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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 17.01.2007
Aktenzeichen: I-18 U 93/06
Rechtsgebiete: BGB, GG, ZPO


Vorschriften:

BGB § 839 Abs. 1 Satz 1
BGB § 839 Abs. 1 Satz 2
GG Art. 34 S. 1
ZPO § 529 Abs. 1 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufungen der Beklagten und der Streithelferin zu 1 der Beklagten gegen das am 13. April 2006 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Kleve werden zurückgewiesen.

Der Beklagten werden die Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt mit Ausnahme der durch die Nebeninterventionen verursachten Kosten; jede Streithelferin hat die durch ihre Nebenintervention verursachten Kosten selbst zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

Die zulässigen Berufungen der Beklagten und der Streithelferin zu 1 der Beklagten bleiben ohne Erfolg. Das Landgericht hat der Klage in dem zuerkannten Umfang zu Recht und mit zutreffender Begründung stattgegeben.

I.

Der Kläger war bereits bei Klageerhebung Alleinerbe seiner nach dem Schadensereignis und vor Klageerhebung verstorbenen Ehefrau und mithin Alleininhaber sämtlicher hier in Rede stehender Schadensersatzansprüche (§ 1922 BGB).

II.

Ansprüche kann der Kläger, wovon das Landgericht zutreffend ausgeht, allein auf die Verletzung von Amtspflichten gem. § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V. mit Art. 34 S. 1 GG stützen. Denn die Beklagte trägt für Gemeindestraßen die Straßenbaulast ( § 47 NWStrWG). Ihr obliegen die mit der Unterhaltung der Straße zusammenhängenden Aufgaben als Amtspflichten in Ausübung hoheitlicher Gewalt. Dazu gehört auch die Überwachung der an einer Straße stehenden Bäume.

1.

Die Beklagte hat die ihr im Hinblick auf die an der Straße A... R..... stehenden Pappeln obliegende Verkehrssicherungspflicht schuldhaft verletzt.

Der erforderlichen laufenden Beobachtung von Bäumen genügt der Verkehrssicherungspflichtige in der Regel zwar durch eine sorgfältige äußere Gesundheits- und Zustandsprüfung vom Boden aus. Unstreitig gaben das äußere Erscheinungsbild und das Alter der Pappeln keinen Anlass zu deren sofortiger Fällung.

Hier aber bestand die Besonderheit, dass im Rahmen der von der Beklagten in Auftrag gegebenen Kanalbauarbeiten in der Straße A... R..... in unmittelbarer Nähe zu den Pappelstämmen Ausgrabungen stattfanden. Überzeugend und unangefochten hat der Sachverständige K..... in seinem Gutachten vom 20. Juni 2005 auf den Seiten 11 und 16 iVm der auf Seite 6 des Gutachtens abgedruckten Tabelle aufgezeigt, dass der nach den einschlägigen Bestimmungen bei Ausschachtungen einzuhaltende Mindestabstand von 2,5 Metern zu den Pappeln bei den vorliegend in einem Abstand von 1,1 bis 2,25 Meter vom Stammfuß der Pappeln in offener Bauweise durchgeführten Kanalbaumaßnahmen deutlich unterschritten wurde.

Ohne Widerspruch blieb weiterhin die Feststellung des Sachverständigen, den Fachämtern und Fachbereichen müssten die von ihm zitierten Bestimmungen bekannt sein.

Weder die Beklagte noch ihre Streithelfer wenden sich gegen die von dem Sachverständigen gezogene Schlussfolgerung, die eindeutig unzureichenden Abstände zwischen Kanaltrasse und Bäumen hätten der Beklagten zwingend Anlass zu baubegleitenden zusätzlichen Baumkontrollen geben müssen, weil die durchgeführten Erdarbeiten das Wurzelwerk schädigen und damit die Standsicherheit der Pappeln beeinträchtigen können.

Hätte die Beklagte nach Aushebung des Kanalgrabens eine zusätzliche Baum(sicht-)kontrolle (ordnungsgemäß) durchgeführt und hierbei den ansonsten nicht sichtbaren unterirdischen, nun freigelegten Erdbereich mit einbezogen, hätte sie festgestellt, dass die Pappeln auf der Grabenseite keine Stark-/Haltewurzeln mehr aufweisen, die bei gesunden Pappeln zwingend vorhanden sein müssen:

Die Feststellung des Sachverständigen, auf der Grabenseite hätten die vier gestürzten Pappeln zum Zeitpunkt ihres Sturzes keine Starkwurzeln aufgewiesen, wird von der Beklagten und ihren Streithelfern nicht, jedenfalls nicht hinreichend substantiiert, angegriffen. Hieran kann auf Grund der von dem Sachverständigen Keller gefertigten Lichtbilder (Blatt 225 und 226 GA) ohnehin kein Zweifel bestehen.

Es unterliegt ebenfalls keinem Zweifel, dass die vier am 27.10.2002 gestürzten Pappeln bereits während der im Sommer 2002 bis September 2002 durchgeführten Kanalarbeiten (vor Verfüllung des ausgehobenen Kanals) keine Stark-/Haltewurzeln im Grabenbereich mehr aufwiesen. Dies gilt auch dann, wenn man mit der Beklagten und ihren Streithelfern davon ausgeht, dass entgegen der insoweit von dem Sachverständigen vertretenen Ansicht bei den im Sommer 2002 bis September 2002 durchgeführten Kanalarbeiten die Pappelwurzeln nicht beschädigt bzw. durchtrennt wurden. Denn nach den unbestrittenen Feststellungen des Sachverständigen können sowohl eine Grundwasserabsenkung als auch eine Bodenverdichtung bei Pappeln allenfalls einen langsamen Absterbeprozess bewirken. Andere wurzelschädliche Maßnahmen wurden nach Abschluss der Kanalbauarbeiten nicht durchgeführt. Auf die Feststellung, auf Grund welcher Umstände die Pappeln nach Aushebung des Grabens im Sommer 2002 und erneuter Verfüllung des Grabens keine Stark-/Haltewurzeln im Grabenbereich mehr aufwiesen, ob dies also beispielsweise auf diese Kanalarbeiten oder frühere zurückzuführen ist, kommt es für den von dem Kläger vorliegend gegen die Beklagte geltend gemachten Anspruch nicht an, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat.

2.

Die von der Beklagten gänzlich unterlassene oder unzureichend durchgeführte Kontrolle während der Kanalbauarbeiten ist ursächlich für den eingetretenen Schaden.

Das Landgericht hat auf der Grundlage des eingeholten Sachverständigengutachtens die Feststellung getroffen, die Beklagte hätte bei einer im Zuge der Ausführung der Bauarbeiten durchgeführten Baumkontrolle sehen müssen, dass die notwendigen starken Haltewurzeln nicht mehr vorhanden waren, die Pappeln deshalb umsturzgefährdet sind, weswegen sie sodann unverzüglich Maßnahmen zur Wiederherstellung der Standsicherheit der Bäume hätte ergreifen oder die Bäume hätte fällen lassen müssen.

Gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten.

Die Beklagte und ihre Streithelfer zeigen keine konkreten Anhaltspunkte auf, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen des Landgerichts begründen; solche sind auch sonstwie nicht ersichtlich.

Wie ausgeführt, musste die Beklagte nach Aushebung des Kanalgrabens das Fehlen von Stark-/Haltewurzeln im Grabenbereich erkennen. Da die Kanaltrasse entsprechend der allgemeinen Hauptwindrichtung auf der Zugseite der Pappeln lag und die Zugseite der Bäume für deren allgemeine Standfestigkeit von wesentlicher Bedeutung ist, wirkt sich ein Eingriff in das Wurzelwerk der Pappeln auf der Zugseite nach den unangegriffen gebliebenen Feststellungen des Sachverständigen unmittelbar auf die Standsicherheit der Bäume aus. Unter diesen Umständen hätte die Beklagte, nachdem sie bei einer während der Bauarbeiten durchgeführten Sichtkontrolle das Fehlen von Stark-/Haltewurzeln im Grabenbereich festgestellt hat, Sicherungsmaßnahmen ergreifen müssen, und zwar das Fällen der Bäume, da eine Wiederherstellung der Standsicherheit der Bäume kaum in Betracht kam.

Hiervon durfte sie nicht deshalb absehen, weil die Bäume trotz der fehlenden Stark-/Haltewurzeln im Grabenbereich bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht gestürzt waren. Hieran vermag der von der Beklagten und ihren Streithelfern zweitinstanzlich nahezu wortgleich gehaltene Vortrag nichts zu ändern, "wenn im Zuge der Ausschachtung keine Wurzeln anzutreffen waren und deshalb eine Entfernung unterblieben ist, so hätte eine Überwachung durch die Beklagte auch nichts ausrichten können, weil die Bäume schon bei früheren Stürmen umgestürzt wären" bzw. "hätte sie (die Beklagte) solcherlei (d.h. eine unterbliebene Beschädigung der Starkwurzeln bei den Grabungsarbeiten und das Fehlen von Starkwurzeln im Grabungsbereich) festgestellt, hätte dies nämlich durchaus nicht den Rückschluss erzwungen, dass die Bäume gefällt werden mussten, weil sie - widrigenfalls - schon zuvor umgefallen wären". Denn der Umstand, dass Bäume einem vorangegangenen Sturm stand gehalten haben, lässt nicht den Rückschluss zu, dass sie es auch künftig tun werden. Zum einen hat die Streithelferin zu 1 bereits erstinstanzlich in ihrem Schriftsatz vom 8. März 2006 auf Seite 4 zutreffend und von der Beklagten und der Streithelferin zu 2 unwidersprochen darauf hingewiesen, das Böen lokal auftreten; die bloße Angabe der Windstärke ermöglicht daher keine zuverlässige Aussage darüber, welchen Kräften Bäume in einem Sturm konkret ausgesetzt waren. Zum anderen ist es ohne weiteres möglich, dass die Pappeln bei dem dem Orkan von Oktober 2002 vorangegangenen Sturm noch Reste von Stark-/Haltewurzeln im Grabenbereich aufwiesen, die es ihnen gerade noch ermöglichten, dem Sturm zu widerstehen, während beispielsweise aufgrund der Bodenverdichtung diese Wurzeln bis September 2002 vollständig zurückgegangen waren.

Soweit der Sachverständige auf Seite 13 seines Gutachtens ausgeführt hat, er habe keinerlei Hinweise darauf gefunden, dass die Standsicherheit der Pappeln bereits vor der Baumaßnahme eingeschränkt war, und er dies mit im Februar 2002 gemessenen Windgeschwindigkeiten bis 100 km/h belegt, beruht dies auf seiner Ausgangsthese, die Pappelwurzeln seien während der Baumaßnahme im Sommer 2002 durchtrennt worden. Die für den vorliegenden Rechtsstreit allein maßgebliche Feststellung, dass die Beklagte im Sommer 2002 die unzureichende Standsicherheit der Bäume erkennen und Sicherungsmaßnahmen ergreifen musste, wird hiervon nicht beeinträchtigt.

Da die Beklagte spätestens im September 2002 das Fehlen von Stark-/Haltewurzeln im Grabenbereich hätte feststellen müssen, hätte sie hieraufhin, wie ausgeführt, das Fällen der Bäume veranlassen müssen. Angesichts der evident gefährdeten Standsicherheit der Bäume und der im Herbst zu erwartenden Stürme hätten bei pflichtgemäßem Handeln der Beklagten die Bäume jedenfalls bis zum 27.10.2002 gefällt gewesen sein müssen. Hieran ändert es nichts, dass im Frühjahr 2002 der Kreis und der Kläger einem sofortigen Baumfällen entgegengetreten waren. Im September 2002 stand die Vogelbrutzeit einer Fällung der Bäume nicht entgegen. Wäre der Kläger auf die von den Pappeln für sein Grundstück ausgehende Gefahr hingewiesen worden, hätte er einer Fällung nach der Lebenserfahrung nicht weiter widersprochen.

3.

Der Beklagten kommt nicht das Verweisungsprivileg des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB zugute. Die hier in Rede stehende Straßenverkehrssicherungspflicht, die, wie ausgeführt, auch die Sorge für die Standsicherheit von Straßenbäumen umfasst, ist Teil der allgemeinen Verkehrssicherungspflichten, bei denen § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht anwendbar ist. Mithin kann dem Amtshaftungsanspruch eines infolge der Verletzung dieser Pflicht an seinem Grundstückseigentum geschädigten Anliegers das Verweisungsprivileg des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht entgegengehalten werden (BGH NJW 1993, 2612).

III.

Unbegründet sind schließlich die Angriffe der Streithelferin zu 2 gegen die Höhe des vom Landgericht dem Kläger zugesprochenen Anspruchs.

1.

Das Landgericht hat in seinem Beschluss vom 18. Januar 2006 unter VII. zutreffend darauf hingewiesen, dass den Angriffen der Streithelferin zu 2 gegen die Höhe der beim Kläger eingetretenen Baumschäden nicht nachzugehen ist, weil die Beklagte in ihrer Klageerwiderung auf Seite 8 insoweit einen Schaden des Klägers von 6.262,57 € explizit zugestanden hat.

2.

Soweit die Streithelferin zu 2 erstmalig in zweiter Instanz in ihrem Schriftsatz vom 17.10.2006 die Höhe der Sanierungskosten des Gartengrundstücks im Hinblick auf die Pos. 2 des Kostenvoranschlags der Firma K..... beanstandet, kann sie hiermit nicht mehr gehört werden. In erster Instanz haben weder die Beklagte noch ihre beiden Streithelferinnen insoweit Einwendungen erhoben.

3.

Sowohl der Zeuge K. K..... wie der Zeuge Friedrich haben überzeugend bekundet, die Gesamtlänge des Zaunes mit 105 Metern abgemessen zu haben.

Der Zeuge K. K..... hat weiterhin bekundet, der gesamte Zaun einschließlich des nicht umgestürzten, stehen gebliebenen Teils sei beschädigt worden.

Insofern bestehen keinerlei Bedenken iSv §§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gegen die Feststellung des Landgerichts, der Zaun müsse auf einer Länge von 105 Metern erneuert werden.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 1 ZPO. Danach haben die Streithelferinnen der Beklagten die durch ihre Nebeninterventionen verursachten Kosten selbst zu tragen, während die Beklagte die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels treffen. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn die Beklagte sich an dem Berufungsverfahren überhaupt nicht beteiligt hätte (vgl. BGHZ 39, 296, 297 f.; OLG Celle OLGR 1996, 84).

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Der Streitwert für die Berufung wird festgesetzt auf 14.866,81 €.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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