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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 12.11.2008
Aktenzeichen: I-17 U 86/07
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 183
ZPO § 183 Abs. 1 Nr. 2
ZPO § 183 Abs. 1 Nr. 3
ZPO § 183 Abs. 3
ZPO § 184
ZPO § 184 Abs. 1
ZPO § 184 Abs. 1 S. 1
ZPO § 184 Abs. 1 S. 2
ZPO § 184 Abs. 2
ZPO § 184 Abs. 2 S. 1
ZPO § 339 Abs. 1
ZPO § 341 Abs. 1
ZPO § 539 Abs. 2 Nr. 2
ZPO § 543 Abs. 2 Nr. 2
ZPO § 700 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg vom 3. April 2007 aufgehoben.

Die Sache wird an das Landgericht Duisburg zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Kostenentscheidung bleibt dem erstinstanzlichen Schlussurteil vorbehalten.

Gründe:

I.

Die Klägerin beansprucht von der in Portugal sitzenden Beklagten Zahlung auf ihre Rechnungen vom 25. 11. 2004 und vom 11. 04. 2005 in Höhe von insgesamt 10.854,12 EUR.

Der entsprechende Mahnbescheid des Amtsgerichts Hagen vom 23. 06. 2006 (Bl. 42 ff. GA) enthält die Anordnung an die Beklagte, binnen eines Monats ab Zustellung einen Zustellungsbevollmächtigten mit Sitz in Deutschland zu benennen; andernfalls könnten spätere Zustellungen durch Aufgabe zur Post bewirkt werden.

Der Mahnbescheid nebst Hinweisen, Anordnungen und Widerspruchsformular wurde der Beklagten in Übersetzung über die portugiesische Empfangsstelle am 19. 09. 2006 zugestellt (Bl. 61 GA).

Gegen die Beklagte ist auf Antrag der Klägerin am 12.12.2006 ein Vollstreckungsbescheid erlassen worden, der am 13.12.2006 zur Post aufgegeben wurde. Vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 07.03.2007 Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid eingelegt.

Das Landgericht, das im schriftlichen Verfahren entschieden hat, hat den Einspruch der Beklagten gegen den Vollstreckungsbescheid als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Einspruch sei verfristet. Da die Beklagte trotz Aufforderung bei Zustellung des Mahnbescheides keinen inländischen Zustellungsbevollmächtigten benannt habe, gelte der Vollstreckungsbescheid gem. § 184 Abs. 2 ZPO zwei Wochen nach Aufgabe zur Post als zugestellt. Die Einspruchsfrist habe damit am 12.01.2007 geendet.

Die Beklagte macht mit ihrer Berufung geltend, der Vollstreckungsbescheid genüge nicht den unverzichtbaren Formvorschriften der Europäischen Zustellungsverordnung. Danach habe der Vollstreckungsbescheid übersetzt werden und eine übersetzte Rechtsmittelbelehrung enthalten müssen.

Zudem habe das Landgericht nach Art. 19 Abs. 1 Ziff a) EuZVO das Verfahren aussetzen müssen, anstatt ohne mündliche Verhandlung im schriftlichen Verfahren zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

unter Aufhebung des Urteils vom 3. April 2007 in Sachen LG Duisburg 3 O 235/07 die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

das Verfahren an das Landgericht Duisburg zur erneuten Verhandlung zurückzuverweisen.

Die Klägerin bittet um Zurückweisung der Berufung.

II.

Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.

Ihr Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid ist rechtzeitig erfolgt. Das Landgericht hat den Einspruch zu Unrecht als unzulässig verworfen, §§ 700 Abs. 1, 341 Abs. 1 ZPO, so dass gemäß § 539 Abs. 2 Nr. 2 ZPO die Sache unter Aufhebung des landgerichtlichen Urteils an die Kammer zurückzuverweisen ist.

Gem. §§ 700 Abs. 1, 339 Abs. 1 ZPO beträgt die Einspruchsfrist zwei Wochen ab Zustellung des Vollstreckungsbescheides.

Die Einspruchsfrist ist nur dann in Lauf gesetzt worden, wenn die Zustellung des Vollstreckungsbescheides wirksam war. Dies vermag der Senat nicht festzustellen.

Vorliegend hat das Amtsgericht den Weg der Zustellung nach § 184 ZPO gewählt.

1)

Gem. § 184 Abs. 1 S. 2 ZPO können, wenn entgegen § 184 Abs. 1 S. 1 ZPO kein Zustellungsbevollmächtigter benannt wird, spätere Zustellungen bis zur nachträglichen Benennung dadurch bewirkt werden, dass das Schriftstück unter der Anschrift der Partei zur Post gegeben wird. Nach § 184 Abs. 2 S. 1 ZPO gilt das Schriftstück zwei Wochen nach Aufgabe zur Post als zugestellt.

§ 184 ZPO greift nur ein, wenn schon ein Prozessrechtsverhältnis besteht, das verfahrenseinleitende Schriftstück darf dagegen nicht durch Aufgabe zur Post zugestellt werden. Eine Zustellung nach § 184 ZPO setzt nämlich voraus, dass die im Ausland wohnende Partei keinen Zustellungsbevollmächtigten bestellt hat, obwohl sie dazu gemäß § 184 Abs. 1 ZPO verpflichtet war. Eine solche Prozessförderungspflicht besteht aber erst nach Rechtshängigkeit, also nach rechtswirksamer Zustellung von Klage, Antragsschrift oder Mahnbescheid (vgl. BGH NJW 2002, 521, 522).

Danach können auch Vollstreckungsbescheide nach § 184 Abs.1 S. 2 ZPO zugestellt werden, sofern bei der Zustellung des Mahnbescheids der Schuldner aufgefordert worden war, innerhalb angemessener Frist einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen.

2)

Die Voraussetzungen des § 184 ZPO liegen nicht vor.

a) Nach seinem Wortlaut besteht die Anordnungsbefugnis nur im Rahmen der Zustellung nach § 183 Abs. 1 Nr. 2 und 3 ZPO. Eine solche Zustellungsart wurde vorliegend nicht gewählt. Das Amtsgericht Hagen hat vielmehr nach § 183 Abs. 3 ZPO von der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29. 05. 2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (EuZVO) Gebrauch gemacht.

Im Anwendungsbereich der EuZVO erfolgt die Zustellung gerichtlicher Schriftstücke nicht nach § 183 Abs. 1 Nr. 2 oder 3 ZPO. Die Möglichkeit der Anordnung eines Zustellungsbevollmächtigten ist demnach nicht eröffnet.

b) Die Regelung der Zustellung durch Aufgabe zur Post gemäß § 184 ZPO verbietet sich auch nach Sinn und Zweck dieser Regelung im Kontext mit der EuZVO.

Die EuZVO ist erlassen worden, um die Übermittlung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen zwischen den Mitgliedstaaten zu verbessern und zu beschleunigen (vgl. Vorspann vor Art. 1 EuZVO). Sie lässt auch die einfache Form der Direktzustellung per Einschreiben zu (Art. 14), die die Benennung eines Empfangsbevollmächtigten entbehrlich macht.

Damit entzieht sie zugleich der Anordnung einer solchen Benennung die Rechtfertigung. Die Zustellung an den Zustellungsbevollmächtigten hat den Zweck, die Zustellung dort zu vereinfachen, wo ansonsten Rechtshilfe nötig wäre. Sie soll dagegen nicht an die Stelle eines einfacheren Verfahrens - wie der Zustellung durch Einschreiben mit Rückschein - treten. Die gravierenden Folgen, die mit der Anordnung eines inländischen Zustellungsbevollmächtigten einhergehen, nämlich die Fiktion einer Inlandszustellung durch Aufgabe bei der Post, erscheinen nicht gerechtfertigt, wenn dem Gericht die einfachen Zustellmöglichkeiten der EuZVO zur Verfügung stehen.

Mit gewichtigen Stimmen im Schrifttum erscheint dem Senat deshalb die Anordnung nach § 184 ZPO im Anwendungsbereich der EuZVO nicht zulässig (vgl. Rauscher/Heiderhoff, Europäisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2000, Einl. EG-ZustellVO Rn. 36; Stein/Jonas/Roth, ZPO 22. Aufl. 2005 § 184 Rn. 2; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht 2. Aufl. 2003 Art. 1 HZÜ Rn. 7; Heß NJW 2002, 2417, 2424; Heidrich EuZW 2005, 743, 745; Thomas/ Hüßtege, ZPO, 28. Aufl. 2007 § 184 Rn. 10; Heiderhoff EuZW 2006, 235, 237).

Dagegen wird eingewandt, die EuZVO sei nach ihrem Art. 1 Abs. 1 nur anwendbar, wenn ein Schriftstück ins Ausland zuzustellen ist, sie regele nur das Wie, also die Modalitäten der grenzüberschreitenden Zustellung, nicht jedoch die Frage, ob eine Zustellung im Ausland überhaupt erforderlich sei (vgl. BGH NJW 1999, 1187, 1188; BGH IPrax 1988, 163, 164; Geimer, IZPR, 5. Aufl. 2005 Rn. 2115; Nagel/Gottwald IZPR 6. Aufl. 2007, § 7 Rn. 48; Roth IPrax 2000, 497). Über Letzteres (die Notwendigkeit einer Auslandszustellung) bestimme das nationale Zustellungsrecht autonom. Die Verordnung betreffe danach nur Zustellungen, die schon von den Mitgliedstaaten selbst als Auslandszustellungen angesehen würden. Bei der Zustellung im Wege des § 184 ZPO liege gerade keine Auslandszustellung, sondern eine (fiktive) Inlandszustellung vor, die mit Einwurf in den Briefkasten abgeschlossen sei (vgl. BGH NJW 2000, 3284). Solche fiktiven Inlandszustellungen erfasse die EuZVO nicht (vgl. Nagel-Gottwald, IZPR, 6. Aufl 2007 § 7 Rn. 48; Heß NJW 2001, 17, 19).

Diese Betrachtung vermag nicht zu überzeugen. Die Fiktion einer Inlandszustellung ist rechtliche Folge der nicht beachteten Anordnung, einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen. Ob im Falle einer Zustellung ins Ausland diese Anordnung getroffen werden darf, bestimmt sich nach den §§ 183, 184 ZPO und der EuZVO. Es handelt sich um einen unzulässigen Zirkelschluss, die Voraussetzungen für die Anwendung einer Norm von deren Rechtsfolge abhängig zu machen.

III.

Das Landgericht wird über die Kosten des Berufungsverfahrens im Rahmen seiner Sachentscheidung zu befinden haben.

Der Wert der Beschwer der Klägerin erreicht den Betrag von 20.000 EUR nicht.

Die Revision wird zugelassen, um eine einheitliche Rechtsprechung zu erreichen, § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Praxis der Auslandszustellung erfordert eine höchstrichterliche Leitentscheidung dazu, ob die Zustellung durch Aufgabe zur Post auch dann zulässig ist, wenn das zuzustellende Schriftstück aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen unmittelbar durch die Post übersandt werden darf.

Ende der Entscheidung

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