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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 04.04.2002
Aktenzeichen: 3 Ws 108/02
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 69 Abs. 1 Satz 1
StGB § 306 Abs. 1
StPO § 111 a Abs. 1 Satz 1
1. Die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen eines charakterlichen Eignungsmangels kommt bei im Zusammenhang mit der Führung eines Kraftfahrzeuges begangenen Delikten (hier: Brandstiftung) nicht nur für den Fahrzeugführer, sondern auch für sonstige Tatteilnehmer in Betracht.

2. Liegen die Voraussetzungen des § 111 a Abs. 1 Satz 1 StPO vor, so ist das zuständige Gericht an der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nicht etwa deshalb gehindert, weil ihre Anordnung bereits in einem früheren Verfahrensstadium hätte erfolgen können.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

3 Ws 108/02

In der Strafsache

wegen Brandstiftung u.a.

hat der 3. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht B., den Richter am Oberlandesgericht v. B. und die Richterin am Oberlandesgericht Dr. R. am

4. April 2002

auf die Beschwerde der Angeklagten gegen den Beschluss der 4. Strafkammer - 2. Jugendkammer - des Landgerichts Wuppertal vom 5. März 2002 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde wird als unbegründet verworfen.

Gründe:

Die Angeklagte hat sich vor dem Landgericht Wuppertal unter anderem wegen sechs vollendeter und zwei versuchter Brandstiftungen zu verantworten, die sie laut Anklageschrift vom 18. Januar 2002 in gemeinschaftlichem Zusammenwirken mit dem Mitangeklagten A. an Gebäuden, Hütten und Kraftfahrzeugen im Zeitraum 21. Mai bis 2. Juli 2001 begangen haben soll. Durch den angefochtenen Beschluss hat die Kammer der Angeklagten - nach erfolgter Eröffnung des Hauptverfahrens - gemäß § 111a StPO die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Angeklagten ist unbegründet.

I.

Es sind dringende Gründe für die Annahme vorhanden, dass die noch bevorstehende Hauptverhandlung gegen die Angeklagte zu einer Maßregelanordnung gemäß § 69 StGB führen wird.

1.

Aufgrund der in der Anklageschrift bezeichneten Beweismittel ist die - umfassend geständige - Angeklagte der ihr zur Last gelegten Brandstiftungsdelikte dringend verdächtig. Zumindest die im Zeitraum 29. Mai bis 2. Juli 2001 begangenen fünf Taten (Ziffer I. 4 - 8 der Anklage) standen ausweislich der Ermittlungsergebnisse auch "im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges" (§ 69 StGB).

Nach ganz überwiegender Ansicht in Rechtsprechung und Literatur ist § 69 StGB nicht nur bei Verkehrsverstößen im eigentlichen Sinne, sondern auch bei sonstigen strafbaren Handlungen anwendbar, sofern diese aufgrund der konkreten Begehungsweise im Einzelfall einen spezifischen funktionalen Zusammenhang mit der Führung eines Kraftfahrzeuges aufweisen (vgl. BGH NStZ-RR 98, 271 und NStZ 95, 229). Ein derartiger Zusammenhang war hinsichtlich der im Zeitraum 29. Mai bis 2. Juli 2001 begangenen Brandstiftungsdelikte gegeben. Nach dem derzeitigen Ermittlungsstand kam der Pkw der Angeklagten in diesen Fällen nicht nur als beliebiges Beförderungsmittel zum Einsatz (so die Fallkonstellationen, die den oben erwähnten Entscheidungen des BGH zugrunde lagen), sondern erfüllte die Funktion eines für die erfolgreiche Tatausführung zwingend erforderlichen Begehungs- und Fluchtwerkzeugs. Der Wagen erleichterte den Transport der Tatmittel (Scanner, diverse Brandbeschleuniger) und war ferner auch insoweit unverzichtbar, als es den Tätern darauf ankam, die zum Teil abgelegenen Tatorte nach der Brandlegung möglichst schnell weiträumig verlassen und auf die unter Zuhilfenahme des mitgeführten Scanners in Erfahrung zu bringenden Maßnahmen der Polizei gegebenenfalls flexibel reagieren zu können.

Soweit die Angeklagte bei der Tatausführung nur als Beifahrerin ihres vom Mitangeklagten A. gesteuerten Pkw fungierte, ist eine abweichende Beurteilung nicht veranlasst. Geht man - mit der ganz herrschenden Meinung - davon aus, dass schon die Benutzung eines Kraftfahrzeugs zur Begehung "allgemeiner" (nicht spezifisch verkehrsbezogener) Straftaten als Grundlage für eine Entziehung der Fahrerlaubnis in Betracht kommt, so lässt sich bei einer Tatbeteiligung mehrerer Personen der gemäß § 69 StGB erforderliche "Zusammenhang" nach Wortlaut und Zielrichtung der Norm nicht auf denjenigen Teilnehmer beschränken, der das Kraftfahrzeug eigenhändig gelenkt hat (ebenso BGHSt 10, 333 ff.; BGH bei Holtz, MDR 78, 986 und MDR 81, 453; vgl. auch OLG München, NJW 92, 2777). Für eine derart restriktive Auslegung besteht insbesondere im vorliegenden Fall keine Rechtfertigung. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen muss sich die Angeklagte nicht nur den aufgrund gemeinsamer Tatplanung geleisteten Deliktsbeitrag des Mittäters A. zurechnen lassen; sie hat darüber hinaus bei der Herstellung des spezifischen Zusammenhangs zwischen den Straftaten und der Führung eines Kraftfahrzeugs auch selbst mitgewirkt, indem sie ihren eigenen Pkw zwecks Tatausführung zur Verfügung stellte.

2.

Es bestehen ferner dringende Gründe für die Annahme eines in den Taten zum Ausdruck gekommenen "Eignungsmangels" der Angeklagten im Sinne von § 69 Abs. 1 S. 1 StGB. Mag auch ihr aktiver Tatbeitrag bei der Ausführung der einzelnen Delikte im Vergleich zur dominanten Position des Mitangeklagten A. von eher untergeordneter Bedeutung gewesen sein, so hat sich die Angeklagte nach dem Ergebnis der bisherigen Ermittlungen jedenfalls als gegenüber kriminellen Einflüssen außergewöhnlich anfällig - und damit charakterlich unzuverlässig - erwiesen, indem sie ihr Fahrzeug zur gemeinschaftlichen und planvollen Begehung mehrerer Brandstiftungen - also Verbrechen mit erheblichem Gefährdungspotential - zur Verfügung stellte und sich an der Tatausführung zumindest durch eine Absicherung der jeweiligen Tatorte beteiligte. Von einem nur einmaligen oder nur vorübergehenden, lediglich situationsbedingten Fehlverhalten geringeren Gewichts kann unter diesen Umständen keine Rede sein.

Der dringende Verdacht eines im Deliktsgeschehen zum Ausdruck gekommenen Eignungsmangels der Angeklagten lässt auch aus gegenwärtiger Sicht noch die Prognose einer bevorstehenden Maßregelanordnung gemäß § 69 StGB zu. Zwar hat sich die Angeklagte nach den hier zur Rede stehenden Straftaten vom Mitangeklagten A. getrennt und im Verlauf des hier anhängigen Verfahrens ein umfassendes Geständnis abgelegt. Auch sind seit der letzten Tat vom 2. Juli 2001 keine weiteren strafbaren Handlungen oder Verkehrsverstöße der Angeklagten aktenkundig geworden. Angesichts der Anzahl und der Schwere der Anlassdelikte lässt indes der seither ohne Auffälligkeiten verstrichene Zeitraum von gut neun Monaten für sich allein noch nicht auf eine hinreichend ausgeprägte, den dringenden Verdacht eines Eignungsmangels bereits jetzt in Frage stellende charakterliche Nachreifung der Angeklagten schließen.

II.

An der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis war die Strafkammer nicht etwa durch das bei Erlass der angefochtenen Entscheidung bereits erreichte Verfahrensstadium - nach erfolgter Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung - gehindert. Zwar wird für eine Eilentscheidung nach § 111a StPO in der Rechtsprechung vereinzelt kein Raum mehr gesehen, wenn seit dem Bekanntwerden der die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis rechtfertigenden Gründe mehrere Monate verstrichen sind und "Anhaltspunkte für den Einsatz eines Kfz zur Ausübung weiterer Straftaten nicht bestehen" (LG Hagen, NZV 94, 334 mit abl. Anmerkung Molketin; vgl. auch LG Trier, VRS 63, 210f.). Diese Ansicht lässt sich indes weder mit dem Wortlaut noch mit dem Sicherungszweck des § 111a StPO vereinbaren, der die Allgemeinheit von vornherein, also bereits vor einem rechtskräftigen Erkenntnis, vor weiterer Gefährdung durch einen möglicherweise ungeeigneten Kraftfahrzeugführer schützen soll (vgl. BVerfG Beschl. v. 11. September 1989n - 2 BvR 1209/88 -, zitiert bei OLG Düsseldorf DAR 90, 355). Liegen daher die Voraussetzungen des § 111a StPO - insbesondere der dringende Verdacht eines im Prüfungszeitpunkt noch vorhandenen Eignungsmangels - vor, so darf die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nicht etwa deshalb unterbleiben, weil sie bereits in einem früheren Stadium des Ermittlungsverfahrens hätte angeordnet werden müssen; auch für Vertrauensschutzerwägungen zu Gunsten des Betroffenen ist insoweit kein Raum (im Ergebnis ebenso OLG Dresden OLG-NL 97, 71; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Auflage, § 111a Rn. 3 m.w.N.).

Ende der Entscheidung

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