Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 09.01.2008
Aktenzeichen: I-19 U 28/07
Rechtsgebiete: ZPO, LFoG NW, BGB, BWaldG, StVO


Vorschriften:

ZPO § 540 Abs. 1 Satz 1
LFoG NW § 2
LFoG NW § 2 Abs. 2
LFoG NW § 3 Abs. 1 e
BGB § 253 Abs. 2
BGB § 823 Abs. 1
BWaldG § 14
StVO § 3 Abs. 1 Satz 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 10.07.2007 verkündete Urteil der 16. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal (16 O 7/07) wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Der zum Unfallzeitpunkt 17-jährige Kläger befuhr am 4. Juli 2006 gegen 13.30 Uhr mit seinem Fahrrad den sogenannten .... in der Nähe der Straße ...... in R.. Hierbei handelt es sich um einen privaten Waldweg, für den der beklagte Verband per Vereinbarung von den Waldeigentümern die Verkehrssicherungspflicht übernommen hatte. Der Weg verengt sich zu seinem Ende hin und mündet abschüssig auf eine asphaltierte Straße. Die abschüssige Böschung zur Straße hin ist mit einer achtstufigen Treppe versehen. Wegen der Unfallörtlichkeit wird auf die vom Kläger zur Gerichtsakte gereichten Lichtbildkopien (Bl. 6 und 7 d.A.) verwiesen. Am Unfalltag bemerkte der Kläger die Treppe zu spät, versuchte noch sein Fahrrad abzubremsen, was ihm nicht mehr gelang, und kam sodann am Fuße der Treppe auf dem Asphaltboden zu Fall. Hierbei zog er sich einen dreifachen Bruch der Speiche/Elle am linken Unterarm, einen dreifachen Bruch des Unterkiefers, eine Platzwunde am Kinn, multiple Schürfwunden im Gesicht, multiple Zahnfrakturen sowie Schürfwunden an den Händen zu.

Der Kläger ist der Auffassung, der Beklagte habe seine Verkehrssicherungspflicht verletzt, weil die Treppe für Fahrradfahrer zu spät erkennbar gewesen sei. Hier habe durch das Aufstellen eines Warnschildes auf die Gefahrenstelle aufmerksam gemacht werden müssen.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens in Höhe von 6.500 €, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Landgericht Wuppertal hat durch Urteil vom 10.07.2007 die Klage abgewiesen, weil es eine Verletzung von Verkehrssicherungspflichten durch den Beklagten nicht habe feststellen können. Wegen der Begründung im Einzelnen wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Hiergegen hat der Kläger form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Er rügt die unvollständige Ausschöpfung seines Sachvortrages und das Übergehen der von ihm angetretenen Beweise.

Der Kläger behauptet, die Verkehrssicherungspflicht des Beklagten an der Unfallstelle ergebe sich daraus, dass die streitgegenständliche Treppe auch für einen umsichtig und mit mäßiger Geschwindigkeit fahrenden Radfahrer nicht so rechtzeitig zu erkennen sei, dass dieser noch vor der Treppe abbremsen könne. Zudem habe der Beklagte gewusst, dass an besagter Unfallstelle wegen der Nichteinsehbarkeit der Treppe bereits im Jahr 2001 ein ganzer Teil einer Schulklasse mit den Fahrrädern verunglückt sei. Die Treppenstufen ließen sich auch nicht befahren, weil sie ausgewaschen seien. Der Kläger meint, zu der nicht möglichen rechtzeitigen Einsehbarkeit der Treppe habe das Gericht keine Stellung genommen. Fälschlicherweise sei es hingegen davon ausgegangen, dass der Waldweg unmittelbar vor der Treppe in Form einer Biegung um Bäume herum verlaufe, die eine weite Sicht verstellten. Dies entspreche nicht den Gegebenheiten und sei von keiner Partei vorgetragen worden. Fehlerhaft verlange das Landgericht, da der Weg nicht ausdrücklich als Fahrradweg beschildert sei, dass der Radfahrer mit sogenannter "Wanderschrittgeschwindigkeit" fahre. Dies sei aufgrund der dort befindlichen Abschüssigkeit des Geländes schon technisch nicht möglich, weil man andernfalls das Gleichgewicht verliere.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des am 10. Juli 2007 verkündeten Urteils des Landgerichts Wuppertal den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens 6.500 €, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil und meint, eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht sei schon deshalb nicht gegeben, weil - dies habe schon die untere Forstbehörde im Schreiben vom 19. September 2006 festgestellt - das Fahrradfahren an jener Stelle gemäß § 3 Abs. 1 e LFoG NW verboten sei. Es handele sich bei dem Waldweg nicht um einen "festen Weg" im Sinne der Vorschrift. Selbst wenn man jedoch davon ausginge, dass Radfahren erlaubt sei, stelle die Treppe keine Gefahr dar, die ein sorgfältiger Waldbenutzer nicht rechtzeitig erkennen und auf die er nicht entsprechend reagieren könne. Dass der Kläger die Unfallstelle mit unangepasster Geschwindigkeit passiert haben müsse, zeige sich zum einen darin, dass er nicht mehr habe vor der Treppe abbremsen können und zum anderen auch in der Schwere seiner Verletzungen.

II.

Die Berufung ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Dem Kläger steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes aus § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 253 Abs. 2 BGB zu.

Es kann für die Entscheidung offen bleiben, ob an jener Stelle gemäß § 3 Abs. 1 e LFoG NW das Fahrradfahren verboten ist. Selbst wenn man die Unfallstelle als "festen Weg" im Sinne von § 2 Abs. 2 LFoG NW ansieht, auf dem grundsätzlich das Radfahren auch im Wald gestattet ist, lässt sich - wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat - eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch den Beklagten nicht feststellen.

Zum Teil wird in der Rechtsprechung schon die Auffassung vertreten, dass dem Waldeigentümer gegenüber dem Waldbenutzer grundsätzlich keine Verkehrssicherungspflicht obliege. Ausgangspunkt für diese Rechtsauffassung ist § 14 BWaldG und der inhaltsgleiche § 2 LFoG NW, wonach das Betreten des Waldes zum Zwecke der Erholung auf eigene Gefahr gestattet ist. Damit ergebe sich das Betretungsrecht des Waldbenutzers originär aus dem Gesetz und folge nicht aus einer Widmung oder Verkehrseröffnung seitens des Waldeigentümers, die besondere Maßnahmen zum Schutz der Waldbenutzer nach sich zögen (vgl. OLG Hamm VersR 1985, 597; OLG Celle VersR 2006, 1423).

Aber auch sofern man mit der ganz überwiegenden Rechtsprechung Verkehrssicherungspflichten des Waldeigentümers nicht völlig ausschließt, beschränkt sich die Verkehrssicherungspflicht auf die Abwehr sogenannter atypischer Gefahren. Die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht kommt im Bereich des Waldes daher nur dann in Betracht, wenn der Waldbesitzer besondere Gefahren schafft oder duldet, die ein Waldbesucher nicht oder nicht rechtzeitig erkennen kann und auf die er sich nicht einzurichten vermag, weil er mit ihnen nicht rechnen muss. Mit natürlichen Gefahren muss derjenige, der sich in die Natur begibt, stets rechnen. Solche Gefahren werden dann auch selbst übernommen (vgl. OLG Düsseldorf VersR 1998, 1166; OLG Hamm, Entscheidung vom 30.03.2007, 13 U 62/06, zitiert nach juris; OLG Köln NJW-RR 1987, 988; OLG Koblenz VersR 2004, 257).

Eine derart besondere atypische Gefahr stellen die Treppenstufen, auf denen der Kläger bedauerlicherweise zu Fall gekommen ist, nicht dar. Ausweislich des Bildes 2 (Bl. 6 d.A.), das der Kläger selbst mit der Klageschrift vorgelegt hat, handelt es sich nicht um eine steile, künstlich angelegte Steintreppe, sondern um breit angelegte, mäßig ansteigende Stufungen, mit denen es dem Wanderer erleichtert wird, die Waldböschung zu erklimmen. Derartige Niveauunterschiede im Bodenverlauf bzw. eingezogene Stufen oder Balken in Böschungen, die dem Wanderer das Ansteigen erleichtern sollen, sind im Wald nicht unüblich, so dass sich der Waldbenutzer hierauf einstellen muss. Wer daher im Wald mit dem Fahrrad unterwegs ist, hat sich auf solche plötzlich auftretenden Hindernisse einzustellen und muss - auch zum Schutz der übrigen Waldbenutzer (vgl. § 2 Abs. 3 Satz 1 LFoG NW) - jederzeit in der Lage sein, sein Fahrrad in der übersehbaren Strecke anzuhalten. Diese Verhaltenspflicht konstatiert § 3 Abs. 1 Satz 4 StVO schon für den Fahrzeugführer im Straßenverkehr. Im Wald, wo eben nicht mit einem weitgehend ebenen Wegverlauf gerechnet werden kann, gilt dies erst recht.

Es ist für den Senat nicht nachvollziehbar, warum es - wie der Kläger in der Berufung geltend macht - technisch nicht möglich sein soll, mit dem Fahrrad Schritttempo zu fahren. Die Mitglieder des Senates, die selbst Fahrradfahrer sind, wissen aus eigener Erfahrung, dass dies sehr wohl möglich ist. Sofern der Kläger aufgrund der Abschüssigkeit des Geländes am Fahren im Schritttempo gehindert gewesen sein sollte, hätte er - worauf bereits das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung hingewiesen hat - notfalls rechtzeitig vom Fahrrad absteigen und dieses weiter schieben müssen.

Bei einer der Örtlichkeit angepassten Geschwindigkeit, also bei einem Fahren im Schritttempo, hätte der Kläger den bedauerlichen Unfall vermeiden können, weil er dann - wie die Fußgänger auch - die Treppe rechtzeitig hätte bemerken können.

Der Beklagte musste in der Treppe schließlich auch nicht aufgrund vorangegangener Ereignisse eine nicht zu meisternde Gefahrenquelle erkennen. Zwar weist der Kläger in diesem Zusammenhang auf ein Unfallereignis aus dem Jahre 2001 hin, wo mehrere Schulkinder in der Nähe der Treppe mit dem Fahrrad zu Fall gekommen sein sollen. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers war im Termin vor dem Senat am 12.12.2007 auf Nachfrage jedoch nicht in der Lage, zu konkretisieren, wann, mit welchen Beteiligten und mit welchem Ablauf sich der Vorfall abgespielt haben soll. Angesichts dessen ist nicht substantiiert vorgetragen, dass - wie der Kläger geltend macht - seinerzeit eine nicht rechtzeitige Erkennbarkeit der Treppe für das Unfallgeschehen jedenfalls mitursächlich war. Denkbar ist schließlich auch, dass die Schulkinder allein aus Unachtsamkeit mit den Fahrrädern zu Fall gekommen sind. Eine Vernehmung der Zeugen S. und M. U. zu dem Schulklassenunfall hält der Senat angesichts dessen nicht für angezeigt, weil diese Beweiserhebung auf Ausforschung gerichtet ist.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Streitwert für die Berufung und Beschwer des Klägers: 6.500 €.

Ende der Entscheidung

Zurück