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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 18.12.2007
Aktenzeichen: I-18 U 189/07
Rechtsgebiete: StVollzG, StrEG


Vorschriften:

StVollzG § 201 Nr. 3 Satz 1
StrEG § 7 Abs. 3
Die Unterbringung mehrerer Gefangener in einem dafür vorgesehenen Haftraum verletzt nicht als solche die Menschenwürde. Das gilt auch, wenn die Mitgefangenen rauchen.

Die Entschädigung für die Unterbringung in einem Einzelhaftraum gemeinsam mit einem anderen Gefangenen ist mit 15 € täglich nicht zu niedrig bemessen. Das gilt auch, wenn der Mitgefangene raucht.


Oberlandesgericht Düsseldorf

18. Senat für Zivilsachen

Aktenzeichen: I-18 U 189/07

Tenor:

Der Antrag des Klägers vom 14.11.2007 auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Berufung gegen das am 19.10.2007 verkündete Urteil des Landgerichts Kleve wird zurückgewiesen.

Die beabsichtigte Berufung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 114 ZPO). Der Kläger hat wegen der Art seiner Unterbringung in der JVA G. vom 00.00. - 00.00.0000 keinen Anspruch auf Schmerzensgeld oder Entschädigung in größerer Höhe, als ihm das angefochtene Urteil bereits zugesprochen hat.

Gründe:

1. Der Kläger kann nichts für die Zeit seiner Unterbringung in einem Vier-Mann-Haftraum vom 00.00. - 00.00.0000 fordern.

a) Die Unterbringung mehrerer Gefangener in einem Haftraum verletzt nicht als solche deren Menschenwürde (so auch OLG Celle 01.06.2004, NJW 2004, 2766, 2767).

Nicht nur der deutsche Gesetzgeber nimmt ältere Justizvollzugsanstalten mit entsprechenden baulichen Gegebenheiten von dem Grundsatz der Einzelunterbringung aus (§ 201 Nr. 3 Satz 1 StVollzG). Dabei ist die Dauer dieser Übergangsvorschrift nicht ihrerseits aus höherem Recht zu beanstanden, sondern angesichts der Lebensdauer von Gebäuden sachgerecht.

Auch die vom Kläger angeführten "European Prison Rules" (Empfehlung Rec(2006)2 des Ministerkomitees des Europarates vom 11.01.2006) sehen die Einzelunterbringung lediglich als Grundsatz vor (Ziff. 18.5). Direkt anschließend bestimmen sie, dass Hafträume nur - aber immerhin - bei entsprechender Eignung mit mehreren Gefangenen belegt werden sollen (Ziff. 18.6), und dass die Gefangenen - nur - soweit wie möglich die Gelegenheit haben sollen, einer gemeinschaftlichen Unterbringung zu widersprechen (Ziff. 18.7). Ausweislich des "Kommentars" ist hierbei gerade auch an bestehende Anstalten mit ihren baulichen Vorgaben gedacht (s. Dünkel/Morgenstern/Zolondek, NK 2006, 86, 87).

b) Auch die konkrete Ausgestaltung des Haftraumes ist nicht geeignet, eine Entschädigungspflicht zu begründen.

Seine Größe von rd. 20 qm entsprechend 5 qm je Gefangenem bei durch Abmauerung getrenntem WC-Bereich war insoweit noch hinnehmbar (vgl. BVerfG 19.10.1993, ZfStrVo 2994, 377, 378; OLG Frankfurt/Main 18.07.2003, NJW 2003, 2844, 2845). Die aus dem Vorhandensein von nur einem WC folgende Notwendigkeit, sich dessen Benutzung mit fremden Menschen zu teilen, berührt weder Persönlichkeitsrechte noch Menschenwürde, sondern betrifft zahlreiche Menschen in Freiheit ebenso (z.B. Erwerbstätige am Arbeitsplatz, Patienten im Krankenhaus).

c) Entsprechendes gilt für die Auswahl der drei anderen Gefangenen.

Konkrete Übergriffe auf den Kläger haben nach dessen eigenem Vortrag nicht stattgefunden. Soweit der Kläger betont, dass der in den Vollzugsanstalten herrschende Umgangston stets rau, latent aggressiv und auf Erkämpfen bzw. Bewahren des eigenen Status' gerichtet sei und dementsprechend auch er selbst gegenüber seinen Mitgefangenen "keine Schwäche" habe zeigen dürfen, handelt es sich gerade nicht um eine Folge ungeeigneter Auswahl der drei Mitgefangenen durch den Antragsgegner, sondern um die dem Zusammenleben in einem Mehr-Personen-Haftraum immanenten Unannehmlichkeiten.

Schließlich begründet der Umstand, dass die drei anderen Insassen (stark) rauchten, keine Entschädigungspflicht. Der Senat hat selbst nichtrauchende Mitglieder und kann durchaus nachempfinden, wie unangenehm es ist, auf engem Raum dem Rauch anderer ausgesetzt zu sein. Bis vor wenigen Jahren waren solche Situationen auch in Freiheit verbreitet; erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit wird das Rauchen zunehmend - wenn auch keineswegs ausnahmslos - gesellschaftlich verpönt und parallel dazu vielerorts verboten. Eine Beeinträchtigung, die noch vor kurzem in der Gesamtgesellschaft gang und gäbe war und von denjenigen, die sich nicht aktiv an ihr beteiligen wollten, als selbstverständlich ertragen werden musste, kann aber nicht heute als Verletzung von Persönlichkeitsrechten und/oder Menschenwürde betrachtet werden; das hieße, die Menschenwürde zu kleiner Münze zu schlagen (vgl. OLG Celle 01.06.2004, NJW 2004, 2766, 2767: je nach den Umständen des Falles kann eine gemeinsame Unterbringung von Rauchern und Nichtrauchern sogar rechtmäßig sein). Greifbare gesundheitliche Beeinträchtigungen durch den Tabakrauch hat der Kläger nach eigener Angabe nicht erlitten; sein Hinweis auf die allgemein bekannten Gefahren des Passivrauchens ersetzt solches nicht, zumal es hier nur um einen Zeitraum von insgesamt fünf Wochen geht.

2. Für seine Unterbringung in einem mit zwei Gefangenen belegten Einzelhaftraum in der Zeit vom 00. - 00.00.0000 stehen dem Kläger nicht mehr als die zugesprochenen 420 € entsprechend durchschnittlich 15 € je Tag zu.

a) Das Landgericht hat bei der Festsetzung dieses Betrages alle erheblichen Umstände gewürdigt.

Das sind zugunsten des Klägers die geringe Größe des bestimmungsgemäß nur für einen Gefangenen vorgesehenen Raumes sowie das unzureichend abgetrennte WC. Ob daneben verstärkend ins Gewicht fällt, dass der Mitgefangene wiederum Raucher war (vgl. oben 1. c), 3. Absatz), braucht nicht entschieden zu werden, denn das Landgericht hat auch diesen Umstand als zusätzliche Beeinträchtigung des Klägers in die Abwägung eingestellt. Zudem ist es von einem vorsätzlichen Verstoß des beklagten Landes ausgegangen.

Auf der anderen Seite wendet sich der Kläger zu Unrecht dagegen, dass das Landgericht die verhältnismäßig kurze Zeit von 28 Tagen sowie die durch seine Ausbildung u.a. bedingte werktägliche Abwesenheit aus dem Haftraum ebenfalls beachtet hat. Die nur kurze Dauer einer entsprechenden Unterbringung lässt zwar die Einstufung als menschenunwürdig nicht entfallen, kann sich aber durchaus auf die Bemessung der finanziellen Entschädigung auswirken (BGH 04.11.2004, NJW 2005, 58/59; Senat 14.07.2005 - I-18 W 22/05 - m.w.N.). Dasselbe gilt für den Umstand, dass die Überbelegung der Anstalt durch zwar mehrjährige, aber letztlich vorübergehende Baumaßnahmen verursacht war. Das Landgericht hat ausweislich des vorangegangenen Urteilsabsatzes nicht verkannt, dass die beschränkten öffentlichen Mittel nicht von der Beachtung der Grundrechte der Gefangenen entbinden. Das hindert aber nicht daran, eine durch Baumaßnahmen - welche zur künftigen Verbesserung der Verhältnisse dienen - bedingte Überbelegung als weniger vorwerfbar zu gewichten (Senat a.a.O.). Gegen die Berücksichtigung der von dem Beschluss des LG Kleve vom 29.11.2006 (161 Vollz 62/06) ausgehenden Genugtuungsfunktion ist ebenfalls nichts einzuwenden.

b) Es fällt nicht zusätzlich zugunsten des Klägers ins Gewicht, dass ab dem 00.00.0000 ein freier Einzelhaftraum vorhanden gewesen sein mag. Wäre der Kläger in diesen Einzelhaftraum verlegt worden, dann wäre die menschenunwürdige Unterbringung beendet und überhaupt keine Entschädigung mehr zu zahlen gewesen. Das Vorhandensein eines freien Einzelhaftraums deutet auch nicht auf eine schikanöse Einstellung der Anstaltsleitung gegenüber dem Kläger hin. Der Kläger befand sich erst sei dem 00.00.0000 in der JVA G.. Wäre der Einzelhaftraum wieder (mit nur einem Gefangenen) belegt worden, dann hätten andere Gefangene, die entweder schon länger in "Notgemeinschaften" untergebracht waren oder bei denen besondere Umstände vorlagen, den Vorrang gehabt. Irgendwelche besonderen Umstände in der Person des Klägers, die es umgekehrt geboten oder auch nur ermessensfehlerfrei erlaubt erscheinen ließen, gerade ihm den Einzelhaftraum allein zuzuweisen, sind nicht ersichtlich.

c) In Anbetracht alles dessen ist der Betrag von 15 €/Tag nicht zu niedrig (ebenso OLG Hamm 31.08.2007 - 11 U 162/06 - (Bl. 167 GA), wodurch der PKH-Beschluss vom 05.07.2006 in derselben Sache (Bl. 13 - 15 GA) überholt ist; OLG Hamm 31.08.2007 -11 U 163/06 - (Bl. 168 GA); vgl. auch OLG München 10.08.2006, NJW 2007, 1986 zu zusätzlichem Ungeziefer- und Schimmelbefall).

Zu entschädigen ist diejenige Beeinträchtigung durch die oben a) im Einzelnen dargestellten Umstände, welche über den Verlust der Freiheit als solchen hinausgehen. Dabei ist der Senat (in Abgrenzung zu OLG Celle 02.12.2003, StV 2004, 85, 86 und OLG Hamburg 14.01.2005 - 1 U 43/04 -) der Auffassung, dass § 7 Abs. 3 StrEG durchaus einen Anhaltspunkt darstellt. Aus § 7 Abs. 3 StrEG geht hervor, mit welchem Geldbetrag die Rechtsordnung den Verlust der Freiheit bewertet, nämlich mit 11 € täglich. Dass die zusätzliche Belastung durch die umbaubedingte Doppelbelegung des Haftraumes mit einem rauchenden Mithäftling mehr als nochmals dasselbe und zudem um ein gutes Drittel erhöhtes Gewicht hätte wie die Freiheitsentziehung selbst, hält auch der Senat nicht für richtig.

Dieser Befund wird bestätigt durch einen Vergleich mit einschlägigen Arbeitseinkommen. 15 € pro Tag entsprechend 450 € im Monat sind immerhin das 1 2/3-fache des Einkommens des Klägers aus seiner Arbeit in der JVA. Auf der anderen Seite wäre der vom Kläger vorgestellte Betrag von 100 € täglich mehr, als breite Kreise der Bevölkerung mit einer vollschichtigen Tätigkeit in Freiheit erzielen. Auch der vom OLG Celle (a.a.O.) als "quasi symbolisch" bezeichnete Betrag ist dies nach Ansicht des Senats keineswegs, sondern entspricht nur beispielsweise dem tariflichen Bruttolohn eines Metallfacharbeiters für rund zwei Stunden bzw. seinen Nettolohn für ca. drei Stunden.



Ende der Entscheidung

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