu berücksichtigen, daß im Massenverfahren der Kostenfestsetzung der Rechtspfleger in vielen Fällen kaum mit vertretbarem Aufwand abschließende Feststellungen zu der Frage treffen kann, ob etwa ein Wirtschaftsunternehmen zur Durchsetzung einer sich aus seinem Geschäftsbetrieb ergebenden Forderung im Mahnverfahren objektiv auf anwaltliche Hilfe angewiesen war.

c)

Zwar hat nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ein Wirtschaftsunternehmen bei der klageweisen Geltendmachung einer geschäftsbezogenen Forderung in aller Regel keinen Anspruch auf Erstattung der Mehrkosten, die sich aus der Beauftragung eines Verkehrsanwaltes an seinem Sitz (§ 52 Abs. 1 BRAGO) ergeben. Da jedoch aus den oben dargelegten Gründen das Mahnverfahren und das nachfolgende Streitverfahren verschiedene gebührenrechtlicher Angelegenheiten bilden, steht diese Rechtsprechung im Hinblick auf § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO der Erstattungsfähigkeit der Mahnanwaltskosten im vorliegenden Fall nicht entgegen.

5)

Nach dem am 1. Januar 2000 in Kraft getretenen Gesetz zur Anderung des Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und Patentanwälte sind sowohl die Rechtsanwälte mit Zulassung bei einem Amts- oder Landgericht der alten Bundesländer als auch die Rechtsanwälte mit Zulassung bei einem Amts- oder Landgericht in den neuen Bundesländern in Anwaltsprozessen (Zivilprozessen) vor jedem Land- oder Familiengericht der alten und neuen Bundesländer einschließlich des gesamten Landes Berlin postulationsfähig. Ob im Hinblick auf diese Gesetzesänderung die Rechtsprechung des Senats betreffend die Erstattungsfähigkeit von Mahnanwaltskosten ebenfalls einer Änderung bedarf, kann hier noch wegen der Einschlägigkeit der alten Rechtslage dahinstehen.

Ende der Entscheidung

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