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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 15.12.2000
Aktenzeichen: 6 Ws 1/2000
Rechtsgebiete: JGG


Vorschriften:

JGG § 88
Leitsatz:

Der Gesichtspunkt der Schwere der Schuld ist bei der Entscheidung gemäß § 88 JGG über die Aussetzung des Restes der Jugendstrafe zur Bewährung mit zu berücksichtigen.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

6 Ws 1/2000 2 StE 5/93 GBA Karlsruhe (12 VRJs 303/97 AG Heinsberg)

In der Strafvollstreckungssache

wegen Mordes u.a.

hat der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht B., den Richter am Oberlandesgericht P. und den Richter am Oberlandesgericht F. in der Sitzung vom

15. Dezember 2000

auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluß des Jugendrichters bei dem Amtsgericht Heinsberg als Vollstreckungsleiter vom 28. März 2000 (12 VRJs 303/97) nach Anhörung des Generalbundesanwalts, der Leiterin der Justizvollzugsanstalt Heinsberg und des Verurteilten

beschlossen:

Tenor:

I.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.

II.

1.

Die Vollstreckung des Restes der Jugendstrafe aus dem Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 13. Oktober 1995 (VI 13/93) wird mit sofortiger Wirkung zur Bewährung ausgesetzt.

2.

Die Bewährungszeit beträgt drei Jahre.

3.

Der Verurteilte wird für die Dauer von zunächst zwei Jahren der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt, dessen Auswahl dem Jugendrichter bei dem Amtsgericht Heinsberg übertragen wird.

4.

Der Verurteilte wird angewiesen, einen festen Wohnsitz zu begründen und diesen Wohnsitz sowie jeden Wohnungswechsel unverzüglich dem Jugendrichter bei dem Amtsgericht Heinsberg zu dem Aktenzeichen 12 VRJs 303/97 sowie dem Bewährungshelfer mitzuteilen.

5.

Die nach der Aussetzung der Vollstreckung des Restes der Jugendstrafe zur Bewährung erforderlich werdenden Maßnahmen und Entscheidungen werden dem Jugendrichter bei dem Amtsgericht Heinsberg übertragen.

III.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten im Beschwerdeverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:

I.

1.

Der Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 13. Oktober 1995 (VI 13/93) des Mordes an fünf Menschen in Tateinheit mit versuchtem Mord an 14 Menschen und besonders schwerer Brandstiftung für schuldig befunden und zu einer Jugendstrafe von 10 Jahren verurteilt.

Der Verurteilung liegt die Mittäterschaft des Beschwerdeführers bei dem Brandanschlag in S (Tatzeit: Nacht zum 29. Mai 1993) zugrunde:

Der damals 16 Jahre alte F K nahm am Abend des 28. Mai 1993 u.a. mit dem seinerzeit 20 Jahre alten B und dem seinerzeit 23 Jahre alten M G an einem Polterabend in S teil. Dort sprachen sie nicht unerheblich dem Alkohol zu und gerieten schließlich in eine zunächst verbale und sodann tätliche Auseinandersetzung mit anderen Polterabendgästen mit der Folge, daß der Verurteilte und seine Freunde von anderen Polterabendgästen - darunter maßgeblich auch von zwei aus dem ehemaligen J stammenden Albanern - von dem Gelände vertrieben wurden. Nach einem vorübergehenden Aufenthalt in der in der Nähe gelegenen Wohnung eines Bekannten machten sich die wegen ihres "Rausschmisses" immer noch verärgerten K, B und G zu Fuß auf den Weg nach Hause. Am Rande der S Innenstadt trafen sie dabei zufällig mit dem seinerzeit 16 Jahre alten O R zusammen, der nur wenige Stunden zuvor mehreren Freunden gegenüber angekündigt hatte, daß das in seiner unmittelbaren Nachbarschaft gelegene Haus U W S, das von der türkischen Familie G ihren Kindern, Schwiegerkindern und Enkelkindern bewohnt wurde, in den nächsten beiden Wochen "brennen" werde. K, B und G deren Erregung über die Ereignisse auf dem Polterabend noch nicht abgeklungen war, berichteten R, der ebenso wie K, B und G erheblich dem Alkohol zugesprochen hatte und ebenso wie sie rechtsextremistischen und fremdenfeindlichen Ideen und Vorstellungen anhing, erbost von ihrem Streit mit den anderen Polterabendgästen und insbesondere den beiden Ausländern - G sprach insoweit immer von "Türken" - und waren mit R ohne weiteres einig, daß es zu viele Ausländer bzw. "zu viele Türken" in Deutschland gebe und daß man "den Türken" einen "Denkzettel" verpassen müsse. Als in diesem Zusammenhang der Vorschlag laut wurde, "ein Haus anzuzünden", wies R sogleich auf das Haus U-W-S hin und schlug vor, den ins Auge gefaßten Brandanschlag gegen dieses "von Türken bewohnte Haus" zu richten. Der Vorschlag fand sogleich allgemeine Zustimmung, und man war sich - ohne daß dies näher diskutiert wurde - einig, Benzin zu beschaffen und im unmittelbaren Bereich des Hauses einen Brand zu legen. K, B, G und R gingen daher gemeinsam weiter, besorgten sich - mit hoher Wahrscheinlichkeit bei einer der beiden in der Nähe gelegenen, teilweise auch nachts geöffneten Tankstellen - Benzin und begaben sich sodann zügig zu dem Hause Straße. Während B und G auf der Straße Zurückblieben und den Tatort absicherten, gingen R und K gegen 1.38 Uhr in den seitlich des Hauses angebauten Windfang, schütteten das Benzin dort großflächig gegen die Hauseingangstür, gegen die Holzverschalung und auf den Fliesenboden und zündeten das Benzin sodann an. Dabei war insbesondere auch dem Verurteilten trotz der Auswirkungen des zuvor konsumierten Alkohols und trotz der noch fortdauernden Erregung über die Ereignisse auf dem Polterabend klar, daß die schlafenden, jedenfalls aber nicht mit einem Brandanschlag rechnenden und deshalb unvorbereiteten Bewohner des Hauses ein Opfer der Flammen werden und qualvoll zu Tode kommen konnten. Der Verurteilte und seine Mittäter fanden sich jedoch vor dem Hintergrund ihrer durch Fremdenfeindlichkeit und rassistisches Gedankengut geprägten Grundeinstellung mit diesen von ihnen gebilligten Folgen ab. Sie wollten sich durch die von ihnen als möglich, wenn nicht gar wahrscheinlich erkannten lebensgefährlichen Folgen ihres Vorhabens von ihrem Ziel, "den Türken" einen "Denkzettel" zu verpassen, nicht abhalten lassen.

Während der Verurteilte und seine Mittäter die Flucht ergriffen, erfaßte das Feuer sogleich die Holzkonstruktion des Windfanges und drang dann schnell in das Treppenhaus und von dort in nahezu alle Räume des Hauses ein. Für die insgesamt 19 Mitglieder der Großfamilie G, die sich in dieser Nacht in dem Hause aufhielten, wurde dadurch der Fluchtweg versperrt, so daß sie sich - oft unter Inkaufnahme extremer Schwierigkeiten und teilweise lebensgefährlicher Verletzungen - u.a. durch Herablassen und Sprünge aus den Fenstern retten mußten. Für die 18 Jahre alte H G, die 9 Jahre alte H G, die 4 Jahre alte S G, die 27 Jahre alte G I und die 12 Jahre alte G Ö kam jede Hilfe zu spät. Sie verbrannten in den Flammen oder erlitten tödliche Sturzverletzungen.

2.

Der Verurteilte befindet sich seit dem 3. Juni 1993 in Haft. Die Endstrafe ist auf den 2. Juni 2003 notiert; seit dem 2. Februar 2000 hat der Verurteilte zwei Drittel und seit dem 2. Dezember 2000 drei Viertel der gegen ihn erkannten Jugendstrafe verbüßt.

Mit Schreiben vom 2. Dezember 1999 hat der Verurteilte beantragt, die Vollstreckung des Restes der Jugendstrafe gemäß § 88 Abs. 1 JGG zur Bewährung auszusetzen.

Die Leiterin der Justizvollzugsanstalt Heinsberg hat sich in ihrer Stellungnahme vom 29. Dezember 1999 gegen eine sofortige Aussetzung der Vollstreckung ausgesprochen. Der Verurteilte sei zwar in der Haftzeit deutlich gereift und habe eine insgesamt positive Entwicklung genommen. Er befinde sich jedoch seit dem 16. Lebensjahr in Haft, so daß ihm in den letzten Jahre wesentliche, für seine Entwicklung vom Jugendlichen zum Erwachsenen notwendige soziale Lernfelder verschlossen geblieben seien. Zumindest ein Teil dieser Entwicklungsdefizite müsse vor der Entlassung ausgeglichen werden, so daß der Entlassung zunächst eine ausreichend lange Phase der Erprobung und Gewöhnung an freiheitliche Lebensbedingungen im Rahmen des offenen Vollzuges vorgeschaltet werden sollte.

Insgesamt jedoch - so hat die Leiterin der Justizvollzugsanstalt Heinsberg betont - sei die Entwicklung des Verurteilten positiv verlaufen. Während er zu Beginn seiner Haftzeit noch psychisch äußerst labil und kaum in der Lage - und bereit - gewesen sei, seine Zeit sinnvoll zu nutzen, habe sein Verhalten sich in der Folgezeit stabilisiert und zu einer konstruktiven Auseinandersetzung mit seiner Situation geführt. Zwar weise der Verurteilte nach wie vor jede Beteiligung an dem Brandanschlag von sich. Unabhängig davon habe er sich jedoch eingehend und kritisch mit seiner damaligen Einstellung zu Elternhaus und Gesellschaft und insbesondere mit seiner damaligen Zugehörigkeit zu rechtsradikalen Kreisen beschäftigt. Sichtbaren Ausdruck habe dieser Denkprozeß zum einen darin gefunden, daß der Verurteilte in der Wohngruppe, in der er seit Juni 1996 lebe, inzwischen gut integriert sei und eine anerkannte Position einnehme. Die insgesamt positive Entwicklung zeige sich zum anderen auch darin, daß das Verhalten des Verurteilten gegenüber Mitgefangenen - deutschen wie ausländischen - umgänglicher und sozial verträglicher geworden sei: Der Verurteilte zeige in Konfliktsituationen und bei Provokationen heute zunehmend Verantwortungsbewußtsein und reagiere in der Regel angemessen und besonnen. Schließlich werde die geänderte Einstellung des Verurteilten insbesondere darin deutlich, daß er wieder an seine Zukunft denke und die Haftzeit dazu nutze, eine Lebensperspektive zu entwickeln. Der Verurteilte habe von Januar 1996 bis November 1998 einen Fernlehrgang zur Erlangung der Fachoberschulreife absolviert und erfolgreich abgeschlossen und bereite sich nunmehr auf den Anfang Februar 2000 beginnenden Besuch eines Fortbildungsinstitutes (R-Kolleg) in vor, wo er die Hochschulreife erreichen möchte, um sodann studieren zu können.

Bei alledem sei - wie die Leiterin der Justizvollzugsanstalt Heinsberg in ihrer Stellungnahme vom 29. Dezember 1999 weiter ausgeführt hat - erkennbar geworden, daß der Verurteilte an psychischer Stabilität gewonnen habe und zunehmend in der Lage sei, auch Problem- und Belastungssituationen angemessen zu verarbeiten. Ihm seien daher ab 1998 regelmäßig Vollzugslockerungen wie z.B. Ausgang und Urlaub gewährt worden, ohne daß es bislang zu Beanstandungen gekommen sei. Es sei deshalb - auch um den ab 1. Februar 2000 geplanten Besuch des R-Kollegs zu ermöglichen - geplant, den Verurteilten Anfang Januar 2000 in den offenen Vollzug zu übernehmen, wo er sich dann zur Vorbereitung auf die spätere Entlassung weiter an die Lebensbedingungen in Freiheit gewöhnen könne. Dabei könne der Verurteilte insbesondere auch auf die tatkräftige Unterstützung seiner Eltern hoffen, zu denen er während der Haftzeit ein stabiles und zuverlässiges Verhältnis aufgebaut und aufrecht erhalten habe.

Der Jugendrichter bei dem Amtsgericht Heinsberg als der zuständige Vollstreckungsleiter hat den Verurteilten am 28. März 2000 mündlich angehört und den Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung des Restes der Jugendstrafe zur Bewährung nach Anhörung des Generalbundesanwaltes und der Leiterin der Justizvollzugsanstalt Heinsberg durch Beschluß vom 28. März 2000 (12 VRJs 303/97) abgelehnt. Zur Begründung hat er im wesentlichen ausgeführt, neben der günstigen Sozialprognose und dem Erziehungsgedanken sei vorliegend auch der "Sühne- und Schuldvergeltungscharakter" der allein im Hinblick auf die "Schwere der Schuld (§ 17 Abs. 2 JGG) erforderlich gewordenen Jugendstrafe zu berücksichtigen. Diesem "Sühne- und Schuldvergeltungscharakter" sei indessen "zum jetzigen Zeitpunkt auch nicht annähernd Rechnung getragen"; "besondere Gründe in der Person des Verurteilten, die trotz der Schwere der Schuld eine bedingte Entlassung zum jetzigen Zeitpunkt rechtfertigen könnten", seien nicht ersichtlich.

3.

Gegen diesen Beschluß hat der Verurteilte durch Schreiben seines Verteidigers vom 30. März 2000 - bei Gericht eingegangen am 1. April 2000 - sofortige Beschwerde eingelegt.

Der Senat hat zur Vorbereitung der Entscheidung durch Beschluß vom 29. Juni 2000 den Direktor des Instituts für Forensische Psychiatrie der Universität - Gesamthochschule E - Prof. Dr. med. L mit der Erstellung eines Gutachtens über den Verurteilten beauftragt, das namentlich auch zu der Frage Stellung nehmen soll, ob bei dem Verurteilten keine Gefahr mehr besteht, daß seine durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbesteht. Ferner hat der Senat den Verurteilten am 25. August 2000 angehört, die Anhörung dann jedoch unterbrochen und am 15. Dezember 2000 abgeschlossen, um F K im Sinne der von der Leiterin der Justizvollzugsanstalt Heinsberg bereits in ihrer Stellungnahme vom 29. Dezember 1999 ausgesprochenen Anregung die Gelegenheit zu geben, unter weitestgehender Lockerung der Haftbedingungen im offenen Vollzug eine weitere Phase der Erprobung und Gewöhnung an die spezifischen Belastungen eines Lebens in Freiheit sowohl in Alltagssituationen als auch bei besonderen Gelegenheiten wie z.B. Schulfeiern u.ä. zu absolvieren.

II.

1.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig, §§ 83 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1, 88 Abs. 1 JGG; die Zuständigkeit des Senats ergibt sich aus §§ 73 Abs. 1, 120 Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 3 GVG, 102 Satz 1 JGG (vgl. insoweit den Senatsbeschluß vom 18. Februar 1999 - VI 13/93 -).

2.

Das Rechtsmittel ist - jedenfalls in Ansehung der seit der Entscheidung des Jugendrichters weiter verstrichenen Zeit - auch begründet. Der Senat hebt den angefochtenen Beschluß auf und setzt die Vollstreckung des Restes der gegen den Verurteilten durch Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 13. Oktober 1995 verhängten Jugendstrafe von 10 Jahren mit sofortiger Wirkung zur Bewährung aus.

Die Vollstreckung des Restes einer Jugendstrafe kann gemäß § 88 Abs. 1 JGG zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn der Verurteilte einen Teil der Strafe verbüßt hat und dies im Hinblick auf die Entwicklung des Jugendlichen, auch unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit, verantwortet werden kann; außerdem ist erforderlich, daß das Ausmaß der Schuld, das der Verurteilte auf sich geladen hat, die weitere Vollstreckung nicht mehr gebietet.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.

a) Der Verurteilte hat inzwischen mehr als 7 1/2 Jahre bzw. mehr als drei Viertel - d.h. deutlich mehr als die Mindestverbüßungszeit von einem Drittel (§ 88 Abs. 2 Satz 2 JGG) der gegen ihn verhängten Jugendstrafe von 10 Jahren verbüßt.

b) Im Hinblick auf die Entwicklung des Verurteilten und auch unter Berücksichtigung des als ein Element der umfassenden Prognoseerstellung mit zu bewertenden Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit (vgl. den Senatsbeschluß vom 29. Juni 2000 - 6 Ws 1/00 -) kann zudem - gestützt auf die günstige Sozialprognose des Verurteilten - verantwortet werden, die Vollstreckung des Restes der Jugendstrafe zur Bewährung auszusetzen.

Bei dieser nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffenden Entscheidung sind vor dem Hintergrund der Gesamtwürdigung der in der Tat und in der Täterpersönlichkeit liegenden Umstände insbesondere das Verhalten und die Entwicklung des Verurteilten im Vollzug, die Auswirkungen des Vollzuges und die Verhältnisse, in denen der Verurteilte nach seiner Entlassung voraussichtlich leben wird, sowie im Hinblick auf das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit vor allem auch der Grad der Rückfallwahrscheinlichkeit zu berücksichtigen.

aa) Der Sachverständige Prof. Dr. L, der an der damaligen Hauptverhandlung teilgenommen und als Gutachter des Mitangeklagten G mitgewirkt hat, hat zu den Aspekten dieser Fragestellung ausgeführt:

F K sei mit einer jüngeren Schwester in geordneten familiären Verhältnissen aufgewachsen. Das Elternhaus - der Vater habe als niedergelassener Arzt praktiziert, die Mutter sei nach ihrem Architekturstudium nur kurz berufstätig gewesen - sei einem stark links liberal orientierten Weltbild verhaftet gewesen. Nachdem die frühkindliche Entwicklung des Verurteilung zunächst verzögert verlaufen sei, habe er sich in der Folgezeit zu einem phantasievollen, kreativen und sozial gut integriertem Kind entwickelt, das bis etwa zur Klasse 7 auch vergleichsweise gute schulische Leistungen gezeigt habe. Der Verurteilte sei jedoch stets durch seine Clownerien aufgefallen, mit denen er den Umstand habe kompensieren wollen, daß er aufgrund seiner noch eher zurückgebliebenen körperlichen Entwicklung zu den Kleinsten und Schwächsten der Klasse gezählt habe. Ab 1991 sei es dann verstärkt zu gröberen Verstößen gegen die Schulordnung und auch zu einer deutlichen Verschlechterung der schulischen Leistungen gekommen.

Zeitlich gleichlaufend habe sich F K, der als Kind eher ängstlich und an das Haus gebunden gewesen und mit den Eltern völlig konform gegangen sei, "rasant" vom Elternhaus abgewendet. Er habe Kontakte in der Skinhead-Szene gesucht, sich dem Milieu in Kleidung und Haartracht angeglichen und die rechtsextremistische Einstellung dieser Leute übernommen, ohne dies im einzelnen zu hinterfragen. Der Verurteilte habe rechtsradikale Musik gehört, mit entsprechenden Sprüchen und Forderungen opponiert, sich in Schule und Elternhaus an keinerlei Regeln mehr gehalten und einen erheblichen Alkoholkonsum entwickelt. Dieses Verhalten habe zweifellos auch der Provokation seiner Eltern gedient, von denen er sich als Person nicht genügend geschätzt und wegen seiner vergleichsweise schwachen schulischen Leistungen gar abgewertet gefühlt habe. Dabei sei die Hinwendung zum Rechtsradikalismus für ihn ein Bereich gewesen, mit dem er seine links-liberal eingestellten und in verschiedenen Bürgerinitiativen u.a. auch gegen Ausländerfeindlichkeit engagierten Eltern, denen - so die Sicht des Verurteilten - ihr politisches Engagement seinerzeit wichtiger gewesen sei als die eigenen Kinder, am empfindlichsten habe treffen können.

Der Sachverständige Prof. Dr. L sieht daher in der den Hintergrund des Brandanschlags vom 29. Mai 1993 bildenden - Hinwendung zum Rechtsradikalismus zumindest auch den Versuch, "die Aufmerksamkeit der Eltern auf sich zu ziehen und auszutesten, ob die Eltern auch dann noch zu ihm halten würden, wenn er genau in diesem für sie sehr sensiblen Punkte ihren Vorstellungen überhaupt nicht mehr entsprach".

Der Sachverständige hat sich im weiteren auf den bereits im Urteil vom 13. Oktober 1995 festgestellten Umstand bezogen, daß bei F K als Folge der fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Rostock und vor allem in Mölln bereits im Herbst 1992 ein Umdenkungsprozeß eingesetzt habe. Der Verurteilte sei daher zur Tatzeit bereits auf dem Wege gewesen, sich von seinen rechtsextremistischen und fremdenfeindlichen Denk- und Verhaltensweisen zu lösen, so daß für seine Beteiligung an dem Brandanschlag vom 29. Mai 1993 von einem erheblichen situativen Faktor auszugehen sei, zumal der Anschlag auch Ergebnis eines gruppendynamischen Prozesses gewesen sei, der sich aus der Begegnung der Dreiergruppe K B und G mit dem Mittäter R ergeben habe.

Dieser Umdenkungsprozeß habe sich im Verlaufe der Inhaftierung weiter verfestigt. Der Verurteilte habe gleichermaßen guten Kontakt zu deutschen wie zu ausländischen Gefangenen und habe immer wieder - so auch bei der Exploration am 2. August 2000 - betont, daß seine frühere Einstellung für ihn heute nur noch als Ausdruck seines damaligen pubertären Protestes verständlich sei. An keiner Stelle der Exploration sei der Verdacht auf ein etwaiges opportunistisches Verhalten aufgekommen, so daß die Distanzierung des Veurteilten von seiner früheren Haltung echt - und nicht etwa vorgetäuscht - sei. Gegen diese deutlich gewandelte innere Einstellung spreche auch nicht, daß F K seine Beteiligung an der Tat weiter leugne. Im damaligen Ermittlungs- und Strafverfahren sei dieses Leugnen auch auf die Angst zurückzuführen gewesen, in dieser existentiell bedrohlichen Situation nun auch noch die Zuwendung und Unterstützung der Eltern zu verlieren, auch wenn diese ihm versichert hätten, im Falle eines Geständnisses dennoch weiter zu ihm zu halten. Wenn man dann berücksichtige, mit welcher Intensität sich die Eltern während der Vorbereitung und im Verlaufe der Hauptverhandlung für den Verurteilten und den Nachweis seiner vermeintlichen Unschuld eingesetzt und wie massiv sie unter der Gesamtsituation gelitten hätten, lasse sich sehr gut nachvollziehen, daß es F K auch nach der Verurteilung kaum möglich gewesen sei, seine Tatbeteiligung nunmehr doch einzugestehen. Dieses mangelnde äußere Eingeständnis der Tat bedeute daher "nicht unbedingt", daß sich der Verurteilte mit dem Anschlag und seinen Folgen innerlich nicht doch auseinandergesetzt hätte. Jedenfalls aber habe eine solche Auseinandersetzung stattgefunden mit der früheren rechtsextremistischen Gesinnung und mit den Folgen der Tat für sein eigenes Leben.

So habe F K denn auch bei der jetzigen Untersuchung einen - im Vergleich zu seinem Auftreten in der Hauptverhandlung - deutlich gereifteren Eindruck hinterlassen, was nicht nur an dem Altersunterschied - der Verurteilte sei damals 16 Jahre bzw. gegen Ende der Hauptverhandlung 18 Jahre alt gewesen und sei nunmehr 23 Jahre alt - liege, sondern entscheidend auch darauf zurückzuführen sei, daß er sich während seiner Haftzeit in vielen Bereichen seiner Persönlichkeit positiv weiterentwickelt habe. So sei er in dem nicht gerade konfliktarmen Milieu des Jugendstrafvollzuges mittlerweile durchaus in der Lage, sich adäquat zu behaupten und eigene Standpunkte zu vertreten, was ihn jetzt auch wesentlich besser in die Lage versetze, sich etwaigen gruppendynamischen Einflüssen zu entziehen.

Gleichwohl sei unübersehbar, daß F K die für seine Persönlichkeitsentwicklung sehr wesentliche Zeit des Erwachsenwerdens unter den besonderen Bedingungen des Jugendstrafvollzuges durchlebt habe. Dies habe zwar nicht zur Übernahme des dort weit verbreiteten dissozialen Wertesystems geführt. Der Verurteilte wirke jedoch in einigen Bereichen seiner Persönlichkeit noch "etwas kindlich-naiv" bzw. unausgereift. Die erforderlichen Reifungsschritte werde er jedoch letztlich erst nach seiner Haftentlassung machen können.

Dies gelte vor allem für das - in der bisherigen Lebensgeschichte sehr wechselhafte - Verhältnis des Verurteilten zu seinen Eltern, das in der Kindheit sehr eng und in der Pubertät durch eine abrupte und völlig überzogene Abkehr geprägt gewesen sei und während der Inhaftierung erneut zu einer Phase "kindlicher Anklammerung" geführt habe. Wenn sich auch infolge der durch die Vollzugslockerungen seit 1998 zunehmend möglichen Urlaubsaufenthalte bei den Eltern inzwischen schon wieder eine Distanzierung ergeben habe, so sei die Ablösung aus dem Elternhaus doch noch nicht in dem altersentsprechend notwendigen Maße vollzogen. Eine Normalisierung werde hier erst möglich sein, wenn F K nach seiner Haftentlassung die Möglichkeit habe, sich einerseits von den Eltern zu lösen, um dann andererseits auf einer erwachseneren Ebene mit ihnen in Kontakt zu treten. Zwar werde der Verurteilte während dieses Prozesses noch vergleichsweise stark von seinen Eltern abhängig sein. Dies werde jedoch seiner inneren Weiterentwicklung nicht unbedingt im Wege stehen. Die Zukunftsperspektiven sprächen insgesamt für eine durchweg positive. Legalprognose. F K kehre in ein stützendes soziales Umfeld zurück, wobei davon auszugehen sei, daß die Eltern ihren Umgang mit ihm problembewußter als früher gestalten werden.

Unsicher sei derzeit auch noch die Einschätzung der beruflichen Zukunftsplanung des Verurteilten. Zwar habe die im August 2000 durchgeführte testpsychologische Untersuchung - im Gegensatz zu der Untersuchung, die im Rahmen der früheren Begutachtung durchgeführt worden sei - eine durchschnittliche intellektuelle Leistungsfähigkeit des Verurteilten bestätigt. Auch habe der Verurteilte das erste Semester am - wie das ihm erteilte Zeugnis vom 28. Juni 2000 ausweise mit befriedigenden bis guten Leistungen absolviert. Gleichwohl sei fraglich, ob man dem Verurteilten zuraten solle, nach dem Durchlaufen des R-Kollegs den Plan, ein Hochschulstudium zu beginnen, weiter zu verfolgen. Bei der testpsychologischen Untersuchung hätten sich nämlich im Vergleich zu einer Gruppe von Gymnasialschülern deutliche Defizite im Bereich des rechnerischen Denkens und in anderen Bereichen ergeben. Das hiernach nicht auszuschließende Scheitern während eines Studiums könnte einen empfindlichen Rückschlag bei der Entwicklung eines gesunden Selbstwertgefühls mit sich bringen.

Dies alles sei jedoch eher eine Frage der künftigen Lebensgestaltung und der Lebenszufriedenheit des Verurteilten. Auf die Gefährlichkeitsprognose habe dies keinen Einfluß. Bei F K sei künftig auch in konflikthaften oder sozial belasteten Lebenssituationen eine Rückkehr zu seiner früheren rechtsradikalen und ausländerfeindlichen Einstellung nicht zu befürchten. Zusammenfassend sei somit festzustellen, daß bei dem Verurteilten aus psychiatrischer Sicht keine Gefahr mehr besteht, daß seine durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit weiter fortbesteht.

bb) Der Senat folgt dieser Einschätzung des ihm aus mehreren Straf- und Strafvollstreckungsverfahren als in besonderem Maße zuverlässig und kompetent bekannten Sachverständigen, zumal Prof. Dr. L an der damaligen Hauptverhandlung als Gutachter des Mitangeklagten G mitgewirkt hat und daher sowohl mit dem Verlauf und der Tragweite des Tatgeschehens als auch mit dem Verhalten und der Person von F K vertraut ist. Die Bewertung des Sachverständigen wird bestätigt durch die Angaben des Verurteilten und durch den von ihm gewonnenen persönlichen Eindruck während der intensiven, mehr als vier Stunden bzw. eineinhalb Stunden dauernden Anhörungen am 25. August und am 15. Dezember 2000 sowie durch die Stellungnahme der Leiterin der Justizvollzugsanstalt Heinsberg vom 29. Dezember 1999 und ihren ergänzenden Bericht vom 17. November 2000 über das Verhalten des Verurteilten während der weiteren Erprobungs- und Gewöhnungszeit im offenen Vollzug.

Der Verurteilte hat bei den Anhörungen konsequent und glaubhaft bekräftigt, daß er seine früheren rechtsextremistischen und ausländerfeindlichen Gesinnungs- und Verhaltensweisen überwunden und als falsch erkannt habe. Wenn auch - wie bei Nachfragen deutlich geworden ist - die gesellschaftlichen und politischen Vorstellungen des Verurteilten teilweise noch eher indifferent sind, so hat der Senat doch den sicheren Eindruck gewonnen, daß die Abkehr des Verurteilten von dem rechtsextremistischen und ausländerfeindlichen Gedankengut gefestigt ist und Eingang in sein Handeln und Auftreten gefunden hat. Dies entspricht auch der Bewertung durch den Sachverständigen Prof. Dr. und den Erfahrungen, von denen die Leiterin der Justizvollzugsanstalt Heinsberg in ihren Stellungnahmen berichtet hat.

Der Senat geht daher bei seinen Prognoseüberlegungen davon aus, daß die rechtsextremistischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Gefühle und Vorstellungen, die seinerzeit den maßgeblichen Hintergrund für die Beteiligung des Verurteilten an dem Brandanschlag vom 29. Mai 1993 bildeten, von ihm heute als Verirrung und als abwegig erkannt worden sind und daß solche Gefühle und Vorstellungen heute keinen Einfluß mehr auf sein Verhalten haben. Diese Überzeugung des Senats gilt um so mehr, als - wie in der damaligen Hauptverhandlung sowie in dem Urteil vom 13. Oktober 1995 bereits erörtert worden ist - ein entsprechender Umdenkungsprozeß bei dem Verurteilten als Folge der fremdenfeindlichen Ausschreitungen und Verbrechen von R und M schon vor der Tat eingesetzt hatte. Dieser Prozeß hat sich sodann unter dem Eindruck des Brandanschlages und seiner kaum faßbaren Folgen, unter dem Eindruck der existentiellen Schwierigkeiten, in die der Verurteilte wegen seiner Zugehörigkeit zur rechtsradikalen Szene geraten ist, und unter dem Eindruck von Hauptverhandlung und Inhaftierung fortgesetzt und dazu geführt, daß für den Verurteilten - wie die Leiterin der Justizvollzugsanstalt Heinsberg ihre Erfahrungen mit ihm in ihrer Stellungnahme vom 29. Dezember 1999 zusammengefaßt hat - "ausländerfeindliche Taten ... inzwischen absolut verwerflich" sind. Der Senat hat keine Zweifel an der Ernsthaftigkeit dieser (geänderten) Einstellung des Verurteilten. In der Anhörung hat der Verurteilte seine Auffassung überlegt und sachlich und - auch bei unter verschiedenen Blickwinkeln gestellten Fragen - bruchlos und ohne jeden Widerspruch vertreten. Dies entspricht der Einschätzung des Sachverständige Prof. Dr. L der bei seiner Exploration am 2. August 2000 an keiner Stelle Anhaltspunkte dafür gefunden hat, daß der Verurteilte sich opportunistisch verhalten und seine Abkehr vom Rechtsextremismus nur vorgetäuscht habe.

Diese Veränderung der gesellschaftlichen und politischen Vorstellungen des Verurteilten ist einhergegangen mit einer deutlichen Weiterentwicklung und Reifung seiner Persönlichkeit. Bei dem Sachverständigen Prof. Dr. L hat der Verurteilte - im Vergleich zu seinem Auftreten in der damaligen Hauptverhandlung - einen deutlich reiferen Eindruck hinterlassen. Der Sachverständige hat dies nicht nur auf den Altersunterschied von zuletzt etwa sechs Jahren zwischen der Hauptverhandlung und der Exploration im Sommer 2000 zurückgeführt, sondern als entscheidenden Faktor eine positive Fortentwicklung in vielen Bereichen der Persönlichkeit herausgestellt. So sei F K zu einem jungen Erwachsenen herangereift, der in dem nicht gerade konfliktarmen Milieu des Jugendstrafvollzugs inzwischen durchaus in der Lage sei, sich adäquat zu behaupten und einen eigenen Standpunkt zu vertreten. Dies deckt sich mit den Erfahrungen, von denen die Leiterin der Justizvollzugsanstalt Heinsberg berichtet hat. Sie hat darauf hingewiesen, daß der Verurteilte in seiner Wohngruppe inzwischen eine anerkannte Position habe und daß auch sein Verhalten gegenüber seinen Mitgefangenen deutlich umgänglicher und sozial verträglicher geworden sei. F K zeige in Konfliktsituationen und auch bei Provokationen heute zunehmend Verantwortungsbewußtsein und reagiere in der Regel angemessen und besonnen.

Diese Sicht findet der Senat bestätigt durch den persönlichen Eindruck, den er während der Anhörungen von dem Verurteilten gewonnen hat. F K hat sich in der für ihn bedeutsamen und extrem angespannten Anhörungssituation vergleichsweise ruhig, besonnen und von der Sache her zielgerichtet verhalten und diese Selbstkontrolle im Ergebnis auch bei - zur Prüfung der Glaubhaftigkeit der von ihm vermittelten geänderten Einstellung - gezielt provozierenden und für ihn teils überaus unangenehmen Fragen bewahren können. Eine Bestätigung der Weiterentwicklung der Persönlichkeit des Verurteilten sieht der Senat auch darin, daß F K inzwischen seine Zukunft überdacht und Perspektiven entwickelt hat und im Rahmen der durch die Haftsituation eingeschränkten Möglichkeiten konsequent - und bislang erfolgreich - an der Realisierung seiner Vorstellungen arbeitet. So hat er im Rahmen eines Fernlehrgangs die Fachoberschulreife erworben und besucht seit Anfang Februar 2000 mit - wie die ersten Leistungsnachweise belegen - befriedigenden bis guten Leistungen eine Fortbildungseinrichtung, um die allgemeine Hochschulreife zu erlangen.

Der Verurteilte stellt sich hiernach als ein junger Mann dar, der in seiner Persönlichkeit inzwischen immerhin soweit gefestigt ist, daß er es versteht, eigene Standpunkte und Ziele zu entwickeln, zu vertreten und mit einiger Konsequenz zu verfolgen. Wenn daher - was der Sachverständige Prof. Dr. L zu Recht betont hat - für die Beteiligung des Verurteilten an dem Brandanschlag vom 29. Mai 1993 von einem erheblichen situativen Faktor und insoweit insbesondere von einem aus der Begegnung der Dreiergruppe K, B und G mit dem Mittäter R resultierenden gruppendynamischen Prozeß auszugehen ist, so erscheint - wie der Sachverständige überzeugend weiter ausgeführt hat - die Gefahr einer entsprechenden Beeinflussung des Verurteilten heute - vor dem Hintergrund der Fortentwicklung seiner Persönlichkeit - doch erheblich vermindert, da der Verurteilte mittlerweile wesentlich besser in der Lage ist, sich problematischen situativen und insbesondere etwaigen gruppendynamischen Einflüssen zu entziehen.

Eine wesentliche Stabilisierung der Lebenssituation des Verurteilten sieht der Senat in Übereinstimmung mit der Bewertung des Sachverständigen Prof. Dr. L insbesondere auch darin, daß das Verhältnis des Verurteilten zu seinen Eltern nach wie vor gut ist und auch belastungsfähig erscheint. Wie die Leiterin der Justizvollzugsanstalt Heinsberg berichtet und der Verurteilte selbst im Rahmen der Anhörung glaubhaft bestätigt hat, halten die Eltern des Verurteilten, die bereits die Zeit seiner Inhaftierung zuverlässig und stützend begleitet haben, nach wie vor zu ihm und sind bereit und in der Lage, den Verurteilten auch nach seiner Haftentlassung - und dies nicht nur finanziell - zu unterstützen. Der Verurteilte ist trotz der Haftzeit nach wie vor in die Familie integriert und wird nach seiner Entlassung als akzeptiertes Familienmitglied (zunächst) im elterlichen Haus wohnen. Er wird mithin in ein günstiges, ihn stützendes soziales Umfeld entlassen werden, was im Ergebnis ebenfalls ganz wesentlich für eine positive Legalprognose spricht.

Diese Bewertung sieht der Senat auch nicht dadurch in Frage gestellt, daß der Verurteilte - worauf der Sachverständige Prof. Dr. L und die Leiterin der Justizvollzugsanstalt Heinsberg gleichermaßen hingewiesen haben - die für seine Entwicklung sehr wesentliche Zeit des Erwachsenwerdens unter den besonderen Bedingungen des Jugendstrafvollzuges verbracht hat und daß ihm daher wichtige und "notwendige soziale Lernfelder" verschlossen geblieben sind. Die hierdurch bedingten Entwicklungs- und Persönlichkeitsdefizite insbesondere in der realistischen Sicht der Lebensbedingungen in Freiheit und im Umgang mit anderen Menschen erscheinen nicht als so schwerwiegend, daß dadurch die Integration des Verurteilten in Familie und Gesellschaft ernsthaft gefährdet erscheint. Der Senat hat diesem Umstand zudem dadurch Rechnung getragen, daß er den Anhörungstermin vom 25. August 2000 unterbrochen und erst am 15. Dezember 2000 abgeschlossen und auf diese Weise Raum und Gelegenheit dafür geschaffen hat, daß der Verurteilte zumindest einen Teil dieser Defizite hat ausgleichen und für weitere Monate unter weitestgehender Lockerung des Vollzuges seine Erfahrungen im Umgang eines jungen Erwachsenen mit den freiheitlichen Lebensbedingungen in Familie und Gesellschaft sowie in Ausbildung und Freizeit hat vervollständigen können. Der Verurteilte hat diese Gelegenheit offensichtlich genutzt. Wie dem ergänzenden Bericht der Leiterin der Justizvollzugsanstalt Heinsberg vom 17. November 2000 und den zusätzlichen Ausführungen des Leiters des Offenen Hauses der dortigen Justizvollzugsanstalt im Anhörungstermin am 15. Dezember 2000 zu entnehmen ist, hat F K den von ihm eingeschlagenen Weg konsequent und zielstrebig weiterverfolgt. Er hat das R-Kolleg mit nach wie vor leicht über dem Durchschnitt liegenden Leistungen weiterhin regelmäßig besucht und auch in seinem sonstigen Verhalten - sowohl in der Justizvollzugsanstalt als auch während seiner zeitlich stark erweiterten Urlaubsaufenthalte in seinem Elternhaus keinen Grund zur Beanstandung gegeben. Dies hat - aus seiner Sicht - der Vertreter des Jugendamtes der Stadt H in seiner Stellungnahme vom 8. November 2000 in vollem Umfange bestätigt. Der Verurteilte sei "sehr darum bemüht, den Anforderungen, die an ihn gestellt werden, gerecht zu werden", und sei durchaus in der Lage, "mit den für ihn umfangreichen Lockerungen so verantwortungsbewußt umzugehen, daß ihm eine günstige Prognose gestellt werden kann".

Soweit weitere, erst mit der Zeit zu bewältigende Schwierigkeiten zu erwarten sind - wie z.B. die Lösung vom Elternhaus oder Ernüchterungen bzw. Enttäuschungen in Ausbildung und Beruf -, sieht der Senat darin keine ernsthafte Gefährdung der positiven Sozialprognose und insbesondere auch keine Beeinträchtigung der Erwartung, daß der Verurteilte nicht wieder straffällig werden wird. Denn zum einen hat der Verurteilte wie im Anhörungstermin am 15. Dezember 2000 deutlich geworden ist - seine zunächst vorrangig auf ein Hochschulstudium abgestellten Zukunftsüberlegungen inzwischen spürbar zugunsten auch anderer Ausbildungsgänge relativiert und dadurch in einer realistischen Sichtweise bereits jetzt auch ein mögliches Scheitern seiner ursprünglichen Pläne in seine Vorstellungen mit einbezogen. Zum anderen hat der Sachverständige Prof. Dr. L zu Recht betont, daß diese mit einiger Gewißheit zu erwartenden Schwierigkeiten die künftige Lebensgestaltung des Verurteilten und seine Lebenszufriedenheit beeinträchtigen, dagegen auf die Gefährlichkeitsprognose keinen Einfluß haben werden. Bei F K sei - diese Beurteilung des Sachverständigen macht der Senat sich zu eigen - auch in konflikthaften oder sozial belasteten Lebenssituationen eine Rückkehr zu seiner früheren rechtsextremistischen und ausländerfeindlichen Einstellung nicht zu befürchten.

cc) Nach dem Ergebnis des Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. L sowie der Anhörung des Verurteilten ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, daß es nunmehr mit Rücksicht auf die auch unter Sicherheitsaspekten erstellte günstige Sozialprognose des Verurteilten verantwortet werden kann, die Vollstreckung des Restes der gegen den Verurteilten verhängten Jugendstrafe zur Bewährung auszusetzen. Dem steht letztlich auch nicht entgegen, daß F K seine Beteiligung an dem Brandanschlag vom 29. Mai 1993 nach wie vor leugnet. Es ist allgemein anerkannt, daß das Leugnen der Tat als solches einer positiven Sozialprognose grundsätzlich nicht entgegensteht (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 49. Aufl., 57 Rn. 6 b m.w.N.). Zwar sind Ausnahmen von diesem Grundsatz denkbar, so z.B. wenn Umstände hinzutreten, vor deren Hintergrund das Leugnen der Tat auf einen erheblichen Mangel an Realitätseinschätzung deutet, der wiederum einen Rückschluß auf die Fähigkeit zur sozial angepaßten Bewältigung des Lebens zuläßt (vgl. OLG Hamm NStZ 1989, 27). Solche Umstände sind vorliegend jedoch nicht erkennbar. Wie der Sachverständige Prof. Dr. L überzeugend dargelegt hat, ist es vielmehr zumindest erklärbar, daß F K seine Beteiligung an der Tat geleugnet hat und auch jetzt noch weiter leugnet. In dem damaligen Ermittlungs- und Strafverfahren sei das Leugnen auch auf die Angst zurückzuführen gewesen, in dieser existenziell bedrohlichen Situation die Zuwendung und Unterstützung der Eltern zu verlieren. In Ansehung der Intensität, mit der seine Eltern - von dem Verurteilten hautnah miterlebt - sodann die Hauptverhandlung vorbereitet und durchlitten und für den Nachweis seiner vermeintlichen Unschuld gekämpft hätten, lasse sich ohne weiteres nachvollziehen, daß es dem Verurteilten auch nach dem Urteil kaum möglich gewesen sei, seine Tatbeteiligung nunmehr doch einzugestehen. Der Senat folgt dem Sachverständigen in dessen Bewertung, daß das mangelnde äußere Eingeständnis der Tat "nicht unbedingt" bedeutet, daß sich F K mit dem Anschlag und seinen Folgen innerlich nicht doch auseinander gesetzt hat. Jedenfalls aber - und dies sieht der Senat als entscheidend an - hat sich der Verurteilte nachdrücklich und nachhaltig im Sinne einer Abkehr mit seiner früheren rechtsextremistischen Gesinnung und mit den Folgen der Tat für sein eigenes Leben auseinandergesetzt.

c) Das besondere Ausmaß der Schuld, die F K durch seine Beteiligung an dem Brandanschlag vom 29. Mai 1993 auf sich geladen hat, gebietet es nicht mehr, die gegen ihn verhängte Jugendstrafe von 10 Jahren weiter zu vollstrecken.

Bei F K sind seinerzeit schädliche Neigungen nicht festgestellt worden. Die Jugendstrafe ist gemäß § 17 Abs. 2 JGG allein wegen der Schwere der individuellen Schuld des Verurteilten verhängt und auf die Höchststrafe von 10 Jahren festgesetzt worden. In dem Urteil vom 13. Oktober 1995 ist hierzu u.a. ausgeführt, daß der Verurteilte zwar "aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur einer lang andauernden und intensiven erzieherischen Einwirkung bedarf", daß die Höchststrafe jedoch noch über die Strafe hinausgehe, die aus erzieherischen Gesichtspunkten erforderlich sei (UA S. 334). Indessen werde "der nach dem Gesetz bei der Bemessung der Jugendstrafe im Vordergrund stehende Erziehungsgedanke (§ 18 Abs. 2 JGG) zurückgedrängt von dem hier vorrangigen Bedürfnis nach Sühne, das sich aus der besonderen Schwere seiner Schuld ergibt" (UA S. 334). Um dem auch im Jugendstrafrecht gültigen "Grundsatz der tatvergeltenden Sühne" und dem "Gesichtspunkt des gerechten Schuldausgleichs zu genügen, sei bei F K die Höchststrafe von 10 Jahren geboten.

aa) Diese für die Bemessung der Strafe maßgeblichen Kriterien behalten ihre Bedeutung auch, wenn in solchen Fällen über eine etwaige vorzeitige Entlassung zur Bewährung zu entscheiden ist. Maßstab muß auch hier die Schwere der Schuld und die Abwägung sein, ob durch die Dauer des Vollzuges dem "Grundsatz der tatvergeltenden Sühne" und dem "Gesichtspunkt des gerechten Schuldausgleichs" Rechnung getragen wird. Denn es wäre Widersprüchlich, dem Gesichtspunkt der Schwere der Schuld bei der Verhängung und Bemessung der Jugendstrafe eine den Erziehungsgedanken ergänzende, teilweise gar zurückdrängende eigenständige Bedeutung beizumessen, diesen jedoch dann, wenn es um die Dauer des sodann gebotenen Vollzuges und um den angemessenen Zeitpunkt der Entlassung geht, außer Betracht zu lassen. Das Gesetz eröffnet die Möglichkeit, auch den Gedanken des Schuldausgleichs bei der Entscheidung über eine vorzeitige Entlassung aus dem Jugendstrafvollzug zu berücksichtigen, wenn es in § 88 Abs. 1 JGG heißt, daß die Vollstreckung des Restes der Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann, wenn die gesetzlich ausdrücklich vorgegebenen (Mindest-)Voraussetzungen wie Mindestverbüßungsdauer (§ 88 Abs. 2 JGG) und günstige Sozialprognose erfüllt werden. Dem Jugendrichter ist mithin ausdrücklich ein Ermessen eingeräumt, in dessen Rahmen er neben der Mindestverbüßungsdauer und der Sozialprognose auch weitere Gesichtspunkte - so z.B. auch die Schwere der Schuld - berücksichtigen kann. Daß der Richter nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden und dabei eine umfassende Abwägung auch der über die Prognoseerstellung hinausgreifenden Umstände vorzunehmen hat, wird insbesondere auch in der Vorschrift des § 88 Abs. 2 Satz 1 JGG deutlich, wonach eine vorzeitige Entlassung zur Bewährung selbst dann zulässig ist, wenn noch keine 6 Monate verbüßt worden sind vorausgesetzt, der Jugendrichter sieht "besonders wichtige Gründe" als gegeben an, die eine frühzeitige Entlassung vertretbar oder gar geboten erscheinen lassen. Der Einbeziehung des Gesichtspunktes der Schwere der Schuld in die gemäß § 88 Abs. 1 JGG erforderlichen Ermessenserwägungen steht damit nicht entgegen, daß das Jugendstrafrecht von dem Gedanken beherrscht wird, sämtliche Entscheidungen an der für den Täter bzw. Verurteilten erforderlichen erzieherischen Einwirkung auszurichten. Daß dieser Gesichtspunkt nicht ausnahmslos gilt, belegt § 17. Abs. 2 JGG, wonach - jedenfalls in Fällen schwerster Kriminalität - auch der Sühnegedanke und das Erfordernis des gerechten Schuldausgleichs zu beachten sind.

Der Gesichtspunkt der Schwere der Schuld findet demgemäß - über den Wortlaut der Vorschrift hinausgehend - auch Eingang in die gemäß § 88 Abs. 1 JGG erforderlichen Ermessenserwägungen. Der Senat folgt insoweit der im Schrifttum vorherrschenden Auffassung, nach der jedenfalls in extremen Fällen besonders schwerer Schuld der Gedanke des Schuldausgleichs eine Zurückstellung der vorzeitigen Entlassung bei sonst vorliegenden Voraussetzungen geboten erscheinen lassen kann (vgl. Eisenberg, JGG, 6. Aufl., § 88 Rn. 9 a.E.; Brunnen/Dölling, JGG, 10. Aufl., § 88 Rn. 7; Böhm NJW 1977, 2198, 2200; vgl. hierzu auch LG Bonn NJW 1977, 2226 und StV 1984, 255). Die Auffassung, daß das Erfordernis des gerechten Schuldausgleichs bei der Entscheidung über die vorzeitige Entlassung gemäß § 88 Abs. 1 JGG keine Beachtung mehr finden darf (vgl. Ostendorf, JGG, 3. Aufl., § 88 Rn. 7; Sonnen in Diemer/Schoreit/Sonnen, JGG, 2. Aufl., § 88 Rn. 10 ff.; derselbe in Festschrift für Lieselotte Pongratz - Hrsg. Ostendorf -, 1986, S. 289, 303 f.; Tondorf in Anm. zu LG Bonn StV 1984, 255, 257), erscheint dagegen - wie bereits erörtert - insbesondere mit dem in der Regelung des § 17 Abs. 2 JGG und in der dortigen Betonung auch des Gesichtspunktes der Schwere der Schuld vom Gesetzgeber normierten Bewertungsmaßstab nicht vereinbar.

Der Senat ist indessen der Auffassung, daß die Entscheidung gemäß § 88 Abs. 1 JGG in Fällen, in denen das Erfordernis des gerechten Schuldausgleichs nicht außer acht gelassen werden darf, entgegen der von dem Landgericht Bonn (NJW 1977, 2226 und StV 1984, 255) vertretenen Meinung nicht in Anlehnung an die im Erwachsenenrecht geltenden Regeln des § 57 StGB und die dort vorgegebene Ermessensbindung getroffen werden darf. Denn der Gesetzgeber hat - wie T (Anm. zu LG Bonn StV 1984, 255, 257) zu Recht hervorhebt - die Vorschrift des § 88 JGG gerade nicht dem Wortlaut des § 57 StGB angepaßt, so zuletzt auch nicht durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 - BGBl. I, 160 -, obwohl durch dieses Gesetz einerseits § 57 StGB geändert worden ist und andererseits auch § 88 Abs. 1 JGG grundlegend neu gefaßt und - wie auch § 57 StGB um den Hinweis auf das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit - ergänzt worden ist. Der Gesetzgeber hat dadurch klar zum Ausdruck gebracht, daß über die Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer Jugendstrafe zur Bewährung nicht in Angleichung an das Erwachsenenstrafrecht entschieden werden soll (vgl. Tondorf, a.a.O.; Böhm, a.a.O., S. 2199; Walter, Geiter und Fischer NStZ 1989, 405, 416). So erscheint insbesondere die von Sonnen (Festschrift für Lieselotte Pongratz - Hrsg. Ostendorf -, 1986, S. 289, 303 f.) berichtete Praxis, nach der bei der Entscheidung über die vorzeitige Entlassung gemäß § 88 Abs. 1 JGG bei Jugendstrafen, die unter dem Gesichtspunkt der Schwere der Schuld verhängt worden sind, eine Differenzierung in Deliktsgruppen erfolgt und die Entlassung in gewisser Weise schematisch - z.B. bei Raub nach Verbüßung von zwei Dritteln und bei Mord nach Verbüßung von drei Vierteln der Jugendstrafe - angeordnet wird, nicht vereinbar mit der im Jugendstrafrecht geltenden offenen Regelung, bei der im Rahmen einer Ermessensentscheidung alle relevanten Umstände und Gesichtspunkte gegeneinander abzuwägen sind.

bb) Unter Berücksichtigung dieser Kriterien ist vorliegend die weitere Vollstreckung der Jugendstrafe auch unter dem Gesichtspunkt der Schwere der Schuld nicht mehr geboten.

Zwar ist die Schuld des Verurteilten bei allen auch für ihn sprechenden Umständen von einem außerordentlichen Gewicht, was angesichts des von fremdenfeindlichen Aggressionen getragenen Tatgeschehens und seiner Folgen aus der Sicht des Senats keiner weiteren Begründung bedarf. Der Verurteilte hat den grausamen Flammentod von 5 Menschen mitverschuldet und 14 weitere Menschen in äußerste Not und Lebensgefahr gebracht, wobei einige dieser 14 Menschen zum Teil schwere, sie ein Leben lang beeinträchtigende körperliche und seelische Verletzungen davongetragen haben.

Gleichwohl sieht der Senat eine weitere Vollstreckung der Jugendstrafe aus dem Aspekt des gerechten Schuldausgleichs nicht mehr als geboten an. Der Verurteilte hat inzwischen mehr als drei Viertel bzw. mehr als 7 1/2 Jahre der gegen ihn verhängten Jugendstrafe von 10 Jahren verbüßt, so daß dem "Grundsatz der tatvergeltenden Sühne" Rechnung getragen worden ist, soweit dies im Rahmen eines Strafvollzugs überhaupt möglich ist, zumal die vom Gesetzgeber insoweit normierten Vorgaben nicht notwendig mit moralischen oder sonstigen ethischen Betrachtungsweisen deckungsgleich sind und selbst bei schwersten Kapitalverbrechen und denkbar schlechter Sozialprognose eine maximale Verbüßungsdauer von allenfalls 10 Jahren vorsehen. Entsprechend hat nunmehr das Interesse des Verurteilten - und auch der Allgemeinheit - an einer zügigen Entlassung in das derzeit ausgesprochene günstige soziale Umfeld an ausschlaggebender Bedeutung gewonnen. Die weitere Vollstreckung der Jugendstrafe ist nicht nur aus dem Gesichtspunkt der Schwere der Schuld nicht mehr geboten. Sie würde vielmehr - wie der Sachverständige Prof. Dr. L und die Leiterin der Justizvollzugsanstalt Heinsberg ebenfalls zu Recht betont haben - auch dem angestrebten Ziel, der dauerhaften und belastungsfähigen Wiedereingliederung des Verurteilten in die Familie und die Gesellschaft, entscheidend schaden, weil einerseits die für eine Entlassung derzeit günstige Konstellation der äußeren Umstände ungenutzt verstreichen würde und andererseits die derzeit vorhandene Motivation des Verurteilten beschädigt und gar in Gefahr laufen würde, in Mutlosigkeit und Verbitterung umzuschlagen.

d) Nach alledem kann - ohne daß das Erfordernis eines gerechten Schuldausgleichs noch entgegensteht - im Hinblick auf die Entwicklung des Verurteilten, auch unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit, verantwortet werden, die Vollstreckung des Restes der gegen den Verurteilten verhängten Jugendstrafe von l0 Jahren mit sofortiger Wirkung zur Bewährung auszusetzen. Die Entscheidung des Senats entspricht in der Sache der Stellungnahme und dem Antrag des Generalbundesanwalts. Dessen Sitzungsvertreter hat nach der Beendigung der Anhörung des Verurteilten die Voraussetzungen einer vorzeitigen Entlassung gemäß § 88 Abs. 1 JGG als gegeben angesehen und beantragt, die Vollstreckung des Restes der Jugendstrafe aus dem Urteil vom 13. Oktober 1995 zur Bewährung auszusetzen.

III.

Gemäß §§ 88 Abs. 6 Satz 1, 22 Abs. 1 Satz 2 JGG darf die Bewährungszeit 3 Jahre nicht überschreiten und 2 Jahre nicht unterschreiten. Angesichts des Gewichts und der Tragweite der von dem Verurteilten zu verantwortenden Tat und angesichts des Umstandes, daß der Verurteilte mehr als 7 1/2 Jahre in Haft gewesen ist, hält der Senat es für angezeigt, sich an der Höchstdauer zu orientieren und die Dauer der Bewährungszeit auf 3 Jahre festzusetzen.

Die Unterstellung des Verurteilten unter die Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers entspricht der gesetzlichen Regelung der §§ 88 Abs. 6 Satz 1, 24 Abs. 1 JGG. Die Dauer der gemäß §§ 88 Abs. 6 Satz 1, 24 Abs. 2 JGG nachträglich veränderbaren Unterstellungszeit beträgt gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 JGG höchstens zwei Jahre. Der Senat sieht keinen Anlaß, von dieser Höchstdauer abzuweichen.

Die Weisung, einen festen Wohnsitz zu begründen und ihn sowie jeden Wohnsitzwechsel dem Bewährungshelfer und dem Vollstreckungsleiter unverzüglich mitzuteilen, dient der Absicherung der Sozialprognose; sie gründet sich auf §§ 88 Abs. 6 Satz 1, 23 Abs. 1, 10 Abs. 1 Nr. 1 JGG (s.a. §§ 88 Abs. 6 Satz 3, 60 Abs. 1 Satz 3 JGG).

Die nach der Aussetzung der Vollstreckung des Restes, der Jugendstrafe zur Bewährung erforderlich werdenden Maßnahmen und Entscheidungen gemäß §§ 58, 60 (s.a. § 88 Abs. 6 Satz 3) JGG werden dem Jugendrichter bei dem Amtsgericht Heinsberg, in dessen Bezirk sich der Verurteilte aufhält, übertragen. In Ausnahme von dem Grundsatz des § 58 Abs. 3 Satz 1 (s.a. § 88 Abs. 6 Satz 3) JGG, daß für die genannten Maßnahmen und Entscheidungen der Richter zuständig ist, der die Aussetzung angeordnet hat, ist dem Senat als einem für allgemeine Strafsachen zuständigen Gericht diese Übertragung im Hinblick auf die größere Erfahrung des Jugendrichters in vergleichbaren Bewährungsfällen gemäß §§ 104 Abs. 5 Satz 1 JGG zwingend vorgeschrieben.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt gemäß § 2 JGG aus der entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO. Die sofortige Beschwerde ist in vollem Umfange erfolgreich. Dabei verkennt der Senat nicht, daß der Erfolg des Rechtsmittels im wesentlichen auf dem Zeitablauf und den dadurch bedingten, sich für den Verurteilten positiv auswirkenden Veränderungen - Verfestigung der günstigen Sozialprognose und Annäherung der tatsächlichen Verbüßungsdauer an einen mit dem Aspekt des gerechten Schuldausgleichs zu vereinbarenden Zeitraum - beruht. Dies stellt jedoch die Annahme, daß die sofortige Beschwerde des Verurteilten auch im Sinne der für die Kosten- und Auslagenentscheidung maßgeblichen Kriterien Erfolg hat, nicht in Frage. Der Senat folgt insoweit der Auffassung, daß es für die Frage, ob ein Rechtsmittel in dem genannten Sinne erfolgreich ist, grundsätzlich unerheblich ist, worauf das Ergebnis der Rechtsmittelentscheidung beruht (so z. B. Hilger in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 473 Rn 23; Paulus in KMR, StPO, 7. Aufl., § 473 Rn 21; a.A. Kleinknecht/MeyerGoßner, StPO, 44. Aufl., § 473 Rn 31).

Ende der Entscheidung

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