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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 08.03.2004
Aktenzeichen: I-1 U 152/03
Rechtsgebiete: StVG, StVO


Vorschriften:

StVG § 17 Abs. 1
StVO § 1 Abs. 2
StVO § 4 Abs. 1 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

I-1 U 152/03

Verkündet laut Protokoll am 8. März 2004

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. E den Richter am Oberlandesgericht E sowie die Richterin am Landgericht T auf die mündliche Verhandlung vom 16. Februar 2004

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Widerklägers gegen das am 11. Juli 2003 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 13. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsrechtszuges fallen dem Widerkläger zur Last.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

I.

Die zulässige Berufung des Widerklägers hat in der Sache keinen Erfolg.

Zu Recht hat das Landgericht einen Ersatzanspruches Widerklägers gegen die Widerbeklagte aus dem Verkehrsunfall vom 24. Juli 2002 in Ratingen, bei dem der Widerkläger mit seinem Pkw der Marke Daimler-Chrysler mit amtlichem Kennzeichen ... auf den von der Widerbeklagten gesteuerten Pkw der Marke Opel mit amtlichem Kennzeichen ... aufgefahren ist, verneint.

Da der Unfall für den Widerkläger nicht unabwendbar war (§ 7 Abs. 2 StVG) und sowohl den Widerkläger wie auch die Widerbeklagte sich als beteiligte Fahrer durch fehlendes Verschulden nicht entlasten konnten (§ 18 Abs. 1 StVG), führt dies zu einer grundsätzlichen Haftung beider Parteien (§§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG).

Auch der Senat hält im Rahmen der in einem solchen Fall gebotenen Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge der beteiligten Fahrzeugführer unter Berücksichtigung der von beiden Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr vorliegend eine volle Haftung des Widerklägers für gegeben (§ 17 Abs. 1 StVG).

2.

Bei der Abwägung gemäß § 17 Abs. 1 StVG dürfen neben unstreitigen Tatsachen nur solche Umstände berücksichtigt werden, die bewiesen sind oder aber auf die sich eine Partei selbst berufen hat.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vermochte der Widerkläger - wie das Landgericht im Ergebnis zutreffend ausgeführt hat - ein unfallursächliches Fehlverhalten der Widerbeklagten nicht nachzuweisen.

Hingegen streitet für ein Auffahrverschulden des Widerklägers der Beweis des ersten Anscheins, den dieser nicht widerlegen konnte.

3.

Es lässt sich weder ein Verstoß der Widerbeklagten gegen § 4 Abs. 1 S. 2 StVO noch gegen § 1 Abs. 2 StVO feststellen.

Gemäß § 4 Abs. 1 S. 2 StVO darf der Vorausfahrende nicht ohne zwingenden Grund stark abbremsen. Eine Behinderung im Sinne von § 1 Abs. 2 StVO kann hingegen u.a. schon darin liegen, dass der Vorausfahrende in einer Verkehrssituation grundlos abbremst, in der der hinter ihm fahrende Folgeverkehr - für ihn bei ordnungsgemäßer Beobachtung und Rückschau erkennbar - einen ausreichenden Sicherheitsabstand - noch - nicht aufgebaut hat.

Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, lässt sich aufgrund der erhobenen Beweise weder feststellen, dass die Widerbeklagte grundlos, noch dass sie stark abgebremst hat.

Die Widerbeklagte und der Widerkläger haben im Rahmen ihrer Anhörung sowohl zur Frage des Abbremsens als auch zur Frage des Grundes des Abbremsens unterschiedliche Angaben gemacht.

Bereits unter Zugrundelegung der Unfalldarstellung des Widerklägers lässt sich nicht mit der hinreichenden Gewissheit darauf schließen, dass die Widerbeklagte ohne Grund eine starke Bremsung durchgeführt hat. Der Widerkläger bekundet nämlich lediglich, die Widerbeklagte "müsse stark gebremst haben, denn bevor er zum Überholen angesetzt habe, habe er nur kurz in den Rückspiegel geschaut und dann habe das von der Widerbeklagten gesteuerte Fahrzeug auch schon gestanden". Diese Angaben können aber weniger als die Wiedergabe einer eigenen Wahrnehmung des starken Bremsvorgangs verstanden werden, sondern sind vielmehr als Erklärungsversuch des Widerklägers zu werten, wie es denn zu dem Unfall kommen konnte. Hierzu passt auch die Äußerung des Widerklägers vor Ort gegenüber der Polizei. Nach Aussage des zum Unfallort gerufenen Polizeibeamten, des Zeugen K ist nicht etwa - wie der Widerkläger mit der Berufung geltend macht - von der Widerbeklagten eine dahingehende Aussage, sondern vielmehr von ihm selbst die Äußerung gekommen, "dass vor ihm plötzlich gebremst worden sei und er deshalb den Unfall nicht habe vermeiden können". Gegen die behauptete Vollbremsung spricht zudem, dass nach Schilderung des Widerklägers das von der Widerbeklagten gesteuerte Fahrzeug immer langsamer geworden sein soll und sogar mit einer Geschwindigkeit unter 30 km/h gefahren sei, bevor er sich zum Überholen entschlossen habe. Auch die Widerbeklagte hat ein starkes Bremsen oder eine Vollbremsung nicht bestätigt. Sie hat vielmehr durchaus plausibel geschildert, sie habe lediglich vor der Einmündung in Höhe des schraffierten Dreiecks abgebremst, weil der vor ihr gefahrene Bus gebremst habe. Gegen die Richtigkeit dieser Angaben spricht nicht bereits, dass in der Unfallanzeige hierzu von dem Zeugen K keine Angaben vermerkt worden sind. Die Widerbeklagte hat nämlich auch bekundet, sie habe gegenüber der Polizei nur gesagt, es sei keine Vollbremsung gewesen. Hat sie" aber keine weitere Erklärung abgegeben, so konnte der Zeuge K auch eine solche nicht in den Unfallbericht aufnehmen. Zwar fragt es sich, weshalb die Widerbeklagte der Polizei vor Ort weitere, durchaus wichtige Informationen nicht geschildert hat. Es lässt sich aus dem Unterlassen weiterer Angaben, auch wenn diese nahegelegen hätten, jedoch nicht der Schluss auf die Unrichtigkeit der Schilderung der Widerbeklagten ziehen, zumal diese zudem eine durchaus plausible Erklärung dafür gegeben hat, weshalb sie weitere Angaben in der Situation vor Ort nicht gemacht hat. Schließlich konnte der nach dem Unfall gerufene Zeuge K zwar nichts zu einem Bus bekunden, vermochte aber auch nicht zu sagen, dass ein solcher nicht vor Ort gewesen sei.

Bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung lässt sich jedenfalls weder aufklären, ob die Widerbeklagte eine starke Abbremsung vorgenommen hat noch, ob das als solches unstreitig erfolgte Bremsen grundlos geschehen ist, zumal nach den unterschiedlichen Unfalldarstellungen der Parteien streitig ist und ebenfalls offen bleibt, wo sich die Kollision genau ereignet hat.

4.1.

Dem Kläger ist dagegen ein unfallursächliches Fehlverhalten nach Anscheinsgrundsätzen anzulasten, da er unstreitig auf das von der Widerbeklagten gesteuerte Fahrzeug aufgefahren ist. Gegen ihn streitet der Anscheinsbeweis bei Auffahrunfällen. Danach hat derjenige, der mit seinem Fahrzeug auf den Vordermann auffährt, den Beweis des ersten Anscheins gegen sich, dass er entweder den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat (§ 4 Abs. 1 S. 1 StVO), es an der erforderlichen Aufmerksamkeit hat fehlen lassen (§ 1 Abs. 2 StVO) oder seine Fahrgeschwindigkeit nicht der Verkehrssituation angepasst hat (§ 3 Abs. 1 StVO; vgl. der Senat, Urteil vom 10. März 2003, AZ 1 U 111/02; Urteil vom 10. November 2003, AZ 1 U 28/02; zuletzt Urteil vom 16. Februar 2004, AZ 1 U 108/03).

Zwar kann auf den Anscheinsbeweis nur dann zurückgegriffen werden, wenn ein typischer Geschehensablauf gegeben ist, den derjenige, zu dessen Gunsten der Anscheinsbeweis greift, darlegen und ggf. beweisen muss.

Vorliegend ist indes nach den unstreitigen Umständen eine typische Auffahrsituation gegeben. Unstreitig befuhr der Widerkläger die Berliner Straße hinter der Widerbeklagten und fuhr auf das von dieser gesteuerte" Fahrzeug - wenngleich aufgrund des schon begonnen Überholvorgangs leicht seitlich - hinten auf. Dass der Widerkläger bereits zum Überholen angesetzt hatte, spricht nicht gegen die Typizität des Geschehensablaufs. Zwar mag es zulässig sein, dass der regelmäßig erforderliche Sicherheitsabstand dann unterschritten wird. Gleichwohl bleibt eine typische Situation, aufgrund derer der Anscheinsbeweis streitet, dass eine Unaufmerksamkeit des zum Überholen ansetzenden Widerklägers unfallursächlich war, dieser nämlich den Vorausfahrenden und hier zu überholen beabsichtigten Verkehr nicht mit der ausreichenden Sorgfalt beobachtet hat.

4.2.

Diesen zu seinen Lasten streitenden Anscheinsbeweis vermochte der Widerkläger nicht zu widerlegen.

Um den Anscheinsbeweis für ein Auffahrverschulden zu erschüttern, muss derjenige, zu dessen Lasten der Anscheinsbeweis streitet, die ernsthafte Möglichkeit eines atypischen, gegen sein Verschulden sprechenden Geschehensablauf darlegen und beweisen.

Ob ein solcher das Auffahrverschulden des Widerklägers in Frage stellender Geschehensablauf dann zu bejahen wäre, wenn die vor ihm fahrende Widerbeklagte grundlos und zudem stark abgebremst hätte, kann dahinstehen (dazu der Senat Urteil vom 10. November 2003, AZ 1 U 28/02; Urteil vom 16. Februar 2004, AZ 1 U 108/03).

Nach der erstinstanzlichen Beweisaufnahme lässt sich weder feststellen, dass die Widerbeklagte überhaupt stark abgebremst hat, noch lässt sich aufklären, ob sie grundlos gebremst hat oder aber verkehrsbedingt, weil der vor ihr fahrende Bus ebenfalls anhielt.

5.

Das den Widerkläger belastende Auffahrverschulden wiegt so stark, dass die die Widerbeklagte treffende Betriebsgefahr ihres Fahrzeuges dahinter zurücktritt.

6.

Der Senat sah keine Veranlassung zur Frage des vom Widerkläger behaupteten starken abrupten Abbremsens der Widerbeklagten ein unfallanalytisches Sachverständigengutachten einzuholen.

Wenngleich der vom Widerkläger bereits in erster Instanz dahin gestellte Beweisantrag nicht verspätet war, fehlte es für die Einholung eines Sachverständigengutachtens an hinreichenden Anknüpfungsstatsachen. Abgesehen davon, dass bisher lediglich Schadensbilder des beschädigten Fahrzeugs der Widerbeklagten zur Akte gereicht worden sind, ergäben sich auch bei Vorlage der Schadensbilder des Fahrzeugs des Widerklägers keine hinreichenden Anknüpfungspunkte, aufgrund derer weitere entscheidungserhebliche Erkenntnisse zu erwarten sind. Selbst wenn sich das Ausmaß der Beschädigungen durch die Bilder der verunfallten Fahrzeuge feststellen ließe und sich aus den Beschädigungen Erkenntnismöglichkeiten für die Kollisionsgeschwindigkeit der Fahrzeuge ergäben, so ließe sich aus den Beschädigungen nicht aussage- und beweiskräftig auf die hier entscheidungserhebliche Bremsintensität des Opel Omega schließen.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, 516 Abs. 3 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Der Streitwert für den Berufungsrechtszug wird auf 3.083,82 € festgesetzt, dieser Wert entspricht auch der Beschwer des Widerklägers.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorlagen.

Ende der Entscheidung

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