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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 22.10.1999
Aktenzeichen: 22 U 73/99
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823
§ 823 BGB

Wenn während eines Fußballspiels ein Spieler beim Kampf um den Ball einem gegnerischen Spieler, der dadurch einen Beinbruch erleidet, von der Seite in die Beine grätscht, verstößt er mit diesem sogenannten Tackling gegen die Regel 12 des Deutschen Fußballbundes und handelt damit rechtswidrig; ihm ist aber bei einem solchen geringen Regelverstoß kein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen, wenn in der konkreten Spielsituation ein die Gefahr vermeidendes Verhalten nicht zumutbar war.

Beide Parteien spielten in C-Juniorenmannschaften Fußball, der am 12. 10. 1983 geborene Kl bei TuS B und der am 17. 12. 1984 geborene Bekl bei Viktoria B. In einem Punktespiel beider Vereine am 25. 4. 1998 kam es zum Zusammenstoß zwischen den Parteien, bei dem der Kl verletzt wurde. Er zog sich eine offene Unterschenkelfraktur rechts zu, die stationär und operativ behandelt werden mußte. Der Kl behauptet, der Bekl sei ihm vorsätzlich von der Seite in die Beine gesprungen, obwohl er offensichtlich keine Chance mehr gehabt habe, den Ball zu spielen. Der Bekl macht geltend, er habe versucht, an den vom Kl geführten Ball zu kommen, und den Kl dabei aus Versehen knapp oberhalb des Knöchels getroffen. Mit der Klage fordert der Kl die Zahlung eines Schmerzensgeldes von mindestens 10.000 DM und die Erstattung von Fahrtkosten. Das LG hat die Klage abgewiesen.

OLG Düsseldorf Urteil 22.10.1999 - 22 U 73/99 - 1 O 285/98 LG Duisburg


hat der 22. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 17. 09. 1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Weyer, den Richter am Oberlandesgericht Muckel und den Richter am Landgericht Galle für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg vom 24. 3. 1999 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Berufung ist unbegründet. Der Kläger hat gegen den Beklagten wegen der am 25. 4. 1998 während des Punktespiels der C-Junioren des TuS B. gegen Viktoria B. erlittenen Verletzungen keine Ansprüche aus unerlaubter Handlung nach §§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB. Der Kläger hat nicht bewiesen, daß der Beklagte ihn vorsätzlich oder fahrlässig (§ 276 BGB) verletzt hat.

Der Beklagte hat unstreitig gegen den Unterschenkel des Klägers getreten, wodurch der Kläger einen Bruch des Schien- und Wadenbeinknochens erlitt. Die Verletzungshandlung war auch rechtswidrig. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bestimmt sich die Rechtswidrigkeit von Verletzungen, die ein Teilnehmer während eines Fußballspiels erleidet, maßgeblich nach den Sportregeln, nach denen die Sportmannschaften angetreten sind (BGH NJW 1975, 109 (111)), vorliegend also den Fußballregeln des Deutschen Fußballbundes. Der Beklagte hat eingeräumt, daß er gegen Nr. 12 der Fußballregeln aus der Spielzeit 1998/1999 (die unstreitig auch für die hier in Rede stehende Spielzeit galten) verstoßen hat.

Es ist aber nicht feststellbar, daß der Beklagte schuldhaft gehandelt hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs spricht nicht jede Verletzung einer dem Schutz des Spielers dienenden Fußballregel dafür, daß der Spieler fahrlässig im Sinne des § 276 BGB gehandelt hat. Liegt nur ein geringfügiger Regelverstoß im Grenzbereich zwischen erlaubter Härte und Unfairneß vor, ist weiter zu prüfen, ob in der konkreten Spielsituation ein die Gefahr vermeidendes Verhalten zuzumuten war (BGH NJW 1976, 957 (958), NJW 1976, 2161 (2162)). Das Oberlandesgericht Hamm hat zu einer vergleichbaren Fallkonstellation (Grätsche) ausgeführt, ein Verschulden im Sinne von § 276 BGB sei regelmäßig zu verneinen, wenn das Grätschen in die Beine des Gegners von dem subjektiven Bemühen getragen sei, den Ball zu erreichen und die objektive Möglichkeit hierzu nicht offensichtlich ausgeschlossen sei (S. 5/6 des Urteils v. 1. 10. 1996, Aktenzeichen 9 U 122/96). Der Senat schließt sich dieser Beurteilung an.

Hiernach trifft den Beklagten kein Fahrlässigkeitsvorwurf, wenn er - wie von ihm behauptet - beim Kampf um den Ball von der Seite in die Beine des Klägers gegrätscht ist (S. 3, 7 der Berufungserwiderung = Bl. 118, 122 GA). Ein derartiger Angriff ist zwar nach der Regel 12 (Berühren des Gegners vor dem Ball beim Tackling im Kampf um den Ball) als unsportliches Verhalten und verbotenes Spiel anzusehen. Es handelt es sich aber nur um einen geringfügigen Regelverstoß, wie ein Vergleich der Regel 12 mit Ziff. 3 der Anweisungen des DFB (Bl. 108 GA rechte Blatthälfte: Tackling von hinten mit Gefährdung des Gegners) zeigt. Bei einem Verstoß gegen Regel 12 wird der gegnerischen Mannschaft lediglich ein Freistoß zugesprochen, während das Tackling von hinten mit Gefährdung des Gegners den Feldverweis zur Konsequenz hat. Ein die Gefahr vermeidendes Verhalten war dem Beklagten in der konkreten Spielsituation auch nicht zuzumuten. Die Hektik und Eigenart eines Fußballspiels zwingt die Spieler, oft in Sekundenbruchteilen Chancen abzuwägen und Risiken einzugehen. Das Spiel stellt hohe Anforderungen an ihre Kraft, Schnelligkeit und Geschicklichkeit. Der Vorfall geschah gegen Ende der 2. Halbzeit. Gegen Ende eines Fußballspiels lassen die physischen und psychischen Kräfte der Beteiligten erfahrungsgemäß stark nach, zumal wenn es sich - wie vorliegend - um Spieler einer Jugendmannschaft im Alter zwischen 13 und 14 Jahren handelte. Hinzukam, daß es regnete, was den Spielern zusätzliche Kräfte abverlangte und besonders hohe Anforderungen an die Körperbeherrschung und die spielerische Geschicklichkeit stellte.

Ein Verschulden wäre hingegen gegeben, wenn der Beklagte - wie vom Kläger behauptet - von hinten gegen den Kläger getreten hätte, obwohl der Ball für den Beklagten unerreichbar war. Der Kläger hat indes den ihm obliegenden Beweis (vgl. BGH NJW 1975, 109 (111)) für den von ihm behaupteten Hergang nicht erbracht:

Die Zeugen W. (Trainer der Mannschaft TuS B.) und N. (Betreuer der Mannschaft TuS B.) haben zwar übereinstimmend angegeben, der Beklagte habe den Kläger von hinten angesprungen, als dieser nicht mehr im Ballbesitz gewesen sei (S. 2, 4/5 d. Prot. v. 24. 2. 99 = Bl. 58, 60/61 GA). Die Beweiskraft der Aussage des Zeugen W. wird aber schon dadurch abgeschwächt, daß er im Schreiben vom 4. 5. 1998 (Bl. 10 GA) ausgeführt hat, der Beklagte sei von der Seite in die Beine des Klägers gegrätscht. Die Angriffsrichtung hat für die Bewertung des Sachverhalts eine große Bedeutung, da - wie bereits dargelegt - ein den Gegner gefährdendes Tackling von hinten mit einem Platzverweis zu ahnden ist. Die Widersprüchlichkeit der Aussage des Zeugen W. in diesem wichtigen Punkt läßt auch im übrigen Zweifel an der Richtigkeit seiner Bekundungen aufkommen.

Die Aussagen der Zeugen W. und N. werden zudem durch die im wesentlichen übereinstimmenden Angaben der Zeuginnen H. und B. (beides Mütter von Spielern der Mannschaft Viktoria B.) entkräftet. Die Zeugin H. gab an, beide Spieler hätten versucht, gegen den zwischen ihnen liegenden Ball zu treten; offenbar wegen der Wucht des Anpralles sei der Beklagte gestürzt, wobei es laut geknackt habe (S. 10 d. Prot. v. 24. 2. 99 = Bl. 66 GA). Die Zeugin B. führte aus, beide Spieler hätten gleichzeitig gegen den Ball getreten; in diesem Augenblick habe sie ein Knackgeräusch gehört, beide seien zu Boden gegangen (S. 12 d. Prot. v. 24. 2. 99 = Bl. 68 GA). Hiernach ist ein fahrlässiges Verhalten des Beklagten nicht gegeben, da dieser in dem - objektiv erfolgversprechenden - Bestreben, den Ball zu erreichen, handelte.

Die Einwendungen des Klägers gegen die Aussagen der Zeuginnen H. und B. sind unzutreffend. Die Wahrnehmungsmöglichkeit der Zeugin H. war nicht dadurch beeinträchtigt, daß sie unter einem Regenschirm stand. Üblicherweise hält man einen Schirm über den Kopf und nicht vor das Gesicht. Die Zeugin H. hat das nicht anders gemacht, da sie bekundete, das Spiel aufmerksam verfolgt zu haben (S. 10 d. Prot. v. 24. 2. 99 = Bl. 66 GA). Die Überzeugungskraft ihrer Aussage wird nicht dadurch eingeschränkt, daß sie im Widerspruch zu der Aussage des Zeugen D. angegeben hat, dieser habe schräg hinter ihr gestanden. Die Zeugin hat angegeben, sich in diesem Punkt möglicherweise geirrt zu haben (S. 11 d. Prot. v. 24. 2. 99 = Bl. 67 GA). Der Irrtum entwertet ihre Aussage zu dem hier in Rede stehenden Vorfall nicht, da ihre Aufmerksamkeit dem Spiel und nicht dem Standort des Zeugen D. galt. Ohne Bedeutung ist es, daß die Zeugin die vom Richter diktierte Aussage korrigiert hat. Das ist bei der Schilderung komplexer Geschehen nichts ungewöhnliches und spricht für das Bemühen der Zeugin um eine möglichst präzise Darstellung des Hergangs. Ohne Belang ist auch der Umstand, daß die Zeuginnen H. und B. im Widerspruch zu dem Sachvortrag beider Parteien geäußert haben, nicht ein Tritt gegen das Bein des Klägers, sondern der Anprall des Balles sei ursächlich für den Bruch gewesen. Durch den Zusatz "offenbar" (S. 10 d. Prot. v. 24. 2. 99 = Bl. 66 GA) hat die Zeugin H. klargestellt, daß es sich insoweit um keine Wahrnehmung, sondern um eine Schlußfolgerung aus dem Gesehenen (Versuch beider Spieler, an den Ball zu kommen) und Gehörten (Knacken) handelte. Auch die Zeugin B. hat das durch die Einschränkung "Ich habe das so empfunden" (S. 12 d. Prot. v. 24. 2. 99 = Bl. 68 GA) deutlich gemacht. Die Unsicherheit der Zeuginnen in diesem Punkt schwächt die Überzeugungskraft ihrer sonstigen Angaben zum Kerngeschehen nicht ab. Da sich beide Spieler nach ihren Aussagen unmittelbar am Ball befanden und der Vorgang sehr schnell ablief, es ist durchaus plausibel, daß die Zeuginnen zwar gesehen haben, wie die beiden Spieler auf den Ball zuliefen und in die Richtung des Balls traten, aber nicht erkennen konnten, ob die Spieler gleichzeitig gegen den Ball traten (sog. Presschlag) oder der Tritt des Beklagten das Bein des Klägers traf.

Schließlich läßt der Umstand, daß der Beklagte nach dem Vorfall gegrinst hat, nicht den Rückschluß auf schuldhaftes Verhalten zu. Dieses Verhalten war zwar nicht situationsadäquat. Das allein rechtfertigt aber nicht die Annahme, das Grinsen habe seine Zufriedenheit, nicht den Ball, sondern den Gegner getroffen zu haben, widergespiegelt. So ist es etwa denkbar, daß er seine Freude, den Kampf um den Ball gewonnen zu haben, zum Ausdruck gebracht und dabei die Schwere der Verletzung des Klägers verkannt hat.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Für die Zulassung der Revision besteht kein gesetzlich begründeter Anlaß (§ 546 Abs. 1 ZPO).

Streitwert für die Berufungsinstanz und Beschwer des Klägers: 10.213,20 DM.

Ende der Entscheidung

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