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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 02.04.2009
Aktenzeichen: I-10 U 149/08
Rechtsgebiete: GVG, BGB, SGB XII


Vorschriften:

GVG § 119 A Abs. 1 Ziff. 1 b
BGB § 546
BGB § 546 Abs. 2
BGB § 573 Abs. 1 Satz 1
BGB § 573 Abs. 2 Ziff. 2
BGB § 573 Abs. 2 Nr. 2
BGB § 573 c Abs. 1
BGB § 574
SGB XII § 29
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung der Klägerinnen wird das am 01.07.2008 verkündete Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerinnen die im 3. Obergeschoss (Vorderhaus) des Hauses F. 39, 4. D. gelegene Wohnung, bestehend aus 3 Zimmern, einer Küche, einer Diele, eingerichtetem Bad, Balkon und einem Kellerraum geräumt herauszugeben.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten als Gesamtschuldnerinnen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Den Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 9.000 € abzuwenden, wenn nicht die Klägerinnen ihrerseits vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Den Beklagten wird eine Räumungsfrist bis zum 20.06.2009 eingeräumt.

I. Die Klägerinnen sind gemeinschaftlich Eigentümerinnen des Grundstücks F. 39 in D. Die Beklagte zu 1) ist aufgrund eines Mietvertrages auf unbestimmte Zeit aus dem Jahr 1985 Mieterin einer etwa 90 qm großen Dreizimmerwohnung im 3. Obergeschoss. Die Beklagte zu 2) ist Mitbewohnerin der Beklagten zu 1).

Mit Kündigungserklärung vom 12.06.2007 erklärten die Klägerinnen unter Berufung auf Eigenbedarf der Klägerin zu 2) und ihres Ehemannes die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses zum 31.03.2008. In der dritten Etage des Hauses befindet sich eine weitere aus zwei Zimmern bestehende und 69 qm große Wohnung, die bis zum 31.12.2007 möbliert vermietet war. Ebenfalls zum 31.12.2007 wurden die zuvor als Arztpraxis vermieteten ca. 200 qm großen Räumlichkeiten im 1. Obergeschoss frei. Am 15.11.2008 ist im Souterrain des Hauses eine etwa 80 qm große Wohnung frei geworden. Diese Wohnungen sind den Beklagten nicht zur Anmietung angeboten worden. Die Klägerinnen begehren die Räumung und Herausgabe der von den Beklagten inne gehaltenen Wohnung. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil eine wirksame Eigenbedarfskündigung nicht vorliege. Hiergegen haben die Klägerinnen form- und fristgerecht Berufung eingelegt.

Sie beantragen,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie die im 3. Obergeschoss (Vorderhaus) des Hauses F, 39, 4. D. gelegene Wohnung , bestehend aus 3 Zimmern, einer Küche, einer Diele , eingerichtetem Bad, Balkon und einem Kellerraum geräumt herauszugeben.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen und auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze verwiesen.

II. Die Berufung ist zulässig. Sie ist insbesondere vor dem zuständigen Oberlandesgericht als Berufungsgericht erhoben worden. Das Oberlandesgericht ist gemäß § 119 Absatz 1 Ziff. 1 b GVG für die Berufung zuständig, weil eine Partei, die Klägerin zu 2), ihren allgemeinen Gerichtsstand zur Zeit der Klageerhebung außerhalb Deutschlands hatte. Die zweitinstanzlich erhobene Rüge der Beklagten, die Klägerin zu 2) habe bereits im Zeitpunkt der Klageerhebung ihren allgemeinen Gerichtsstand in D. gehabt, führt nicht zum Erfolg. Die Klage ist hinsichtlich der Klägerin zu 2) unter der Anschrift 3. D. S. N. O., U., erhoben worden. Diese Angabe ist von den Beklagten nicht angegriffen worden. Unter diesen Umständen ist die Überprüfung der Richtigkeit des angegebenen Gerichtsstandes dem Rechtsmittelgericht entzogen (vgl. Zöller-Gummer, ZPO, 25. Aufl. § 119 GVG, Rn 14; BGHR 2004, 983 = BB 2004, 1077).

Die Berufung ist auch begründet.

Die Klägerinnen haben gegen die Beklagten einen Räumungs- und Herausgabeanspruch aus § 546 BGB. Denn durch die schriftliche Kündigung der Klägerinnen mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 12.06.2007 (GA 38) ist das Mietverhältnis zwischen den Klägerinnen und der Beklagten zu 1) zum 30.06.2008 beendet worden. Die Beklagte zu 2), die nicht Vertragspartei des Mietvertrages ist, aber mit Einverständnis der Beklagten zu 1) Mitbesitz an der Wohnung hat, ist nach § 546 Abs. 2 BGB ebenfalls zur Herausgabe und Räumung verpflichtet.

Der Mietvertrag ist zwischen der Beklagten zu 1) und der Klägerin zu 1) und ihrem verstorbenen Vater am 25.06.1985 auf unbestimmte Zeit geschlossen worden. Der Streit der Parteien darüber, ob die Klägerinnen die Kündigungsfrist nach § 573 c Abs. 1 BGB mit neun Monaten richtig berechnet haben oder ob nicht vielmehr die nach der Fußnote zu § 2 des Mietvertrages vorgesehene Kündigungsfrist von 12 Monaten einzuhalten war, kann im Ergebnis dahinstehen, weil die Kündigungsfrist im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat auf jeden Fall abgelaufen war. Die Angabe einer zu kurzen Kündigungsfrist in der Kündigungserklärung ist in der Regel folgenlos. In diesem Fall wird das Mietverhältnis zum nächstmöglichen Termin beendet (Oberlandesgericht Frankfurt NJW-RR 1990, 337; Blank/ Börstinghaus, Miete, 2. Aufl., § 542 Rn. 19).

Die Kündigung ist wegen des Kündigungsgrundes nach § 573 Absatz 2 Ziff. 2 BGB gerechtfertigt. Die Klägerinnen machen in zulässiger Weise Eigenbedarf der Klägerin zu 2 ) geltend. Es reicht aus, wenn bei einer Mehrheit von Vermietern der Eigenbedarf nur für einen Mieter besteht (Emmerich/Sonnenschein, Miete, 9. Aufl., § 573, Rn. 55). Die Klägerinnen haben den Eigenbedarf konkret und nachvollziehbar dargelegt. Der Senat schließt sich insoweit den Ausführungen des Amtsgerichts an. Im übrigen geht der Senat davon aus, dass der Eigenbedarf der Klägerin zu 2) nicht mehr bestritten wird. Die Berufungserwiderung der Beklagten verweist insoweit lediglich pauschal auf das erstinstanzliche Vorbringen. Fehlt es an konkretisierten Einwänden des Mieters gegen den Eigennutzungswunsch des Vermieters ist das Gericht nicht verpflichtet, sich von sich aus mit den Eigenbedarfsgründen auseinander zusetzen. Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass es aus seiner Sicht nicht mehr um den Eigenbedarf als solchen geht, sondern dass die Parteien nur noch um die Frage eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens der Klägerinnen streiten. Dem hat der Beklagtenvertreter nicht widersprochen.

Die Kündigung wegen Eigenbedarfs ist auch nicht rechtsmissbräuchlich. Allerdings ist der Vermieter bei einer Wohnraumkündigung wegen Eigenbedarfs grundsätzlich verpflichtet, dem Mieter eine im selben Haus bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zur Verfügung stehende vergleichbare Wohnung zur Anmietung anzubieten. Anderenfalls ist die Kündigung wegen Rechtsmissbrauchs unwirksam (BGH NJW 2003, 2624;NJW 2008, 642; Oberlandesgericht Karlsruhe WuM 1993, 105 = ZMR 1993, 159 = DWW 1993, 40).

Unter diesem Gesichtspunkt waren die Klägerinnen nicht verpflichtet, den Beklagten die im gleichen Haus zum 31.12.2007 frei werdende bis dahin als Zahnarztpraxis genutzte mindestens 160 qm große Wohnung im 1. Obergeschoss zur Anmietung anzubieten.

Die Wohnung ist zumindest 70 qm größer als die bisherige Wohnung der Beklagten und deshalb nicht gleichermaßen geeignet den Wohnraumbedarf der Beklagten zu erfüllen. Hinzu kommt, dass nicht ersichtlich ist, wie die Beklagten den hierfür zu zahlenden Mietzins aufbringen wollen. Beide Beklagte sind arbeitslos und nach eigener Darstellung nicht einmal in der Lage, einen Umzug zu bezahlen. Der derzeitige Kaltmietzins für die streitgegenständliche Wohnung beträgt 600 €. Dies entspricht bei einer Größe von ca. 90 qm einer Nettomiete von 6,66 € je qm. Für eine mindestens 160 qm große Wohnung müssten die Beklagten danach eine Nettomiete von mindestens 1.066,66 € aufbringen. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagten in dieser Höhe zur Mietzahlung in der Lage sind. Dies gilt um so mehr, als zum Beispiel Sozialhilfeleistungen, zu denen gemäß § 29 SGB XII auch die Leistungen für die Unterkunft gehören, nicht erstattet werden, wenn sie - gemessen am Wohnbedarf des/der Hilfebedürftigen - unangemessen hoch sind, was bei einer Wohnung von mindestens 160 qm für zwei erwachsene Personen regelmäßig der Fall ist.

Auch eine weitere Wohnung im 3. Obergeschoss, die zum 31.03.2008 frei wurde und lediglich 69 qm aufweist, stellt sich nicht als gleichwertige Alternativwohnung zur Wohnung der Beklagten dar. Zwar haben die Gerichte die Entscheidung des Mieters zu achten, seinen Wohnbedarf nach eigenen Vorstellungen zu gestalten, also auch einzuschränken (BVerfG ZMR 1992, 230), so dass die mit 69 qm geringere Größe der im 3. Obergeschoss liegenden Wohnung allein kein geeignetes Kriterium darstellt, um die Vergleichbarkeit auszuschließen. Es geht im Entscheidungsfall jedoch nicht um eine Entscheidung über den Wohnbedarf der Beklagten, sondern um die Frage, ob die bis zum Ablauf der Kündigungsfrist frei gewordene Wohnung im 3. Obergeschoss als Alternativwohnung der Anbietpflicht der Klägerinnen unterlag. Das ist zu verneinen.

In der Rechtsprechung und im Schrifttum ist anerkannt, dass der Vermieter dem Mieter eine frei werdende Alternativwohnung dann nicht anbieten muss, wenn sie wegen einer fortdauernden gewerblichen Nutzung nicht dem Wohnungsmarkt zur Verfügung steht oder wenn dem Vermieter insoweit eine Vermietungsabsicht fehlt (vgl. BGH NJW 2005, 943 ). Der Bundesgerichtshof hat hierzu ausgeführt: Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG zur Eigenbedarfskündigung ist der Entschluss des Vermieters, seine Wohnung selbst zu Wohnzwecken zu nutzen, im Hinblick auf sein durch Art. 14 I Satz 1 GG geschütztes Eigentum grundsätzlich zu achten und einer gerichtlichen Nachprüfung entzogen. Für den Wunsch des Klägers, seine Wohnung nur teilweise für eigene Wohnzwecke, überwiegend jedoch für eigene berufliche Zwecke (Einrichtung eines Architekturbüros) zu nutzen, kann nichts anderes gelten. Das hierdurch begründete Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses nach § 573 I Satz 1 BGB ist schon im Hinblick auf die durch Art. 12 I GG geschützte Berufsfreiheit nicht geringer zu bewerten als der in § 573 II Nr. 2 BGB gesetzlich geregelte Eigenbedarf des Vermieters zu Wohnzwecken (vgl. BGH a.a.O.).

Für die hier vorliegende Fallgestaltung kann nichts anderes gelten. Denn die Alternativwohnung im 3. Obergeschoss ist unstreitig seit Oktober 2003 möbliert vermietet worden, was zur Möglichkeit der Erzielung einer höheren Miete führt. Ein Interesse der Beklagten an der Anmietung einer möblierten Wohnung ist nicht dargetan. Den Klägerinnen ist es bei der gebotenen Abwägung zwischen dem Grundrechtsschutz des Eigentümers und dem ebenfalls grundrechtlich geschützten Besitzrecht des Mieters nicht zuzumuten, auf die bessere wirtschaftliche Verwertung zu verzichten. Auf den Wunsch der Mieter, eine möblierte Wohnung anzumieten und die vorhandenen Möbel sodann auszulagern, muss sich der Vermieter nicht einlassen.

Schließlich kann die Klägerin zu 2) auch nicht auf eine erst am 15.11.2008 frei gewordene Wohnung im Souterrain des Hauses verwiesen werden. Die Wohnung scheidet als Alternativwohnung bereits deshalb aus, weil sie erst nach Ablauf der Kündigungsfrist zur Verfügung stand. Auf eine erst nach dem Ablauf der Kündigungsfrist frei werdende Wohnung erstreckt sich die Anbietungspflicht einer Alternativwohnung nicht (vgl. BGH NJW 2008, 642; NJW 2003, 2624).

Die Beklagte zu 1) kann auch nicht die Fortsetzung des Mietverhältnisses nach Widerspruch verlangen. Denn die Klägerinnen haben mit der Kündigungserklärung auf die Widerspruchsmöglichkeit gem. § 574 BGB sowie Form und Frist (31.01.2008) hingewiesen. Es bedarf keiner Entscheidung, ob die Beklagten die Widerspruchsfrist gewahrt haben, denn sie haben keine beachtlichen Umstände aufgezeigt, die das Interesse des Vermieters, die Wohnung selbst zu nutzen, überwiegen. Dass sie nicht in der Lage sein sollten, einen Umzug zu finanzieren, ist nicht näher dargelegt und bei berechtigtem Eigenbedarf ohnehin nicht geeignet, eine ihnen günstige Entscheidung zu rechtfertigen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Anordnung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Gewährung einer Räumungsfrist beruht auf § 721 Abs. 1 ZPO.

Für die Zulassung der Revision gemäß § 543 ZPO besteht kein gerechtfertigter Anlass.

Der Gebührenstreitwert der Berufung beträgt 7.200 €.

Ende der Entscheidung

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