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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 16.10.2000
Aktenzeichen: 3 Ws 395/00
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 56 f Abs. 1 Satz 1
StPO § 309 Abs. 2
StPO § 310
StPO § 311
StPO § 453 Abs. 2 Satz 2
StPO § 462 a Abs. 1 Satz 1
Leitsatz:

1.

Hat anstelle der funktionell zuständigen Strafvollstreckungskammer das Amtsgericht als Gericht des 1. Rechtszuges die Strafaussetzung widerrufen, so gilt die "weitere sofortige Beschwerde" gegen die das Rechtsmittel des Verurteilten verwerfende Entscheidung der Beschwerdekammer des Landgerichts als sofortige Beschwerde gegen diese Entscheidung. Sie führt zur Aufhebung der Beschwerdeentscheidung.

2.

Der Beschwerdesenat des Oberlandesgerichts erläßt die in der Sache erforderliche Entscheidung, wenn er geschäftsplanmäßig für Beschwerden gegen Beschlüsse der Strafvollstreckungskammer zuständig ist, die über den Bewährungswiderruf hätte befinden müssen:


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

3 Ws 395/00 11 Js 172/94 StA Wuppertal

In der Strafsache

wegen Körperverletzung

hat der 3. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht B, den Richter am Oberlandesgericht v B und den Richter am Landgericht R am

16. Oktober 2000

auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluß der 3. großen Strafkammer des Landgerichts Wuppertal vom 20. Juli 2000 - 23 Qs 303/00 - nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft

beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.

Der Beschluß des Amtsgerichts Solingen vom 19. April 2000 ist gegenstandslos.

Die mit Urteil des Amtsgerichts Solingen vom 2. August 1994 bewilligte Strafaussetzung zur Bewährung wird widerrufen.

Die zur Erfüllung der Bewährungsauflage erbrachten Zahlungen werden in der Weise auf die Strafe angerechnet, daß zwei Monate der Gesamtfreiheitsstrafe als verbüßt gelten.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Beschwerdeführer.

Gründe:

Durch rechtskräftiges Urteil vom 2. August 1994 verhängte das Amtsgericht Solingen gegen den Verurteilten wegen vorsätzlicher Körperverletzung in vier Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, deren Vollstreckung für die Dauer von fünf Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die im Bewährungsbeschluß auferlegte Zahlung eines Geldbetrages von 5.000,00 DM hat der Verurteilte erbracht.

Der Verurteilte ist innerhalb der Bewährungszeit erneut straffällig geworden. Er hatte am 14. Februar 1999 eine vorsätzliche Körperverletzung begangen und wurde deshalb durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts Solingen vom 25. Oktober 1999 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Diese Strafe verbüßt der Verurteilte seit dem 6. April 2000 in der Justizvollzugsanstalt Remscheid.

Durch Beschluß vom 19. April 2000 hat das Amtsgericht die Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 56 f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB widerrufen. Die Leistungen des Verurteilten zur Erfüllung der Zahlungsauflage hat es mit zwei Monaten auf die erkannte Gesamtfreiheitsstrafe angerechnet. Durch den angefochtenen Beschluß hat die 3. große Strafkammer des Landgerichts Wuppertal die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen diesen Widerrufsbeschluß verworfen. Hiergegen wendet sich der Verurteilten mit der "sofortigen weiteren Beschwerde". Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.

I.

1.

Eine "sofortige weitere Beschwerde" ist zwar gesetzlich nicht vorgesehen und als solche unstatthaft (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 311 Rdnr. 1; KMR-Plöd, StPO, 7. Aufl., § 311 Rdnr. 2).

Das Rechtsmittel des Verurteilten gilt hier allerdings als sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung der 3. großen Strafkammer des Landgerichts Wuppertal. In Rechtsprechung und Literatur ist ganz einhellig anerkannt, daß der aufgrund einer Beschwerde ergangene Beschluß des Landgerichts entsprechend der wahren Rechtslage als erstinstanzliche Entscheidung anzusehen ist, wenn für diese tatsächlich nicht das Amtsgericht, sondern das Landgericht zuständig ist. In einem solchen Fall ist die (sofortige) Beschwerde gegen die Entscheidung des Landgerichts zulässig, weil sonst die vom Gesetz gewollte Entscheidung des dem Landgericht übergeordneten Gerichts im Beschwerdeverfahren nicht erreichbar wäre (vgl. Senatsbeschlüsse vom 12. November 1981 - 3 Ws 623/81 - und 3. Mai 1985 - 3 Ws 182/85 -; BayObLG St 1955, 19; OLG Bremen NJW 1967, 1975; OLG Celle NJW 1973, 1710; OLG Frankfurt NJW 1980, 1808; OLG Hamm MDR 1981, 425; KK-Engelhardt, StPO, 4. Aufl., § 310 Rdnr. 4; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 310 Rdnr. 2; LR-Gollwitzer, StPO, 24. Aufl., § 310 Rdnr. 7; KMR-Plöd, StPO, 7. Aufl., § 310 Rdnr. 1; SK-Frisch, StPO, § 310 Rdnr. 10).

So liegt der Fall hier: Zur erstinstanzlichen Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung war gemäß §§ 462 a Abs. 1 und 4, 453 StPO das Landgericht Wuppertal zuständig. Dieses war seit Beginn der Strafverbüßung des Verurteilten in der Justizvollzugsanstalt Remscheid mit der Sache i.S.d. 462 a Abs. 1 StPO "befaßt".

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten, die form- und fristgerecht eingelegt ist, führt zur Aufhebung des Beschlusses der 3. großen Strafkammer des Landgerichts. Für die Entscheidung über den Widerruf war nicht die Strafkammer als Beschwerdegericht, sondern nach § 78 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 GVG die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts funktionell zuständig.

Die Aufhebung bewirkt, daß der Beschluß des Amtsgerichts Solingen vom 19. April 2000 gegenstandslos geworden ist.

II.

Die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses führt hier nicht zur Zurückverweisung an die funktionell zuständige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts. Der Senat entscheidet gemäß § 309 Abs. 2 StPO in der Sache selbst.

1.

Dies ist hier zulässig. Denn der zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses führende Mangel kann im Beschwerdeverfahren in dem Sinne ausgeglichen werden, daß der Senat an die Stelle der an sich zur Entscheidung berufenen Strafvollstreckungskammer tritt (vgl. BGHSt 38, 312): Im Fall des Bewährungswiderrufs durch die zuständige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Wuppertal, in deren Bezirk sich der Verurteilte in Strafhaft befindet, wäre der Senat geschäftsplanmäßig als Beschwerdegericht zuständig.

Soweit das HansOLG Hamburg (StV 1992, 587) eine andere Auffassung vertritt, weil die Strafvollstreckungskammer dem Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft möglicherweise nicht gefolgt wäre, widerspricht dies dem Grundgedanken des § 309 Abs. 2 StPO, zumal ein Instanzverlust grundsätzlich einer eigenen Entscheidung des Senats nicht entgegensteht.

2.

Die Strafaussetzung ist gemäß § 56 f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB zu widerrufen. Der Verurteilte hat durch eine in der Bewährungszeit begangene Straftat gezeigt, daß er die der Strafaussetzung zugrundeliegende Erwartung nicht erfüllt hat.

Am 14. Februar 1999 hat sich der Verurteilte einer vorsätzlichen Körperverletzung schuldig gemacht. Er ist deshalb - rechtskräftig - durch Urteil des Amtsgerichts Solingen vom 25. Oktober 1999 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden.

Der Umstand, daß die Bewährungszeit seit dem 1. April 1999 abgelaufen ist, steht dem Bewährungswiderruf nicht entgegen. Der Verurteilte hatte schon allein im Hinblick auf Art und Schwere der neuen - einschlägigen - Tat keinen Grund, auf den Erlaß der Strafe zu vertrauen.

Angesichts der erheblichen einschlägigen Vorbelastungen sowie des massiven Bewährungsversagens des Verurteilten sind minderschwere Maßnahmen im Sinne des § 56 f Abs. 2 StGB nicht geeignet, die negative Sozialprognose des Verurteilten günstig zu beeinflussen.

Die Anrechnung der Leistung von 5.000,00 DM, die der Verurteilte zur Erfüllung der im Bewährungsbeschluß vorgesehenen Zahlungsauflage erbracht hat, beruht auf § 56 f Abs. 3 Satz 2 StGB. Der Senat hält es für angemessen, diese Leistung in der Weise anzurechnen, daß zwei Monate der erkannten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten als verbüßt gelten.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO. Der Verurteilte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen, da sein Rechtsmittel im Ergebnis erfolglos eingelegt ist.

Ende der Entscheidung

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