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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 19.08.1999
Aktenzeichen: 18 U 20/99
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 839
BGB § 832
BGB § 832 Abs. 1 Satz 2
BGB § 828 Abs. 1
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
ZPO § 546 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

18 U 20/99

Verkündet am 19. August 1999

In dem Rechtsstreit

hat der 18. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 17. Juni 1999 durch die Richter am Oberlandesgericht R, K und H

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 15. Dezember 1998 verkündete Urteil der 16. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers bleibt in der Sache erfolglos.

Zutreffend hat das Landgericht dahin erkannt, daß dem Kläger gegenüber der Beklagten wegen der Beschädigung seines Fahrzeugs durch Kinder des Kindergartens der Fachhochschule für Sozialpädagogik keine Schadensersatzansprüche aus § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG zustehen, weil den Mitarbeiterinnen des Kindergartens keine Amtspflichtverletzung anzulasten ist.

Den Bediensteten der Fachhochschule obliegt es als Amtspflicht, die ihnen anvertrauten Kinder so zu beaufsichtigen, daß Schäden Dritter möglichst verhütet werden. Im Ergebnis entspricht diese Amtspflicht inhaltlich der allgemeinen Aufsichtspflicht nach § 832 BGB. Damit wird den Aufsichtspflichtigen jedoch nicht sogleich auch im Rahmen eines Anspruchs nach § 839 BGB der Entschuldigungsbeweis des § 832 Abs. 1 Satz 2 BGB auferlegt. Diese Beweisregel kann vorliegend keine Anwendung finden, da die Amtshaftung in § 839 BGB abschließend und selbständig geregelt ist.

Das Maß der gebotenen Aufsicht bestimmt sich nach Alter, Eigenart und Charakter der Kinder, nach der Voraussehbarkeit des schädigenden Verhaltens sowie danach, was den Aufsichtspflichtigen in ihrem jeweiligen Verhalten zugemutet werden kann. Entscheidend ist letztendlich, was ein verständiger Aufsichtspflichtiger nach vernünftigen Anforderungen im konkreten Fall unternehmen muß, um schädigende Handlungen der Kinder zu verhindern.

Gemessen an diesen Anforderungen haben die Bediensteten der Fachhochschule nach Darlegung der Beklagten das Erforderliche getan, um Steinwürfe der Kindergartenkinder in Richtung des Nachbargrundstücks zu unterbinden.

Die Kinder, die die Steine geworfen haben, waren fast fünf Jahre alt, gehörten also einer Altersgruppe an, denen die Gefahr der Entstehung von Schäden an Personen oder Sachen bei Steinwürfen bereits bewußt ist. Dies wird Kindern erfahrungsgemäß von den Eltern immer wieder eingeschärft und mit dem Verbot derartiger "Spiele" verbunden. Die zuständigen Betreuerinnen der Fachhochschule hatten an alle Kinder der Einrichtung gerichtet ein dahingehendes Verbot ebenfalls wiederholt ausgesprochen.

Die beiden steinewerfenden Kinder waren altersgerecht entwickelt, zeigten vor dem schadensstiftenden Ereignis keine Verhaltensauffälligkeiten und waren als eher ruhige Kinder bekannt.

Bei dieser Sachlage stellt es keine Verletzung der Aufsichtspflicht dar, daß die Betreuerinnen diesen beiden Kindern am Schadenstag erlaubt hatten, auf dem Freigelände des Kindergartens zu spielen, obwohl auf dem Freigelände keine Betreuerin ständig anwesend war, um die Kinder zu überwachen.

Eine dauernde Überwachung auf Schritt und Tritt ist auch bei Kindern im Kindergartenalter nicht erforderlich. Insoweit ist von der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, daß schon vierjährige Kinder sich ohne ständige Überwachung allein auf einem Spielplatz oder Sportgelände aufhalten dürfen und nur gelegentlich beobachtet werden müssen (vgl. BGH FamRZ 1984, 84; OLG Karlsruhe, VersR 1979, 58; OLG Düsseldorf, OLGR 1996, 126). Das Maß der Aufsicht muß nämlich mit dem Erziehungsziel, die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis der Kinder zum selbständigen verantwortungsbewußten Handeln einzuüben, in Einklang gebracht werden. Dieser erwünschten Persönlichkeitsentwicklung wäre eine dauernde Überwachung hinderlich. Deshalb dürfen und müssen Kindern in diesem Alter im Rahmen einer verantwortlichen Erziehung auch Freiräume eingeräumt werden, bei denen ein sofortiges Eingreifen des Aufsichtspflichtigen nicht mehr möglich ist.

Weil die beiden hier in Rede stehenden Kinder zuvor keine Verhaltensauffälligkeiten zeigten, ist es nicht zu beanstanden, daß die Betreuerinnen am Schadenstag eine ausreichende Vertrauensgrundlage dafür gesehen haben, die Kinder mit drei weiteren Kindern, die ebenfalls nicht verhaltensauffällig waren, zeitweise unbeaufsichtigt draußen spielen zu lassen.

Unstreitig haben die Erzieherinnen des Kindergartens im zeitlichen Abstand von weniger als 15 Minuten nach den fünf draußen spielenden Kindern geschaut. Diese Zeitspanne war ausreichend, um zu überprüfen, ob die Kinder den ihnen eingeräumten Freiraum so wie von den Erzieherinnen gewünscht und erwartet nutzten. Bei diesen jeweiligen Kontrollen ergab sich aus dem Spielverhalten der Kinder kein Anlaß einzuschreiten.

Diesen Sachvortrag der Beklagten vermag der Kläger nicht zu widerlegen. Er beschränkt sich darauf zu bestreiten, daß die beiden Kinder zuvor verhaltensunauffällig gewesen seien. Weil der Kläger jedoch für die von ihm behauptete Amtspflichtverletzung, hier also für eine Aufsichtsverletzung, darlegungs- und beweispflichtig ist, obläge es ihm, die früheren konkret zutage getretenen Verhaltensauffälligkeiten der beiden Kinder im einzelnen zu schildern und gegebenenfalls zu beweisen. Weil er dies nicht vermag, muß der Senat den Sachvortrag der Beklagten seiner Entscheidung zugrunde legen.

Eine andere Verteilung der Darlegungs- und Beweislast ergibt sich entgegen der Auffassung des Klägers nicht aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung; es entspricht vielmehr der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, daß der Anspruchsteller im vollen Umfang darlegungs- und beweispflichtig für eine Amtspflichtverletzung ist. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung BGH NJW-RR 1983, 2291. Dort hatte der Bundesgerichtshof lediglich ausgeführt, daß unter bestimmten Voraussetzungen eine andere Darlegungs- und Beweislast für den Nachweis des Kausalzusammenhangs zwischen Amtspflichtverletzung und Schaden in Betracht kommt, wenn die Amtspflichtverletzung und der Schaden feststehen. Eine so gelagerte Sachverhaltsgestaltung besteht im vorliegenden Fall jedoch nicht.

Die Auffassung des Klägers, das Steinewerfen begründe für sich allein schon eine tatsächliche Vermutung dahin, daß es sich nicht um zuvor unauffällige Kinder gehandelt haben könnte, geht fehl, weil es gerade nicht der allgemeinen Lebenserfahrung entspricht, daß lediglich Kinder mit erheblichen Erziehungsdefiziten oder Kinder mit augenfälligen Sozialisationsschäden mit Steinen werfen. Die Erfahrung zeigt vielmehr, daß zuweilen auch wohlerzogene und normal entwickelte Kinder der Faszination des Steinewerfens erliegen, obwohl ihnen von den Eltern und Erzieherinnen dieses Spiel immer wieder eindringlich verboten worden ist.

Dahinstehen kann, ob zuvor in den Jahren 1991, 1995 und 1996 andere als die hier in Rede stehenden Kinder vom Gelände des Kindergartens Steine auf das Nachbargrundstück geworfen haben und dies den Erzieherinnen der Fachhochschule bekannt war. Hieraus läßt sich keine Pflicht zu erhöhter Aufsicht in der Form ständiger Überwachung der fünf am Schadenstag auf dem Freigelände spielenden Kinder ableiten.

Wie bereits dargelegt, lehrt die Erfahrung, daß selbst altersgerecht entwickelte und wohlerzogene Kinder Verbote übertreten; weil sie altersbedingt zu spontanen und unüberlegten Handlungen neigen und hierbei im Eifer des Spiels selbst eindringlich erteilte Mahnungen und Weisungen schlicht vergessen. Dies gilt im Grundsatz unabhängig davon, ob sie gerade unter Aufsicht stehen oder nicht. Dieser Erfahrungstatsache entspricht die gesetzliche Regelung des § 828 Abs. 1 BGB, der ausspricht, daß Kinder unter sieben Jahren ausnahmslos schuldunfähig sind. Somit wird es immer wieder vorkommen, daß Kinder Dritten Schäden zufügen.

Dies kann indessen nicht bedeuten, daß das Erziehungsziel, selbständiges verantwortungsbewußtes Handeln durch Einräumung von Freiräumen einzuüben, eingeschränkt werden muß, sobald dies zur Folge hatte, daß ein Dritter zu Schaden gekommen ist. Vielmehr haben diejenigen Kinder, die wegen ihrer Entwicklungsreife derartiger Freiräume bedürfen, Anspruch darauf, daß sie ihnen auch weiterhin eingeräumt werden. Deswegen rechtfertigten die Steinewürfe anderer Kinder in den Jahren 1991, 1995 und 1996 keine stärkere Überwachung der beiden Kinder, die am 8. Juli 1997 die schadensstiftenden Steine geworfen haben. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn die Erzieherinnen etwa aufgrund eines Nachahmungseffekts hätten befürchten müssen, daß es im Juli 1997 durch Kinder erneut zu Steinwürfen kommen könnte. Dafür bestehen im vorliegenden Fall indessen keinerlei Anhaltspunkte. Der Kläger behauptet nicht einmal, daß die beiden Kinder, die den Schaden verursacht haben, die anderen Kinder, die 1995 und 1996 Steine geworfen hatten, hierbei beobachtet hatten. Zudem liegt der letzte Vorfall zeitlich so weit zurück, daß ein Einfluß der Steinwürfe aus dem Jahre 1996 auf das Tatverhalten der beiden Kinder am 8. Juli 1997 ausgeschlossen erscheint.

Entgegen der Auffassung des Klägers hat die Beklagte ihre Verkehrssicherungspflicht nicht dadurch verletzt, daß sie das Nachbargrundstück nicht besonders gegen Steinwürfe geschützt hat.

Um die Steine auf das Fahrzeug des Klägers zu werfen, mußten die beiden Kinder die Steine über eine 1,5 m hohe Mauer werfen. Diese Mauer ist zum Schutz des Nachbargrundstücks ausreichend hoch.

Die Beklagte war aufgrund der Vorfälle von 1991, 1995 und 1996 auch nicht gehalten, oberhalb der Mauer ein Netz zu spannen, um zukünftige Steinwürfe auf das Nachbargrundstück zu unterbinden. Sämtliche Vorfälle in der Vergangenheiten waren Einzelfälle, die in keinem Zusammenhang zueinander gestanden haben können, wie schon der große zeitliche Abstand der jeweiligen Ereignisse indiziert. Von einer Häufung gleichartiger Vorkommnisse, die darauf hindeuten, daß bei den Kindern zeitweise das Werfen von Steinen auf das Nachbargrundstück "in Mode" gekommen war, kann demnach keine Rede sein. Deswegen durfte die Beklagte nach den jeweiligen Ereignissen davon ausgehen, es reiche zur Verhinderung derartiger Vorkommnisse aus, mit den Kindern über das jeweilige Schadensereignis zu sprechen und den Kindern in regelmäßigen Abständen das Werfen mit Steinen nachdrücklich zu untersagen.

Daß es innerhalb von sechs Jahren gleichwohl dreimal zu Steinwürfen auf das Nachbargrundstück gekommen ist, rechtfertigt nicht die Annahme, daß diese von der Beklagten ergriffenen Maßnahmen wirkungslos geblieben sind und deswegen eine weitergehende Sicherungsmaßnahme zum Schutz des Nachbargrundstücks hätte getroffen werden müssen.

Schließlich war die Beklagte aufgrund der Vorfälle von 1991 bis 1996 auch nicht verpflichtet, sämtliche für Kinder wurffähigen Steine vom Kindergartengelände aufzusammeln, denn es stellt einen unzumutbaren Aufwand dar, das Spielgelände eines Kindergartens völlig frei von Steinen zu halten. Darüber hinaus wäre diese Maßnahme ebenfalls nicht geeignet, ein Steinewerfen vollständig zu unterbinden, weil Kinder auch Steine von außerhalb mit in den Kindergarten bringen können.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf 5§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10 und 713 ZPO.

Ein Anlaß, zugunsten des Klägers die Revision zuzulassen, besteht nicht, § 546 Abs. 1 ZPO.

Streitwert des Berufungsverfahrens und Beschwer des Klägers: 3.204,83 DM.

Ende der Entscheidung

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