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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 26.11.2004
Aktenzeichen: I-16 U 28/04
Rechtsgebiete: HGB


Vorschriften:

HGB § 86a
Auch wenn die Parteien eines Handelsvertretervertrags ein Alleinvertriebsrecht des Handelsvertreters nicht vereinbart haben und der Vertreter ausdrücklich keinen vertraglichen Kundenschutz genießt, verstößt der Unternehmer gegen die ihm obliegende Treue- und Loyalitätspflicht, wenn er in bestehende Verträge, die der Handelsvertreter vermittetl hat, eingreift, indem er die Adressen dieser Kunden an andere Händler oder Handelsvertreter weitergibt, damit diese zum Zwecke des Neuabschlusses oder der Verlängerung von Verträgen mit den Kunden Kontakt aufnehmen.
Tenor:

Die Berufung der Verfügungsbeklagten gegen das am 6. Januar 2004 verkündete Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Krefeld wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Verfügungsbeklagten ist unbegründet. Auf die Senatshinweise im Beschluss vom 5. Oktober 2004 wird Bezug genommen. Darüber hinaus gilt im Einzelnen Folgendes: I. Auf den zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag ist Handelsvertreterrecht anzuwenden, weil der Verfügungskläger (im Folgenden nur: Kläger) für die Verfügungsbeklagte (Beklagte) als Handelsvertreter beauftragt worden und tätig geworden ist. Handelsvertreter ist, wer als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für einen anderen Unternehmer Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen (§ 84 Abs. 1 Satz 1 HGB). Diese Voraussetzungen liegen nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Parteien und dem aus dem Vertriebspartner-Vertrag ersichtlichen Vertragsinhalt (vgl. insbes. § 1.1.1, § 3 und § 7) vor. Der Kläger sollte Teilnehmerverhältnisse am Mobilfunkdienst und Dienstleistungsverträge im Festnetzbereich vermitteln und dafür nach § 3 des Vertrages Provision erhalten. Er sollte ferner im Rahmen von nach § 3 provisionspflichtigen Geschäften den Kunden Telefongeräte und Zubehör verkaufen, das von der Beklagten stammte, und sollte dafür sog. Werbekostenzuschüsse erhalten (§ 4.4.1 VV). Rechtserhebliche Einwände gegen die Beurteilung des Vertrages als Handelsvertretervertrag bringt die Berufung nicht. Es geht vorliegend ausschließlich um die Beurteilung des Rechtsverhältnisses zwischen den Parteien. Dass der Kläger nicht nur Netzanbieterverträge vermittelte und in dem Zusammenhang Mobiltelefone verkaufte, sondern darüber hinaus mit anderen Waren und Elektronikgeräten handelte, ist unerheblich. Auch die enge Verbindung zwischen Handy-Verkauf und Vermittlungsgeschäft ändert nichts daran, dass hinsichtlich der Vermittlungstätigkeit des Klägers und des insoweit ausdrücklich vereinbarten Provisionsanspruchs die Voraussetzungen des § 84 Abs. 1 HGB vorliegen. II. Zu Recht hat das Landgericht die Verpflichtung der Beklagten angenommen, Kundenadressen des Klägers nicht an andere Händler oder Dritte weiterzugeben. Der dem geltend gemachten Anspruch zugrunde liegende Sachverhalt ist unstreitig. Die Beklagte hat bis zum Erlass der einstweiligen Verfügung des Landgerichts Adressen von Kunden, die der Kläger geworben hatte, an andere Händler weitergegeben, und zwar zu dem Zweck, diesen die Möglichkeit zu geben, den jeweiligen Kunden für eine Vertragsverlängerung zu werben. Damit hat die Beklagte - wie sie ausweislich ihrer Berufungsbegründung selbst erkannt hat - dem Kläger Konkurrenz gemacht bzw. solche Konkurrenz aktiv gefördert. Allein hierauf kommt es jedoch nicht entscheidend an. Es kann daher im vorliegenden Fall offen bleiben, ob und in welchem Umfang einen Unternehmer während der Vertragslaufzeit ein Wettbewerbsverbot treffen kann, wenn - wie hier - ein Alleinvertriebsrecht des Handelsvertreters nicht vereinbart worden ist und der Vertreter ausdrücklich keinen vertraglichen Kundenschutz genießt (ein Wettbewerbsverbot in diesem Fall ablehnend Baumbach/Hopt, HGB, 31. Aufl., § 86a Rn 17; aA: Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer, HGB, 2. Aufl., § 86a Rn 18; MünchKommHGB-v.Hoyningen-Huene, HGB, § 86a Rn 43). Tatsächlich entscheidend ist vielmehr, dass es vorliegend nicht um die Frage der Zulässigkeit von Wettbewerb geht, sondern um die Frage, ob die Beklagte vertraglich befugt war, in bestehende Verträge, die der Kläger vermittelt hatte, einzugreifen. Diese Befugnis hatte die Beklagte jedoch nicht. Aus den Regelungen des § 86a Abs. 1 und 2 HGB und der vertraglichen Treue- und Loyalitätspflicht folgt, dass den Unternehmer die Verpflichtung zur Unterstützung und Rücksichtnahme gegenüber seinem Handelsvertreter trifft. Aufgrund dessen hat der Unternehmer auf die schutzwürdigen Belange und Interessen seines Vertreters die gebotene Rücksicht zu nehmen, solange und soweit nicht sein Recht auf freie Entscheidung über die Art und Weise der Führung seines Geschäftsbetriebs betroffen ist und Vorrang genießt (BGHZ 93, 29, 54; BGHZ 124, 351, 354; BGHZ 136, 295, 299 f.; Ebenroth/Boujong/Joost-Löwisch, HGB, § 86a Rn 2 f.; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer, HGB, 2. Aufl., § 86a Rn 2; Staub-Brüggemann, HGB, 4. Aufl., § 86a Rn 1; Schröder, Recht der Handelsvertreter, 5. Aufl., § 86a Rn 21). Damit darf ein Unternehmer zwar grundsätzlich neben dem Handelsvertreter, der nicht zum Alleinvertreter bestellt ist, andere Personen mit der Vermittlung und dem Abschluss von Geschäften beauftragen, selbst wenn sich dadurch das Arbeitsfeld des Handelsvertreters praktisch verkleinert. Eine Grenze besteht aber darin, dass er schutzwürdige Belange des Vertreters nicht ungerechtfertigt beeinträchtigen darf. Im Rahmen dessen hat er alles zu unterlassen, was die Interessen des Handelsvertreters ernsthaft gefährden oder verletzen könnte (vgl. hierzu BGH BB 1982, 1626), denn der Unternehmer ist dem Handelsvertreter zur gleichen Loyalität verpflichtet, wie er sie umgekehrt von seinem Vertreter erwarten darf (Staub/Brüggemann aaO, Rn 10). Insbesondere ist es ihm nicht erlaubt, ihn willkürlich und mit Schädigungsabsicht "auszuschalten" (BGH BB 1960, 1222; BGH NJW-RR 1993, 1122, 1123; Ebenroth/Boujong/Joost-Löwisch aaO, Rn 8; Baumbach/Hopt aaO, Rn 16; Staub-Brüggemann aaO, Rn 21), indem er versucht, die Stammkunden des Vertreters abzuwerben und zu einem Bezug unmittelbar beim Unternehmer zu bewegen (BGH BB 1959, 720; Ebenroth/Boujong/Joost-Löwisch aaO, Rn 29; MünchKommHGB-v.Hoyningen-Huene aaO, §86a Rn 44). Gegen diese Verpflichtung hat die Beklagte unstreitig verstoßen. Die Weitergabe der Kundenadressen hatte nämlich unstreitig den Zweck, anderen Händlern gezielt die Möglichkeit zu geben, durch Kontaktaufnahme mit den mitgeteilten Kunden diese zu einer Verlängerung ihres bisherigen Dienstleistungsvertrages oder zum Abschluss eines neuen Vertrages zu bewegen. Diese Art der Kundengewinnung ist nicht mehr von der Befugnis der Beklagten zur Vornahme von Konkurrenzhandlungen gedeckt, denn sie hat in den von dem Kläger bereits geworbenen Kundenstamm eingegriffen, um ihn sich selbst anzueignen oder anderen Vertretern "zuzuschieben". Die Beklagte hat dieses "Recht" für sich in Anspruch genommen, weil zwischen den Parteien seit geraumer Zeit Meinungsverschiedenheiten bestehen (vgl. Bl. 45 GA sowie das anhängige Parallelverfahren 16 U 44/04) und die Beklagte darüber hinaus von einer faktischen Vertragsbeendigung ausgeht, die sie jedoch von der hier strittigen Unterlassungsverpflichtung nicht rechtlich wirksam befreien konnte. Der Kläger behauptet ohnehin, die Beklagte habe ihn durch verschiedene Maßnahmen - u.a. auch durch die streitgegenständliche Adressenweitergabe - faktisch von ihrem Vertriebssystem ausgeschlossen. Aber abgesehen von der Richtigkeit dieser Behauptung ist das Vorbringen der Beklagten auch rechtlich unerheblich. Denn ohne eine rechtlich wirksame übereinstimmende oder einseitige Erklärung zur Vertragsbeendigung (Vertragsaufhebung oder Kündigung) ist es der Beklagten nicht erlaubt, sich von den Verpflichtungen, die sie durch den Vertrag übernommen hat, zu lösen. Eine rechtlich wirksame Vertragsbeendigung behauptet die Beklagte jedoch selbst nicht. Sie hat sich weder mit dem Kläger geeinigt, den Vertrag aufzuheben, noch hat sie ihn gekündigt. Dann aber besteht der auf unbestimmte Zeit geschlossene Vertrag der Parteien fort. Während des Vertrages war und ist es der Beklagten nicht gestattet, gegen die schützenswerten Interessen des Klägers zu verstoßen. Zu diesen gehört es, den von ihm geworbenen Kundenstamm zu achten, also dem Kläger nicht die von ihm geworbenen Kunden und die damit verbundenen Verdienstmöglichkeiten zu nehmen. Hieran kann die Beklagte kein rechtlich achtenswertes Interesse haben, denn sie gewinnt durch solches Verhalten keine neuen Kunden hinzu, sondern weist bereits vorhandene Kunden lediglich einem anderen Vertreter oder sich selbst zu. Der Zweck der Maßnahme erschöpft sich daher in der Schädigung des Klägers, die ihr aus den aufgezeigten Gründen untersagt ist. Die Erwägungen der Beklagten in der Berufungsbegründung rechtfertigen keine abweichende Beurteilung. Die Beschränkung des Verfügungsverbots auf die Weitergabe von Kundenadressen bedeutet nicht, dass es der Beklagten gestattet wäre, die von dem Kläger geworbenen Kunden fortan selbst zu betreuen, ohne einen anderen Vertreter einzuschalten. Sie beruht vielmehr darauf, dass der Kläger nur einen dahingehend beschränkten Antrag gestellt hat. Der Eingriff in den Kundenstamm kann auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass die ursprünglichen Verträge der Kunden in absehbarer Zeit ausliefen. Dieser Umstand allein machte die Kunden nicht zu solchen, die nunmehr wieder dem freien Wettbewerb zwischen den Parteien zur Verfügung standen. Insoweit war die Beklagte zu der gebotenen Rücksichtnahme verpflichtet. Sie musste dem Kläger jedenfalls ausreichende Gelegenheit geben, den einzelnen Kunden rechtzeitig vor Beendigung seines Dienstleistungsvertrags zu einer Vertragsverlängerung oder zu einem Vertragsneuabschluss zu bewegen. Diese Möglichkeit wollte die Beklagte dem Kläger jedoch gerade nehmen. III. Damit sind Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund (§§ 935, 936, 920 ZPO) gegeben. Da die Beklagte gegen das aufgezeigte Verbot unstreitig mehrfach verstoßen hat, besteht die für ein in die Zukunft wirkendes Verbot notwendige Wiederholungsgefahr. Der Kläger muss der zu befürchtenden Fortsetzung der Vertragsverletzung zudem in einer Art und Weise begegnen können, welche die Gefahr ausschließt, "auf kaltem Wege" ausgeschaltet zu werden; hierin liegt der erforderliche Verfügungsgrund. Ob der Kläger sich - wie die Beklagte erstmals im Berufungsverfahren vorträgt - seinerseits einer Vertragspflichtverletzung schuldig gemacht hat, ist für die vorliegende Entscheidung rechtlich unerheblich. Der Beklagten stehen in einem solchen Fall rechtliche Möglichkeiten zu, hiergegen vorzugehen. Das Recht, aufgrund von Vertragsverstößen des Klägers den mit ihm geschlossenen Vertrag ohne Kündigung als faktisch beendet anzusehen, steht ihr hingegen nicht zu. Aus diesem Grunde ist sie auch nicht befugt, während des laufenden Vertrages die Adressen der von dem Kläger vermittelten Kunden weiterzugeben. IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Einer Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils bedarf es nicht, weil es mit Verkündung infolge Ausschöpfung des Instanzenzuges rechtskräftig und daher uneingeschränkt vollstreckbar ist. Der Streitwert für das Berufungsverfahren ist auf 20.000,-- Euro festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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