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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 12.12.2000
Aktenzeichen: 4 U 60/00
Rechtsgebiete: VVG, ZPO


Vorschriften:

VVG § 20
VVG § 21
ZPO § 91
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Verkündet am 12. Dezember 2000

In dem Rechtsstreit

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 21. November 2000 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. S sowie der Richter am Oberlandesgericht Dr. W und Dr. R

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 1. Februar 2000 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf - Einzelrichter - abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger wird gestattet, die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 13.000 DM abzuwenden, es sei denn, die Beklagte leistet ihrerseits Sicherheit in gleicher Höhe.

Die Sicherheiten können auch durch Bankbürgschaft erbracht werden.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Versicherungsleistungen wegen Berufsunfähigkeit.

Am 4. Juli 1996 beantragte der Kläger bei der Beklagten den Abschluß einer Risikolebens- nebst Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (Hefter Blatt 1). Das Versicherungsverhältnis kam antragsgemäß (vgl. Police Hefter Blatt 3) auf der Grundlage unter anderem der Besonderen Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (BUZ, Hefter Blatt 7) unter zusätzlicher Vereinbarung einer Beamtenklausel (Hefter Blatt 6) zustande. Nach der Beamtenklausel gilt auch die Versetzunq in den Ruhestand wegen Krankheit als Berufsunfähigkeit. Der Kläger war als Beamter im Justizvollzugsdienst beschäftigt. Am 28. November 1996 wurde der Kläger, als er einen Gefangenentransport begleitete, verletzt. Beim Öffnen der Transportzelle trat ein Inhaftierter von innen vor die Tür, die den Kläger mit Wucht am Kopf traf. Der Kläger leidet seitdem unter anderem an Tinnitus und an Kopfschmerzen, ferner wurde seine Hörfähigkeit beeinträchtigt. Er war zunächst ca. 7 Wochen arbeitsunfähig (vgl. GA 57) und wurde nach zwischenzeitlicher Aufnahme seiner Tätigkeit und weiteren Arbeitsunfähigkeitszeiten zum Ende des Monats Juli 1998 (GA 52) wegen krankheitsbedingter Dienstunfähigkeit (GA 58) vorzeitig in den Ruhestand versetzt.

Bereits Ende April 1998 (GA 6) hatte der Kläger Berufsunfähigkeitsleistungen bei der Beklagten beantragt. Die Beklagte holte eine Auskunft des Hausarztes des Klägers Dr. M vom 4. August 1998 (GA 53) ein, aus der sich ergab, daß der Kläger von diesem Arzt in der Zeit vor Antragsstellung unter anderem 1992 wegen mutmaßlich auch psychosomatisch bedingter Kopfschmerzen mit Muskelverspannungen, 1994 wegen thorakaler Beschwerden ohne faßbare körperliche Ursache, im Dezember 1994 wegen gastrointestinalen Infekts, im Januar 1995 wegen erheblicher psychosomatischer Beschwerden vor dem Hintergrund der Trennung von seiner Ehefrau und beruflicher Belastung sowie im Oktober und Februar 1996 wiederum wegen psychosomatischer Beschwerden im Brustkorbbereich, im Herbst 1995 wegen Gastritis und im Januar 1996 wegen einer Bronchitis ärztlich behandelt worden war und sich im Januar 1996 überdies bei der Ärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S vorgestellt hatte (GA 54). Von diesen Erkrankungen und Behandlungen sind im schriftlichen Antrag vom 4. Juli 1996 nur "Gastritis 8/95" und "Lungenentzündung 27.12.1995" angegeben. Mit Schreiben vom 9. September 1998, das dem Kläger am 12. September 1998 zuging (GA 37), erklärte die Beklagte wegen Verschweigens der psychosomatischen Beschwerden den Rücktritt (Hefter Blatt 15).

Der Kläger hat behauptet, dem Agenten M der Beklagten auch von seinen psychischen und psychosomatischen Beschwerden in vollem Umfang berichtet zu haben. Mit dessen Erklärung, das müsse nicht im Antragsformular vermerkt werden, habe er sich zufrieden gegeben. Er bestreite, daß es sich insoweit um gefahrerhebliche Umstände handele. Im übrigen sei seine Berufsunfähigkeit, die schon mit dem Vorfall vom 28. November 1996 eingetreten sei, ausschließlich Folge des Schlags der Tür vor seinen Kopf. Seine psychosomatischen Anfälligkeiten hätten sich diesbezüglich nicht ausgewirkt.

Mit dem bezifferten Antrag zu 1. verfolgt der Kläger Rentenrückstände für die Zeit von Dezember 1996 bis März 1999 einschließlich.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 26.320,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 2. Dezember 1996 zu zahlen,

2. festzustellen, daß der Kläger ab 1. April 1999 Anspruch auf die versicherte Leistung aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zur Lebensversicherung, mit der Versicherungsschein-Nr. (derzeit DM 940,00 monatlich) zzgl. etwaiger inzwischen fälliger und fällig werdender Gewinn - und/oder Überschußanteile hat,

und desweiteren - insoweit vom Landgericht- offensichtlich versehentlich im Tatbestand nicht aufgeführt

3. festzustellen, daß die Beklagte seit 1. Dezember 1996 keine Anspruch auf laufende Beitragszahlungen hinsichtlich der bestehenden Lebensversicherung mit der Versicherungsschein-Nr. und der darin eingeschlossenen Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung hat.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, der Kläger habe dem Agenten gegenüber nur die im schriftlichen Antrag festgehaltenen Erkrankungen genannt. Jedenfalls habe der Kläger gewußt, daß seine psychosomatischen Probleme für ihre, der Beklagten, Annahmeentscheidung über den Antrag von Bedeutung gewesen sei. Es habe sich ihm gegebenenfalls aufdrängen müssen, daß der Agent unvollständige Informationen weiterleite. Deshalb könne ihm die "Auge und Ohr"-Rechtsprechung nicht zugute kommen. Die unerwähnt gebliebenen Vorerkrankungen seien für den Eintritt der Berufsunfähigkeit mitursächlich gewesen.

Das Landgericht hat die Beklagte (nach Beweisaufnahme GA 77 bis 79) antragsgemäß zur Zahlung von 26.320,00 DM verurteilt sowie festgestellt, daß der Kläger ab 1. April 1999 Anspruch auf die versicherte Leistung aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung hat. Es hat ausgeführt, die Darstellung des Klägers, seine psychischen und psychosomatischen Beschwerden dem Agenten gegenüber geschildert zu haben, sei durch die Aussage des Zeugen M des Agenten, nicht widerlegt.

Mit ihrer Berufung wendet sich die Beklagte gegen die Beweiswurdigung des Landgerichts. Darauf komme es aber nicht einmal entscheidend an, weil ihr, der Beklagten, die Kenntnisse des Agenten nicht zugerechnet werden könnten, da Kläger und Agent kollusiv zusammengewirkt hätten, wenn die erheblichen Vorerkrankungen zur Sprache gekommen sein sollten und dennoch im Antrag keinen Niederschlag gefunden hätten. Berufsunfähigkeit liege erst ab dem Zeitpunkt der vorzeitigen Zuruhesetzung vor.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Abänderung des angefochtenen Urteils abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Er sei bereits vor der förmlichen Versetzung in den Ruhestand dienstunfähig gewesen. Von Kollusion könne keine Rede sein, er habe seine früheren Phasen der Niedergeschlagenheit letztlich wie auch der Agent als in der Schwankungsbreite der normalen Hochs und Tiefs des Lebens liegend gesehen. Schließlich habe der Agent wissen müssen, was für die Beklagte wichtig gewesen sei und was nicht. Darüber hinaus habe die Beklagte den Rücktritt auch nicht binnen der Monatsfrist des § 20 VVG erklärt.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung führt zur Abweisung der Klage.

Dem Kläger stehen Versicherungsleistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung nicht zu, weil die Beklagte wirksam vom Vertrag zurückgetreten ist und die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 21 VVG - Leistungsverpflichtung trotz Rücktritts - nicht festgestellt werden können.

1.

Der von der Beklagten mit Schreiben vom 9. September 1998 (loser Hefter Bl. 15) erklärte Rücktritt ist in der Sache gerechtfertigt, weil der Kläger seine Anzeigeobliegenheiten bei Vertragsschluß (§§ 16 ff. VVG) verletzt hat. Auch dann, wenn man es mit dem Landgericht für nicht widerlegt hält, daß der Kläger den Agenten M der Beklagten über seine psychischen und psychosomatischen Probleme in vollem Umfang informiert hat - ohne daß dies im schriftlichen Antrag seinen Niederschlag gefunden hätte (vgl. loser Hefter Bl. 1) - ist eine solche Verletzung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit gegeben. Denn die Kenntnis des Agenten ist (oder wäre) der Beklagten hier ausnahmsweise nicht zuzurechnen, weil - das Vorbringen des Klägers als richtig unterstellt - Kläger und Agent kollusiv zu Lasten der Beklagten zusammengewirkt hätten.

Der Kläger stellt nicht in Abrede, daß der Agent ihm die Antragsfragen gestellt hat. Die Frage 3) des Gesundheitskataloges lautet: "Bestehen oder bestanden sonstige Gesundheitsstörungen, allergische Erkrankungen, chronische Leiden, Infektionskrankheiten, Schwerhörigkeit, psychische Störungen ...?". Diese Frage ist verneint. Die Verneinung kann dem Kläger nicht verborgen geblieben sein, weil der Agent ihm ja erklärt haben soll, die psychischen Probleme brauchten in den Antrag nicht aufgenommen zu werden. Das war angesichts der Schwere und der Häufigkeit der Beschwerden, unter denen der Kläger gelitten hatte, handgreiflich falsch. Immerhin waren beim Kläger schon 1997 Kopfschmerzen mit psychosomatischer Überlagerung diagnostiziert worden. Betrachtet man die im Januar 1995 wiederum aufgetretenen psychosomatischen Beschwerden als durch die familiäre und berufliche Situation des Klägers hinreichend erklärt - im Sinne des von der Berufungserwiderung angeführten Auf und Ab im normalen Leben -, so drängte sich doch beim Wiederauftreten psychosomatischer Probleme dann im Oktober 1995 und Anfang 1996 auf, daß es hier um mehr ging als bloße Stimmungsschwankungen. Im Januar 1996 hatte der Kläger wegen seiner Probleme die Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S aufgesucht, die in ihrem Bericht vom 15. Januar 1996 (GA 54) - dort fälschlich mit 1995 datiert - wiedergibt, mit dem Kläer erörtert zu haben, daß ihm eine geregelte Arbeitszeit ohne Nachtschicht angesichts der bei ihm vorhandenen larvierten Depression und des psychosomatischen Beschwerdekomplexes, nach dem zusätzlich ein Magengeschwür aufgetreten war, anzuraten sei. Der Kläger wußte ausweislich des Arztbriefes, daß die ihm empfohlene Vermeidung von Nachtschichten nicht möglich war und ein solches Ansinnen zur vorzeitigen Pensionierung führen konnte. Überdies wußte er auch von Kollegen, daß diese auf Grund psychischer Erkrankungen Probleme mit ihrer Dienstfähigkeit hatten, wie sich aus der insoweit unwidersprochen gebliebenen Aussage des Zeugen M (GA 78) ergibt. Dem Kläger war daher klar, daß aufgrund seiner vor Vertragsschluß aufgetretenen Erkrankungen zumindest zweifelhaft erscheinen mußte, ob er seinem Beruf als Justizvollzugsbeamter auf längere Sicht weiterhin gewachsen sein würde.

Dem Kläger kann bei diesem Kenntnisstand nicht verborgen geblieben sein, daß der Agent, wenn er denn über die Vorerkrankungen zutreffend informiert worden war, der Beklagten etwas unterschlagen wollte, sofern er diese Umstände im Antrag nicht mit aufführte. Damit war für den Kläger evident, daß sich der Agent der Beklagten gegenüber pflichtwidrig verhielt. Dann aber verbietet sich eine Wissenszurechnung unter dem Blickwinkel der "Auge und Ohr"-Rechtsprechung (vgl. OLG Schleswig, VersR 1995, 406; OLG Karlsruhe r + s 1997, 38; OLG Koblenz r + s 2000, 226; Reiss r + s 1998, 133/138).

Daß psychische und psychosomatische Beschwerden, die schon vor Antragstellung vor dem Hintergrund sonstiger Erkrankungen, wenn sich der Kläger an den ärztlichen Rat halten wollte, eine Frühberentung zur Folge haben würden, für den Abschluß einer Berufsunfähigkeitsversicherung erhebliche Gefahrumstände darstellen, liegt auf der Hand. Dazu brauchte die Beklagte nichts näher auszuführen.

2.

Der Rücktritt ist auch nicht deshalb unwirksam, weil er verspätet erklärt worden wäre. Der Kläger kann nicht nachweisen, daß, als ihm das Rücktrittsschreiben der Beklagten am 12. September 1998 (GA 36, 59) zuging, die Monatsfrist des § 20 VVG bereits abgelaufen gewesen wäre. Kenntnis von den Rücktrittsgründen hat die Beklagte erst durch das Auskunftsschreiben des Arztes Dr. M vom 4. August 1998 nebst Anlagen (GA 53 ff.) erlangt. Die Behauptung der Beklagten, dieses Schreiben erst am 30. August 1998 erhalten zu haben, kann der Kläger nicht widerlegen. Für die Richtigkeit dieser Darstellung spricht der Eingangsstempel des im Termin zu den Akten gereichten Briefumschlags des Übersendungsschreibens. Damit, daß das Schreiben in der Praxis Dr. M schon am 4. August 1998 zur Post gegeben worden ist - wofür der Kläger Zeugenbeweis anbietet -, kann ein früherer Eingang bei der Beklagten nicht bewiesen werden. Denn Verzögerungen im Postlauf sind nicht mit der gebotenen Sicherheit auszuschließen.

3.

Die Leistungsverpflichtung ist schließlich nicht gemäß § 21 VVG trotz wirksamen Rücktritts bestehengeblieben. Berufsunfähigkeit ist hier lediglich zu diskutieren aufgrund der vorzeitigen Pensionierung des Klägers in Verbindung mit der vereinbarten Beamtenklausel. Daß er unabhängig von der Beamtenklausel und auch unabhängig von seinen verschwiegenen psychischen Problemen auf Grund des Unfalls vom 28. November 1996 berufsunfähig geworden wäre, ist vom Kläger nicht einmal ausreichend substantiiert dargelegt worden. Es ist auch unbewiesen, daß für die Pensionierung die psychosomatischen und psychischen Beschwerden des Klägers keinerlei Rolle gespielt haben. Dies geht zu Lasten des insoweit beweispflichtigen Klägers. Die Entlassungsurkunde (GA 52) besagt nichts über die Gründe der Entlassung, der vorgelegte amtsärztliche Untersuchungsbericht (GA 58) deutet aber eher darauf hin, daß psychische und psychosomatische Probleme für die Pensionierung eine Rolle gespielt haben. Denn dort ist davon die Rede, daß das psychische Krankheitsbild keine Folge eines Dienstunfalls sei, ferner, daß die Leistungsdefizite untypisch für einen Hirnschaden seien.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Berufungsstreitwert und Beschwer des Klägers: 65.581,12 DM (entsprechend der vorläufigen Festsetzung des Senats vom 25. Mai 2000 zzgl. 3.000 DM wegen des Feststellungsausspruchs bezgl. der Gewinnanteile).



Ende der Entscheidung

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