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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 21.09.2007
Aktenzeichen: I-16 U 230/06
Rechtsgebiete: HGB, ZPO, GVG


Vorschriften:

HGB § 89 b
ZPO §§ 12 ff.
ZPO § 348 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1
ZPO § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2
ZPO § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 f
ZPO § 348 a Abs. 1
ZPO § 538
ZPO § 543 Abs. 2
GVG § 95
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 26. September 2006 verkündete Urteil der 14c. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Düsseldorf zurückverwiesen, das auch über die Kosten der Berufung zu entscheiden hat.

Gründe:

I.

Der Kläger war für die in den Niederlanden ansässige Beklagte seit dem 16. Januar 2004 auf Grund eines zwischen den Parteien mündlich geschlossenen Handelsvertretervertrages als Handelsvertreter für Brautmoden in Deutschland, Schweiz und Österreich tätig. Durch dem Kläger am 22. Juli 2005 übergebenes Kündigungsschreiben kündigte die Beklagte den Handelsvertretervertrag zum 31. Dezember 2005 unter Freistellung des Klägers ab dem 1. August 2005.

Der Kläger hat zuletzt noch entgangene Provisiongewinne, entgangenen Gewinn aus Nachbestellungen, einen Ausgleichsanspruch nach § 89 b HGB sowie Ersatz von Rechtsanwaltskosten geltend gemacht. Er hat die Ansicht vertreten, die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bestimme sich nach dem Sitz des Handelsvertreters.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 45.403,36 € nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 18. August 2005 zu zahlen, und im Übrigen den Rechtsstreit für erledigt erklärt.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen,

und vorab die internationale Zuständigkeit gerügt.

Das Landgericht - Einzelrichterin - hat die Klage als unzulässig abgewiesen, da deutsche Gerichte international unzuständig seien.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er meint, das Landgericht hätte durch die Kammer entscheiden müssen. Die internationale Zuständigkeit sei gem. Art. 5 EuGVVO gegeben.

Der Kläger beantragt,

das landgerichtliche Urteil aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 45.403,36 € nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 18. August 2005 zu zahlen,

hilfsweise,

die Sache an das Landgericht Düsseldorf zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Sie schließe sich der Ansicht des Landgerichts an, dass es sich vorliegend nicht um die Erbringung von Dienstleistungen i. S. v. Art. 5 Abs. 1 Nr. 1 b) EuGVVO handele, weil der Handelsvertretervertrag kein Dienstvertrag sei, denn der Handelsvertreter schulde den Ermittlungserfolg.

Wegen des Sachverhaltes im Übrigen und der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf das angefochtene Urteil verwiesen sowie auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen ergänzend Bezug genommen.

Der Senat hat die Parteien durch Beschluss vom 26. Juli 2007 (Bl. 251 ff. GA) darauf hingewiesen, wie er die Sach- und Rechtslage beurteilt.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers hat insoweit Erfolg, als das angefochtene Urteil auf den Hilfsantrag des Klägers aufzuheben und der Rechtsstreit zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen ist (§ 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO). Denn die Klage ist zulässig; das angerufene Gericht ist international zuständig.

I.

Entgegen der Ansicht des Klägers ist das Urteil allerdings nicht deshalb verfahrensfehlerhaft zu Stande gekommen, weil es nicht von der Zivilkammer in voller Besetzung, sondern durch die Einzelrichterin gefasst worden ist. Die Einzelrichterin war der gesetzliche Richter auch ohne die vorherige Übertragung durch Beschluss der Kammer gemäß § 348 a Abs. 1 ZPO.

Nach § 348 Abs. 1 Satz 1 entscheidet die Zivilkammer durch eines ihrer Mitglieder als Einzelrichter. Die Zuständigkeit des originären Einzelrichters ist damit - im Gegensatz zum früheren, bis zum 31. 12. 2001 geltenden Recht - automatisch, dh. ohne gesonderte vorherige Übertragungsentscheidung der Kammer gegeben, sofern nicht das Mitglied Richter auf Probe und daher gemäß § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 vom Einzelrichterdienst ausgenommen ist (diese Fallgestaltung liegt hier nicht vor) oder nach § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 eine geschäftsplanverteilungsmäßige Sonderzuständigkeit der Kammer besteht. Hier bestand keine originäre Kammerzuständigkeit gemäß § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 f) ZPO, weil das Präsidium des Landgerichts in seinem Geschäftsverteilungsplan der 14c. Zivilkammer die Spezialzuständigkeit weder für Streitigkeiten aus Handelsvertreterverhältnissen noch für Streitigkeiten aus Handelssachen im Sinne von § 95 GVG übertragen hat.

II.

Die Klage ist ist zulässig. Entgegen der Ansicht des Landgerichts folgt die internationale und örtliche Zuständigkeit des LG Düsseldorf aus Art. 5 Nr. 1b EuGVVO.

Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts beurteilt sich allein nach den Regelungen der EG-Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22.12.2000 - Verordnung Nr. 44/2001 - (EuGVVO). Der sachliche und räumliche Geltungsbereich der Verordnung ist eröffnet (Art. 1 Abs. 1 und 3 EuGVVO).

Nach Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 60 Abs. 1 EuGVVO kann eine juristische Person, die ihren Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats nur gem. Art. 5 ff. EuGVVO verklagt werden. In diesem Fall wird auch die örtliche Zuständigkeit alleine durch Art. 5 ff. EuGVVO bestimmt, §§ 12 ff. ZPO sind unanwendbar (Zöller/Geimer, ZPO, 26. Aufl., Anh. I Art. 2 EuGVVO Rz. 6).

Nach der Systematik der Verordnung ist die internationale Zuständigkeit eines Gerichts gegeben, wenn sie durch einen ausschließlichen Gerichtsstand (Art. 22 EuGVVO), durch rügelose Einlassung (Art. 24 EuGVVO), durch eine Gerichtsstandsvereinbarung (Art. 23 EuGVVO), durch den allgemeinen Gerichtsstand (Art. 2 EuGVVO) oder durch einen besonderen Gerichtsstand (Art. 5-7 EuGVVO) begründet wird.

Hier kommt allein ein besonderer Gerichtsstand nach Art. 5 EuGVVO in Betracht. Nach Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO i.V.m. Art. 60 Abs. 1 EuGVVO kann eine juristische Person, die ihren Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden, wenn Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, und zwar vor dem Gericht des Ortes, in dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre. Erfüllungsort für die Erbringung von Dienstleistungen ist nach Art. 5 Nr. 1 lit. b Spiegelstrich 2 der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem diese nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen.

Der Begriff der Dienstleistung ist losgelöst von der lex causae gemeinschaftsrechtlich zu verstehen. Er ist zwar in der EuGVVO selbst nicht definiert. Es können jedoch der entsprechende gemeinschaftsrechtliche Begriff aus Art. 50 EG, der Begriff der Dienstleistung in Art. 5 I des Römischen EWG-Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht sowie der jeweilige Art. 13 I Nr. 3 des Brüsseler EWG-Übereinkommens und des Lugano-Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ und Lugano-Übereinkommen) herangezogen werden (BGH NJW 2006, 1806; OLG Saarbrücken, NJOZ 2007, 709, 713). Gemäß Art. 50 I EG sind unter einer Dienstleistung Leistungen zu verstehen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, soweit sie nicht den Vorschriften über den freien Waren- und Kapitalverkehr und über die Freizügigkeit von Personen unterliegen. Gemäß Art. 50 II lit. d EG gehören hierzu insbesondere freiberufliche Tätigkeiten. Gemäß Art. 50 EGV sind als "Dienstleistungen" solche Leistungen anzusehen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, insbesondere gewerbliche, kaufmännische, handwerkliche oder freiberufliche Tätigkeiten, wobei der Begriff weit auszulegen ist (vgl. OLG Saarbrücken, aaO; Emde, Heimatgerichtsstand für Handelsvertreter und andere Vertriebsmittler?, RIW 2003, 505, 508, m.w.N.).

Erfasst werden von Art. 5 Nr. 1 lit. b Spiegelstrich 2 EuGVVO mithin Dienstleistungen jeder Art, gewerbliche gleichermaßen wie freiberufliche, und zwar Verträge über jede Art von Diensten, zum Beispiel Werk- und Geschäftsbesorgungsverträge, Verträge mit dienstleistenden Freiberuflern und Vermittlern von Waren sowie selbstständige Vermittlerdienste für Waren (Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl., Art. 5 Rn. 90).

Der Handelsvertretervertrag ist ein Dienstvertrag über Geschäftsbesorgung, über selbstständige Dienste. Anwendbar sind deswegen neben den Vorschriften des HGB u. a. Dienstvertragsrecht (vgl. Baumbach/Hopt, HGB, 32. Aufl., § 86 Rn. 1 und 4; Emde, aaO). Es bestehen deswegen keine Zweifel, dass der Handelsvertretervertrag ein Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen ist (OLG Saarbrücken, aaO; Emde, aaO).

Auch die Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt sieht die Dienste von Handelsvertretern als - von dieser Richtlinie erfasste - Dienstleistungen an (vgl. Rz. 33 der dortigen einleitenden Erwägungen).

Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO bestimmt nicht lediglich den internationalen Gerichtsstand für die Klagen bezüglich der vom Handelsvertreter (Dienstleister) zu erbringenden Dienstleistung. Der für die Dienstleistung ermittelte Erfüllungsort gilt vielmehr auch für die Gegenleistung. Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO knüpft nicht an die Erfüllung der streitigen Verpflichtung an, sondern an den Erfüllungsort der vertragscharakteristischen Leistung. Sinn und Zweck der Regelung ist es, einen einheitlichen Gerichtsstand für sämtliche Klagen aus dem Kauf bzw. Dienstleistungsvertrag zu schaffen. Es wird also für alle Klagen aus dem Vertrag ein einziger Wahlgerichtsstand am Erfüllungsort der vertragstypischen Verpflichtung des Verkäufers bzw. Dienstverpflichteten begründet (BGH, aaO; Musielak, ZPO, 5. Auflage, VO (EWG) 44/2001 Artikel 5 Rn 7; Emde, aaO).

Anders als nach der Vorgängerregelung des Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ ist der Erfüllungsort nicht mehr nach der lex causae, also mit Hilfe des Internationalen Privatrechts des angerufenen Gerichts zu bestimmen (sog. Tessili-Regel; vgl. EuGH, NJW 1977, 491). Vielmehr wurde mit Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO ein selbstständiger Erfüllungsortbegriff geschaffen (BGH aaO; Zöller/Geimer, aaO, Art. 5 EuGVVO Rdnr. 3; Musielak, aaO). Dieser ist losgelöst von rechtlichen Kategorien der einzelnen Mitgliedstaaten gemeinschaftsrechtlich autonom auszulegen (BGH aaO).

Ist die Dienstleistung, wie hier, tatsächlich und vertragsgemäß in verschiedenen Mitgliedstaaten erbracht worden, ist hinsichtlich der Gegenleistung maßgebend, wo der örtliche Schwerpunkt der Dienstleistung war. Dies ist grundsätzlich der Ort, zu dem der Streitgegenstand die engste Verknüpfung aufweist (BGH aaO). Anderenfalls wäre das Ziel der Verordnung, einen einheitlichen Gerichtsstand für alle Klagen aus dem Dienstleistungsvertrag zu schaffen, nicht zu erreichen. Der Ort, zu dem der Streitgegenstand die engste Verknüpfung aufweist, ist bei einer Dienstleistung der Ort, an dem der Tätigkeitsschwerpunkt liegt (BGH aaO).

Dies ist vorliegend Deutschland. Die von dem Kläger abgeschlossenen Verträge sind nach seiner unbestritten gebliebenen Darstellung ganz überwiegend mit in Deutschland ansässigen Kunden zu Stande gekommen (vgl. Seite 11 seines Schriftsatzes vom 16. August 2006, Blatt 130 GA, und Seite 6 seines Schriftsatzes vom 4. September 2006, Blatt 162 GA). Auch die von ihm aufgelisteten Kundenbesuche waren ganz überwiegend solche bei in Deutschland ansässigen Kunden (Seite 10 seines Schriftsatzes vom 16. August 2006, Blatt 129 GA). Hiernach besteht kein Zweifel daran, dass der Kläger ganz überwiegend in Deutschland tätig geworden ist. Denn hier hat er auch seine verwaltenden und organisatorischen Tätigkeiten verrichtet.

III.

Die Voraussetzung nach § 538 ZPO, dass eine weitere Verhandlung erforderlich ist, ist hier gegeben. Der vorgetragene Sachverhalt bedarf weiterer Aufklärung. So ist beispielsweise bislang ungeklärt, ob ein Anspruch des Klägers auf Schadensersatz für entgangene Provisionen für die Zeit seiner Freistellung von 15.241,25 € bereits vergütet ist, wie die Beklagte meint (Blatt 72 GA), oder aber, ob diese unstreitige Zahlung mit diesem Anspruch nichts zu tun hat, wie der Kläger behauptet (Blatt 160 f. GA). Ebenfalls streitig sind beispielsweise im Rahmen des Ausgleichsanspruchs die von dem Kläger gewonnenen Neukunden; auch erscheint ergänzender Vortrag dazu erforderlich, ob die von dem Kläger in den Jahren ab 2002 gewonnenen Kunden Neukunden im Sinne des hier maßgeblichen Handelsvertreterverhältnisses sind oder nicht. Ohnehin ist der Rechtsstreit noch nicht ausgeschrieben, wovon beide Parteien zu Recht ausgehen (so die Beklagte zuletzt auf Seite 7 ihres Schriftsatzes vom 14. September 2006, Blatt 153 GA; die dort erbetene Schriftsatzfrist hat das Landgericht erkennbar deswegen nicht gewährt, weil es seine internationale Zuständigkeit nicht für gegeben erachtet hat). Die Beklagte konnte von weiterem Vorbringen absehen, weil sie aufgrund des landgerichtlichen Hinweises, der ihr mit der Klagezustellung zuging, davon ausgehen durfte, dass die Klage unzulässig ist. Der Kläger hingegen hat das Landgericht mehrfach um Hinweis gebeten, zu welchen Punkten weiterer Vortrag erforderlich ist (Bl. 134 GA); auch er hat den Rechtsstreit noch nicht als ausgeschrieben angesehen.

IV.

Den Streitwert für die Berufung hat der Senat auf 45.404 € festgesetzt.

Ein Grund zur Zulassung der Revision besteht nicht. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Ende der Entscheidung

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