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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 26.06.2001
Aktenzeichen: 4 U 210/00
Rechtsgebiete: AHB, VVG


Vorschriften:

AHB § 4 I Nr. 6 Abs. 3
AHB § 5 Nr. 5
VVG § 12 Abs. 1
VVG § 156
VVG § 157
1.

Der Geschädigte, dessen Schadensersatzforderung gegen den Gemeinschuldner zur Konkurstabelle festgestellt ist und dessen Recht nach § 157 VVG auf abgesonderte Befriedigung aus der Entschädigungsforderung des Gemeinschuldners gegen seinen Haftpflichtversicherer vom Konkursverwalter anerkennt worden ist, hat gegen den Haftpflichtversicherer Anspruch auf Auskunft über den Gegenstand und den Umfang des Versicherungsschutzes.

2.

Demgegenüber kann sich der Versicherer nicht mit Erfolg auf Risikoausschlüsse und Obliegenheitsverletzungen nach den AHB berufen, solange er den Versicherungsvertrag dem Geschädigten und dem Gericht vorenthält und deshalb die unveränderte Geltung der AHB nicht feststellbar ist.

3.

Zur Verjährung des Auskunftsanspruchs.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 210/00

Verkündet am 26. Juni 2001

In Sachen

pp.

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 29. Mai 2001 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. S und der Richter am Oberlandesgericht Dr. W und Dr. R

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 17. Oktober 2000 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer - Einzelrichterin - des Landgerichts Düsseldorf abgeändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin sämtliche vertragliche Unterlagen über das Haftpflichtversicherungsverhältnis zwischen der Beklagten und der D F V und S GmbH, sowie alle Nachträge und Versicherungsbedingungen vorzulegen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat Erfolg. Die Klägerin kann von der Beklagten Auskunft über den Inhalt des Haftpflichtversicherungsvertrags zwischen ihr und der D F V - und S GmbH (im Folgenden: Gemeinschuldnerin) verlangen, wobei der Senat im Urteilstenor das im Berufungsantrag zum Ausdruck gebrachte Aufklärungsinteresse der Klägerin konkretisiert hat.

1.

Zwar ist dem deutschen Zivilrecht eine allgemeine, nicht aus besonderen Rechtsgründen abgeleitete Auskunftspflicht fremd. Nur unter engen Voraussetzungen erkennt daher die Rechtsprechung einen aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) abgeleiteten Auskunftsanspruch an (BGH, NJW 1986, 1244; NJW-RR 1987, 1296). Ob die danach im Regelfall zu beachtenden Erfordernisse erfüllt sind, kann im Streitfall indes dahingestellt bleiben, weil hier besondere Umstände gegeben sind, die auch unabhängig davon die Anerkennung eines Auskunftsrechts rechtfertigen. Die Haftpflichtversicherung, aus der die Klägerin als Geschädigte einen Ersatzanspruch für sich herleitet, unterliegt nämlich nach höchstrichterlicher Rechtsprechung einer besonderen sozialen Bindung. Diese kommt in den §§ 156, 157 VVG zum Ausdruck, da daraus die Wertung des Gesetzgebers hervorgeht, dass dem Geschädigten "die Entschädigung unter allen Umständen ... zugute" kommen soll (BGH, a.a.O., unter Hinweis auf die amtliche Begründung zur Gesetzesnovelle). Mit Rücksicht darauf hat der BGH auch das Feststellungsinteresse für eine vorweggenommene Deckungsschutzklage des geschädigten Dritten bejaht, weil anderenfalls die Gefahr bestünde, dass ihm der Deckungsanspruch als Befriedigungsobjekt verloren geht (BGH, VersR 2001, 90). Rechtfertigt schon das die unmittelbare Inanspruchnahme des Haftpflichtversicherers, obwohl der Haftpflichtanspruch noch ungeklärt ist, so kann aber auch der Klägerin ein Auskunftsanspruch über den Gegenstand und Umfang des Versicherungsschutzes nicht verwehrt werden, zumal in ihrem Fall die sonstigen Voraussetzungen eines Anspruchs auf abgesonderte Befriedigung nach § 157 VVG bereits feststehen. Denn unstreitig ist ihr Schadensersatzanspruch in voller Höhe zur Konkurstabelle festgestellt und ihr Absonderungsrecht vom Konkursverwalter anerkannt worden (vgl. dazu Johannsen, r+s 1997, 309, 317; BK-Baumann, VVG, § 157 Rn. 5 ff.). Wollte man der Klägerin unter diesen Umständen ein Auskunftsrecht versagen, weil sie ihr Informationsbedürfnis auch durch die Inanspruchnahme der Gemeinschuldnerin oder des Konkursverwalters befriedigen kann, so liefe auch sie Gefahr, dass der Deckungsanspruch in der Zwischenzeit u. U. verjährt oder durch Ablauf einer von der Klägerin gesetzten Klagefrist untergeht. Das wäre aber mit der Sozialbindung der Haftpflichtversicherung nicht in Einklang zu bringen.

2.

Dem daraus resultierenden Auskunftsanspruch kann die Beklagte nicht entgegenhalten, dass im Streitfall der Risikoausschluss des § 4 I Nr. 6 Abs. 3 AHB eingreife und der Konkursverwalter gegen das Anerkennungsverbot gemäß § 5 Nr. 5 AHB verstoßen habe. Nach ihrem Vorbringen spricht zwar einiges dafür, dass der Haftpflichtanspruch der Klägerin auf eine an die Stelle der Erfüllungsleistung tretende Ersatzleistung gerichtet ist, für die der Haftpflichtversicherer nach § 4 I Nr. 6 Abs. 3 AHB nicht einzustehen hat. Dass die AHB dem Versicherungsvertrag (in unveränderter Form) zugrunde liegen, ist jedoch nicht feststellbar, da die Beklagte den Versicherungsvertrag nicht nur der Klägerin, sondern auch dem Senat vorenthalten hat. Aus demselben Grund kann sich die Beklagte auch nicht mit Erfolg auf einen zu ihrer Leistungsfreiheit führenden Obliegenheitsverstoß nach § 5 Nr. 5 AHB berufen. Davon abgesehen ergibt sich aus ihrem Schreiben vom 25. März 1998 insoweit auch, dass sie selbst den Konkursverwalter auf die Notwendigkeit der Feststellung des Haftpflichtanspruchs zur Konkurstabelle hingewiesen hat. Ob sie unter diesen Umständen noch einwenden kann, die Feststellung sei letztendlich ohne ihre Zustimmung erfolgt, erscheint aber zumindest fraglich, da sie sich allem Anschein nach in der Folge nicht mehr um den Fortgang des Konkursverfahrens gekümmert hat.

3.

Schließlich dringt die Beklagte auch nicht mit der von ihr erhobenen Einrede der Verjährung durch. Ein Auskunftsanspruch verjährt regelmäßig erst nach 30 Jahren (Palandt/Heinrichs, BGB, 59. Aufl., § 195 Rn. 3). Er kann allerdings nicht mehr geltend gemacht werden, wenn das Informationsbedürfnis aufgrund der Verjährung des Leistungsanspruchs, hier des Entschädigungsanspruchs, entfallen ist (BGH, NJW 1985, 384). Im Streitfall ist der Leistungsanspruch bisher aber nicht verjährt.

In der Haftpflichtversicherung beginnt die zweijährige Verjährungsfrist des § 12 Abs. 1 VVG mit dem Ende des Jahres zu laufen, in dem der Geschädigte erstmals Ansprüche gegen den Versicherungsnehmer geltend macht (BGH, VersR 1960, 554; Senat, VersR 1964, 178; 1981, 1072; Römer in: Römer/Langheid, VVG, § 12 Rn. 19). Danach begann der Lauf der Frist hier mit Beginn des Jahres 1993, nachdem die Klägerin mit Schriftsatz vom 30. Januar 1992 ein selbständiges Beweisverfahren (vgl. dazu Späte, Haftpflichtversicherung, § 3 Rn. 23) eingeleitet hatte. Der Fristlauf wurde aber durch das an die Beklagte gerichtete Anspruchsschreiben der Klägerin vom 15. März 1994 gehemmt. Hemmungswirkung entsteht nach § 12 Abs. 2 VVG zwar nur dann, wenn der Versicherungsnehmer oder ein anderer Anspruchsberechtigter den Schaden beim Versicherer anzeigt. Als anspruchsberechtigt gelten allerdings - außer dem Versicherungsnehmer - an sich nur (Mit-)Versicherte, Bezugsberechtigte oder Realgläubiger (Brück/Möller, VVG, 8. Aufl., § 12 Anm. 15). Diese Befugnis kann in der Haftpflichtversicherung aber auch dem Geschädigten nicht abgesprochen werden. Das folgt schon daraus, dass er die Verjährung gleichfalls durch Deckungsklage unterbrechen kann (vgl. Voit in: Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl., § 156 Rn. 1 sowie BGH, VersR 2001, 90).

Bisher hat die Beklagte die Hemmung nicht durch die Zurückweisung des Leistungsanspruchs beseitigt. Vielmehr hat sie der Klägerin noch mit Schreiben vom 18. März 1999 versichert, sie sei weiterhin bemüht, den Versicherungsschutz aufzuklären. Zwar hat sie sich schon erstinstanzlich darauf berufen, dass ein Entschädigungsanspruch nicht bestehe. Damit hat sie sich aber allein gegen den Auskunftsanspruch verteidigt. Dass sie dadurch auch den Entschädigungsanspruch zurückweisen wollte, konnte die Klägerin daraus nicht entnehmen.

4.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Berufungsstreitwert und Beschwer der Klägerin: (149.940 DM x 15 % =) 22.491 DM.

Es besteht keine Veranlassung, die Revision zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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