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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 19.09.2000
Aktenzeichen: 4 U 166/99
Rechtsgebiete: BB-BUZ


Vorschriften:

BB-BUZ § 2 (1)
Leitsatz:

1.

In der Berufsunfähigkeitsversicherung ist für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit einer als "Dienstleistungsfachkraft" ausgebildeten Beamtin (Posthauptschaffnerin) auf die von ihr bisher ausgeübte Tätigkeit - hier als Briefzustellerin - abzustellen und nicht auf andere denkbare Tätigkeiten von Posthauptschaffnern.

2.

Der Versicherer kann die berufsunfähige Briefzustellerin nicht mit Erfolg auf eitle Tätigkeit im Innendienst der Deutschen Post AG verweisen, wenn solche Arbeitsplätze "leistungsgeminderten Arbeitsplatzinhabern" vorbehalten sind und weder allgemein noch - wegen Erschöpfung des Kontingents - der Versicherungsnehmerin zugänglich sind (Nischenarbeitsplätze).


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 166/99 8 O 128/99 LG Duisburg

Verkündet am 19. September 2000

T., Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 15. August 2000 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. S, des Richters am Oberlandesgericht Dr. W sowie des Richters am Landgericht O

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 29. Juli 1999 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Berufsunfähigkeitsrente für den Zeitraum von Mai 1998 bis Mai 1999 in Höhe von 800 DM pro Monat, mithin insgesamt 10.400 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 18. Mai 1999 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die Klägerin beansprucht Rentenleistungen aus einer bei der Beklagten abgeschlossenen Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (ohne Beamtenklausel, Police GA 6 ff.; BUZ GA 106/107).

Die Klägerin war nach Ausbildung als "Dienstleistungsfachkraft" als Beamtin - Postthauptschaffnerin - bei der D P im Briefzustelldienst tätig. Aufgrund von Rückenproblemen wurde sie vom 1. November 1997 bis zum 5. April 1998 - als Urlaubs- und Krankheitsvertretung - im Innendienst der Post beschäftigt. Mit Schreiben vom 2. Juli 1998 (GA 26) bestätigte die Post, nach Rückkehr der regulären Innendienst- Mitarbeiter sei eine Weiterbeschäftigung der Klägerin im Innendienst mangels weiterer geeigneter Arbeitsplätze nicht mehr möglich gewesen. Die Klägerin ist inzwischen mit Wirkung ab September 1998 (GA 120) wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig in Ruhestand versetzt worden (§§ 42 Abs. 1, 44 BBG; vgl. GA 10).

Die Klägerin hat behauptet, infolge von behandlungsresistenten Lumboischialgien berufsunfähig zu sein. Sie könne weder den Zustelldienst noch Innendienst verrichten. Auch der zuletzt wahrgenommene Innendienst sei mit erheblichen körperlichen Belastungen (z.B. Auspacken, Umfüllen, Wiegen von Sendungen) verbunden, denen sie nicht mehr gewachsen sei.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie eine Rente wegen Berufsunfähigkeit in Höhe von 800 DM monatlich für den Zeitraum Mai 1998 bis einschließlich Mai 1999 nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat bestritten, daß die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen insbesondere auch für den Innendienst ausscheide. Dort sei die Klägerin nur deshalb nicht weiterbeschäftigt worden, weil ein entsprechender Arbeitsplatz nicht mehr frei gewesen sei. Das Arbeitsplatzrisiko sei nicht versichert.

Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, Maßstab für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit sei die zuletzt von der Klägerin ausgeübte Innendiensttätigkeit, welcher die Klägerin gesundheitlich gewachsen gewesen sei. Ein Verlust des Arbeitsplatzes aus anderen als gesundheitlichen Gründen sei von der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung nicht gedeckt.

Mit ihrer Berufung vertritt die Klägerin die Auffassung, für die Beurteilung ihrer Berufsunfähigkeit komme es primär darauf an, ob sie wie vor ihrer Erkrankung noch als Briefzustellerin tätig sein könne, was nicht der Fall sei. Auch dem Innendienst sei sie aber nicht mehr gewachsen. Dabei nämlich falle das Tragen mit Post gefüllter Kästen oder von zusammengebündelten Postsendungen an, die 10 kg - und teilweise noch mehr - schwer seien. Diese Bündel befänden sich in sogenannten Kordessen, die ein Gesamtgewicht von mehr als 200 kg hätten und aus denen die Postbearbeiter die Postbündel bzw. die Kästen mit Post herausheben müßten. Für Konkurrenzunternehmen der D P dürfe sie nicht arbeiten. Ferner sei ihr eine Erwerbstätigkeit nicht zuzumuten, soweit ihre Versorgungsbezüge wegen der dadurch erzielten zusätzlichen Einkünfte gekürzt würden (vgl. GA 90).

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, an sie eine Rente wegen Berufsunfähigkeit in Höhe von 800 DM monatlich für den Zeitraum Mai 1998 bis einschließlich Mai 1999 nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bestreitet die von der Klägerin behaupteten körperlichen Belastungen, die auch mit einer Tätigkeit im Innendienst verbunden sein sollen. Überdies müsse sich die Klägerin auf eine Tätigkeit als Mitarbeiterin in Poststellen/Versand oder auch als Telefonistin verweisen lassen.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist begründet.

1.

Maßgeblich für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit ist primär die Tätigkeit, welche der Versicherungsnehmer "in gesunden Tagen" zuletzt ausgeübt hat (vgl. BGH VersR 1993, 1470/1471), hier also die Tätigkeit als Briefzustellerin. Daß die Klägerin dieser Tätigkeit nicht mehr gewachsen ist, nimmt die Beklagte hin. Für Beamte gilt (anders OLG Koblenz NVersZ 2000, 223) nicht abweichend davon, daß als "letzter Beruf" die gesamte Spannbreite des jeweiligen Amtes - hier das einer Posthauptschaffnerin - zugrundezulegen ist. Ein solches Verständnis der Versicherungsbedingungen erschließt sich dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer, auf den es ankommt, nicht. Für Beamte treffen die hier verwendeten Versicherungsbedingungen keinerlei Sonderregelungen. Auch für Beamte kommt es deshalb auf die zuletzt ausgeübte Tätigkeit in ihrer konkreten Ausgestaltung an.

2.

Die Klägerin muß sich auch nicht auf eine anderweitige Tätigkeit, insbesondere nicht auf eine Beschäftigung im Innendienst der Post, verweisen lassen. Es bedarf keiner Entscheidung, ob die Klägerin auch im Innendienst wegen ihrer Rückenprobleme nicht einsetzbar wäre. Denn unbestritten sind Innendienstarbeitsplätze bei der D P - wie es im Auskunftsschreiben vom 22. September 1998 heißt (GA 39) - "leistungsgeminderten Arbeitsplatzinhabern" vorbehalten, wobei das zur Verfügung stehende Kontingent eine leidensgerechte Fortbeschäftigung der Klägerin nicht ermöglichte. Damit aber steht fest, daß für die Klägerin nur Arbeitsplätze in Betracht kämen, für die es keinen allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die vielmehr der Unterbringung leistungsgeminderter oder schwerbehinderter Bediensteter vorbehalten sind ("Nischenarbeitsplätze"). Die Beschäftigung der Klägerin scheitert diesbezüglich somit nicht an der Lage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, die nach Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs irrelevant ist (vgl. NVersZ 1999, 515), sondern daran, daß es allgemein zugängliche Stellen nicht gibt. Überdies wird die Klägerin mit ihren gesundheitlichen Problemen nicht mehr als vollwertige Arbeitskraft eingestuft und könnte deshalb allenfalls auf soziales Entgegenkommen bauend eine Fortbeschäftigung erhofft haben. Das aber hält der Senat für nicht zumutbar.

Eine Verweisung auf Tätigkeiten in einer Poststelle/Versand (GA 42) oder als Telefonistin (GA 44) verbietet sich schon deshalb, weil diese Berufe keine besonderen Qualifikationen erfordern, während der Beruf der Klägerin (jetzt: Fachkraft für Dienst- und Frachtverkehr) eine zweijährige Ausbildung voraussetzt (vgl. GA 24).

Das Anforderungsprofil für eine Tätigkeit für ein Konkurrenzunternehmen der D P (Kurier-, Express- oder Paketdienste) ist von der darlegungsbelasteten Beklagten nicht aufgezeigt worden. Der lapidare Hinweis auf Annahme und Ausgabe von Frachtpostsendungen (vgl. GA 45/46) ist gänzlich unzureichend. Die übrigen Beschreibungen betreffen ersichtlich Tätigkeiten bei der Post.

Der Höhe nach ist der Anspruch nicht bestritten. Die Zinsentscheidung folgt aus den §§ 288 Abs. 1 Satz 1, 291 ZPO.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision sind nicht erfüllt.

Berufungsstreitwert und Beschwer der Beklagten: 10.400 DM.

Ende der Entscheidung

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