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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 14.02.2002
Aktenzeichen: 8 U 208/00
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 339
ZPO § 340
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
ZPO § 543
BGB § 847
BGB § 823
BGB § 611
BGB § 276
BGB § 242
BGB §§ 249 ff
Es ist nicht zu beanstanden, dass das Personal eines Arztes eine in einem Behandlungszimmer liegende Patientin nach einer Kreislaufschwäche mit der Anweisung, nicht aufzustehen, kurzfristig alleine läßt, wenn zuvor eine Besserung der Kreislaufsituation festgestellt worden ist und die Patientin angibt, dass es ihr wieder gut geht.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

8 U 208/00

Verkündet am 14. Februar 2002

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 10. Januar 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht B sowie die Richter am Oberlandesgericht G und S

für Recht erkannt:

Tenor:

Das am 6. September 2001 verkündete Versäumnisurteil des Senats wird aufrechterhalten.

Die Klägerin hat die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die seinerzeit 47jährige Klägerin suchte am 16. März 1994 die Praxis des Beklagten auf, um die Fäden nach einer zuvor erfolgten Operation des linken Knies ziehen zu lassen. Die Klägerin, die von ihrem Ehemann begleitet wurde, benutzte zum Gehen zwei Unterarmgehstützen. Nachdem der Beklagte die Wundheilung kontrolliert hatte, begann eine Helferin weisungsgemäß mit dem Ziehen der Fäden, wobei die Klägerin im Behandlungszimmer auf einer Liege lag. Ein von der Klägerin dabei erlittener Schweißausbruch veranlasste eine der insgesamt drei anwesenden Helferinnen den Blutdruck (120/70 mm Hg) zu kontrollieren. Im Anschluss an die Behandlung verließen die Mitarbeiterinnen des Beklagten das Behandlungszimmer; es war vorgesehen, dass der Beklagte noch einmal nach der Klägerin schaute. Bevor es dazu kam, stürzte die Klägerin aus zwischen den Parteien umstrittenen Gründen auf den Boden. Dabei zog sie sich eine dislozierte Sprunggelenksfraktur rechts zu. Die Fraktur wurde noch am 16. März 1994 im J Krankenhaus operativ versorgt. Die stationäre Behandlung dauerte bis zum 30, April 1994.

Die Klägerin macht Ersatzansprüche gegenüber dem Beklagten geltend. Sie hat ihm vorgeworfen, für ihren Sturz verantwortlich zu sein. Die Klägerin hat hierzu behauptet: Wegen Schwierigkeiten einer Helferin beim Fädenziehen habe sie - die Klägerin - sich so aufgeregt, dass es zu Schweißausbrüchen gekommen sei. Dennoch hätten die Helferinnen das Behandlungszimmer verlassen, in dem sie weiterhin liegend alleine zurückblieb. Sie habe nunmehr Atemnot verspürt und mit Schwindel verbundene Angstzustände bekommen; deshalb habe sie sich - um nach Hilfe zu rufen - mit dem Oberkörper aufgerichtet. Dabei habe sie das Gleichgewicht (GA 3) bzw. das Bewusstsein (GA 95) verloren und sei von der Liege gestürzt.

Die Klägerin hat unter Bezugnahme auf die von ihr veranlasste Stellungnahme der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler die Auffassung vertreten, es sei fehlerhaft gewesen, sie angesichts einer erkennbaren Kreislaufstörung ohne Aufsicht im Behandlungszimmer zurückzulassen, was alleine den Sturz ermöglicht habe.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes von mindestens 25.000 DM sowie die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für aus dem Unfallereignis herrührende materielle und immaterielle Schäden begehrt. Sie hat geltend gemacht, die nur zögernde Heilung der Fraktur habe eine langwierige Behandlung erforderlich gemacht; zwischenzeitlich sei eine Gelenkversteifung oder eine Knorpeltransplantation geplant. Verletzungsbedingt sei sie arbeitsunfähig.

Die Klägerin hat beantragt,

1.

den Beklagten zu verurteilen, an sie ein angemessenes der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen seit Klageerhebung zu zahlen;

2.

festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtlichen materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfall vom 16. März 1994 in der Arztpraxis des Beklagten V zu bezahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen und diese Ansprüche nach Rechtskraft der mündlichen Entscheidung entstehen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat der Darstellung der Klägerin, sie sei wegen einer Kreislaufschwäche von der Behandlungsliege gestürzt, widersprochen und behauptet: Wegen eines Schweißausbruchs der Klägerin hätten seine Helferinnen ihr den Blutdruck gemessen, der normal gewesen sei. Der Klägerin sei dann ein Glas Wasser gegeben worden, und die Helferinnen hätten sich von ihrem Wohlbefinden überzeugt. Erst nach dem Hinweis, sie solle liegen bleiben, bis der Beklagte zu ihr komme, hätten die Helferinnen das Behandlungszimmer verlassen. Nach dem Sturz habe die Klägerin mit ihren Gehhilfen auf den Boden gelegen, was gegen einen Sturz unmittelbar von der Liege spreche. Der Beklagte hat im übrigen bestritten, dass die von der Klägerin beschriebenen Beeinträchtigungen auf den Sturz zurückzuführen sind und eine Mitschuld eingewendet, weil sie trotz des Hinweises, liegen zu bleiben, aufgestanden sei.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeuginnen D E O und H sowie durch Einholung eines orthopädischen Gutachtens des Sachverständigen Dr. E. Durch das am 7. Dezember 2000 verkündete Urteil hat die 3. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf die Klage abgewiesen.

Die von der Klägerin gegen die Entscheidung eingelegte Berufung hat der Senat - nach Verweigerung der hierfür beantragten Prozesskostenhilfe - durch Versäumnisurteil vom 6. September 2001 zurückgewiesen.

Die Klägerin hat gegen das ihren Bevollmächtigten am 10. September 2001 zugestellte Versäumnisurteil am 24. September 2001 Einspruch eingelegt, mit dem sie die Aufhebung der Entscheidung und die Abänderung des landgerichtlichen Urteils erstrebt.

Die Klägerin beruft sich unter Vertiefung ihres bisherigen Sachvortrages auf die Stellungnahme der hiesigen Gutachterkommission sowie die Ausführungen des Sachverständigen Dr. E wonach der Unfall auf eine unzureichende Überwachung seitens des Beklagten angesichts ihrer Kreislaufschwäche zurückzuführen sei und meint, dass den Beklagten danach auch dann eine Haftung trifft, wenn man seine Schilderung des Geschehens zugrundelegt. Der Beklagte sei nämlich seiner Verpflichtung, eine wegen einer Kreislaufschwäche erkennbar betreuungsbedürftige Patientin im Auge zu behalten, nicht nachgekommen. Dabei hätte er aufgrund der gesundheitlichen Beeinträchtigung der Klägerin auch damit rechnen müssen, dass sie von der Liege steigen würde.

Die Klägerin beantragt,

das Versäumnisurteil des Senates vom 6. September 2001 aufzuheben und unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils

1.

den Beklagten zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst 4 % Zinsen seit Klageerhebung zu zahlen;

2.

festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtlichen materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfall vom 16. März 1994 in der Arztpraxis des Beklagten, V zu zahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen und diese Ansprüche nach Rechtskraft der mündlichen Entscheidung entstehen.

Der Beklagte beantragt,

das Versäumnisurteil aufrechtzuerhalten.

Der Beklagte verteidigt die Entscheidung des Landgerichts, wobei er der Auffassung ist, dass sowohl die Stellungnahmen der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler als auch das Gutachten des Sachverständigen Dr. E einen Sachverhalt zugrundelegen, von dem angesichts des Beweisergebnisses hier nicht ausgegangen werden könne. Im übrigen verweist der Beklagte - hilfsweise - auf ein Mitverschulden der Klägerin und wendet sich gegen die Höhe des verlangten Schmerzensgeldes.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Parteien eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

A.

Der nach §§ 339, 340 ZPO zulässige Einspruch gegen das Versäumnisurteil des Senates vom 6. September 2001 ist sachlich nicht gerechtfertigt. Die Berufung ist unbegründet. Die Klägerin kann nicht nach § 847 BGB die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes verlangen; auch steht ihr ein auf den Gesichtspunkt einer unerlaubten Handlung im Sinne des § 823 BGB oder auf die Grundsätze der positiven Vertragsverletzung gemäß den §§ 611, 276, 242, 249 ff BGB zu stützender Anspruch auf Ersatz materieller Schäden nicht zu. Zu Recht geht das Landgericht davon aus, dass die Klägerin die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme des Beklagten nicht bewiesen hat.

1.) Nach dem von dem Landgericht aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme zutreffend festgestellten Sachverhalt ist der gegenüber dem Beklagten und seinem Personal erhobene Vorwurf einer unzureichenden Beaufsichtigung der Klägerin nicht berechtigt. Danach gab es zu dem Zeitpunkt, als die mit der Versorgung der Klägerin befassten Zeuginnen S B und F den Behandlungsraum verließen, in dem die Klägerin zurückblieb, keinerlei Anhaltspunkte für eine Kreislaufschwäche oder eine sonstige Gefahrensituation, die eine Beaufsichtigung der Klägerin erforderlich gemacht hätten. Nach den übereinstimmenden Bekundungen der Zeuginnen hatte die Klägerin zwar zunächst über Schwindel geklagt bzw. einen Schweißausbruch gehabt. Nach einer Hochlage ihrer Beine und nachdem sie in Gegenwart der Helferinnen etwa 15 Minuten liegen blieb, äußerte die Klägerin dann allerdings, dass es ihr wieder gut gehe. Für die Richtigkeit dieser eigenen Einschätzung spricht, dass Blutdruck und Puls nach objektiven Maßstäben (120/70) im Normbereich lagen. Unter diesen Umständen bestand keine Veranlassung zu der Annahme, bei der Klägerin könne eine anfängliche Kreislaufschwäche andauern und sie einer Gefahr aussetzen, zumal ihr die ausdrückliche Anweisung gegeben wurde, liegen zu bleiben. Auf die Stellungnahme der hiesigen Gutachterkommission und des Sachverständigen Dr. E kann sich die Klägerin in diesem Zusammenhang nicht mit Erfolg berufen, weil dort das Fortbestehen eine Schwächesymptomatik bei der Patientin unterstellt wird, wovon hier gerade nicht ausgegangen werden kann.

2.)

Ungeachtet der Bewertung des Verhaltens des Beklagten und seines Personals scheitert eine mögliche Haftung im übrigen daran, dass nicht festgestellt werden kann, dass die Klägerin wegen einer Kreislaufschwäche und nicht aufgrund anderer Ursachen (z.B. wegen eines Stolperns beim Greifen nach den Gehhilfen) gestürzt war.

Die erstinstanzliche Sachdarstellung der Klägerin zu den Ursachen des Sturzes -Herunterfallen von der Liege wegen Verlustes des Gleichgewichtes (GA 3) oder des Bewusstseins (GA 95) - hat das Landgericht zu Recht als widerlegt angesehen. Die Zeuginnen S, B und F haben nicht nur übereinstimmend ausgesagt, sie hätten das Behandlungszimmer erst verlassen, als die Klägerin - bei gemessenem normalen Blutdruck - eine Besserung ihres Zustandes bejaht habe. Sie haben darüber hinaus bekundet, dass die Klägerin nach dem Sturz auf dem Boden lag und sich die Gehhilfen unter bzw. neben ihr befanden. Die Zeuginnen haben dabei nachvollziehbar beschrieben, dass die Klägerin angesichts dieser Lage die Gehhilfen vor ihrem Sturz ergriffen haben musste, weil diese in einiger Entfernung von der Liege angelehnt standen. Bereits aufgrund dieser Umstände kann alleine davon ausgegangen werden, dass die Klägerin - möglicherweise aufgrund der bei ihr ohnehin bestehenden Bewegungseinschränkung - gestürzt war, nachdem sie weisungswidrig selbst aufgestanden war und die Gehhilfen ergriffen hatte.

Die ergänzenden Ausführungen der Klägerin in der Einspruchsbegründung zu der Sturzursache sind spekulativ und rechtfertigen nicht die ergänzende Vernehmung der Zeugen H E und D die den in ihrer Erinnerung verbliebenen Sachverhalt in erster Instanz erschöpfend dargestellt haben.

3.)

Sollte die Klägerin wegen ihrer ohnehin eingeschränkten Gehfähigkeit gestürzt sein, ist dem Beklagten ein haftungsbegründender Vorwurf ebenfalls nicht zu machen. Selbst wenn man davon ausgeht, dass es ihm bzw. seinen Helferinnen angesichts der wegen der Gehbeeinträchtigung der Klägerin vorliegenden besonderen Umstände oblag, ihr die entfernt abgestellten Gehhilfen zu reichen und ihr beim Aufstehen von der Liege zu helfen, ist der Beklagte nicht dafür verantwortlich, dass die Klägerin eigenmächtig aufgestanden war. Die damals 47jährige Klägerin war nach Darstellung aller Zeuginnen bewusstseinsklar und sich damit nicht nur ihrer Gehbehinderung bewusst, sondern konnte den ihr gegebenen Hinweis, weiterhin liegen zu bleiben, zweifellos verstehen.

B.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Beschwer der Klägerin liegt unter 20.000 Euro.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 ZPO liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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