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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 03.12.2002
Aktenzeichen: 2a Ss 299/02 - 93/02 II
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 203
StPO § 344 Abs. 2 Satz 2
StPO § 418 Abs. 1
StPO § 419 Abs. 3
Hat der Tatrichter unter (möglicher) Verkennung der kurzen Frist des § 418 Abs. 1 StPO im beschleunigten Verfahren verhandelt, so stellt der fehlende Eröffnungsbeschluss kein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis dar. Einen solchen Mangel hat das Revisionsgericht nur auf eine ordnungsgemäß erhobene Verfahrensrüge zu berücksichtigen (Aufgabe der früheren Senatsrechtsprechung, NStZ 1997, 613).
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

2a Ss 299/02 - 93/02 II StA Duisburg

In der Strafsache

gegen pp.,

wegen Diebstahls

hat der 2. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht S., den Richter am Oberlandesgericht B. und die Richterin am Oberlandesgericht R.-H. am 3. Dezember 2002 auf die Revision der Angeklagten gegen das Urteil der 6. kleinen Strafkammer des Landgerichts Duisburg vom 23. August 2002 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und der Beschwerdeführerin einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Die Staatsanwaltschaft hat der Angeklagten mit Schrift vom 25. Januar 2002 zur Last gelegt, am 23. November 2001 einen Diebstahl begangen zu haben und zugleich beantragt, im beschleunigten Verfahren (§ 417 StPO) zu entscheiden. Die Akten mit dieser Schrift gingen am 7. Februar 2002 bei dem Amtsgericht ein, das daraufhin mit Verfügung vom 1. März 2002 Termin zur Hauptverhandlung auf den 22. März 2002 anberaumte. An diesem Tag verurteilte das Amtsgericht die Angeklagte wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten, ohne zuvor über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden zu haben. Gegen das Urteil legte die Angeklagte fristgerecht Berufung ein. In der Berufungshauptverhandlung erklärten die Angeklagte und ihr Verteidiger übereinstimmend, ein jeder für sich: "Ich beschränke die Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch und hier insbesondere auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung." Die Staatsanwaltschaft stimmte der Berufungsbeschränkung zu. Durch das angefochtene Urteil verwarf das Landgericht die Berufung der Angeklagten als unbegründet. Die hiergegen gerichtete Revision der Angeklagten, die die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat Erfolg.

II.

1.

Es kann dahinstehen, ob das Amtsgericht die Hauptverhandlung entsprechend der für das beschleunigte Verfahren geltenden Prozessvoraussetzung des § 418 Abs. 1 StPO "in kurzer Frist" durchgeführt hat. Denn mangels Erhebung einer entsprechenden Verfahrensrüge ist dem Senat die diesbezügliche Prüfung verwehrt.

a)

Das vorliegende Strafverfahren war womöglich objektiv nicht mehr für eine Aburteilung im beschleunigten Verfahren geeignet, weil zwischen Antragstellung und Entscheidung etwa sechs Wochen vergangen sind.

Zur zeitlichen Obergrenze des beschleunigten Verfahrens besteht keine einheitliche Ansicht in Rechtsprechung und Literatur. Ob zur Wahrung der Frist die Durchführung der Hauptverhandlung in erheblich kürzerer Zeit als im Normalverfahren ausreicht (so Senatsbeschluss NStZ 1997, 613; ähnlich auch OLG Düsseldorf (3. Strafsenat) StV 1999, 202 "Beurteilungsspielraum") oder ob die Terminierung binnen einer Zeitspanne von höchstens zwei Wochen zwingend erforderlich ist und um keinen Tag überschritten werden darf (so Gössel in Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 418 Rn 18), ist bislang nicht eindeutig geklärt. Die herrschende Meinung sieht eine Frist in Übereinstimmung mit den gesetzgeberischen Vorstellungen (BT-DR. 12/6853, S. 36) nur dann als kurz an, wenn diese zwei Wochen nicht wesentlich überschreitet (OLG Stuttgart StV 1998, 479 und NStZ 1999, 268; Tolksdorf in Karlsruher Kommentar, StPO, 4. Aufl., § 418 Rn. 5; Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 418 Rn. 5; Metzger in KMR, StPO, § 418 Rn. 15: 1 Monat").

b)

Die Nichteinhaltung der kurzen Frist des § 418 Abs. 1 StPO zur Durchführung der Hauptverhandlung stellt zwar nach allgemeiner Ansicht einen Verfahrensmangel dar. Dieser ist aber nur auf eine den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechende Rüge zu berücksichtigen und begründet kein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis (vgl. BayObLG StV 2000, 302, OLG Stuttgart StV 1998, 479 f; HansOLG Hamburg NStZ 2000, 1007 f und NStZ-RR 2001, 206 f).

Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass kein Eröffnungsbeschluss nach § 203 StPO erlassen wurde. Regelmäßig hat zwar das Revisionsgericht auf eine zulässige Revision auch ohne Erhebung der Verfahrensrüge das Vorliegen von Verfahrenshindernissen - zu denen auch der fehlende Eröffnungsbeschluss zu rechnen ist - von Amts wegen zu prüfen. Das beschleunigte Verfahren kennt indessen keinen Eröffnungsbeschluss, so dass in dieser Verfahrensart ein derartiger Beschluss auch nicht Prozessvoraussetzung ist. Wie sich aus dem Verfahrensablauf ergibt hat das Amtsgericht offensichtlich im beschleunigten Verfahren verhandeln wollen und aus diesem Grunde keinen Anlass für einen Eröffnungs- oder Ablehnungsbeschluss gemäß § 419 Abs. 3 StPO gesehen. Es mag sich dabei über die bislang noch nicht zuverlässig festgelegten Fristen des § 418 StPO geirrt haben. Dies begründet jedoch kein von Amts wegen beachtliches Verfahrenshindernis. An seiner abweichenden Ansicht im Beschluss vom 10. April 1997 (NStZ 1997, 613) hält der Senat nicht mehr fest.

Selbst schwerwiegende Verfahrensmängel berechtigen in der Regel nur zur Urteilsanfechtung und führen lediglich dann zur Urteilsaufhebung, wenn die Entscheidung auf dem Mangel beruht (§ 337 StPO). Zu von Amts wegen zu beachtenden Prozesshindernissen werden sie nur, wenn sie nach dem gesetzgeberischen Willen so gravierend sind, dass von ihrem Fehlen die Zulässigkeit des Verfahrens im Ganzen abhängig ist (vgl. BGHSt 36, 294, 295; 41 72, 75). In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist die Tendenz festzustellen, den bereits seit längerem anerkannten Prozesshindernissen (siehe Auflistung bei Meyer-Goßner, a.a.O., Einl. 145) keine weiteren hinzuzufügen (BGHSt 15, 287: Unentschuldigtes Fernbleiben des Angeklagten zu Beginn der Berufungshauptverhandlung; BGHSt 26, 84: Vorschriftswidrige Abwesenheit des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung; BGHSt 33, 183: Fehlerhafte Zustellung des ersten Urteils). Der in der Fristüberschreitung des § 418 StPO liegende Mangel wiegt nicht so schwer wie ein fehlender Eröffnungsbeschluss im Regelstrafverfahren. Dies folgt schon daraus, dass der Begriff der "kurzen Frist" interpretationsfähig ist. In Anbetracht der weitreichenden Folgen eines Verfahrenshindernisses müssen jedoch die ihm zugrundeliegenden Tatsachen klar bestimmbar sein (HansOLG Hamburg NStZ 1999, 266, 267). Zudem hat das Gericht die im Normalstrafverfahren anlässlich der Eröffnung zu beurteilende Frage des hinreichenden Tatverdachts im Rahmen der Geeignetheitskontrolle geprüft und - wie durch die Terminierung ersichtlich - bejaht. Stellt sich im nachhinein die Ungeeignetheit der Strafsache zur Aburteilung im beschleunigten Verfahren heraus, so kann eine Entscheidung im beschleunigten Verfahren auch noch in der Hauptverhandlung bis zur Urteilsverkündung abgelehnt (§ 419 Abs. 2 StPO) und die Sache ohne vorherige Rückgabe an die Staatsanwaltschaft in das normale Verfahren übergeleitet werden (§ 419 Abs. 3 S. 1 StPO).

2.

Das angefochtene Urteil war jedoch aufzuheben, da jegliche Feststellungen zur Strafhöhe fehlen.

Der Schuldspruch des erstinstanzlichen Urteils ist infolge der durch die Angeklagte als Berufungsführerin wirksam erklärten Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch in Rechtskraft erwachsen. Er war damit bereits einer Nachprüfung durch das Landgericht entzogen.

Die von der Strafkammer angenommene weitere Beschränkung der Berufung auf den Ausspruch über die Bewilligung der Strafaussetzung zur Bewährung entfaltet dagegen keine Wirkung. Zum einen ist auf der Grundlage des Hauptverhandlungsprotokolls bereits zweifelhaft, ob eine derartige Beschränkung erklärt worden ist. Der Umstand, dass die Angeklagte die Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch und hier "insbesondere" auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung beschränkt hat, rechtfertigt die Annahme des Landgerichts nicht. Zum anderen ist im vorliegenden Fall eine gesonderte Anfechtung der Strafaussetzungsentscheidung auch nicht möglich gewesen. Die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung kann nur dann gesondert angefochten werden, wenn sich die dafür maßgeblichen Erwägungen von denen der Strafzumessung trennen lassen (BGH NStZ 1994, 449, NStZ 1992, 285, 286, Senatsurteil vom 22. März 2002 - 2a Ss 20/02 - 18/02 II). Besteht eine untrennbare Wechselwirkung oder enge Verzahnung zwischen den einzelnen Entscheidungen des Rechtsfolgenausspruchs, kann eine Beschränkung des Rechtsmittels nicht erfolgen (vgl. Senatsentscheidung a.a.O.). Denn dann bestünde die Gefahr, dass die entstehende Gesamtentscheidung nicht frei von inneren Widersprüchen bliebe. Der Strafzumessungs- und der Aussetzungsentscheidung liegen vorliegend im wesentlichen inhaltsgleiche Erwägungen zugrunde. Maßgeblich für beide Entscheidungen waren die Vorstrafen sowie der Umstand, dass die Angeklagte sich eine laufende Bewährung nicht hat zur Warnung dienen lassen.

Da das angefochtene Urteil keine Ausführungen zu der Höhe der erkannten Freiheitsstrafe enthält, kann der Senat den Rechtsfolgenausspruch nicht auf Rechtsfehler überprüfen. Die Sache wird deshalb zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückgewiesen (§ 354 Abs. 2 S. 1 StPO).

Ende der Entscheidung

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