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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 18.11.2003
Aktenzeichen: I-23 U 27/03
Rechtsgebiete: ZPO, VOB/B, AGBG, VOB/A, BGB


Vorschriften:

ZPO § 513
ZPO § 529
ZPO § 540 Abs. 1 Nr. 1 n.F.
VOB/B § 2 Nr. 5
VOB/B § 2 Nr. 6
VOB/B § 2 Nr. 8
VOB/B § 9 Nr. 1
AGBG § 9
VOB/A § 9
VOB/A § 9 Nr. 1
BGB § 133
BGB § 134
BGB § 157
BGB § 254
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 14.01.2003 verkündete Schlussurteil der Einzelrichterin der 9. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aus dem Urteil gegen sie vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe: I. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Bezahlung von Mehrkosten für die Demontage von Schiebeblockfenstern und Ganz-Aluminiumfenstern nebst Eisenrahmen in 2 Schulen in Anspruch. In den Ausschreibungen der Beklagten sind die betroffenen Leistungspositionen lediglich mit "Demontage der vorhandenen Fensteranlagen" beschrieben. In den besonderen Vertragsbedingungen der Beklagten ist darauf hingewiesen, dass der Auftragnehmer vor Angebotsangabe das Objekt zu besichtigen habe und dass Nachforderungen des Auftragnehmers, die auf Unkenntnis der Örtlichkeit beruhen, nicht anerkannt würden. Wegen der Einzelheiten wird gemäß § 540 Abs.1 Nr.1 ZPO (n.F.) auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen. Das Landgericht hat die nach einem Teilvergleich verbliebene Klageforderung abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Es fehle bereits an einem Anspruch dem Grunde nach. Forderungen aus § 2 Nr.6 VOB/B bestünden nicht, weil die Demontage von Schiebeblockfenstern und Aluminiumfenstern mit Stahlrahmen keine zusätzliche, sondern die geschuldete Leistung sei. Ansprüche aus § 2 Nr.5 scheiterten daran, dass keine Preisvereinbarung, keine Anordnung der Beklagten und keine Änderung des Bauentwurfs vorlägen. Die Zahlung könne auch nicht aus § 2 Nr.8 VOB/B gefordert werden, weil die Demontage der alten Fensteranlagen von Anfang an geschuldet gewesen sei. Schadenersatzansprüche aus cic bestünden deswegen nicht, weil angesichts des ausreichenden Leistungsverzeichnisses kein Verstoß gegen § 9 Nr.1 VOB/A vorliege und der Verweis der Beklagten auf eine Objektbesichtigung auch nach § 9 AGBG zulässig sei. Jedenfalls liege ein überwiegendes Mitverschulden der Klägerin vor, welches Zahlungsansprüche der Klägerin ausschließe. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung. Sie rügt Rechtsverletzungen und führt zur Begründung aus: Das Leistungsverzeichnis der Beklagten sei unzureichend, weil gemäß der DIN 18299 und § 9 Nr.1 VOB/B die zu demontierenden Teile nach Art, Zusammensetzung und Menge zu beschreiben seien. Der Verweis der Beklagten im Rahmen der Ausschreibung auf eine Objektbesichtigung verstoße gegen § 9 AGBG. Dass die Leistungsbeschreibung der Beklagten betreffend der Demontage der Fensteranlagen unzureichend gewesen sei, sei für sie, die Klägerin, nicht erkennbar gewesen. Eine Pflicht zur Rückfrage habe für sie nicht bestanden. Die Klägerin beantragt, das am 14.01.2003 verkündete Schlussurteil des Landgerichts Düsseldorf abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie EUR 28.677,03 nebst Zinsen in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz seit dem 26.01.2001 aus EUR 15.321,16 und Zinsen in Höhe von 5% über dem Zinssatz der Spitzenrefinanzierungsfazilität der Europäischen Zentralbank aus weiteren EUR 13.355,87 seit dem 15.02.2001 zu zahlen. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie tritt der Berufung entgegen, verweist auf die Ausführungen des Landgerichts und trägt ergänzend vor: Am 02.06.1998, also vor der Auftragserteilung, habe es ein Gespräch gegeben, an dem für die Klägerin deren Geschäftsführer Herr S.... teilgenommen habe. Dabei seien die zu erneuernden Fenster des A.... besichtigt worden. Darüber hinaus habe Herr S.... erklärt, "die Ausschreibung ist vollumfänglich verstanden. Es werden keine Vorbehalte oder Bedenken geltend gemacht". Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen. II. Die Berufung ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die Entscheidung des Landgerichts beruht nicht auf einer Rechtsverletzung und die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen keine andere Entscheidung, § 513 ZPO. Das Landgericht hat zutreffend Mehrvergütungsansprüche der Klägerin aus § 2 Nr. 5, § 2 Nr. 6, § 2 Nr. 8 VOB/B und aus Verschulden bei Vertragsschluss verneint. Der Senat schließt sich im wesentlichen der Begründung des Landgerichts an, lässt jedoch offen, ob die Ausschreibung der Beklagten zur Pos. "Demontage der bestehenden Fensteranlagen" ohne Beschreibung der Beschaffenheit der betroffenen Teile den Anforderungen des § 9 VOB/A gerecht wird, da es hierauf nicht ankommt, und verneint den Anspruch aus Verschulden bei Vertragsschluss unabhängig von einem Verstoß gegen § 9 VOB/A wegen Fehlens anderer Anspruchsvoraussetzungen und nicht erst wegen eines Mitverschuldens der Klägerin. Das Vorbringen der Berufung rechtfertigt keine vom angefochtenen Urteil abweichende Entscheidung. Soweit mit ihr geltend gemacht wird, die Ausschreibung der Beklagten verstoße gegen § 9 VOB/A und die darin enthaltene Klausel "Der Auftragnehmer hat vor Angebotsabgabe das Objekt zu besichtigen. Nachforderungen des Auftragsnehmers, die auf Unkenntnis der Örtlichkeiten beruhen, werden nicht anerkannt." verstoße gegen § 9 AGBG, hat sie keinen Erfolg, da es hierauf nicht ankommt. Die Ausführungen des Landgerichts zur Vertragsauslegung sind rechtsfehlerfrei. Sie stehen im Einklang mit der Rspr. des BGH (BauR 2002, 1394 f = NJW-RR 2002, 1096; BauR 2002, 935 f; NJW 1994, 850 f) und der OLG-Rspr. (Celle, BauR 2003, 710; Naumburg BauR 2001, 681; Senat Urteil vom 27.5.2003 - 23 U 81/02) sowie der herrschenden Meinung in der Literatur (Werner-Pastor, Der Bauprozess, 10. Aufl. Rdn. 1888/1889; Quack, BauR 1998, 381 f und BauR 2003, 268; Dähne, BauR 1999, 289 f; Oberhauser, BauR 2003, 1110 f; zum Teil abweichend: Kapellmann-Messerschmidt, VOB, 2003, § 2 VOB/B Rdn. 90-128). Das gilt - im Ergebnis - auch, soweit das Landgericht einen Anspruch der Klägerin aus Verschulden bei Vertragsschluss wegen unklarer Ausschreibung verneint hat. Im einzelnen: 1. Für die Abgrenzung zwischen unmittelbar vertraglich geschuldeten Leistungen und zusätzlichen, vom Auftrag und der Preisvereinbarung nicht erfassten Leistungen, die eine Anwendung der §§ 2 Nr. 5 oder Nr. 6 VOB/B rechtfertigen könnten, kommt es auf den Inhalt der Leistungsbeschreibung an und nicht auf die DIN-Normen. Beim Vergabeverfahren nach der VOB/A ist gemäß den §§ 133, 157 BGB maßgebend der objektive Empfängerhorizont, also die Sicht des potentiellen Bieters. Neben dem Wortlaut sind bei der Auslegung die Umstände des Einzelfalles, unter anderen die konkreten Verhältnisse des Bauwerks zu berücksichtigen (BGH a.a.O.). Hiervon geht grundsätzlich auch die Klägerin aus. Sie berücksichtigt jedoch nicht hinreichend den klaren Wortlaut der Ausschreibung und zieht zu Unrecht die Vorschrift des § 9 VOB/A über die Ausschreibungstechnik bei der Vertragsauslegung heran. Eine mit § 9 VOB/A unvereinbare Ausschreibungstechnik führt nicht dazu, dass anstelle der ausgeschriebenen Leistung eine mit § 9 VOB/A übereinstimmende Vertragsinhalt wird, denn § 9 VOB/A enhält kein zwingendes Vertragsrecht (BGH BauR 1997, 126 f; Werner-Pastor, a.a.O.; Quack, a.a.O.; Dähne a.a.O. Seite 301; Oberhauser a.a.O. Seite 1114 f). Diese Vorschrift hat auch keine Außenwirkung in dem Sinne, dass eine unter Verstoß gegen sie durchgeführte Ausschreibung als Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot gemäß § 134 BGB anzusehen wäre (BGH a.a.O.). Ob im Einzelfall Auslegungszweifel zugunsten einer der VOB/A entsprechenden Auslegung gelöst werden können (BGH, a.a.O.), braucht hier nicht entschieden zu werden, da nach dem Wortlaut der Ausschreibung sich aus der Sicht der Bieter Auslegungszweifel nicht ergeben konnten. Mit der Beschreibung "Demontage der bestehenden Fensteranlagen" hat die Beklagte die (Teil-) Leistung als solche vollständig ausgeschrieben. Weggelassen hat sie lediglich die für die Kalkulation des Bieters wichtigen Einzelangaben zur Beschaffenheit der Altanlagen. Es handelt sich dabei um eine "funktionale Leistungsbeschreibung", die in der Lit. auch als "unklare Leistungsbeschreibung" bezeichnet wird (Dähne, a.a.O, Seite 295 f; Oberhauser a.a.O. Seite 1116). Bei einer solchen Leistungsbeschreibung ist für eine VOB/A-gerechte Auslegung grundsätzlich kein Raum, weil für den Auftragnehmer zweifelsfrei erkennbar ist, dass das Risiko der Kalkulation ihm auferlegt wird (BGH BauR a.a.O.). Für die von der Klägerin vertretene Auslegung der Ausschreibung dahin, dass der Bieter davon ausgehen durfte, die Demontage betreffe Fenster der gleichen Bauart wie die einzubauenden Fenster, fehlen ausreichende Anhaltspunkte. Dabei kann unterstellt werden, dass die in den beiden Schulen vorhandenen alten Fensteranlagen in der Vergangenheit äußerst selten eingebaut worden waren und einen wesentlich größeren Demontageaufwand erforderten als herkömmliche Aluminium-Holz-Fenster erfordert hätten. Aufgrund des Alters der vorhandenen Fensteranlagen und des zwischenzeitlichen technischen Fortschritts im Fensterbau hat für die Klägerin sogar eher Anlass bestanden für die Annahme, dass die auszubauenden Fenster mit den neu einzubauenden gerade nicht vergleichbar sind. Sollten die Ausführungen der von der Klägerin zitierten niedersächsischen VOB-Stelle (BR 1994, 409/417) anders, also i.S.d. Auslegung der Klägerin zu verstehen sein, schließt sich der Senat dieser Auslegung jedenfalls für den hier zu entscheidenden Fall nicht an. 2. Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht auch einen Anspruch der Klägerin aus Verschulden bei Vertragsschluss wegen unklarer Ausschreibung verneint. Ein etwaiger Verstoß einer öffentlichen Ausschreibung gegen § 9 VOB/A begründet allein noch keinen derartigen Anspruch. Erforderlich ist vielmehr, dass der Auftragnehmer / Bieter in seinem schutzwürdigen Vertrauen auf die Einhaltung der VOB/A enttäuscht worden ist. Ein Vertrauen in diesem Sinne ist nur gegeben, wenn der Antragnehmer / Bieter den maßgeblichen Verstoß gegen die VOB/A nicht erkannt hat. Darüber hinaus muss sein Vertrauen schutzwürdig sein. Das ist in der Regel nicht der Fall, wenn er den Verstoß bei der ihm im jeweiligen Fall zumutbaren Prüfung hätte erkennen können. Da ein Schadensersatzanspruch dem Grunde nach überhaupt nur in Frage kommt, wenn der Bieter in seinem schutzwürdigen Vertrauen auf die Einhaltung der VOB/A enttäuscht worden ist, ist es schon im Ansatz unzutreffend, die Schutzwürdigkeit des Vertrauens erst bei der Verschuldensabwägung nach § 254 BGB zu berücksichtigen, wie es das Landgericht für richtig gehalten hat (BGH BauR 1997, 126/128; NJW 1994, 850, 851; Werner-Pastor, a.a.O.; ausführlich Dähne, a.a.O. Seite 300 f; Oberhauser, a.a.O. Seite 1117 f.) Die an die Prüfung des Bieters zu stellenden Anforderungen hängen von den Umständen des Einzelfalles ab. Maßstab ist ein sorgfältiger Bieter mit dem branchenspezifischen Fachwissen (BGH BauR 1987, 684 f). Ein Bieter muss sich jedenfalls ein Bild darüber verschaffen, ob er alle für eine sichere Kalkulation erforderlichen Angaben zur Verfügung hat. Zweifelsfragen sind entgegen der Ansicht der Klägerin durch vorherige Besichtigung der Gegebenheiten vor Ort sowie durch Einsichtnahme in vorhandene Planungsunterlagen oder durch entsprechende Rückfragen und Hinweise beim Auftraggeber zu klären (Oberhauser, a.a.O.). Diese Aufklärungspflicht besteht unabhängig davon, ob sie vom Auftraggeber in der öffentlichen Ausschreibung vorgegeben wird, so dass es im vorliegendend Fall nicht darauf ankommt, ob die entsprechende Klausel in den Vertragsbedingungen der Beklagten den Anforderungen des § 9 AGBGB genügt. Die Ausschreibung der Beklagten zu den Demontagearbeiten ließ keinen Raum für Auslegungszweifel. Für jeden Fachmann musste sofort klar sein, dass die Demontageaufwendungen aus den Vorgaben der Ausschreibung nicht kalkulierbar waren. Es lag auf der Hand, dass die Beklagte die Risiken der Demontagearbeiten auf den Bieter verlagern wollte. Das sieht wohl auch die Klägerin nicht anders, sie will nur die Risikozuweisung nachträglich korrigieren, wofür es jedoch keine Rechtsgrundlage gibt. Ist eine private oder öffentliche Leistungsbeschreibung erkanntermaßen oder zumindest für den Fachmann ersichtlich unklar / risikoreich, darf der Bieter diese Lückenhaftigkeit nicht durch eigene für ihn günstige Kalkulationsannahmen ausfüllen. Tut er es dennoch, handelt er auf eigenes Risiko und kann später keine Mehrkosten beanspruchen, wenn sich seine Erwartungen als falsch erweisen. Ein etwaiger vom öffentlichen Auftraggeber begangener Verstoß gegen § 9 VOB/A wird durch das spätere Verhalten des Bieters kompensiert (Dähne, a.a.O.). Die streitgegenständliche Ausschreibung zur Demontage der Fenster legte den Bietern kein derart ungewöhnliches Wagnis auf, dass es der Beklagten nach der Rspr. des BGH (NJW 1994, 850/851) nach Treu und Glauben versagt wäre, sich auf die Risikoverlagerung auf den Bieter zu berufen. Sie bürdete den Bietern nur das gewöhnliche unternehmerische Wagnis auf, das die Bieter durch ihr vorauszusetzendes technisches, wirschaftliches und organisatorisches Können beeinflussen konnten. Durch Nachfrage und Besichtigung konnten sie den jeweils zu demontierenden Fenstertyp und die voraussichtlichen Kosten der Demontage mit zumutbarem Aufwand ermitteln. III. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97, 708 Nr.10, 711 ZPO. Es besteht kein Anlass, die Revision zuzulassen. Streitwert für die 2. Instanz: EUR 29.483,41

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