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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 20.11.2000
Aktenzeichen: 2a Ss 328/00 - 82/00 II
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 261
Leitsatz:

Hat ein Zeuge den ihm zuvor unbekannten Täter anläßlich der Tat nur kurze Zeit beobachten können, so darf sich der Tatrichter nicht ohne weiteres auf die subjektive Gewißheit des Zeugen beim (ersten) Wiedererkennen anläßlich einer polizeilichen Lichtbildvorlage verlassen, sondern er muß anhand objektiver Kriterien die Beweisqualität dieser Wiedererkennung nachprüfen.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

2a Ss 328/00 - 82/00 II 80 Js 1475/98 StA Duisburg

In der Strafsache

gegen pp.

wegen versuchten Diebstahls im besonders schweren Fall

hat der 2. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht S...., den Richter am Oberlandesgericht B.... und die Richterin am Oberlandesgericht Dr. R.... am

20. November 2000

auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Duisburg vom 8. August 2000 nach Anhörung des Beschwerdeführers und der Generalstaatsanwaltschaft einstimmig gemäß § 349 Abs. 4 StPO

beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht hatte den Angeklagten am 17. September 1999 wegen versuchten Einbruchsdiebstahls zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 10,- DM verurteilt. Dieses Urteil war auf die Revision des Angeklagten durch Senatsbeschluß vom 5. Januar 2000 - 2a Ss 395/99-108/99 II - mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben worden. Nunmehr hat das Amtsgericht gegen den Angeklagten eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 20,- DM wegen gemeinschaftlichen versuchten Diebstahls im besonders schweren Fall verhängt.

Die gegen dieses Urteil gerichtete (Sprung)Revision des Angeklagten hat - erneut - mit der allgemeinen Sachrüge (vorläufigen) Erfolg, da das angefochtene Urteil sowohl zum Schuldspruch als auch zum Strafausspruch Rechtsfehler aufweist.

1.

Das Amtsgericht stützt seine Überzeugung von der Schuld des Angeklagten ausschließlich auf die Aussage des Tatzeugen H...., der am 25. September 1998 an seinem auf der Straße abgestellten Pkw eine ihm zuvor unbekannte Person beim Versuch des Einbruchsdiebstahls auf frischer Tat ertappt und ihr bei dieser Gelegenheit aus einer Entfernung von etwa acht Metern für ein bis zwei Sekunden in die Augen gesehen hatte. Zur Identität des Angeklagtem mit dieser Person hat das Amtsgericht festgestellt:

"Der Zeuge H.... begab sich am nächsten Tag zur Polizeidienststelle und besah sich Lichtbildalben mit den Fotos in Frage kommender Straftäter. Er konnte den von ihm gesehenen Täter, der an der Fahrerseite in ein Fahrzeug einsteigen wollte, bei diesen Lichtbildern nicht erkennen. Er bezeichnete jedoch eine Person, die dem Äußeren dieses Täters sehr nahe kam, aber eindeutig nicht diese Person darstellte.

Am 1.10.1998 begab sich der Zeuge H.... erneut zur Polizei, dort wurden ihm Lichtbilder von zwei Personen vorgelegt. Er erkannte auf dem einen Foto, welches ein Lichtbildstreifen des Angeklagten war, diesen mit 100%iger Sicherheit als Täter, den er in die Fahrertür hatte einsteigen sehen, wieder. In der Hauptverhandlung vom 17. September 1999 erkannte der Zeuge H.... den Angeklagten ebenfalls wieder, ebenso wie in der Hauptverhandlung vom 8.8.2000."

Zur Beweiswürdigung ist im angefochtenen Urteil ausgeführt, das Gericht sei sich zwar etwaiger Mängel der polizeilichen Lichtbildvorlage im Hinblick auf die in Nr. 18 S. 2 RiStBV niedergelegten Grundsätze bewußt, halte aber dennoch aufgrund des in der Hauptverhandlung gewonnenen Eindrucks die mehrfache Identifizierung des Angeklagten durch den Tatzeugen für zuverlässig. Ausweislich seiner glaubhaften Bekundungen in der Hauptverhandlung habe sich der Zeuge bei der Wiedererkennung des Angeklagten in allen drei Fällen ausschließlich an dem ihm noch vom Tattag erinnerlichen Bild des Täters orientiert und sei nicht beeinflußt worden durch die zuvor eingesehenen Lichtbilder oder durch den Umstand, daß man ihm das Foto des Angeklagten bei der Polizei am 1. Oktober 1998 als "das eines Tatverdächtigen" präsentiert habe.

Diese Erwägungen bilden keine hinreichende Nachprüfungsgrundlage für das Revisionsgericht. Zwar hat das Amtsgericht nicht verkannt, daß für die Zuverlässigkeit, der zeugenschaftlichen Angaben zur Täteridentifizierung der Beweiswert der ersten Wiedererkennung am 1. Oktober 1998 von maßgeblicher Bedeutung ist. Das angefochtene Urteil stellt diesbezüglich auch Einzelheiten zum Hergang der polizeilichen Lichtbildvorlage fest und weist - zu Recht - auf Bedenken hinsichtlich einer Einhaltung der in Nr. 18 S. 2 RiStBV niedergelegten Grundsätze hin. Die dennoch gewonnene tatrichterliche Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten ist indes nach wie vor unzureichend begründet.

Hat ein Zeuge den ihm zuvor unbekannten Täter anläßlich der Tat nur kurze Zeit beobachten können, so darf sich der Tatrichter nach der im Senatsbeschluß vom 5. Januar 2000 - 2a Ss 395/99-108/99 II - zitierten Rechtsprechung zur zeugenschaftlichen Täteridentifizierung nicht ohne weiteres auf die subjektive Gewißheit des Zeugen beim (ersten) Wiedererkennen anläßlich einer polizeilichen Lichtbildvorlage verlassen, sondern muß anhand objektiver Kriterien die Beweisqualität dieser Wiedererkennung nachprüfen (OLG Köln StV 94, 67, 68; OLG Rostock, StV 96, 419, 420). Hierbei ist in einer aus dem Urteil ersichtlichen Weise die zwecks Identifizierung erfolgte Beweiserhebung im einzelnen nachzuvollziehen und insbesondere zu untersuchen, ob den in Nr. 18 S. 2 RiStBV niedergelegten Grundsätzen einer Wahlbildvorlage entsprochen wurde oder inwieweit gegebenenfalls die Gefahr einer - unter Umständen unbewußten - Beeinflussung des Zeugen durch sachfremde, das Beweisergebnis verfälschende äußere Umstände besteht. Mit festgestellten Mängeln des Vorlageverfahrens und der hierdurch bedingten Beeinträchtigung des Beweiswerts der Täteridentifizierung muß sich das Urteil auseinandersetzen, wobei unter Verwendung etwaiger zusätzlicher Beweisanzeichen alle gleich naheliegenden Deutungsmöglichkeiten für und gegen den Angeklagten zu erörtern sind (OLG Düsseldorf StV 94, 8; OLG Köln StV 94, 67, 68 und StV 86, 12 und StV 92, 412, 413; OLG Frankfurt NStZ 88, 41f. und StV 88, 290f.; OLG Rostock, StV 96, 419, 420).

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Ausweislich der Entscheidungsgründe geht das Amtsgericht davon aus, etwaige Mängel der polizeilichen Lichtbildvorlage vom 1. Oktober 1998 seien schon deshalb unbeachtlich, weil der Tatzeuge auf ausdrückliches Befragen vor Gericht bestätigt habe, daß seine Identifizierungsleistung frei von äußeren Einflüssen geblieben sei und nur auf der Erinnerung an das Tatgeschehen beruhe. Mit dieser Argumentation verkennt der Tatrichter die Möglichkeit einer unter Umständen unbewußten Beeinflussung des Wiedererkennungsaktes und stützt seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten letztlich nur auf die subjektive Gewißheit des für glaubwürdig erachteten Zeugen H, ohne indes die Zuverlässigkeit seiner Identifizierungsleistung anhand objektiver Anhaltspunkte einer Prüfung zu unterziehen. Das angefochtene Urteil läßt nicht erkennen, welche Einzelheiten der Täterphysiognomie sich der Zeuge anläßlich des Tatgeschehens eingeprägt hat und aufgrund welcher konkreten Übereinstimmungen er in der Lage war, am Tag nach dem Vorfall das Foto einer dem Täter ähnlichen Person aus ihm vorgelegten Lichtbildalben herauszusuchen und am 1. Oktober 1998 den Angeklagten selbst als Täter zu identifizieren. Ob der schon im Hinblick auf die Anzahl der vorgelegten Fotografien bedenklichen - Lichtbildvorlage vom 1. Oktober 1998 überhaupt irgendein Beweiswert zukam, läßt das Amtsgericht offen, denn es teilt nicht mit, ob die dem Zeugen H.... am Tag nach dem Vorfall vorgelegten Lichtbildalben schon ein Foto des Angeklagten enthielten, mit welcher Begründung der Zeuge am 1. Oktober 1998 nochmals zur Polizei gebeten wurde und ob die ihm bei dieser Gelegenheit vorgelegten zwei Fotografien einander ähnlich sehende Personen zeigten. Den Entscheidungsgründen ist ferner nicht zu entnehmen, daß das Amtsgericht den Sachverhalt auf zusätzliche, außerhalb der Wiedererkennung unter Umständen für die Überzeugungsbildung maßgebliche Indizien - wie zum Beispiel eine zeugenschaftliche Täterbeschreibung unmittelbar nach dem Vorfall - untersucht hat. Angesichts dieser Lücken bilden die Urteilsgründe zur Frage der Täteridentifizierung - erneut - keine hinreichende Nachprüfungsgrundlage.

2.

Im Strafausspruch ist die angefochtene Entscheidung insoweit materiellrechtlich zu beanstanden, als das Amtsgericht die durch Urteil vom 17. September 1999 festgesetzte Geldstrafe bei gleicher Tagessatzanzahl von 10,- auf 20,- DM erhöht lind hierdurch unter Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 S. 1 StPO) die Rechtsfolgenentscheidung zum Nachteil des Angeklagten verändert hat.

3.

Die aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den zugrundeliegenden Feststellungen und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts (§§ 353, 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).

Für die neue Verhandlung weist der Senat darauf hin, daß auch bei Sozialhilfeempfängern für die Bemessung der Tagessatzhöhe und für die Entscheidung über etwaige Zahlungserleichterungen (§§ 40, 42 StGB) konkrete Feststellungen zu den monatlichen Einkünften zu treffen sind.

Ende der Entscheidung

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