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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 15.10.2007
Aktenzeichen: I-1 U 268/06
Rechtsgebiete: SGB X, HaftpflichtG, BGB, StVO


Vorschriften:

SGB X § 116
SGB X § 119
HaftpflichtG § 1
HaftpflichtG § 4
HaftpflichtG § 5 Abs. 2
BGB § 254
BGB § 286
BGB § 288
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 831
StVO § 3 Abs. 2a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen das am 8. November 2006 verkündete Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte zu 1. (xxx) wird verurteilt, an die Klägerin 3.371,01 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2006 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 1. verpflichtet ist, der Klägerin darüber hinaus die Aufwendungen zu einem Anteil zu ersetzen, die diese künftig ab dem 01.01.2006 aus Anlass des tödlichen Unfalls des Herrn xxx vom 5. Juli 2004 dessen Witwe zu gewähren hat, soweit diese Aufwendungen jeweils durch auf die Klägerin nach §§ 116, 119 SGB X übergegangenen Schadensersatzanspruch nach Maßgabe einer Haftung von 30 % gedeckt sind.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten der Klägerin, die Klägerin 72 % und die Beklagte zu 1. 28 %, von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1., die Beklagte zu 1. 56 % und die Klägerin 44 %; die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2. trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist zum Teil begründet.

I.

Sie wendet sich gegen das erstinstanzliche Urteil zu Recht, soweit das Landgericht die gegen die Beklagte zu 1. gerichtete Klage in vollem Umfang abgewiesen hat. Entgegen dem Landgericht trifft die Beklagte zu 1. auch gegenüber dem gravierenden Verschulden des verunglückten Herrn xxx eine Haftung von 30 %. Mit dieser Maßgabe kann die Klägerin aus übergegangenem Recht nach § 116 StGB X von der Beklagten zu 1. Ersatz für die geleisteten und zukünftig zu tragenden Unterhaltszahlungen verlangen. Wegen des darüber hinausgehend geltend gemachten Anspruchs und in Bezug auf die gegen den Beklagten zu 2. geltend gemachten Ansprüche hat das Landgericht hingegen die Klage zu Recht abgewiesen.

Im einzelnen ist noch folgendes auszuführen:

1. Zur Haftung der Beklagten zu 1.

a.

Das Landgericht ist im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass die Beklagte zu 1. nach § 1 HaftpflichtG grundsätzlich haftet und gemäß § 5 Abs. 2 HaftpflichtG der Witwe des bei dem Unfall getöteten xxx zum Ersatz des entstandenen Unterhaltsschadens verpflichtet ist.

b.

Daneben trifft die Beklagte zu 1. eine Haftung nach § 831 BGB. Diesbezüglich hat sie weder den ihr obliegenden Beweis dafür erbracht, dass sich der Beklagte zu 2. verkehrsrichtig verhalten hat, noch dass sie diesen ordnungsgemäß ausgewählt und überwacht hat. Auch in dem Berufungsverfahren ist hierzu nichts vorgetragen worden.

Zur Feststellung eines verkehrsrichtigen Verhaltens reicht das erstinstanzliche Beweisergebnis nicht aus. Es haben sich danach - im Gegenteil - Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Beklagte zu 2. erkennen konnte, dass es sich bei dem von ihm - nach eigenem Bekunden - erkannten Fußgänger um einen älteren und zudem noch gehbehinderten Mann gehandelt hat. Bei dieser Sachlage hatte er die Sorgfaltsanforderungen des § 3 Abs. 2a StVO zu beachten, d.h., sich so zu verhalten, dass eine Gefährdung von Herrn xxx ausgeschlossen war.

Der Beklagte zu 2. hat nach seinen eigenen Angaben gegenüber der Polizei (Bl. 2 BA) erkannt, dass Herr xxx versucht hat, "in sehr langsamer Geschwindigkeit" auf den anderen Bahnsteig nach links zu gelangen. Bei Erkennen des Fußgängers war der Beklagte zu 2. mit der Straßenbahn allenfalls etwa 36 m entfernt. Es ist deshalb jedenfalls wahrscheinlich, dass er - ebenso wie einige der vernommenen Zeugen - erkannt hat, dass es sich bei Herrn xxx um einen älteren und gehbehinderten Mann gehandelt hat. So haben die Zeuginnen xxx (Bl. 112 GA, 18 BA), der Zeuge xxx (Bl. 113 GA, Bl. 127 BA), die Zeugin xxx (Bl. 17 BA) und die Zeugin xxx (Bl. 30 BA), den Fußgänger als älteren bzw. sogar als alten Mann bezeichnet. Die Zeuginnen xxx und xxx haben darüber hinaus erkannt, dass Herr xxx mit einem Gehstock unterwegs war.

War Herr xxx als älterer Mensch i.S.v. § 3 Abs. 2a StVO aber erkennbar, so war ihm gegenüber besondere Vorsicht und Rücksichtnahme angebracht. Die verkehrsrichtige Reaktion wäre in diesem Fall eine sofortige Notbremsung gewesen, die der Beklagte zu 2. jedoch erwiesenermaßen nicht eingeleitet hat. Vielmehr hat er nach seinen Angaben und gemäß den Erkenntnissen des Sachverständigen xxx nach mit Betätigen des Warnsignals zunächst nur die Betriebsbremse betätigt, bevor er die Notbremsung eingeleitet hat, die bei sofortiger Einleitung die Kollision vermieden hätte.

2. Zur Haftung des Beklagten zu 2.

Andererseits kann dem Beklagten zu 2. als Führer des Straßenbahnzuges mit der hierzu erforderlichen Sicherheit kein Verschulden nachgewiesen werden; ihn trifft daher keine Haftung gemäß § 823 Abs. 1 BGB.

Als Straßenbahnführer durfte er grundsätzlich darauf vertrauen, dass ein den Bahnübergang querender Fußgänger den Gleisbereich rechtzeitig vor der herannahenden Straßenbahn verlässt und er daher nicht vorsorglich zu verlangsamen braucht (vgl. BGH, VersR 1975, 259). Dieser Vertrauensgrundsatz gilt im Hinblick auf die Vorschrift des § 3 Abs. 2a StVO zwar nur eingeschränkt; hiernach muss eine Gefährdung der dort genannten besonders schutzbedürftigen Personen ausgeschlossen werden. Nach dem erstinstanzlichen Beweisergebnis kann jedoch nicht mit der zur Führung des Beweises erforderlichen Sicherheit davon ausgegangen werden, dass der Beklagte zu 2. tatsächlich rechtzeitig erkennen konnte bzw. erkannt hat, dass es sich bei Herrn xxx um einen älteren und zudem noch gehbehinderten Mann gehandelt hat. Zu berücksichtigen ist, dass die o.g. Zeugen den Fußgänger aus einem anderen Blickwinkel und in einer anderen Situation beobachtet haben. Ein Hinken des Fußgängers ist zudem nicht bemerkt worden. Insoweit besteht - nach den plausiblen Mutmaßungen des Sachverständigen xxx - die Möglichkeit, dass Herr xxx orthopädisches Schuhwerk getragen hat. Hinzu kommt, dass der Beklagte zu 2. bei seiner Gefahrenbremsung allenfalls minimal zeitverzögert gehandelt hat, nämlich 1,2 Sekunden nach Betätigung der normalen Betriebsbremse. Mit den zutreffenden Ausführungen des Landgerichts ist dem Beklagten zudem nicht der Vorwurf zu machen, mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren zu sein.

3. Zur Haftungsabwägung

Bei der Abwägung zwischen der Verantwortung der Beklagten zu 1. und des tödlich verunglückten Herrn xxx gemäß § 4 HaftpflichtG, 254 BGB ist das Landgericht im Ansatz zutreffend von einem erheblichen Mitverschulden des Herrn xxx ausgegangen.

Dieser hat die gebotene Sorgfalt im Hinblick auf das Überqueren der Gleisanlage in ganz erheblichem Maße verletzt. Bei der gebotenen Aufmerksamkeit hätte er auf das bereits 7,5 Sekunden vor der Kollision aufleuchtenden Warnlicht an dem Fußgängerüberweg achten müssen. Angesichts des angekündigten baldigen Ankommens des Straßenbahnzuges hätte er - insbesondere auch wegen seiner Gehbehinderung - den Überweg nicht mehr queren dürfen.

Aus welchen Gründen dies nicht geschehen ist, ist allerdings ungeklärt. Der Umstand, dass Herr xxx von dem Straßenbahnzug nur knapp erfasst worden ist, nämlich von der äußerst linken Partei der Front des Straßenbahnzuges - bei Querung von rechts nach links - lässt die Möglichkeit bestehen, dass Herr xxx davon ausgegangen ist, trotz seiner Gehbehinderung noch rechtzeitig vor der herannahenden Straßenbahn hinüber gelangen zu können. Diese mögliche Fehleinschätzung beseitigt zwar nicht den Vorwurf des gravierenden Verschuldens, lässt aber das Verhalten dieses älteren Menschen in einem etwas milderen Licht erscheinen.

Das bloß vermutete Verschulden nach § 831 BGB der Beklagten zu 1 ist demgegenüber bei der Haftungsabwägung neben der zu berücksichtigenden Betriebsgefahr des Straßenbahnzuges ein neutraler Umstand. Jedoch ist schon die Betriebsgefahr von Straßenbahnzügen grundsätzlich deutlich höher anzusetzen als die von Kraftfahrzeugen, insbesondere von Pkw. Aufgrund ihrer Schienengebundenheit, kann mit ihnen Hindernissen nicht auswichen werden; zudem ist ihr Bremsweg - wie auch hier aufgrund der Darlegungen des Sachverständigen xxx belegt - deutlich länger als derjenige von Kraftfahrzeugen. Trotz des deutlichen Verschuldens des Herrn xxx ist es daher nicht gerechtfertigt, diese hohe Betriebsgefahr des Straßenbahnzuges bei der Haftungsabwägung ganz zurücktreten zu lassen. Vielmehr ist eine Haftungsverteilung von 30 : 70 zu Lasten des Fußgängers angemessen.

4. Zur Höhe

a.

Auf der Basis dieser Haftungsquote sind die Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte zu 1. zu regulieren. Auf der Grundlage der von der Klägerin mit der Klageschrift dargelegten Zahlen ergibt sich ein Gesamtanspruch von 3.371,01 €. Dabei entfallen auf die Rentenleistungen vom 01.08.2004 bis 31.10.2004 749,85 €, auf den Zeitraum vom 01.11.2004 bis 30.06.2005 1.499,47 € und auf den Zeitraum vom 01.07.2005 bis 31.12.2005 1.121,69 €.

b.

Darüber hinaus war der Feststellungsantrag im Hinblick auf die zukünftige Ersatzpflicht der Beklagten zu 1. nach einer Haftungsquote von 30 % begründet.

c.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288 BGB; ein höherer Zinsanspruch ist hier nicht gerechtfertigt.

II.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92, 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Ein Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 8.203,94 € festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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