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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 17.12.2002
Aktenzeichen: 4 U 114/02
Rechtsgebiete: AUB 88, VVG


Vorschriften:

AUB 88 § 1
AUB 88 § 2 I (1)
AUB 88 § 7 VI
VVG § 6 Abs. 3
1.

Wenn der alkoholgewöhnte und übermüdete Versicherungsnehmer mit 0,84 0/00 BAK ohne erkennbaren Grund auf trockener und schnurgerade verlaufender Autobahn nach rechts von der Fahrbahn abgekommen und danach weiter über eine Strecke von 65 m geradeaus gefahren ist, bis sein Fahrzeug an einen Baum stieß, kann nicht festgestellt werden, dass der Unfall auf einer alkoholbedingten Bewusstseinsstörung beruht und der Versicherer deshalb von seiner Leistungspflicht für den Todesfall nach § 2 I (1) AUB 88 frei geworden ist.

2.

Seiner Pflicht, über die Folgen bewusst unwahrer Angaben (§ 6 Abs. 3 VVG) in drucktechnisch hervorgehobener Form zu belehren, genügt der Versicherer nicht, wenn der Belehrung in Ziff. 9.1 des Vordrucks - ebenfalls in Kleindruck - weitere Hinweise unter Ziff. 9.2., 9.3 und 9.4. folgen.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 114/02

Verkündet am 17. Dezember 2002

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 19. November 2002 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. S..., des Richters am Oberlandesgericht Dr. W... und des Richters am Landgericht H...

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 20. März 2002 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf - Einzelrichter - teilweise abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 9.714,55 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 1 des Diskontsatz-Überleitungs-Gesetzes vom 2. September 2000 bis zum 31. Dezember 2001 und in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 1. Januar 2002 - jedoch jeweils nicht mehr als 9 % Zinsen - zu zahlen. Wegen der weitergehenden Zinsforderung wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Ehemann der Klägerin schloss bei der Beklagten eine dynamische Unfallversicherung unter Einbeziehung der AUB 88 ab. Die Police sieht für den Todesfall eine Leistung von 19.000 DM vor. Die bezugsberechtigte Ehefrau des verstorbenen Versicherungsnehmers begehrt von der Beklagten diese Versicherungsleistung.

Der Ehemann der Klägerin erlitt am 12. Juni 2000 gegen 14.30 Uhr auf der BAB 67 in Fahrtrichtung M... einen tödlichen Verkehrsunfall, als er mit seinem Pkw Opel Kadett auf gerader Strecke von der Fahrbahn abkam. Nach dem Unfall fand die Polizei sechs leere 0,5-1 Bier-Dosen auf dem Beifahrersitz. Die Untersuchung einer dem Verstorbenen entnommenen Blutprobe ergab eine BAK von 0,84 0/00.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 19. September 2000 die Leistung unter Berufung darauf, der Ehemann der Klägerin habe den Unfall in Folge einer alkoholbedingten Geistes- oder Bewusstseinsstörung erlitten, verweigert (GA 16).

Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, für den Unfall sei eine alkoholbedingte Bewusstseinsstörung ursächlich gewesen. Dies ergebe sich aus der bei dem Ehemann der Klägerin festgestellten BAK von 0,84 0/00 und daraus, dass er ohne erkennbaren Grund auf trockener, gerade verlaufender Autobahn von der Fahrspur abgekommen sei. Dass der Ehemann der Klägerin alkoholkrank sei, an den Konsum von Alkohol gewöhnt sei und zwei Tage kaum geschlafen habe, ändere daran nichts, denn ein ermüdeter Fahrer sei bei einer BAK von 0,84 0/00 erst recht fahruntüchtig.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Sie macht im Wesentlichen geltend, das Landgericht habe zu Unrecht einen alkoholtypischen Fahrfehler angenommen.

II.

Die zulässige Berufung hat weitgehend Erfolg.

1.

Die Klägerin kann die Beklagte im Zusammenhang mit dem Verkehrsunfall vom 12. Juni 2000 nach §§ 1, 7 VI. AUB 88 auf die Todesfallleistung von 9.714,55 € (19.000 DM) in Anspruch nehmen, denn die Beklagte ist weder nach § 2 I (1) AUB 88 noch aus einem anderen Grund von der Leistungspflicht frei geworden.

a) Nach § 2 I (1) AUB 88 sind Unfälle durch Geistes- und Bewusstseinsstörungen, auch soweit diese auf Trunkenheit beruhen, nicht vom Versicherungsschutz umfasst. Bewusstseinsstörung ist dabei nicht mit völliger Bewusstlosigkeit gleichzusetzen, es genügen solche "krankhaften" Störungen der Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit, die den Versicherten außerstande setzen, den Sicherheitsanforderungen der Umwelt zu genügen (BGH NJW 1985, 2534).

Dass der Ehemann der Beklagten alkoholbedingt so sehr in seiner Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit gestört war, dass er der konkreten Gefahrenlage im Straßenverkehr nicht mehr gewachsen war und deshalb verunglückt ist, steht nicht fest. Mit einer BAK von leicht über 0,8 0/00 ist die Grenze der absoluten Fahruntüchtigkeit, die bei einem Kraftfahrer bei einer BAK von 1,1 0/00 erreicht ist (vgl. BGH VersR 1990, 1177, 1179; BGH NJW 1991, 1357) nicht überschritten. Der Ehemann der Klägerin war allenfalls relativ fahruntüchtig. In einem solchen Fall kann eine alkoholbedingte Bewusstseinsstörung nur dann angenommen werden, wenn das zum Schaden führende Verhalten des Versicherten den Rückschluss auf eine Ausfallerscheinung zulässt, die gerade auf einer Bewusstseinsstörung beruht (vgl. BGH VersR 1985, 779; OLG Frankfurt VersR 1985, 941; Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl. AUB 88, § 2 Rdnr. 14).

Nach Auffassung des Senats lässt sich dies nicht feststellen. Der Ehemann der Klägerin war über lange Jahre alkoholkrank. Dies spricht für eine starke Alkoholtoleranz und gegen die Annahme, dass bei ihm schon bei einer BAK von leicht über 0,8 0/00 spürbare Ausfallerscheinungen aufgetreten sein müssen. Der Unfall, in dessen Folge der Ehemann der Klägerin verstarb, ist nicht notwendig auf alkoholbedingte Ausfallerscheinungen zurückzuführen. Das Unfallereignis ist nicht mit den von der Rechtsprechung entschiedenen Fällen vergleichbar, in denen aus einem besonders auffälligem - nicht anders erklärbarem - Fahrverhalten, z.B. dem Geradeausfahren in einer Kurve (vgl. z.B. OLG Hamm ZfS 1999, 204; OLG Hamm VersR 1985, 941, 942; OLG Celle VersR 1997, 98; OLG Nürnberg r+s 1996, 465; OLG Nürnberg VersR 1990, 480), auf eine alkoholbedingte Ausfallerscheinung geschlossen wurde. Der Ehemann Klägerin ist nicht auf kurviger Strecke geradeaus gefahren, sondern auf einer schnurgeraden Fahrbahn nach rechts abgekommen und über eine Strecke von 65 m geradeaus gefahren, bis er mit seinem Fahrzeug an einen Baum stieß. Dieser Unfall mag auf alkoholtypische Ausfallerscheinungen zurückzuführen sein, es ist aber ebenso denkbar und nicht unwahrscheinlich, dass der Verstorbene - wie von der Klägerin behauptet - in den letzten zwei Nächten vor dem Unfall kaum geschlafen hatte, deswegen übermüdet war und aus diesem Grund während der Fahrt einschlief. Die Übermüdung des Ehemanns der Klägerin muss - zumal von einer erheblichen Alkoholtoleranz beim Verstorbenen auszugehen ist - nicht notwendig Folge einer trunkenheitsbedingten Bewusstseinsstörung gewesen sein. Die "natürliche" Müdigkeit ist jedoch - auch bei Übermüdung - keine Bewusstseinsstörung i.S.v. § 2 AUB 88 (vgl. Grimm, Unfallversicherung, 3. Aufl. 2000, § 2 Rdnr. 8).

Dieses Ergebnis wirkt sich zu Lasten der Beklagten aus, die als Versicherer die Voraussetzungen des § 2 AUB 88 nachzuweisen hat (vgl. Prölss/Martin, a.a.O., § 2 Rdnr. 2).

Die Bestimmung des § 61 VVG greift, weil nur auf die Schadensversicherung anwendbar, ebenfalls nicht zu Gunsten der Beklagten ein.

b) Die Beklagte ist auch nicht wegen einer Obliegenheitsverletzung der Klägerin nach §§ 9 II., 10, 12 II. i.V.m. § 6 Abs. 3 VVG von der Leistungspflicht frei geworden. Es kann dahinstehen, ob die Klägerin sich vorwerfen lassen muss, in der Schadenanzeige vom 27. Juni 2000 unzutreffende Angaben zu Erkrankungen ihres Ehemanns gemacht zu haben, weil es im Ergebnis nicht darauf ankommt. Die Beklagte kann sich jedenfalls nicht mit Erfolg auf eine Obliegenheitsverletzung berufen, weil sie die Klägerin hierzu nicht ordnungsgemäß belehrt hat. Der Hinweis auf die Folge der Obliegenheitsverletzung - nämlich der Verlust des Versicherungsschutzes - muss drucktechnisch so angebracht sein, dass er für den Versicherungsnehmer nicht zu übersehen ist (vgl. Römer/Langheid, VVG, § 6 Rdnr. 45). Diesen Anforderungen genügt die unter Ziff. 9.1. des Vordrucks der Beklagten nicht besonders hervorgehobene Belehrung (GA 31) nicht, zumal danach unter Ziff. 9.2., 9.3 und 9.4 - ebenfalls - in Kleindruck weitere Hinweise folgen.

2.

Der Zinsausspruch rechtfertigt sich aus §§ 284, 288 Abs. 1 a.F. BGB in Verbindung mit Art 229 § 7 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 EGBGB. Danach tritt mit Wirkung vom 1. Januar 2002 an die Stelle des Basiszinssatzes nach dem Diskontsatz-Überleitungsgesetz vom 9. Juni 1998 der Basiszinssatz des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Der für die Zeit vor dem 1. Januar 2002 zu zahlende Zins bestimmt sich gem. Art. 229 §§ 5, 7 Abs. 2 EGBGB weiterhin nach den Bestimmungen des Diskontsatz-Überleitungs-Gesetzes vom 9. Juni 1998.

Seit September 2001 beläuft sich der jeweilige Basiszinssatz auf weniger als 4 %, so dass der nach § 288 Abs.1 a.F. BGB zu bestimmende Verzugszins weniger als 9 % beträgt. Ein weitergehender Verzugsschaden ist nicht ausreichend belegt worden, was die teilweise Klageabweisung rechtfertigt. Zwischen September 2000 und August 2001 betrug der Basiszins 4,26 %. Der Senat darf jedoch nicht mehr als die 9 % Zinsen zusprechen, die von der Klägerin für diesen Zeitraum beantragt worden sind (§ 308 Abs. 1 ZPO).

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 ZPO.

Die übrigen prozessualen Nebenentscheidungen rechtfertigen sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Der Berufungsstreitwert beträgt 9.714,55 €.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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