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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 22.12.1999
Aktenzeichen: 2b Ss 87/99 - 46/99 I
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. b
StGB § 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. b

Zur vorsätzlichen Gefährdung des Straßenverkehrs durch grob verkehrswidriges und rücksichtsloses falsches Überholen.

OLG Düsseldorf, 1. Strafsenat, Beschluß vom 22.12.1999 - 2b Ss 87/99 - 46/99 I


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

2 b Ss 87/99 - 46/99 I 312 Js 465/96 StA Düsseldorf

In der Strafsache

gegen

... aus, geboren am, in

wegen Gefährdung des Straßenverkehrs

hat der l. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht sowie die Richter am Oberlandesgericht ... und ... auf

1.

den Antrag des Angeklagten, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil der XXII. kleinen Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 11. November 1998 zu bewilligen,

2.

seinen Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts gegen den Beschluß der XXII. Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 2. Februar 1999 - XXII 55/97 - und

3.

seine Revision gegen das oben bezeichnete Urteil vom 11. November 1998 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft am 22. Dezember 1999 einstimmig beschlossen:

1.

Dem Angeklagten wird auf seine Kosten (§ 473 Abs. 7 StPO) gemäß §§ 46 Abs. l, 45, 44 Satz l StPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Monatsfrist zur Begründung der Revision gegen das Urteil der XXII. kleinen Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 11. November 1998 bewilligt, weil hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht ist, daß ihn an dem verspäteten Eingang der Revisionsbegründungsschrift kein eigenes Verschulden trifft.

2.

Der Verwerfungsbeschluß der XXII. Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 2. Februar 1999 - XII 55/97 - ist gegenstandslos, nachdem dem Angeklagten die nachgesuchte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt worden ist.

3.

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf zurückverwiesen.

Gründe:

Dem Angeklagten wird zur Last gelegt, am 25. März 1996 gegen 12.45 Uhr in Düsseldorf als Fahrer eines Taxis vorsätzlich den Straßenverkehr gefährdet zu haben, indem er grob verkehrswidrig und rücksichtslos falsch überholt oder sonst bei Überholvorgängen falsch gefahren sei, ferner durch dieselbe Handlung die Körperverletzung anderer fahrlässig verursacht und schließlich durch eine weitere selbständige Handlung sich als Unfallbeteiligter nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort entfernt zu haben, bevor er zugunsten der anderen Unfallbeteiligten die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung durch seine Anwesenheit und durch die Angabe, daß er an dem Unfall beteiligt gewesen sei, ermöglicht habe.

Das Amtsgericht hat den Angeklagten freigesprochen.

Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hat die Strafkammer nach Einstellung des Verfahrens wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort gemäß § 154 Abs. 2 StPO den Angeklagten wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 50,-- Deutsche Mark verurteilt und ihm für die Dauer von einem Monat verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im Straßenverkehr zu führen.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Angeklagte mit seiner allein auf die Sachrüge gestützten Revision.

Das nach Bewilligung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Revision zulässige Rechtsmittel ist begründet.

II.

Die Strafkammer hat u.a. festgestellt:

"Am Montag, dem 25. März 1996, überholte der Angeklagte in dem Pkw des Typs Mercedes-Benz als Taxi mit dem amtlichen Kennzeichen D in Düsseldorf auf der G-A.-Straße in Fahrtrichtung G-Platz den links daneben auf dem Gleiskörper der Straßenbahnlinie mit ca. 45 km/h fahrenden Linienomnibus, der vom Zeugen S gesteuert wurde, und bog so kurz vor diesem Bus nach links in die sogenannte kleine Königsallee ein, daß der Zeuge S um einen Zusammenstoß zu vermeiden, eine Notbremsung durchführen mußte. Hierdurch kamen die im Bus befindlichen Fahrgäste und Zeuginnen M und Sp zu Fall.

Die Zeugin M verletzte sich dadurch; sie erlitt Prellungen auf ihrem Rücken; diese Zeugin hatte deshalb Rücken- und Kopfschmerzen.

Die Zeugin Sp erlitt durch den Fall zu Boden starke Schmerzen; sie schrie laut auf; noch weitere drei Tage hatte sie Schmerzen an ihren Halswirbeln."

Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, er erinnere sich an den Vorfall nicht. Die Strafkammer hat ihn aufgrund der Bekundungen der Zeugen als überführt angesehen.

Zur rechtlichen Beurteilung hat die Strafkammer u.a. ausgeführt:

"Der Angeklagte ist schuldig der vorsätzlichen Gefährdung des Straßenverkehrs durch grob verkehrswidriges und rücksichtsloses falsches Überholen gemäß § 315 c Abs. l Nr. 2 b StGB... Das "Rechtsüberholen" des Busses verstieß gegen § 5 Abs. l StVO. Grob verkehrswidrig war dieses Verhalten des Angeklagten, weil es bei hoher Geschwindigkeit, nämlich das Taxi des Angeklagten fuhr schneller als der von dem Zeugen S mit ca. 45 km/h gesteuerte Bus, stattfand und weil ein "Schneiden" mit gegeben war. Rücksichtslos handelte der Angeklagte, weil er schneller vorwärtskommen wollte im Straßenverkehr; Bedenken gegen seine gefährliche Fahrweise ließ der Angeklagte gar nicht erst aufkommen. Es bestand eine konkrete Gefahr für bedeutende fremde Sachwerte; nur durch eine Vollbremsung konnte der Zeuge S einen Zusammenstoß seines schnell fahrenden Busses mit diesem Taxi vermeiden; ein Zusammenstoß hätte zu hohem Fremdschaden geführt.

...

Vorsätzlich handelte der Angeklagte; der Angeklagte kannte alle tatsächlichen Einzelheiten und wollte diese Straftat; die Gefährdung des Busses und seiner Insassen nahm der Angeklagte dabei billigend in Kauf.

Ferner ist der Angeklagte schuldig der fahrlässigen Körperverletzung gemäß den §§ 223, 230 StGB alter Fassung. Die Zeuginnen M und Sp sind durch die Fahrweise des Angeklagten verletzt worden.

...

Fahrlässig handelte insoweit der Angeklagte; bei Beachtung der dem Angeklagten möglichen und auch zumutbaren Sorgfalt hätte der Angeklagte erkennen müssen und auch erkennen können, daß die Businsassen durch sein Fahrverhalten in der Form des "Schneidens" körperlichen Schaden nehmen würden.

...

Beide Straftaten stehen zueinander in Tateinheit gemäß § 52 StGB; es handelt sich um einen Lebensvorgang."

III.

Die erhobene Sachrüge greift durch. Die Feststellungen des angefochtenen Urteils tragen den Schuldspruch wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs nicht.

1.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat u.a. wie folgt Stellung genommen:

"1.

Eine Verurteilung wegen Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315 c Abs. l Nr. 2 StGB setzt voraus, daß der Angeklagte grob verkehrswidrig und rücksichtslos gehandelt hat. Die grobe Verkehrswidrigkeit und Rücksichtslosigkeit müssen nebeneinander vorliegen (zu vgl. Schönke/Schröder/Cramer, StGB, 25. Aufl., § 315 c Rdnr. 28 m.w.N.).

a.

Die grobe Verkehrswidrigkeit bezeichnet die objektiv besonders verkehrsgefährdende Bedeutung des Verhaltens (zu vgl. Schönke/Schröder/Cramer, a.a.O.). Danach muß ein besonders schwerer Verstoß gegen die Verkehrsvorschriften vorliegen (zu vgl. Schönke/Schröder/Cramer, a.a.O., § 315 c Rdnr. 29 m.w.N.; Tröndle/Fischer, StGB, 49. Aufl., § 315 c Rdnr. 13 m.w.N.).

aa.

Das Landgericht hat die Annahme der groben Verkehrswidrigkeit damit begründet, daß der Angeklagte mit hoher Geschwindigkeit, nämlich schneller als der von dem Zeugen mit ca. 45 km/h gesteuerte Bus, gefahren ist. Zwar hat das Landgericht aus dem Umstand, daß der Angeklagte den Zeugen S überholt hat, zu Recht den Schluß gezogen, daß dieser schneller gefahren ist als der Zeuge S, jedoch enthält das Urteil keine Feststellung, mit welcher Geschwindigkeit der Angeklagte sein Taxi geführt hat. Aus dem Umstand, daß der Angeklagte den von dem Zeugen S ca. 45 km/h gesteuerten Bus überholt hat, läßt sich zwar der Schluß ziehen, daß der Angeklagte möglicherweise die innerorts vorgeschriebene zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h überschritten hat, jedoch fehlt es letztlich an konkreten Feststellungen hierzu.

bb.

Das Landgericht hat zur Begründung der groben Verkehrswidrigkeit weiterhin den Umstand herangezogen, daß der Angeklagte den Bus des Zeugen S geschnitten hat, indem er so kurz vor diesem nach links in die sogenannte kleine Königsallee einbog, daß der Zeuge S um einen Zusammenstoß zu vermeiden, eine Notbremsung durchführen mußte. Da das Verhalten des Angeklagten bereits einen Verstoß gegen das in § 5 Abs. 3 Nr. l StVO niedergelegte Überholverbot darstellt und ein Zusammenstoß nur durch eine Notbremsung vermieden werden konnte, stellt das Verhalten des Angeklagten objektiv einen besonders schweren Verstoß gegen die Verkehrsregeln dar, durch die die Sicherheit des Straßenverkehrs besonders schwer beeinträchtigt und eine konkrete Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer herbeigeführt wurde (zu vgl. OLG Koblenz VRS 47, 31, 32). Bei der gebotenen Gesamtschau der Urteilsgründe hat das Landgericht daher das Tatbestandsmerkmal "grob verkehrswidrig" zu Recht angenommen.

b.

Jedoch begegnen die Überlegungen des Landgerichts zur Annahme des Merkmals "rücksichtslos" in revisionsrechlicher Hinsicht Bedenken.

Rücksichtslos verhält sich, wer sich entweder eigensüchtig über bekannte Rücksichtspflichten hinwegsetzt oder wer sich aus Gleichgültigkeit auf seine Fahrerpflichten nicht besinnt und unbekümmert um mögliche Folgen drauflosfährt. Hierbei sind auch die Beweggründe für das Verhalten von entscheidender Bedeutung (zu vgl. Jagusch/ Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 35. Aufl., StGB § 315 c Rdnr. 21 m.w.N.).

Das Landgericht hat zur Begründung ausgeführt, der Angeklagte habe rücksichtslos gehandelt, da er schneller im Stadtverkehr habe vorwärtskommen wollen; Bedenken gegen seine gefährliche Fahrweise habe der Angeklagte gar nicht erst aufkommen lassen.

...

Das Ergebnis der Beweisaufnahme zu würdigen, ist zwar allein Sache des Tatrichters. Ebensowenig wie er gehindert werden kann, an sich mögliche, wenn auch nicht zwingende Folgerungen aus bestimmten Tatsachen zu ziehen, kann ihm vorgeschrieben werden, unter welchen Voraussetzungen er zu einer bestimmten Folgerung und einer bestimmten Überzeugung zu kommen hat (zu vgl. BGHSt 29, 18, 20). Die Beweiswürdigung ist jedoch fehlerhaft, wenn sie nicht auf einer verstandesmäßig einsichtigen Tatsachengrundlage beruht und die vom Tatgericht gezogenen Schlußfolgerungen sich als bloße Vermutungen erweisen, die nicht mehr als einen Verdacht zu begründen vermögen. . .

Die oben dargestellten Feststellungen geben ausschließlich den objektiven Geschehensablauf wieder. Aus der Einlassung des Angeklagten ergeben sich ebenfalls keine Anhaltspunkte für die Beweggründe seines Verhaltens.

Nicht auszuschließen ist, daß der Angeklagte aus Unaufmerksamkeit handelte oder die Situation falsch einschätzte. Jedenfalls lassen die Urteilsgründe eine Auseinandersetzung mit dieser Möglichkeit vermissen. Da bei Erforschung der Gründe für das Fehlverhalten ein strenger Maßstab anzulegen ist und bloße Gedankenlosigkeit nicht ausreicht (zu vgl. Jagusch/Hentschel, a.a.O.), tragen die Urteilsfestellungen des Landgerichts Düsseldorf die Annahme des Merkmals der Rücksichtslosigkeit nicht.

2.

Ebenfalls Bedenken begegnet die Annahme einer vorsätzlichen Zuwiderhandlung gegen § 315 c Abs. l Nr. 2 b StGB.

Der Vorsatz ... muß sich sowohl auf den Verkehrsverstoß als auch auf die Umstände erstrecken, die den Verstoß zu einem grob verkehrswidrigen und rücksichtslosen machen. Dabei muß sich der Angeklagte der mit. seiner Fahrweise verbundenen Gefährlichkeit als solcher bewußt sein (zu vgl. Tröndle/Fischer, a.a.O., § 315 c Rdnr. 18 m.w.N.; Jagusch/Hentschel, a.a.O., StGB § 315 c Rdnr. 26 m.w.N.).

... Da letztlich nach der Lebenserfahrung nicht auszuschließen ist, daß das Fehlverhalten des Angeklagten auf Unaufmerksamkeit oder einer falschen Lagebeurteilung beruhte, war der Angeklagte sich möglicherweise der Gefährlichkeit seiner Handlungsweise nicht bewußt."

Dieser Bewertung stimmt der Senat zu.

IV.

Das angefochtene Urteil war nach alledem mit den Feststellungen insgesamt aufzuheben (§ 353 StPO). Im Hinblick auf das zutreffend angenommene Konkurrenzverhältnis der Tateinheit gemäß § 52 StGB kann der Schuldspruch wegen fahrlässiger Körperverletzung ebenfalls keinen Bestand haben, obwohl die hierzu getroffenen Feststellungen Rechtsfehler nicht erkennen lassen.

Die Zurückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, beruht auf § 354 Abs. 2 Satz l StPO.



Ende der Entscheidung

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