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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 19.11.2002
Aktenzeichen: 4 U 81/02
Rechtsgebiete: VVG, ZPO


Vorschriften:

VVG § 16
VVG § 21
ZPO § 529 Abs. 1 Nr. 2
ZPO § 531 Abs. 2 Nr. 3 n. F.
1.

Der Versicherer kann von einer Krankentagegeldversicherung wegen schuldhafter Verletzung der Anzeigeobliegenheit zurücktreten, wenn er im Antragsformular nach ärztlichen Untersuchungen, Beratungen oder Behandlungen in den letzten fünf Jahren und deren Einzelheiten gefragt und die Antragstellerin ärztliche Untersuchungen in 1993, 1995 und einen Monat vor dem Antrag in 1996 mit der jeweiligen Diagnose "leichte Fettleber" und "schlechte Leberwerte" nicht angegeben hat. Dabei ist es unerheblich, ob die Antragstellerin sich einer Erkrankung bewusst war.

2.

Die Gefahrerheblichkeit der wiederholten Diagnose "leichte Fettleber" und "schlechte Leberwerte" für einen Krankentagegeldversicherer liegt auch dann auf der Hand, wenn eine Behandlung ärztlicherseits nicht für erforderlich gehalten und lediglich Alkoholabstinenz empfohlen wurde.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 81/02

Verkündet am 19. November 2002

In Sachen

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 29. Oktober 2002 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. S und der Richter am Oberlandesgericht Dr. W und Dr. B

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 21. Februar 2002 verkündete Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal wird zurückgewiesen.

Die Kasten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des beizutreibenden Betrages abwenden, sofern die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin, die bei der Beklagten eine Krankentagegeldversicherung unterhält, nimmt diese für die Zeit vom 29. Juli 1999 bis 21. April 2000 auf Leistung einer Entschädigung in Anspruch, die sie mit 53.600,- DM (= 27.405,25 €) beziffert. Nachdem die Beklagte für den Zeitraum vom 15. Juni bis 28. Juli 1999 Krankentagegeld gezahlt hatte, hat sie mit Schreiben vom 18. November 1999 weitere Leistungen abgelehnt und den Versicherungsvertrag wegen arglistiger Täuschung angefochten, weil die Klägerin im Vertragsantrag vom 20. November 1996 nicht offenbart habe, dass sie schon in den Jahren 1993, 1995 und 1996 wegen einer Lebererkrankung ärztlich behandelt worden sei. Hilfsweise hat die Beklagte ferner den Rücktritt vom Versicherungsvertrag erklärt.

Die Klägerin, die die Beklagte weiterhin für leistungspflichtig hält, hat geltend gemacht, sowohl Dr. B den sie im April 1993 konsultiert habe, als auch Dr. G der sie in der Folge untersucht habe, hätten ihr nur mitgeteilt, dass sie eine "leichte Fettleber" habe.

Die Beklagte hat behauptet, die Klägerin sei bereits von Juli 1993 bis einschließlich Juni 1997 wegen einer auf Alkoholmissbrauch zurückzuführenden Leberzirrhose ärztlich behandelt worden. Der Alkoholabusus mit seinen Gesundheitsfolgeschäden sei auch die ausschließliche Ursache für die von der Klägerin reklamierte Arbeitsunfähigkeit.

Das Landgericht Wuppertal hat den Rücktritt für begründet erachtet und die Klage abgewiesen, weil die nach Untersuchungen, Beratungen oder Behandlungen durch Ärzte befragte Klägerin der Beklagten zumindest fahrlässig die Information vorenthalten habe, dass bei ihr eine Fettleber diagnostiziert worden sei und der behandelnde Arzt ihr geraten habe, zeitweilig auf jeglichen Alkoholgenuss zu verzichten.

Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung. Sie macht geltend: Die objektiv unrichtige Beantwortung der Frage, ob in den letzten fünf Jahren irgendwelche ärztlichen Untersuchungen, Beratungen oder Behandlungen stattgefunden haben, erfülle nicht den Tatbestand der Verletzung einer vorvertraglichen Anzeigepflicht. Die bloße Tatsache, dass eine Untersuchung stattgefunden hat, stelle noch keinen erheblichen Gefahrumstand dar. Ein solcher sei nur gegeben, wenn Krankheiten, Behinderungen oder Beschwerden nicht angegeben würden. Die von Dr. B diagnostizierte Fettleber, die weder Schmerzen verursacht noch eine Behandlung erfordert habe, sei von ihr nicht als Krankheit realisiert worden. Außerdem habe das Landgericht zu Unrecht unterstellt, dass ihre Arbeitsunfähigkeit in direktem Kausalzusammenhang mit der 1999 bei ihr diagnostizierten Leberzirrhose stehe.

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie 53.600,- DM nebst 10 % Zinsen seit dem 25. August 2000 zu zahlen.

Die Beklagte, die das angefochtene Urteil verteidigt, beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

II.

Die Berufung bleibt ohne Erfolg. Allerdings ist das Rubrum zu berichtigen, weil zwischen den Parteien Einvernehmen darüber besteht, dass sich die Klage - ungeachtet der teilweise unzutreffenden Bezeichnung - von Beginn an gegen die a K a.G. gerichtet hat.

Der Klägerin steht kein Anspruch auf Krankentagegeld mehr zu, da die Beklagte mit Schreiben vom 18. November 1999 wirksam wegen einer Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht von dem Versicherungsvertrag zurückgetreten ist und die Klägerin nicht den Nachweis erbracht hat, dass der von ihr nicht angezeigte Gefahrumstand keinen Einfluss auf den Eintritt des Versicherungsfalls und auf den Umfang der Leistung des Versicherers gehabt hat.

1.

Der Rücktritt, den die Beklagte rechtzeitig binnen Monatsfrist erklärt hat, nachdem sie aufgrund der Mitteilung "des Vorversicherers vom 19. Oktober 1999, eingehend am 22. Oktober 1999, über eine Lebererkrankung der Klägerin unterrichtet worden war, ist gerechtfertigt, weil die Klägerin zumindest fahrlässig ihr bekannte Gefahrumstände nicht angezeigt hat.

a) Unstreitig hat Dr. B der Klägerin im April 1993 jedenfalls mitgeteilt, dass sie eine "leichte Fettleber" (GA 68 f., 43) habe. Diesen Befund hat Dr. G im Mai 1995 und Oktober 1996 - nach Erhebung schlechter Leberwerte - bestätigt (GA 68 f., 43). Auch das stellt die Klägerin nicht in Abrede. Zwar hat sie zunächst behauptet, 1995 und 1996 überhaupt nicht beim Arzt gewesen zu sein (GA 13). Nachdem die Beklagte den Zeitpunkt der Behandlungen durch Dr. G ermittelt hatte, hat die Klägerin daran jedoch nicht langer festgehalten und sogar die Ergebnisse offengelegt, zu denen die Untersuchungen durch Dr. G geführt haben sollten.

b) Eine "leichte Fettleber" sowie schlechte Leberwerte sind für den Krankentagegeldversicherer gefahrerheblich. Ein Umstand, nach dem der Versicherer bei Vertragsschluss schriftlich gefragt hat, gilt nämlich im Zweifel als erheblich (§ 16 Abs. 1 S. 3 VVG). Im Streitfall hat sich die Beklagte im Antragsvordruck nach allen ambulanten Untersuchungen, Beratungen oder Behandlungen durch Ärzte erkundigt (Frage Nr. 7) und im Anschluss an die Frage Nr. 12 auch um Mitteilung von Einzelheiten zu allen zuvor mit "ja" beantworteten Fragen gebeten (GA 34). Hierbei handelt es sich um eine echte Gesundheitsfrage, da der Versicherungsnehmer sowohl um Auskunft über den Anlass als auch das Ergebnis der Untersuchung gebeten wird (BGH VersR 1989, 833). Ob die an die Antragsfrage anknüpfende Erheblichkeitsvermutung im Falle der Klägerin nicht eingreifen kann, weil - wie sie meint - nicht jede ärztliche Untersuchung oder Beratung geeignet sein kann, auf den Entschluss des Versicherers Einfluss auszuüben, ob er den Vertrag abschließen will, kann aber letztlich dahinstehen. Die Gefahrerheblichkeit bedarf nämlich auch dann keiner weiteren Darlegung, wenn sie geradezu auf der Hand liegt (BGH VersR 2000, 1486). Davon ist aber auch im Streitfall auszugehen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der BGH bei Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung gleichfalls bereits erhöhte Leberwerte als anzeigepflichtige Gefahrumstände gewertet hat (VersR 1994, 711, 712 f.; ebenso OLG Köln r+s 1991, 354, 355). Zwar lag in dem Fall eine Störung der Leber vor, die einer ärztlichen Behandlung bedurfte. Dass der Klägerin lediglich Alkoholabstinenz empfohlen worden ist, rechtfertigt indes keine abweichende Beurteilung, zumal eine Fettleber sowie schlechte Leberwerte bei ihr nicht nur 1993, sondern auch bei den Folgeuntersuchungen in 1995 und 1996 festgestellt worden sind. Deshalb steht auch das Urteil des OLG Koblenz vom 16. März 2001 (NVersZ 2001, 413) der Annahme der Gefahrerheblichkeit nicht entgegen. Denn dort war aufgrund einer sonomorphologischen Untersuchung lediglich der Verdacht einer Fettleber geäußert worden. Die Relevanz einer Fettleber für den Krankentagegeldversicherer wird schließlich auch nicht durch das von der Klägerin beigebrachte "leber-info" in Frage gestellt. Daraus ist zwar zu entnehmen, dass eine Fettleber lange Zeit unbemerkt bleiben und sich wieder vollständig zurückentwickeln kann. Entscheidend ist jedoch, dass sie sich auch zu einer Leberzirrhose fortentwickeln kann. Dadurch werden zwangsläufig aber auch die Belange eines Krankenversicherers berührt.

c) Der Klägerin war bei Antragstellung auch bekannt, dass sie in dem von der Beklagten abgefragten Zeitraum ärztlich untersucht worden ist und dass dabei die erörterten Befunde erhoben worden sind. Zwar hat die Klägerin geltend gemacht, selbst wenn man in der von Dr. E diagnostizierten Fettleber eine nicht behandelte Krankheit sehe, dann sei ihr diese jedenfalls nicht bekanntgewesen. Daraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass sie einwenden will, ihr sei die Untersuchung und die dabei erhobenen Befunde bei Antragstellung nicht mehr erinnerlich gewesen, sondern nur, dass sie die diagnostizierte Fettleber nicht als krankhaft eingestuft haben will. Dass die Untersuchung und die dabei erhobenen Befunde bei ihr in Vergessenheit geraten sind, ist nämlich schon deshalb auszuschließen, weil die letzte Untersuchung durch Dr. G bei Aufnahme des Versicherungsantrags gerade einmal einen Monat zurücklag.

d) Die Klägerin hat ihre Anzeigeobliegenheit schuldhaft verletzt. Dem steht nicht entgegen, dass ihr möglicherweise nicht bewusst war, dass eine Fettleber - selbst ausweislich des von ihr vorgelegten "leber-infos" (GA 109) - als Erkrankung der Leber anzusehen ist. Das kann sie aber nicht entlasten, weil sich die Fragestellung nicht auf Erkrankungen bezog, sondern auf sämtliche ärztlichen Untersuchungen und Beratungen in den letzten fünf Jahren und die dabei erhobenen Befunde. Zur Bewertung der Untersuchungsergebnisse, auf ihre Gefahrerheblichkeit hin war die Klägerin mithin weder aufgerufen noch berechtigt. Das war und ist vielmehr allein Sache des Versicherers (BGH VersR 2000, 1486).

e) Schließlich kann sich die Klägerin auch nicht darauf berufen, dass der Versicherungsvertrag von einem Versicherungsvermittler aufgenommen worden ist und von ihr wegen des Zeitablaufs nicht mehr ausgeschlossen werden könne, dass dieser die im Formular vorgedruckten Gesundheitsfragen tatsächlich nicht gestellt hat (GA 42 f.). Zwar gehört es zur Risikosphäre des Versicherers, wenn sein Agent, der dem künftigen Versicherungsnehmer als "Auge und Ohr" des Versicherers entgegentritt, diesem die Gesundheitsfragen nicht sachgerecht nahebringt (vgl. Prölss in: Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl., §§ 16, 17 Rn. 28). Ihn bei der Ausfüllung des Antrags zu kontrollieren, ist nicht Sache des Versicherungsnehmers (BGH, VersR 2002, 425, 426). Für die mit der Auge- und Ohr-Rechtsprechung verbundene Wissenszurechnung fehlt jedoch die Grundlage, wenn dem Versicherungsnehmer nicht ein vom Versicherer mit der Aufnahme der Erklärung betrauter Agent, sondern ein im Lager des Antragstellers stehender Versicherungsmakler gegenübersteht (vgl. BGH VersR 1999, 1481, 1482). So liegen die Dinge aber hier nach dem Berufungsvorbringen der Klägerin (GA 105). Scheidet eine Wissenszurechnung damit aus, kann es aber nicht zum Nachteil des Versicherers gehen, wenn der Makler seinen Auftraggeber nicht ordnungsgemäß über die Anzeigepflichten instruiert.

2.

Die Beklagte bleibt auch nicht leistungspflichtig, weil die von der Klägerin nicht angezeigten Untersuchungen und -ergebnisse keinen Einfluss auf den Eintritt des Versicherungsfalls gehabt haben (§ 21 VVG). Zwar hat die Klägerin in der Berufungsbegründung behauptet, ihre Arbeitsunfähigkeit, auf die sie den Anspruch auf Krankentagegeld stützt, sei allein auf die Gallenoperation zurückzuführen, der sie sich im Mai 1999 unterziehen musste.

Dabei handelt es sich jedoch um ein neue Verteidigungsmittel, das keine Berücksichtigung mehr finden kann, weil sie nicht dargetan hat, dass sie erstinstanzlich aus nicht von ihr zu vertretenden Gründen daran gehindert war, die entsprechenden Tatsachen bereits vorzubringen (§§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO n.F.). Der Vorwurf nachlässiger Prozessführung wird nicht dadurch ausgeräumt, dass das Landgericht die Hinweis- oder Erörterungspflichten verletzt hätte. Die Klägerin hat erstinstanzlich lediglich die Berechtigung des von der Beklagten erklärten Rücktritts bestritten. Es war daher nicht Sache der zur Neutralität verpflichteten Kammer, die Klägerin darauf zu bringen, dass sie sich daneben auch noch auf die aus § 21 VVG erfolgte Einrede berufen könnte. Davon abgesehen hat die Klägerin aber auch nicht ausreichend substantiiert vorgetragen, inwiefern eine Gallenoperation, die nach dem Entlassungsbericht von Prof. Dr. K vom 21. Mai 1999 völlig komplikationslos verlaufen ist (GA 45), noch als Ursache der von Ende Juli 1999 bis April 2000 fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit in Betracht kommt. Damit konfrontiert hat die Klägerin bei ihrer Anhörung im Senatstermin geltend gemacht, dass sie nach ihrer Wiedergenesung von den Operationsfolgen an einer erneut zu ihrer Arbeitsunfähigkeit führenden Nierenbeckenentzündung sowie einer Salmonellenvergiftung gelitten habe. Auch dabei handelt es sich aber um Tatsachen, die die Klägerin bereits erstinstanzlich hätte vorbringen können und müssen. Darüber hinaus ist das auch als verspätet zurückzuweisen (§§ 530, 296 Abs. 1 ZPO), weil sich bei der Berücksichtigung dieses Vorbringens, das die Beklagte mit Nichtwissen bestritten hat, die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde.

3.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 543 Abs. 2, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Berufungsstreitwert: 27.405,25 €.

Ende der Entscheidung

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