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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 21.10.2002
Aktenzeichen: 3 Ws 336/02
Rechtsgebiete: StPO, ZPO


Vorschriften:

StPO § 464 b Satz 3
ZPO § 568 Satz 1

Entscheidung wurde am 27.11.2002 korrigiert: Vorschriften geändert und amtlichen Leitsatz hinzugefügt
Über die sofortige Beschwerde gegen einen von dem Rechtspfleger des Landgerichts aufgrund einer Kostengrundentscheidung der Strafkammer erlassenen Kostenfestsetzungsbeschluss entscheidet gemäß § 464 b Satz 3 StPO i.V.m. § 568 Satz 1 ZPO in der Fassung des Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27. Juli 2001 der Strafsenat des Oberlandesgericht durch den Einzelrichter (Fortführung der Senatsrechtsprechung: vgl. Beschlüsse vom 20.12.2001, JMBl. NW 2002, 139 und 21.05.2002 - 3 Ws 167/02)
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

3 Ws 336/02

130 Js 1032/01 StA Wuppertal

In der Strafsache

gegen

pp.

wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz

hat der 3. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht B., die Richterin am Oberlandesgericht Dr. R. und den Richter am Landgericht D. am

21. Oktober 2002

auf die sofortige Beschwerde des früheren Angeklagten gegen den Beschluss der Rechtspflegerin des Landgerichts Wuppertal vom 24. Juli 2002 (2/02 X) nach Anhörung des Bezirksrevisors bei dem Landgericht Wuppertal

beschlossen:

Tenor:

Über die sofortige Beschwerde entscheidet der Senat durch den Einzelrichter, an den die Sache abgegeben wird.

Gründe:

I. Dem früheren Angeklagten wurde mit der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage gemeinschaftliches unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 14 Fällen sowie in zwei Fällen tateinheitlich hierzu Anstiftung zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge vorgeworfen. Er befand sich wegen dieses Vorwurfs vom 20. Dezember 2001 bis zum 16. Mai 2002 in Untersuchungshaft. Durch - rechtskräftiges - Urteil vom 16. Mai 2002 hat das Landgericht Wuppertal den früheren Angeklagten freigesprochen und die Kosten des Verfahrens - einschließlich der notwendigen Auslagen des früheren Angeklagten - der Staatskasse auferlegt.

Der frühere Angeklagte hat beantragt, die ihm zu erstattenden Auslagen auf 1.803,10 € festzusetzen. Die Rechtspflegerin des Landgerichts hat nach Anhörung des Bezirksrevisors den aus der Staatskasse zu erstattenden Betrag auf 1.301,40 € festgesetzt. Hiergegen wendet sich der frühere Angeklagte mit seiner sofortigen Beschwerde, mit der er eine Festsetzung in Höhe des ursprünglich beantragten Betrages begehrt.

II.

Über die sofortige Beschwerde hat der Einzelrichter zu entscheiden. Nach § 464 b Satz 3 StPO sind auf das Kostenfestsetzungsverfahren in Strafsachen die Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden. Hieraus folgt, dass die Vorschriften der Zivilprozessordnung für das gesamte Verfahren der Kostenfestsetzung einschließlich des Beschwerdeverfahrens heranzuziehen sind (vgl. Senat, Beschluss vom 20.12.2001 - 3 Ws 512/01 - JMBl. NW 2002, 139). Somit findet auch § 568 Satz 1 ZPO Anwendung, wonach das Beschwerdegericht durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter entscheidet, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter oder - wie im vorliegenden Fall - von einem Rechtspfleger erlassen wurde.

1. Der Geltung des § 568 Satz 1 ZPO steht nicht entgegen, dass § 464 b Satz 3 StPO lediglich die entsprechende Anwendung der Vorschriften der Zivilprozessordnung anordnet.

In der Rechtsprechung und Literatur wird die Frage der Reichweite der in § 464 b Satz 3 StPO ausgesprochenen Verweisung - vornehmlich im Hinblick auf die in Betracht kommende Beschwerdefrist - unterschiedlich beantwortet (für die Anwendung der zweiwöchigen Beschwerdefrist des § 569 Abs. 1 ZPO [§ 577 Abs. 2 ZPO a.F.]: Senat, Beschluss vom 20.12.2001 - 3 Ws 512/91 - JMBl. NW 2002, 139; OLG Düsseldorf - 1. Strafsenat - VRS 99,461; OLG Koblenz Rpfleger 2000, 126; OLG Köln Rpfleger 2000, 422; OLG München AnwBl. 1986, 107; OLG Stuttgart SJZ 49, 574; LG Düsseldorf MDR 1954, 58; Hilger in Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Auflage, § 464 b Rn. 9; Franke in KK StPO, 4. Auflage, § 464 b Rn. 4; Krehl in HK StPO, 3. Auflage, § 464 b Rn. 6; Schmidt, MDR 1982, 252; für die Anwendung der einwöchigen Beschwerdefrist des § 311 Abs. 2 StPO: BayObLG JZ 1954, 56 [57]; OLG Düsseldorf - 1. Strafsenat - Rpfleger 2000, 126; OLG Düsseldorf - 4. Strafsenat - Beschluss vom 7. Februar 2000 - 4 Ws 400/99 -; OLG Karlsruhe Rpfleger 2000, 124 [125]; OLG Dresden StV 2001, 634; KG Rpfleger 2000, 38; NJW 1955, 35; OLG München MDR 1957, 375; OLG Saarbrücken Rpfleger 1960, 342 [343], OLG Celle HRR 1928 Nr. 99; Pfeiffer, StPO, 3. Auflage, § 464 b Rn. 4; Stöckel in KMR StPO, § 464 b Rn. 19; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Auflage, § 464 b Rn. 7; Jung NJW 1973, 985 [986]; Fontes GA 1955, 40 [46]). Die nur eingeschränkte Geltung der zivilprozessualen Vorschriften wird im wesentlichen damit begründet, die Zivilprozessordnung könne, da sie nur entsprechend anzuwenden sei, allein insoweit herangezogen werden, als die Strafprozessordnung selbst eine Regelungslücke aufweise bzw. die zivilrechtliche Regelung mit den Grundsätzen des Strafverfahrens überhaupt in Einklang zu bringen sei (vgl. OLG Düsseldorf - 1. Strafsenat - MDR 1991, 370; OLG Karlsruhe Rpfleger 2000, 124 [125]; KG MDR 1982, 251; OLG Saarbrücken Rpfleger 1960,342 [343]; LG Bautzen Rpfleger 2000,183). Dem vermag der Senat nicht zu folgen: Die Verweisung in § 464 b Satz 3 StPO bezweckt nicht nur, den Strafgerichten überhaupt eine Möglichkeit zu eröffnen, über die nach der Kostengrundentscheidung zu erstattenden Kosten in einem gesonderten Verfahrensgang zu entscheiden. Aus der Verweisung folgt vielmehr auch, dass der strafprozessuale Kostenerstattungsanspruch den Regeln des Zivilprozesses unterworfen werden soll, um so die verfahrensrechtlich einheitliche Behandlung derselben Rechtsmaterie - auch im Beschwerderechtszug - zu gewährleisten (vgl. OLG Köln Rpfleger 2000, 422; OLG München AnwBl 1986, 107; Hilger a.a.O. § 464 b Rn. 9; Rüth NJW 1954, 568). Dies ist auch sachgerecht, da sowohl im Straf- als auch im Zivilprozess bei der Kostenfestsetzung jeweils die Vorschriften der BRAGO anzuwenden sind. Die Grundsätze des Strafverfahrens, deren Funktion vor allem vor dem Hintergrund der Intensität strafprozessualer Eingriffe in Freiheitsrechte zu sehen ist, haben im Kostenfestsetzungsverfahren, bei dem es lediglich um die Abwicklung der kostenrechtlichen Folgen eines rechtskräftig abgeschlossenen Strafprozesses geht, keine maßgebende Bedeutung mehr. Dies gilt insbesondere für die bislang äußerst umstrittene (s.o.) Frage, ob die sofortige Beschwerde innerhalb der einwöchigen Frist des § 311 Abs. 2 StPO oder der zweiwöchigen Frist des § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO einzulegen ist. Die gegenüber dem Zivilprozessrecht regelmäßig kürzeren strafprozessualen Anfechtungsfristen dienen der insbesondere im Interesse des Beschuldigten liegenden Beschleunigung des Strafverfahrens (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, 45. Auflage, Einl. Rn. 160). Ein derart qualifiziertes Beschleunigungsinteresse ist jedoch für die kostenrechtliche Abwicklung nach rechtskräftiger Verfahrensbeendigung nicht mehr gegeben (vgl. OLG Düsseldorf - 1. Strafsenat - VRS 99,461 [462]).

Auch wäre es unter dem Gesichtspunkt der Gesetzessystematik wenig nachvollziehbar, wenn hinsichtlich der Statthaftigkeit des gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss gegebenen Rechtsmittels auf § 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO zurückgegriffen wird, sich das eigentliche Beschwerdeverfahren aber nach den Regeln der Strafprozessordnung richtet. Konsequenterweise müsste ein Kostenfestsetzungsbeschluss bei einer nur lückenfüllenden Anwendung der Vorschriften der Zivilprozessordnung mit der einfachen, nicht fristgebundenen Beschwerde angefochten werden können, da die Strafprozessordnung die Anwendung des § 311 StPO insoweit nicht anordnet. Dies wäre aber nicht damit zu vereinbaren, dass Kostenfestsetzungsbeschlüsse als Vollstreckungstitel der materiellen Rechtskraft fähig sind (vgl. OLG München Rpfleger 2000, 298; Musielak/Wolst, 3. Auflage, § 104 Rn. 39) und es daher auch des Eintritts der formellen Rechtskraft bedarf.

Soweit teilweise die Auffassung vertreten wird, im Falle einer durchgängigen Anwendung der zivilprozessualen Beschwerdevorschriften bestehe für das Kostenfestsetzungsverfahren gemäß § 78 Abs. 1 ZPO Anwaltszwang, was sich mit den Grundsätzen des Strafprozesses nicht vereinbaren lasse (vgl. BayObLG JZ 1954, 56 [57]; OLG Saarbrücken Rpfleger 1960, 342 [343]; KG NJW 1955, 35; ), ist dieses Argument jedenfalls nach der gegenwärtigen Rechtslage nicht mehr tragfähig. Da das Kostenfestsetzungsverfahren gemäß § 21 Nr. 1 RPflG dem Rechtspfleger übertragen ist, besteht nach § 13 RPflG ausdrücklich kein Anwaltszwang. Dasselbe gilt für die sofortige Beschwerde gegen Kostenfestsetzungsbeschlüsse, die gemäß § 569 Abs. 3 ZPO zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden kann, so dass nach § 78 Abs. 3 ZPO ebenfalls kein Anwaltszwang besteht. Der in § 569 Abs. 3 Nr. 1 ZPO genannte Fall, wonach eine sofortige Beschwerde dann nicht zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden kann, wenn der Rechtsstreit im ersten Rechtszug als Anwaltsprozess zu führen ist, spielt für das Kostenfestsetzungsverfahren keine Rolle. Denn Rechtsstreit im Sinne von § 569 Abs. 3 Nr. 1 ZPO ist bei der Anfechtung von Kostenfestsetzungsbeschlüssen das gemäß § 13 RPflG ohne Anwaltszwang durchzuführende Verfahren vor dem Rechtspfleger (vgl. OLG München MDR 1999, 1224; OLG Nürnberg MDR 2001, 597; MDR 2000, 233; OLG Karlsruhe MDR 1999, 1468; OLG Dresden Rpfleger 2000, 447; KG Rpfleger 1999, 528; OLG Oldenburg Rpfleger 1999, 176; OLG Braunschweig Rpfleger 1999, 381; Musielak/Ball, 3. Auflage, § 569 Rn. 11; a.A. OLG Frankfurt/M. NJW-RR 1999, 1082; OLG Nürnberg MDR 1999, 894; OLG Hamburg MDR 1999, 1223). Nach § 571 Abs. 4 Satz 2 ZPO i.V.m. § 78 Abs. 3 ZPO besteht auch für das weitere Verfahren nach Einlegung der sofortigen Beschwerde kein Anwaltszwang, sofern ein Verfahrensbeteiligter sich schriftlich äußert. Die notwendige Beteiligung eines Rechtsanwalts käme daher allenfalls dann in Betracht, wenn das Beschwerdegericht im Kostenfestsetzungsverfahren eine mündliche Verhandlung anordnet, was in der Praxis jedoch nicht geschieht.

2. Eine Entscheidungsbefugnis des Einzelrichters steht auch nicht in Widerspruch zu der die Besetzung der Senate der Oberlandesgerichte regelnden Vorschrift des § 122 Abs. 1 GVG. Denn dort ist ausdrücklich bestimmt, dass die Senate nur dann in der Besetzung mit drei Richtern einschließlich des Vorsitzenden entscheiden, soweit nicht nach den Vorschriften der Prozessgesetze an Stelle des Senats der Einzelrichter zu entscheiden hat. "Prozessgesetz" im vorgenannten Sinne ist wegen der in § 464 b Satz 3 StPO ausgesprochenen Verweisung die Zivilprozessordnung. Dass ein dem § 122 Abs. 1 GVG entsprechender Vorbehalt in der die Besetzung der Strafkammern der Landgerichte regelnden Vorschrift des § 76 GVG fehlt, steht der Anwendbarkeit des § 568 Satz 1 ZPO im Kostenbeschwerdeverfahren vor dem Oberlandesgericht jedenfalls nicht entgegen. Der Senat hat in diesem Zusammenhang nicht darüber zu befinden, in welcher Besetzung die Strafkammer bei Beschwerden gegen nach § 464 b Satz 3 StPO ergangene Kostenfestsetzungsbeschlüsse des Amtsgerichts zu entscheiden hat. Nach Auffassung des Senats liegt es allerdings nahe, § 568 Satz 1 ZPO auch in diesen Fällen anzuwenden. Denn § 568 Satz 1 ZPO kommt als einer der speziellen Verfahrenssituation Rechnung tragenden Sonderregelung Vorrang gegenüber den Vorschriften des GVG zu. Daher dürfte § 568 Satz 1 ZPO auch dann anzuwenden sein, wenn - anders als im Fall des § 122 Abs. 1 GVG - ein ausdrücklicher Einzelrichtervorbehalt fehlt.

3. Schließlich steht der Entscheidung durch den Einzelrichter im strafprozessualen Kostenfestsetzungsverfahren auch nicht entgegen, dass sich in den Materialien zu dem Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27. Juli 2001 (BGBl. I 1887), durch das § 568 ZPO seine derzeitige Fassung erhalten hat, kein Hinweis dazu findet, den am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten seien die Folgen bewusst gewesen, die die Einführung des originären Einzelrichters im Beschwerderechtszug für die Kostenfestsetzung im Strafprozess hat. Jedenfalls kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, der Gesetzgeber habe das strafprozessuale Kostenfestsetzungsverfahren von der Neuregelung ausnehmen wollen. Der Einführung des § 568 ZPO lag der Gedanke zugrunde, dass der mit einer Entscheidung durch das Richterkollegium verbundene personelle Aufwand außer Verhältnis zu der Bedeutung der Beschwerdeverfahren stehe (BT-Drucks. 14/4722 [S. 111]). Die Schwierigkeit der rechtlichen und tatsächlichen Fragen, die sich bei der Kostenfestsetzung stellen, sowie die Bedeutung der kostenrechtlichen Abwicklung des Hauptverfahrens für die Betroffenen weichen im Straf- und Zivilprozess indes nicht maßgeblich voneinander ab. Es besteht daher kein Anlass, die Geltung des § 568 Satz 1 ZPO für das strafprozessuale Kostenfestsetzungsverfahren im Wege einer einschränkenden Auslegung des § 464 b Satz 3 StPO zu verneinen.

Ende der Entscheidung

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