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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 08.11.2001
Aktenzeichen: 4 Ws 544/01
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 263
StPO § 465
StPO § 467 Abs. 1
StPO § 116 Abs. 4
StPO § 117 Abs. 1
StPO § 112 Abs. 2 Nr. 2
StPO § 116 Abs. 4 Nr. 1
StPO § 116 Abs. 4 Nr. 2
StPO § 116 Abs. 4 Nr. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

4 Ws 544/01

In der Strafsache

wegen Betruges

hat der 4. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht K und E

am 08. November 2001

auf die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss der 5. Strafkammer des Landgerichts Krefeld vom 28. September 2001 - 25 StK 114/01 25 Ns 25 Js 609/00 - nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft

beschlossen:

Tenor:

1. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

2. Der Haftbefehl des Amtsgerichts Krefeld vom 22. Februar 2001 und der Haftverschonungsbeschluss vom selben Tage bleiben aufrechterhalten.

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe:

Das Amtsgericht Krefeld hat gegen den Beschwerdeführer am 22. Februar 2001 einen Haftbefehl erlassen wegen des dringenden Tatverdachts, in dem Zeitraum Mai bis Dezember 2000 in vier Fällen einen Betrug gemäß § 263 StGB begangen zu haben. Diesen Haftbefehl hat das Amtsgericht Krefeld am selben Tag unter Auflagen außer Vollzug gesetzt, wonach u.a. der Beschwerdeführer jeden Aufenthaltswechsel der Staatsanwaltschaft mitzuteilen und sich zweimal wöchentlich bei der für ihn zuständigen Polizeistation zu melden hatte.

Am 12. März 2001 hat die Staatsanwaltschaft Krefeld Anklage gegen den Beschwerdeführer vor dem Amtsgericht Krefeld erhoben; der Tatvorwurf entsprach den in dem Haftbefehl bereits aufgeführten Taten. In der Hauptverhandlung vom 14. August 2001 hat das Amtsgericht Krefeld den Beschwerdeführer wegen Betruges in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt Gleichzeitig hat es unter Aufhebung des Haftverschonungsbeschlusses den Haftbefehl vom 22. Februar 2001 wieder in Vollzug gesetzt. Der Angeklagte hat gegen seine Verurteilung Berufung und gegen den die Untersuchungshaft betreffenden Beschluss des Amtsgerichts Beschwerde eingelegt. Mit Urteil vom 20. September 2001 hat das Landgericht Krefeld die Berufung des Angeklagten mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte wegen Betruges in 2 Fällen unter Einbeziehung einer Strafe aus dem Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 05. Juni 2000 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten und wegen Betruges in zwei weiteren Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt wird. Hiergegen hat der Angeklagte rechtzeitig Revision eingelegt. Mit dem angegriffenen Beschluss hat die Strafkammer bestimmt, dass der Haftbefehl aufrechterhalten bleibt und nicht außer Vollzug gesetzt wird.

I.

Der zulässigen Beschwerde, dem die Strafkammer nicht abgeholfen hat, kann der Erfolg nicht versagt werden. Der Haftverschonungsbeschluss des Amtsgerichts Krefeld vom 22. Februar 2001 ist wieder in Kraft zu setzen.

1. Der Angeklagte ist der in dem Haftbefehl genannten Straftaten dringend verdächtig. Der dringende Tatverdacht ergibt sich daraus, dass der Beschwerdeführer sowohl vom Amtsgericht Krefeld wie auch vom Landgericht Krefeld - wenn auch nicht rechtskräftig - wegen dieser Taten verurteilt worden ist. Der Senat verfügt über keine besseren Erkenntnismöglichkeiten als die Tatsacheninstanzen; hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer in beiden Instanzen geständig war und auch die Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil ausweislich des Protokolls der Berufungshauptverhandlung auf das Strafmaß beschränkt hat.

2. Es besteht weiterhin der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Der Angeklagte ist in der Berufungsinstanz zu zwei Gesamtfreiheitsstrafen von insgesamt 3 Jahren verurteilt worden. Er muss für den Fall, dass dieses Urteil in Rechtskraft erwächst, angesichts des Umstandes, dass er vielfach wegen ähnlicher Straftaten vorbelastet ist und gegen ihn bereits empfindliche Freiheitsstrafen verhängt und vollstreckt worden sind, damit rechnen, diese Strafe, von der nach derzeitigem Stand insgesamt weniger als drei Monate Untersuchungshaft abzuziehen wären, voll verbüßen zu müssen. Den hieraus resultierenden starken Fluchtanreizen stehen gefestigten sozialen Bindungen des Beschwerdeführers nicht entgegen. Dieser ist arbeitslos, verfügt über keine beruflichen Perspektive und lebt von der Sozialhilfe. Die pauschal von der Beschwerde angeführten Kontakte zu den Eltern und den Geschwistern stellen keine den Fluchtanreizen in ausreichendem Maße entgegenwirkenden Umstände dar. Dies gilt letztlich auch für die Tatsache, dass der Angeklagte alleinerziehender Vater eines sechsjährigen Sohnes ist. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Sorge um sein Kind den Angeklagten in der Vergangenheit nicht von Straftaten, wegen derer er jederzeit mit einer zu einer Trennung von seinem Sohn führenden Bestrafung rechnen musste, abgehalten hat.

3. Jedoch liegen die Voraussetzungen des § 116 Abs. 4 StPO, unter denen ein bislang außer Vollzug gewesener Haftbefehl wieder in Vollzug gesetzt werden kann, nicht vor.

a) Die Wiederinvollzugsetzung des Haftbefehls ist nur zulässig und dann auch zwingend geboten, wenn eine der Voraussetzungen des § 116 Abs. 4 StPO vorliegt. Per Prüfungsmaßstab der genannten Vorschrift ist bei der vorliegenden Verfahrenskonstellation auch im Hinblick auf die vom Landgericht getroffene Haftentscheidung anzulegen.

Gegen die Entscheidung des Amtsgerichts Krefeld vom 14. August 2001, den Haftbefehl unter Widerruf des Haftverschonungsbeschlusses wieder in Vollzug zu setzen, hatte der Angeklagte Beschwerde eingelegt. Zutreffend ist die Berufungskammer davon ausgegangen, dass diese Beschwerde, nachdem über sie bis zum Eingang der Akten bei dem Berufungsgericht nicht entschieden war, als Antrag auf Haftprüfung nach § 117 Abs. 1 StPO zu behandeln war (vgl. OLG Frankfurt, NStZ-RR 1996, 302; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45 Aufl. 2001, Rdnr 13 zu § 117). Der Umstand, dass die Strafkammer mit dem angefochtenen Beschluss eine eigene Haftentscheidung getroffen hat und formal nicht über die Beschwerde gegen die Wiederinvollzugsetzung. des Haftbefehls zu befinden hätte, hat keine Auswirkungen auf die notwendige Beachtung des § 116 Abs. 4 StPO. Ist der Haftbefehl einmal außer Vollzug gesetzt worden, so ist jede nachfolgende haftrechtliche Entscheidung, die den Wegfall der Haftverschonung zur Folge hat, nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 116 Abs. 4 StPO möglich. Dies gilt anerkanntermaßen für den Fall, dass ein außer Vollzug gesetzter Haftbefehl aufgehoben und durch einen neuen ersetzt wurde (vgl. OLG Düsseldorf, JMBlNW 1982, 236, 237). Für eine andere Bewertung in der gegebenen Fallgestaltung besteht keine Rechtfertigung, zumal es dem Angeklagten nicht zum Nachteil gereichen darf, wenn über seine Beschwerde gegen die Wiederinvollzugsetzung des Haftbefehls nach bzw. mit Erlass des erstinstanzlichen Urteils nicht bis zum Eingang der Akten beim Berufungsgericht durch die Beschwerdekammer (zweifelsfrei unter Prüfung der Voraussetzungen des § 116 Abs. 4 StPO) entschieden wurde, sondern wegen des Zuständigkeitswechsels für die Haftentscheidung die Beschwerde als Haftprüfungsantrag gemäß § 117 Abs. 1 StPO zu behandeln war.

b) Aus dem Akteninhalt lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Beschwerdeführer den Auflagen, unter denen der Haftbefehl vom Amtsgericht am 22. Februar 2001 außer Vollzug gesetzt worden ist, nicht nachgekommen ist (§ 116 Abs. 4 Nr. 1 StPO). Soweit die Staatsanwaltschaft Krefeld in ihrer Stellungnahme vom 04. September 2001 zu der Beschwerde gegen die Wiederinvollzugsetzung angeführt hat, dass sich der Angeklagte nach dortigem Erkenntnisstand nicht an die Verschonungsauflagen gehalten habe, fehlt es an jeglichen konkreten Umständen und ist dies von dem Senat demnach nicht nachvollziehbar. Auch sind keine Anzeichen ersichtlich, der Beschwerdeführer habe Anstalten zur Flucht getroffen (§ 116 Abs. 4 Nr. 2 StPO).

Auch die Voraussetzungen des § 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO sind nicht erfüllt. Mit der Verurteilung des Beschwerdeführers durch das Amtsgericht Krefeld vom 14. August 2001 sind ebenso wenig neue Umstände hervorgetreten, die eine Verhaftung erforderlich machen, wie durch die Berufungsentscheidung der Strafkammer vom 20. September 2001.

Neu im Sinne des § 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO sind Umstände, die die Gründe des Haftverschonungsbeschlusses in einem wesentlichen Punkt erschüttern und den Haftrichter bewogen hätten, keine Aussetzung zu bewilligen, wenn er sie bei seiner Entscheidung schon gekannt hätte (vgl. Senat, Beschluss vom 08. August 2000, 4 Ws 330/00; Boujong in KK, StPO, 4. Aufl. 1999, Rz 32 zu § 116). Zwar kann ein nach der Haftverschonung ergangenes Urteil durchaus geeignet sein, den Widerruf der Haftverschonung und die Invollzugsetzung des Haftbefehls zu rechtfertigen, wenn die Prognose des Haftrichters bezüglich der Straferwartung von dem Rechtsfolgenausspruch des Tatrichters zum Nachteil des Angeklagten erheblich abweicht (vgl. OLG Frankfurt, StV 1998, 31; OLG Stuttgart, StV 1998, 553f; Boujong in KK, aaO.; Hilger in Löwe-Rosenberg, StPO, 2.5. Aufl. 1996, Rz. 50 zu § 116). In Abgrenzung hierzu kann jedoch nicht von einem neuen Umstand im Sinne des § 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO ausgegangen werden, wenn der Haftrichter bei seiner Aussetzungsentscheidung bereits von einer hohen Straferwartung ausging und sonstige für einen Widerruf sprechenden Umstände fehlen (OLG Frankfurt, aaO.; Boujong in KK, aaO. jeweils m.w.N.). Eine derartige Fallgestaltung liegt hier jedoch vor. Wie aus dem Haftbefehl vom 22. Februar 2001 ersichtlich ist, hat der Haftrichter den Haftgrund der Fluchtgefahr des § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO in der vom Beschwerdeführer zu gewärtigenden hohen Freiheitsstrafe und den daraus resultierenden Fluchtanreizen gesehen, wobei in besonderem Maße auch Berücksichtigung gefunden hatte, dass der Beschwerdeführer auch den Widerruf der in dem Urteil des Landgerichts Düsseldorf verhängten Bewährungsstrafe von zwei Jahren zu befürchten hatte. Die Niederschrift der Sitzung des Amtsgerichts Krefeld vom 22. Februar 2001, in der der Haftbefehl verkündet wurde und an deren Ende der Angeklagte vom Vollzug der Untersuchungshaft verschont wurde, lässt keine Anhaltspunkte dafür erkennen, dass der Haftrichter den dringenden Tatverdacht und die. Fluchtgefahr grundsätzlich anders beurteilt hat. Der Haftverschonungsbeschluss lässt erkennen, dass der Haftrichter die Fluchtgefahr durch die aus der Beschlussformel ersichtlichen Auflagen in Kenntnis der persönlichen Verhältnisse und auch der Vorbelastungen des Angeklagten als hinreichend gebannt ansah Dafür, dass der Haftrichter seine Erwartung, der Zweck der Untersuchungshaft werde auch ohne deren Vollzug durch die erteilten Auflagen erreicht werden können, etwa auf die Prognose gestützt hätte, der Angeklagte werde deutlich milder bestraft, als es aufgrund des Haftbefehlsvorwurf unter Einschluss eines möglichen Widerrufs bzw. der tatsächlich vom Berufungsgericht im Urteil vom 20. September 2001 vorgenommenen Einbeziehung der (Bewährungs-) Strafe aus dem Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 05. Juni 2000 zu erwarten war und der Angeklagte durch das Urteil am 14. August unerwartet hart bestraft wurde, gibt es keine Anhaltspunkte. Die Hoffnung des Angeklagten, er werde möglicherweise noch einmal mit einer Bewährungsstrafe davonkommen (hierauf deutet der entsprechende Antrag der Verteidigerin des Angeklagten in der Hauptverhandlung vom 14. August 2001 hin), war nach der Sachlage bei Verschonung angesichts der einschlägigen Vorbelastungen wenig realistisch. Abgesehen davon, könnte eine entsprechende Erwartung allein des Angeklagten für das Haftgericht nicht die Grundlage für die Haftverschonung dargestellt haben (vgl. OLG Frankfurt, aaO, S. 32 m.w.N.). Selbst wenn man auf die Sichtweise des Angeklagten abstellte (vgl. insoweit OLG Düsseldorf, 3. Strafsenat, StV 1988, 207f; OLG Bremen StV 1988, 392; OLG Stuttgart, StV 1998, 553f), hat sich für den Angeklagten die Sachlage seit der Haftverschonung nicht entscheidungserheblich verändert. Der Umstand, dass sich seine vage Hoffnung, lediglich zu einer Bewährungsstrafe verurteilt zu werden, nicht realisiert hat, rechtfertigt für sich gesehen nicht die Annahme, die Sachlage habe sich verändert, weil nunmehr ein erhöhter Fluchtanreiz bestehe (vgl. hierzu Senat, aaO.). Dem Angeklagten war seit der Verkündung des Haftbefehls bekannt, dass Fluchtgefahr aufgrund der hohen Straferwartung angenommen wurde. Anwaltlich beraten musste er davon ausgehen, dass in die von ihm zu verbüßende Strafe in irgendeiner Weise (sei es durch Einbeziehung in die neue Verurteilung oder durch Widerruf der gewährten Bewährung) die Freiheitsstrafe von zwei Jahren aus dem Urteil des Landgerichts Düsseldorf einfließen würde. Trotz dieser bei realistischer Einschätzung seiner Aussichten ungünstigen Prognose hat der Angeklagte die Auflagen befolgt und hat sich dem Verfahren nicht entzogen. Er hat sich nach Anklageerhebung der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht gestellt. Zusätzliche Anhaltspunkte für einen nunmehr gegebenen verstärkten Fluchtanreiz sind nicht gegeben.

Danach ist der angefochtene Beschluss aufzuheben. Der Haftbefehl des Amtsgerichts Krefeld vom 22. Februar 2001 und der am selben Tag ergangene Verschonungsbeschluss desselben Gerichts bleiben einschließlich der erteilten Auflagen bestehen. Es besteht insoweit keine Anlass zur Aufhebung oder Abänderung.

II.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung der §§ 465, 467 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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