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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 30.05.2000
Aktenzeichen: 20 U 9/00
Rechtsgebiete: UWG, HGB, ZPO


Vorschriften:

UWG § 3
HGB § 128
ZPO § 97 Abs. 1
Leitsatz:

Dringlichkeit gegenüber Geschäftsführer

Die Vermutung der Dringlichkeit eines Vorgehens nicht nur gegen die wettbewerbswidrig handelnde Gesellschaft selbst, sondern auch gegen ihre Vertreter ist nicht schon deshalb widerlegt, weil zunächst nur die Gesellschaft gerichtlich in Anspruch genommen worden ist, und gegen die Vertretr erst später, aber noch in angemessener Frist, einselbständiges Eilverfahren eingeleitet wird.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

20 U 9/00 34 O 155/99 Q LG Düsseldorf

Verkündet am 30. Mai 2000

Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In dem Verfahren auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung

hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 9. Mai 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Berneke sowie die Richter am Oberlandesgericht Dr. Schmidt und Winterscheidt

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Antragsgegners gegen das Urteil der 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Düsseldorf vom 29. November 1999 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten der Berufung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Sie ist entgegen der Berufungserwiderung nicht deshalb unzulässig, weil die Berufungsbegründung des Antragsgegners sich zu dem eigentlichen Streitgegenstand (irreführende Werbung) gar nicht mehr äußert. Das hat lediglich zur Folge, daß sich der Senat insoweit auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils beziehen kann (vgl. BGH NJW 98, 1150, 1151 f. - Dr. St. Nachf.). Für eine zulässige Berufung dagegen ist es nicht erforderlich, daß der Berufungskläger zu allen für ihn nachteilig beurteilten Streitpunkten Stellung nimmt. Die Berufung ist insgesamt zulässig, wenn sie zu einem den gesamten Streitgegenstand betreffenden Punkt eine zulässige Begründung enthält, und eröffnet dann uneingeschränkt die sachliche und rechtliche Prüfung des Klageanspruchs (Thomas/Putzo, ZPO, 22. Auf., § 519, Rdnr. 29). Vorliegend hat die Berufungsbegründung die Dringlichkeit in Frage gestellt und Rechtsmißbrauch behauptet, weil die Antragstellerin zunächst am 30. August 1999 eine einstweilige Verfügung gegen die A GmbH & Co. KG erwirkt hat, und sodann am 21. September 1999 wegen einer wortgleichen Anzeige in einer anderen Zeitschrift eine gleichlautende einstweilige Verfügung gegen die A GmbH und den Antragsgegner als deren Geschäftsführer.

In der Sache kann der Antragsgegner damit jedoch keinen Erfolg haben. Die einstweilige Verfügung, durch die dem Antragsgegner die Werbung verboten wurde,

"Sie zahlen zusätzlich nur supergünstige 3,9 Pf. pro Min. und 6 Pf. pro Verbindungsaufbau rund um die Uhr inkl. Telefongebühren! Das ist bis zu 46 % billiger als der Ortstarif der D insbesondere, wenn dies erfolgt wie in der nachfolgend wiedergegebenen Anzeige im FOCUS Nr. 38 vom 20.09.1999, ist auch nach dem Berufungsvortrag des Antragsgegners zu Recht bestätigt worden.

Die Dringlichkeitsvermutung (§ 25 UWG) ist nicht widerlegt. Obwohl die Antragstellerin schon am 30. August 1999 den Erlaß einer einstweiligen Verfügung gegen die KG beantragt hatte, durfte sie noch am 20. September 1999 gegen deren persönlich haftende Gesellschafterin bzw. deren Geschäftsführer im Wege der einstweiligen Verfügung vorgehen. Zwar konnte eine im entscheidenden Wortlaut identische Anzeige in einer anderen Zeitschrift eine verloren gegangene Dringlichkeit nicht neu begründen. Das war aber auch nicht nötig, weil die Frist, die in der Rechtsprechung des Senats einem Antragsteller für seine Entschließung zugebilligt wird, noch nicht abgelaufen war. Nach dieser Rechtsprechung darf die Zeitspanne zwischen der Erlangung der Kenntnis von der Person des Verletzers und den maßgeblichen Umständen der Verletzungshandlung bis zur Einreichung des Verfügungsantrags in der Regel zwei Monate betragen, soll diese Dauer aber auch nicht überschreiten (vgl. Senat NJWE-Wettbewerbsrecht 99, 15). Hier hat sich die Antragstellerin nach Einreichung des Verfügungsantrages gegen die KG am 30. August 1999 - zu diesem Zeitpunkt war die maßgebende Kenntnis vorhanden - bis zu dem Vorgehen gegen die GmbH und deren Geschäftsführer etwa drei Wochen Zeit gelassen. Dieses Zögern ist auch unter den vorliegenden Umständen nicht geeignet, die Dringlichkeitsvermutung zu widerlegen.

Der Senat hält es nicht für richtig, ein vorwerfbares Zögern schon darin zu sehen, daß die Verfügungen gegen die GmbH und deren Geschäftsführer nicht ebenfalls schon am 30. August 1999 beantragt wurden. Die Antragstellerin konnte vielmehr zunächst davon ausgehen, daß ein Vorgehen allein gegen die KG zur Unterbindung der angegriffenen Werbung genügen würde. Denn ein Titel gegen den Verletzer reicht im allgemeinen aus, um die Wettbewerbsverstöße zu unterbinden. Ein Antragsteller sollte deshalb nicht gezwungen sein, sofort auch gegen die gesetzlichen Vertreter des Verletzers vorzugehen, weil anderenfalls dafür die Dringlichkeit verloren geht. Vielmehr ist dem Gläubiger auch insoweit eine gewisse Überlegungsfrist zuzubilligen, deren Ablauf noch nicht darauf hindeutet, daß ihm die Sache so eilig nicht ist. Wer zunächst in prozeßökonomischer Weise nur die KG in Anspruch genommen hat, kann innerhalb einer bestimmten Zeitspanne danach auch noch Verfügungsanträge gegen deren persönlich haftende Gesellschafterin und deren Geschäftsführer anbringen, wenn er dies nachträglich für notwendig hält. Das Vorgehen gegen nur einen der Schuldner steht insoweit einer (zunächst) unvollständigen Geltendmachung des Wettbewerbsverstoßes selbst nicht gleich. KG, persönlich haftende Gesellschafterin und deren Geschäftsführer sind jeweils selbständige Unterlassungsschuldner, die ganz unabhängig voneinander in Anspruch genommen werden können. Bezeichnenderweise wird aber in Fällen wie hier sogar eine Ausnahme zugunsten des Antragstellers gemacht, der den Wettbewerbsverstoß selbst nicht sofort umfassend angegriffen hat. Die Dringlichkeit entfällt nicht, wenn zwischen beiden Anträgen nur ein kurzer Zeitraum liegt, und der zweite Antrag die Reaktion auf das zwischenzeitliche Verhalten des Antragsgegners ist (Berneke, Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, Rdnr. 84).

Allerdings liegt auf der Hand, daß diese Fälle zu den Einzelfällen gehören, in denen die "normale" Zwei-Monats-Frist nicht ausgeschöpft werden darf (vgl. Senat a.a.O.); insoweit wirkt sich die Verbundenheit der Schuldner untereinander aus. Ein Zuwarten von etwa drei Wochen - wie hier - kann aber jedenfalls noch nicht als dringlichkeitsschädlich angesehen werden. Insbesondere konnte die Antragstellerin die massiven Verstöße der KG gegen die einstweilige Verfügung vom 30. August 1999, die in die Zeit bis zum 20. September 1999 fallen und in dem Verfahren 34 O 139/99 LG Düsseldorf = 20 W 8/00 OLG Düsseldorf Gegenstand von Ordnungsmittelanträgen sind, zum Anlaß nehmen, nunmehr auch einstweilige Verfügungen gegen die GmbH und deren Geschäftsführer zu beantragen.

Erst recht kann von einem Rechtsmißbrauch (vgl. § 13 Abs. 5 UWG) nicht die Rede sein. Der Senat hat bereits in einem von den Parteien mehrfach zitierten Urteil (NJWE-Wettbewerbsrecht 97, 245) ausgesprochen, daß der Verletzte nach seinem Belieben vorgehen kann gegen wen (gegebenenfalls auch in welcher Reihenfolge) er will; das gilt vor allem für eine Inanspruchnahme des Geschäftsführers einer GmbH als Handelnder (von Gamm, UWG, 3. Aufl., § 1, Rdnr. 286). Demgemäß ist es auch in Wettbewerbsprozessen an der Tagesordnung, daß sowohl gegen ein Handelsunternehmen als auch gegen dessen gesetzlichen Vertreter vorgegangen wird; der gesetzliche Vertreter kann auch nachträglich in Anspruch genommen werden (Pastor/Ahrens/Jestaedt, Der Wettbewerbsprozeß, 4. Aufl., Kap. 26, Rdnr. 32). Demgemäß haften vorliegend die KG wegen wettbewerblicher Irreführung nach § 3 UWG, die GmbH als persönlich haftende Gesellschafterin nach § 128 HGB (vgl. Pastor/Ahrens/Jestaedt a.a.O., Kap. 26, Rdnr. 33-35) und der Antragsgegner als Geschäftsführer dieser GmbH als Handelnder oder als Störer, je nach dem, ob er den Wettbewerbsverstoß durch seine Anweisung veranlaßt oder in Kenntnis der Umstände notwendige Anweisungen unterlassen hat (vgl. Pastor/Ahrens/Jestaedt a.a.O., Kap. 26, Rdnr. 18; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, 7. Aufl., Kap. 14, Rdnr. 23). Diese schon in der Antragsschrift behauptete Verantwortlichkeit des Antragsgegners ist nie bestritten worden.

Schließlich zeigt gerade der vorliegende Fall, daß die nachträgliche Inanspruchnahme eines persönlich haftenden Gesellschafters oder eines Geschäftsführers auch im Wege der einstweiligen Verfügung nicht unangemessen erschwert werden sollte. Die Berufungsbegründung trägt vor, es bestehe kein Bedürfnis für die Androhung weiterer Ordnungsmittel gegen die GmbH und den Antragsgegner, weil ein Verstoß gegen den Unterlassungstitel im Verfahren gegen die KG (34 O 139/99 LG Düsseldorf = 20 U 17/00 OLG Düsseldorf) im Rahmen der Zwangsvollstreckung durch die Verhängung angemessener Ordnungsgelder gegen die KG ausreichend geahndet werden könne. Nun sind aber in jenem gleichzeitig vor dem Senat verhandelten Verfahren eine Unterlassungserklärung und übereinstimmende Erledigungserklärungen abgegeben worden, wodurch der dortige Titel entfallen ist (vgl. dazu die Ausführungen des Senats in dem gleichzeitig mit diesem Urteil verkündeten Urteil im Parallelverfahren 20 U 10/00). Das hat die KG in jenem Verfahren dazu veranlaßt, eine Aufhebung der gegen sie ergangenen Ordnungsmittelbeschlüsse des Landgerichts mit der Begründung zu verlangen, daß der weggefallene Titel keine Basis für eine Bestrafung der Schuldnerin mehr bieten könne. Im vorliegenden Verfahren dagegen ist eine Unterlassungserklärung nicht abgegeben worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Das Urteil ist rechtskräftig (§§ 595 Abs. 2, 709 Abs. 1 ZPO).

Berufungsstreitwert: 100.000 DM.

Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß der Wert des Verfahrens gegen einen gesetzlichen Vertreter nur mit einem Bruchteil des Streitwertes zu bemessen ist, der dem Verfahren gegen das Handelsunternehmen selbst zukommt. Das muß gerade dann gelten, wenn der gesetzliche Vertreter nicht gleichzeitig, sondern erst nachträglich in einem besonderen Verfahren in Anspruch genommen wird.

Ende der Entscheidung

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