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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 21.06.2005
Aktenzeichen: I-20 U 40/05
Rechtsgebiete: SGB IX, ZPO, RBerG, UWG


Vorschriften:

SGB IX §§ 85-92
ZPO § 540
RBerG § 1
RBerG § 5 Nr. 2
UWG § 3
UWG § 4 Nr. 11
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der Einzelrichterin der 10. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg vom 11. Februar 2005 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass sich das Verbot darauf bezieht, sich in Verfahren auf Zustimmung zur Kündigung von schwerbehinderten Menschen nach den §§ 85-92 SGB IX vor dem zuständigen Integrationsamt für Antragsteller, insbesondere von den Firmen T., T. Servicegesellschaft mbH, in E. bevollmächtigen zu lassen, für dieselben Anträge auf Zustimmung zu Änderungskündigungen und/oder zu ordentlichen Kündigungen zu stellen sowie für dieselben als bevollmächtigte Interessenvertreterin gegenüber dem Integrationsamt in K. sowie der Fürsorgestelle der Stadtverwaltung in D. aufzutreten und diese zu vertreten sowie im Zuge von Krisenberatungen vor dem Integrationsamt Hinweise auf Zustimmungspflichten zur Kündigung von schwerbehinderten Arbeitnehmern zu erteilen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Die beklagte Steuerberatungsgesellschaft hat für Mandanten beim Integrationsamt in K. Anträge auf Zustimmung zur ordentlichen Kündigung von schwerbehinderten Arbeitnehmern gestellt, was der Kläger, der seinerzeit die betroffenen Arbeitnehmer anwaltlich vertreten hat, als Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz beanstandet. Die Beklagte vertritt die Ansicht, dass sie sich im Rahmen der für ihre Mandanten betriebenen Krisenberatung korrekt verhalten habe. Sie habe lediglich auf die Zustimmungspflicht bei Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers hingewiesen. Der von ihr formulierte Antrag sei dann schließlich von der Mandantin selbst begründet worden.

Das Landgericht, auf dessen Urteil gemäß § 540 ZPO Bezug genommen wird, hat der Klage stattgegeben und ausgeführt, dass die von der Beklagten vor dem Integrationsamt ausgeübten Tätigkeiten fremde Rechtsbesorgungen darstellten. Da die Beklagte nicht vorgetragen habe, dass der ihr erteilte Auftrag zur Krisenberatung Folge eines steuerrechtlichen Mandates gewesen sei, könne sie sich auch nicht auf Art. 1 § 5 Nr. 2 RBerG berufen.

Mit der Berufung macht die Beklagte geltend, dass sich die 1998 in Kraft getretene Änderung des Rechtsberatungsgesetzes durch die Einbeziehung der Steuerberater und Steuerbevollmächtigten vor allem im Bereich von Sanierungsverhandlungen auswirke. In diesem Rahmen müsse Steuerberatern gestattet sein, Stundungsvereinbarungen, Umfinanzierungen, Verzicht auf Zinsforderungen, Vergleiche etc. zu verhandeln. Im konkret gerügten Fall habe sie lediglich die Anträge an das Integrationsamt in Köln übersandt. Ihre Anwesenheit in der Verhandlung sei erforderlich gewesen, um der Mandantin die entsprechenden steuerrechtlichen Unterlagen vor Ort zu geben. In rechtlicher Hinsicht meint die Beklagte, dass sie zwar nicht den Rat erteilen dürfe, einen Antrag auf Zustimmung zur Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers beim Integrationsamt zu stellen, aber Formulierungshilfe bei der Stellung eines solchen Antrags leisten dürfe. Den Geschäftsführern der betreuten Firmen sei ohnehin bekannt gewesen, dass das Arbeitsverhältnis eines schwerbehinderten Arbeitnehmers nur mit Zustimmung des Integrationsamtes gekündigt werden könne. Es sei im Rahmen des Antrags auf Erteilung der erforderlichen Zustimmung notwendig gewesen, die betriebswirtschaftlichen Gründe der beabsichtigten Kündigungen darzulegen, weshalb die Mandaten die Hilfestellung der Beklagten benötigten. Damit habe ihre Tätigkeit überwiegend auf wirtschaftlichem Gebiet gelegen. Die Beklagte verweist darüber hinaus auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 24.02.2005 - Fördermittelberatung -. Sie meint, dass sich auch daraus ergäbe, dass ihre Tätigkeit nicht als unerlaubte Rechtsberatung einzuordnen sei.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Duisburg vom 11.02.2005 die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, mit der Maßgabe, dass an den bisherigen Text des Verbotes folgender Teil angeschlossen werde: ... für dieselben Anträge auf Zustimmung zu Änderungskündigungen und/oder zu ordentlichen Kündigungen zu stellen sowie für dieselben als bevollmächtigte Interessenvertreterin gegenüber dem Integrationsamt in K. sowie der Fürsorgestelle der Stadtverwaltung in D. aufzutreten und diese zu vertreten sowie im Zuge von Krisenberatungen vor dem Integrationsamt Hinweise auf Zustimmungspflichten zur Kündigung von schwerbehinderten Arbeitnehmern zu erteilen.

Er verteidigt das landgerichtliche Urteil und tritt den zweitinstanzlichen Ausführungen der Beklagten entgegen. Er verweist darauf, dass die Beklagte in ihrem Schreiben vom 22.07.2004 mitgeteilt habe, dass sie ihrer Mandantschaft im Zuge der Krisenberatung den Hinweis auf die Zustimmungspflicht der Kündigung erteilt habe.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Der Kläger hat die beanstandeten Tätigkeiten, die Gegenstand des Verbots sein sollen, in der mündlichen Verhandlung vom 07.06.2005 näher präzisiert und seinen Antrag ergänzt; sein so formuliertes Begehren ist begründet, weil die Beklagte durch die genannten Geschäfte unerlaubte Rechtsberatung betreibt.

Für die Beurteilung, ob eine geschäftsmäßige Tätigkeit unter die Erlaubnispflicht des Art. 1 § 1 RBerG fällt, ist zu fragen, ob die Tätigkeit überwiegend auf wirtschaftlichem Gebiet liegt und die Wahrnehmung wirtschaftlicher Belange bezweckt oder aber die rechtliche Seite der Angelegenheit im Vordergrund steht und es im wesentlichen um die Klärung rechtlicher Verhältnisse geht. Für die Einstufung als erlaubnispflichtige Rechtsbesorgung kann, da nahezu alle Lebensbereiche rechtlich durchdrungen sind und eine wirtschaftliche Betätigung daher kaum ohne rechtsgeschäftliches Handeln möglich ist oder ohne rechtliche Wirkung bleibt, nicht allein auf die rechtlichen Formen und Auswirkungen des Verhaltens abgestellt werden. Dieses ist vielmehr danach zu beurteilen, ob es sich um eine ohne Beeinträchtigung der Qualität und der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege und der zu deren Aufrechterhaltung benötigten Rechtsberater auch von anderen Dienstleistern erfüllbare Tätigkeit handelt. Dabei sind die öffentlichen Belange, die den Erlaubnisvorbehalt des Rechtsberatungsgesetzes rechtfertigen, gegen die Berufsfreiheit desjenigen abzuwägen, dem wegen des Fehlens einer entsprechendes Erlaubnis die Vornahme bestimmter Handlungen untersagt werden soll. Von Bedeutung ist insbesondere, ob der Auftraggeber im Rahmen der Geschäftsbesorgung eine besondere rechtliche Prüfung des Inhalts des Geschäftes oder der mit diesem verbundenen Risiken ausdrücklich wünscht oder zumindest erkennbar erwartet, wobei sich diese Erwartung im Zweifel nach der Person und Qualifikation des Geschäftsbesorgers, nach den verkehrstypischen Gepflogenheiten und nach objektiven Maßstäben des jeweiligen Geschäftes richtet (BGH WRP 2005, 739-742 - Fördermittelberatung).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist im vorliegenden Fall festzustellen, dass die Beklagte den wirtschaftlichen Bereich ihrer Beratungstätigkeit verlassen und in eine rechtliche Beratung und Besorgung eingetreten ist, indem sie mit den im Tenor genannten Tätigkeiten vor dem Integrationsamt für die beratenen Firmen aktiv geworden ist. Als Steuerberatungsgesellschaft darf die Beklagte ihre Mandanten in Bezug auf Kostenersparnismöglichkeiten beraten und unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten auch aufzeigen, welche Kosten am effektivsten eingespart werden können. Eine derartige Beratung kann zulässiger Weise auch noch darin bestehen, aus wirtschaftlichen Gründen zur Einsparung der Kosten eines bestimmten Arbeitnehmers zu raten. Allerdings geht es über die Hilfe in Steuersachen hinaus und in den Bereich der Rechtsberatung hinein, wenn der Steuerberater bei der Umsetzung der von ihm angeratenen Personalkosteneinsparung in der Weise hilft, dass er zum einen in rechtlicher Hinsicht berät, wie die Kündigung eines Arbeitnehmers formell zu erfolgen hat und zum andern die nach außen z.B. vor einer Behörde erforderlichen Handlungen für die Mandanten vornimmt. Insoweit ist unerheblich, ob die Geschäftsführer der Firmen F. und T. die Zustimmungspflicht zur Kündigung der schwerbehinderten Arbeitnehmer bereits kannten. Die Beklagte hat damit auf arbeitsrechtlichem Gebiet beraten; dass auch weitere Mandanten, denen sie - ohne das ausgesprochene Verbot - derartige Hinweise erteilen würde, die Rechtslage als selbstverständliches Allgemeinwissen kennen, ist nicht anzunehmen.

Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg auf eine zulässige Annextätigkeit nach Art. 1 § 5 Abs. 2 RBerG berufen. Denn der nach dieser Vorschrift erforderliche Zusammenhang zwischen der Hilfeleistung der Beklagten in Steuersachen und der Vertretung der Firmen vor dem Integrationsamt besteht nicht. Vielmehr ist die Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers, wenn sie als Folge einer sog. Krisenberatung vorgenommen wird, ein davon zu trennender Vorgang. Insbesondere ist nichts dafür ersichtlich, warum die Beklagte ihre steuerberatende Aufgabe nicht sachgemäß vornehmen können soll, wenn sie die Kündigung des schwerbehinderten Arbeitnehmers dem Mandanten und dem von diesem gegebenenfalls hinzuzuziehenden anwaltlichen Berater überlässt. Sofern im Rahmen des Verfahrens vor dem Integrationsamt die betriebswirtschaftlichen Gründe für die beabsichtigte Kündigung darzulegen waren, bedurfte es weder der umfassenden Bevollmächtigung der Beklagten durch ihre Mandanten (Schreiben vom 21.10.2003, Bl. 35 GA) noch der Antragstellung durch die Beklagte. Die Beklagte hätte ihre steuerliche Hilfeleistung in Form von Krisenberatung ohne weiteres erfüllen können, wenn sie in dem gesamten Kündigungsverfahren vor den für Schwerbehinderte zuständigen Behörden untätig geblieben wäre. Dieser abtrennbare Teil wirkte in die Steuerberatung nicht hinein und konnte von den Mandantinnen oder von diesen hinzuzuziehenden Rechtsberatern geleistet werden.

Da Art. 1 § 1 RBerG zu den Vorschriften zählt, die dazu bestimmt sind, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln (BGH WRP 2005, 330, 331 - Testamentsvollstreckung durch Steuerberater) ist ein Verstoß gegen § 4 Nr. 11 UWG gegeben, so dass der Kläger nach § 3 UWG Unterlassung verlangen kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10 i.V.m. § 713 ZPO.

Für die Zulassung der Revision besteht kein gesetzlich begründeter Anlass, § 543 Abs. 2 ZPO.

Streitwert: 12.800 € (entsprechend der von den Parteien nicht beanstandeten Wertfestsetzung durch das Landgericht).

Ende der Entscheidung

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