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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 28.02.2000
Aktenzeichen: 2 Ws 30/00
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 270
Leitsatz

StPO § 270

Die Verweisung einer Sache an ein Gericht höherer Ordnung bindet nicht, wenn sie objektiv willkürlich ist.

Oberlandesgericht Düsseldorf - 2. Strafsenat - Beschluß vom 28. Februar 2000

2 Ws 30/00


2 Ws 30/00 40 Js 539/97 StA Duisburg

OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF

BESCHUSS

In der Strafsache

wegen Urkundenfälschung u.a.

hat der 2. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht S den Richter am Oberlandesgericht B und die Richterin am Oberlandesgericht Dr. R in der Sitzung vom, 28. Februar 2000 auf Vorlage des Amtsgerichts - Schöffengericht Oberhausen zur Herbeiführung einer Entscheidung gemäß §§ 14, 19 StPO nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Das Amtsgericht - Schöffengericht - Oberhausen ist sachlich zuständig.

Gründe:

I.

Im Februar 1999 erhob die Staatsanwaltschaft Duisburg gegen die Angeklagten wegen gemeinschaftlichen versuchten Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung in elf Fällen Anklage vor dem Amtsgericht - Schöffengericht - in Oberhausen. Die mit Beschluß vom 29. Juni 1999 unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage legt den Angeklagten zur Last, gemeinsam elf Überweisungsträger gefälscht und bei Banken eingereicht zu haben in der Absicht, Überweisungsbeträge von insgesamt über 420.000,- DM zu vereinnahmen. In der Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht am 5. Oktober 1999 verweigerte der Angeklagte M ausweislich des Protokolls eine Einlassung zur Sache und beantragte die Vernehmung zweier Zeugen zum Beweis der Tatsache, daß sein umfangreiches Geständnis im Ermittlungsverfahren auf der Basis prozessualer Zusagen erfolgt sei, die die Staatsanwaltschaft nicht eingehalten habe. Das Schöffengericht lehnte den Beweisantrag ab. Nachdem sodann der Angeklagte T im Verlauf seiner Einlassung zur Sache eine Tatbeteiligung eingestanden hatte, wurde die Sache auf Antrag der Staatsanwaltschaft durch einen in der Hauptverhandlung verkündeten Beschluß gemäß § 270 StPO an das Landgericht Duisburg verwiesen. Die 54. Strafkammer des Landgerichts Duisburg beschloß am 1. Dezember 1999 eine Zurückverweisung an das Amtsgericht Oberhausen, das die Sache daraufhin mit Verfügung vom 7. Januar 2000 dem Oberlandesgericht als dem gemeinsamen oberen Gericht zur Bestimmung der Zuständigkeit vorgelegt hat.

II.

1.

Die Vorlage ist gemäß §§ 14, 19 StGB zulässig, denn diese Vorschriften sind nicht nur bei Streitigkeiten über die örtliche Zuständigkeit, sondern - analog - auch bei negativen sachlichen Kompetenzkonflikten anwendbar, die dadurch entstehen, daß ein Gericht niederer Ordnung das Verfahren gemäß § 270 Abs. 1 StPO an ein Gericht höherer Ordnung verwiesen hat, dieses aber den Verweisungsbeschluß für unwirksam hält (hierzu eingehend BGH Beschluß vom 17. März 1999 - 2 BJs 122/98-1 -; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Auflage, § 14 Rn. 2, jeweils m.w.N.).

2.

Für die Durchführung der Hauptverhandlung im hier anhängigen Verfahren ist das Amtsgericht Schöffengericht - Oberhausen sachlich zuständig. Dessen Verweisungsbeschluß vom 5. Oktober 1999 ist, wie das Landgericht Duisburg im Ergebnis zu Recht angenommen hat; objektiv willkürlich und damit unwirksam.

Zwar hat ein Verweisungsbeschluß gemäß § 270 StPO grundsätzlich auch dann bindende Wirkung, wenn er auf einer fehlerhaften Anwendung formellen oder sachlichen Rechts beruht. Diese Bindungswirkung entfällt jedoch nach einhelliger Ansicht, wenn sich die mit der Verweisung getroffene Zuständigkeitsentscheidung so weit vom Gesetz entfernt hat, daß sie offensichtlich unhaltbar, deshalb unverständlich und nicht zu rechtfertigen ist und somit als Akt objektiver Willkür erscheint (vgl. BGHSt 29, 216, 219; BGH Beschluß vom 17. März 1999 - 2 BJs 122/98-1 -; Kleinknecht/Meyer-Goßner, aaO, § 270 Rn. 20). In diesem Zusammenhang ist insbesondere anerkannt, daß eine auf bloßen Vermutungen anhand der Aktenlage beruhende Verweisung wegen unzureichender Strafgewalt grob gesetzwidrig ist und den Angeklagten seinem gesetzlichen Richter entzieht. Eine Verweisung wegen unzureichender Strafgewalt kommt vielmehr nur dann in Betracht, wenn das Gericht durch den Gang der Hauptverhandlung aufgrund der dort zu Gebote stehenden Beweismittel zur hinreichend sicheren Überzeugung gelangt ist, daß der Angeklagte schuldig ist und der dem Gericht zur Verfügung stehende Strafbann zur angemessenen Ahndung der Straftat nicht ausreicht (OLG Düsseldorf NStZ 86, 426f.; OLG Frankfurt/M. StV 96, 533f.; OLG Karlsruhe Justiz 88, 74f. und NStZ 90, 100f.; LG Berlin StV 96, 16f.).

Der Verweisungsbeschluß vom 5. Oktober 1999 genügt den diesbezüglichen Anforderungen nicht und ist im oben genannten Sinne objektiv willkürlich, denn das Schöffengericht hat den Sachverhalt in der Hauptverhandlung, hinsichtlich der tat- und täterrelevanten Umstände nicht in einer Weise aufgeklärt, die seine Entscheidung zur Überschreitung der eigenen Strafgewalt nachvollziehbar erscheinen ließe.

a) Zu der im Verweisungsbeschluß inzident zum Ausdruck gekommenen Überzeugung vom Umfang der Tatschuld beider Angeklagten ist das Schöffengericht ersichtlich in unzulässiger Weise aufgrund bloßer Vermutungen anhand der Aktenlage gelangt. Das Protokoll der Hauptverhandlung läßt nicht ersehen, daß der Angeklagte der anläßlich seiner Einlassung zur Sache die eigene Beteiligung an "den Betrügereien" im allgemeinen eingestanden hatte, zu den Anklagevorwürfen im einzelnen befragt worden war oder daß das Gericht vor Erlaß des Verweisungsbeschlusses auf andere Weise Einzelfeststellungen zum Hergang der Taten und zur Höhe des angestrebten Schadens getroffen hatte.

b) Hinsichtlich etwaiger persönlicher Strafzumessungstatsachen hat das Schöffengericht in der Hauptverhandlung gleichfalls keine Feststellungen getroffen, die eine auch nur vorläufige Beurteilung der Straferwartung auf gesicherter Tatsachengrundlage ermöglichten.

So läßt im Hinblick auf den Angeklagten T bereits der Verweisungsbeschluß selbst jegliche Begründung dafür vermissen, daß das Schöffengericht - entgegen der noch im Eröffnungsbeschluß zum Ausdruck gekommenen Ansicht - seine Strafgewalt nicht mehr für ausreichend hielt, obwohl gerade bezüglich dieses Angeklagten im Verlauf der Hauptverhandlung angesichts seiner grundsätzlich geständigen Haltung eher strafmildernde Gesichtspunkte zutage getreten waren.

Auch den im Verweisungsbeschluß angestellten Strafzumessungserwägungen bezüglich der Person des Angeklagten M liegt keine ausreichende Aufklärung des Sachverhalts in der Hauptverhandlung zugrunde. Die maßgebliche Bedeutung, die der Verweisungsbeschluß dem "Wegfall des Geständnisses" bei, der Beurteilung der Straferwartung dieses Angeklagten beimißt, ist angesichts des protokollierten Verlaufs der Hauptverhandlung nicht nachvollziehbar begründet. Das Schöffengericht konnte bei seiner Entscheidung gemäß § 270 StPO das Aussageverhalten des Angeklagten M in seiner Bedeutung für die Strafzumessung noch gar nicht hinreichend zuverlässig würdigen, denn es hatte noch nicht geklärt; inwiefern das Ermittlungsverfahren im Vorfeld der Hauptverhandlung durch geständige Angaben des Angeklagten überhaupt gefördert worden war und ob der Angeklagte hierbei im Vertrauen auf prozessuale Zusagen der Staatsanwaltschaft gehandelt hatte, deren Nichteinhaltung nach höchstrichterlicher - Rechtsprechung unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen den Grundsatz fairer Verfahrensführung von wesentlicher Bedeutung für die Strafzumessung sein kann (vgl. hierzu BGHSt 37, 10). Die Annahme des Schöffengerichts, der Angeklagte M habe die hier zur Rede stehenden Taten "nach der Anklageschrift" rund drei Monate nach erfolgter Entlassung aus der Untersuchungshaft in anderer Sache begangen, beruht ersichtlich auf bloßen Vermutungen anhand der Aktenlage und nicht auf in der Hauptverhandlung getroffenen Feststellungen. Die ausweislich des Protokolls in der Hauptverhandlung erfolgte Klärung der Vorstrafen des Angeklagten M bildete für sich allein keine ausreichend zuverlässige Grundlage für eine Beurteilung seiner Straferwartung.

Da den die Verweisung wegen unzureichender Strafgewalt tragenden Erwägungen des Schöffengerichts nach alledem keine ausreichende Klärung des Sachverhalts in der Hauptverhandlung zugrunde lag, konnte der Beschluß gemäß § 270 StPO im vorliegenden Fall ausnahmsweise keine Bindungswirkung entfalten mit der Folge, einer nach wie vor beim Amtsgericht - Schöffengericht - Oberhausen verbliebenen sachlichen Zuständigkeit.

Ende der Entscheidung

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