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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 11.09.2008
Aktenzeichen: I-24 U 64/08
Rechtsgebiete: BGB, KSchG


Vorschriften:

BGB § 611
BGB § 626
BGB § 675
BGB § 2780
KSchG § 1 Abs. 2
1. Die Kündigung des Arbeitgebers auf Grund verhaltensbedingter Leistungsstörungen des Arbeitsverhältnisses setzt regelmäßig eine Abmahnung voraus und kann nicht auf Abmahnungen wegen anderer Vertragsverletzungen gestützt werden.

2. Hat die entsprechende Kündigungsschutzklage aus Sicht des Regressrichters deshalb Aussicht auf Erfolg und versäumt der Rechtsanwalt schuldhaft die Berufungsbegründungsfrist, so ist sein Fehlverhalten schadensursächlich.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

24 U 64/08

In Sachen

Tenor:

Der Senat beabsichtigt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Den Beklagten wird Gelegenheit gegeben, hierzu binnen zwei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses Stellung zu nehmen.

Der auf den 14. Oktober 2008 avisierte Senatstermin findet nicht statt.

Gründe:

Die Berufung der Beklagten hat keine Aussicht auf Erfolg. Das landgerichtliche Urteil ist richtig und aus der Berufungsbegründung ergeben sich keine Gründe für die beantragte Abänderung.

I.

Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Beklagten den mit dem Kläger geschlossenen Anwaltsdienstvertrag (§§ 675, 611 ff. BGB) schuldhaft verletzt haben, indem sie die Berufungsbegründungsfrist in dem Berufungsverfahren vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf in dem Verfahren 16 Sa 1088/06 versäumten. Daraus haften sie dem Kläger auf Schadensersatz.

Die Beklagten stellen weder die Pflichtverletzung noch ihr Verschulden in Abrede. Sie vertreten indes die Ansicht, die Pflichtverletzung sei nicht kausal für den eingetretenen Schaden geworden, weil der Kläger den Prozess auch bei Wahrung der Berufungsbegründungsfrist verloren hätte, seine Kündigungsschutzklage mithin keinen Erfolg gehabt hätte. Dies hat das Landgericht unter Hinweis auf die unterlassene Abmahnung des Klägers durch seinen (vormaligen) Arbeitgeber zu Recht verneint und eine Haftung der Beklagten für die infolge der Niederlage beim Kläger eingetretenen Vermögensschäden angenommen.

1.

Die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist durch die Beklagten war kausal für die eingetretenen Schäden.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der der Senat folgt, muss das Regressgericht prüfen, wie nach seiner Auffassung der Vorprozess richtigerweise hätte entschieden werden müssen (BGHZ 36, 144 (154 f.); 72, 328 (330); 79, 223 (226); 124, 86 (96); 124, 86 (96); 133, 110; 174, 205 ff. = NJW 2008, 1309; NJW 2005, 3071 (3072); Zugehör/Fischer, Handbuch der Anwaltshaftung, 2. Auflage, Rn. 1066 mit weiteren Nachweisen). Welche rechtliche Beurteilung das mit dem Vorprozess befasste Gericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hätte, ist ohne Belang und vielfach gar nicht mehr festzustellen. Vielmehr ist allein die Sicht des Regressgerichts maßgeblich. Dies gilt selbst dann, wenn feststeht, welchen Ausgang das frühere Verfahren bei pflichtgemäßem Verhalten des Anwalts genommen hätte (BGHZ 174, 205 ff.; Zugehör/Fischer, a.a.O., Rn. 1063; Ganter NJW 1996, 1310).

Unter Heranziehung dieser Grundsätze ist davon auszugehen, dass der Kläger den Kündigungsschutzprozess gewonnen hätte. Denn die vom Arbeitgeber ausgesprochene verhaltensbedingte Kündigung vom 06. April 2006 war gemäß § 1 Abs. 2 KSchG nicht sozial gerechtfertigt und damit gemäß § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam. a.

Geht man mit dem Vorbringen der Beklagten davon aus, dass der Kläger in den Nächten vom 17. zum 18. Februar 2006 und vom 30. zum 31. März 2006 die von ihm zu leistende Nachtschicht vorzeitig ohne Kenntnis des Betriebsleiters beendet, das Betriebsgelände verlassen sowie es dabei unterlassen hat, die Stempeluhr zu betätigen, so begründet dieses Verhalten zwar eine nicht unerhebliche Pflichtverletzung des Arbeitsvertrages durch den Kläger und stellt einen objektiven Grund für die ausgesprochene Kündigung dar. Der Kläger hat damit rechtswidrig und schuldhaft eine Leistungsstörung verursacht, für die keine Rechtfertigungsgründe ersichtlich sind.

b.

Wird eine Kündigung jedoch auf verhaltensbedingte Leistungsstörungen gestützt, so kann von einer sozialen Rechtfertigung nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG nur dann ausgegangen werden, wenn zu Lasten des Arbeitnehmers auch eine negative Zukunftsprognose besteht (vgl. Küttner, Personalbuch 2008, 15. Auflage, "Kündigung, verhaltensbedingte" Rn. 1). Eine solche ist im zu entscheidenden Fall indes nicht anzustellen. Denn der Kläger hätte vor Ausspruch der Kündigung von seinem Arbeitgeber erfolglos abgemahnt werden müssen, was nicht erfolgt ist. Dies begründet die Rechtswidrigkeit der Kündigung und die Feststellung, dass der Kläger mit seiner Kündigungsschutzklage obsiegt hätte.

aa.

Das bei verhaltensbedingten Kündigungen anzuwendende Prognoseprinzip resultiert aus dem Zweck der Kündigung. Sie stellt keine Sanktion für eine begangene Vertragspflichtverletzung dar, sondern dient der Vermeidung des Risikos weiterer erheblicher Pflichtverletzungen. Die vergangene Pflichtverletzung muss sich deshalb noch in der Zukunft belastend auswirken (BAG NZA 2007, 922; NJW 2008, 1900 ff.). Eine negative Prognose liegt vor, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde auch zukünftig den Arbeitsvertrag nach einer Kündigungsandrohung erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen (vgl. nur BAG NJW 2008, 1900 ff. m.w.N.).

Deshalb setzt die Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine Abmahnung voraus. Diese dient der Objektivierung der negativen Prognose. Verletzt der Arbeitnehmer nach erfolgter Abmahnung erneut seine vertraglichen Pflichten, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (BAG NJW 2008, 1900 ff.; Küttner, a.a.O., Rn. 1). Das Abmahnerfordernis folgt für das Arbeitsverhältnis aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip (§ 314 Abs. 2 BGB; vgl. LAG Schleswig-Holstein NZA-RR 2007, 402 ff.; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 12. Auflage, § 132 Rn. 27).

bb.

Der Kläger indes wurde von seinem Arbeitgeber wegen des zweimaligen vorzeitigen Verlassens des Arbeitsplatzes nicht abgemahnt.

(1)

Soweit sich die Beklagten auf die Abmahnung vom 05. September 2005 berufen, bezieht sich diese auf die unterlassene Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nach erfolgter Krankmeldung. Dieses Verhalten stellt jedoch eine Verletzung von Nebenpflichten aus dem Arbeitsverhältnis dar, während sich die Kündigung des Klägers auf den Vorwurf von Leistungsstörungen stützt (vgl. hierzu Küttner, a.a.O., Rn. 3). Die Abmahnung vom 05. September 2005 betrifft somit keine identische, der Kündigung zugrunde liegenden Pflichtverletzung, weshalb zwischen der Abmahnung und den Kündigungsgründen der erforderliche innere Zusammenhang fehlt (vgl. hierzu BAG EzA BGB § 123 Nr. 36; NZA 1992, 1023; NJW 2008, 1900 ff.; Schaub, a.a.O., § 132 Rn. 23).

(2)

Auch die angebliche Anweisung des Zeugen S. von Januar 2006 stellte keine relevante Abmahnung dar. Abgesehen davon, dass sie keinen Fall der unerlaubten Entfernung vom Arbeitsplatz betraf, mangelte es ihr auch an der erforderlichen Form.

(3)

Die im Betrieb des Arbeitgebers allgemein aushängenden Hinweise stellen keine Abmahnung dar, selbst wenn sie für den Fall des Zuwiderhandelns die Kündigung des Arbeitsverhältnisses androhen. Dort wird auf die Verpflichtung hingewiesen, stets, also auch bei vorzeitigem Verlassen des Betriebes, zu stempeln. Denn die besondere Warn- und Hinweisfunktion wird nur erfüllt, wenn der Arbeitgeber gegenüber einem bestimmten Arbeitnehmer auf eine konkrete Vertragsverletzung reagiert und diese Pflichtwidrigkeit zum Anlass nimmt, diesen Arbeitnehmer an die Einhaltung der Vertragspflichten zu erinnern (Schaub, a.a.O., § 132 Rn. 18).

cc.

Die Abmahnung war auch nicht entbehrlich. Sie ist nur dann nicht erforderlich, wenn sie keinen Erfolg verspricht (BAG NZA 1994, 636; Küttner, a.a.O., "Abmahnung" Rn. 18), beispielsweise bei hartnäckigen oder groben, auf fehlende Einsicht des Arbeitnehmers hindeutenden uneinsichtigen bewussten Vertragsverletzungen, die sich über einen längeren Zeitraum hinziehen, wie beispielsweise ständige Verstöße gegen die Arbeitsverpflichtung (BAG NZA 1985, 125; Küttner, a.a.O., "Abmahnung" Rn. 18). Der Abmahnung bedarf es nur dann nicht, wenn der Arbeitnehmer von vorneherein zu erkennen gibt, dass ihn nur eine Kündigung von einem bestimmten Verhalten abbringen kann (BAG NZA 2006, 980; Küttner, a.a.O., "Abmahnung" Rn. 18). Dies wird bei besonders schwerwiegenden Pflichtverletzungen angenommen, deren Rechtswidrigkeit für den Arbeitnehmer ohne weiteres erkennbar und deren Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist (BAG NZA 2006, 980; 1999, 708 ff.; Küttner, a.a.O., "Abmahnung" Rn. 18). Hiervon ist nicht auszugehen, wenn der Arbeitnehmer unerlaubt den Arbeitplatz verlässt. In diesem Fall ist er grundsätzlich vor Ausspruch einer Kündigung abzumahnen (BAG NZA 1989, 361; 1987, 518; Schaub, a.a.O., § 132 Rn. 24). Gleiches gilt, wenn der Arbeitnehmer einen Kollegen mit dem Stempeln unrichtiger Arbeitszeiten beauftragt (vgl. BAG NZA 2006, 980). Damit ist das Verhalten des Klägers nicht vergleichbar.

(1)

Soweit sich die Beklagten darauf berufen, dass hier eine Störung im Vertrauensbereich vorliege, rechtfertigt auch dies keine abweichende Beurteilung. Es ist schon fraglich, ob hier von einer solchen Störung überhaupt ausgegangen werden kann. Sie wird regelmäßig bei Tätlichkeiten, Beleidigungen oder Vermögensdelikten bejaht (LAG Schleswig-Holstein NZA-RR 2006, 240 ff.; NZA-RR 2007, 402 ff.; vgl. auch Schaub, a.a.O., § 132 Rn. 28). Solches liegt hier nicht vor. Der Umstand, dass der Kläger an den fraglichen Tagen am Ende seiner Arbeitszeit nicht gestempelt hat, rechtfertigt nicht den Schluss auf ein strafrechtlich relevantes Verhalten. Der Arbeitgeber ist nicht durch eine falsche Eintragung getäuscht worden. Auch hat er sich nicht bei ihm wegen des Endes der Arbeitszeit erkundigt und dabei eine unrichtige Antwort erhalten. Vielmehr hat er allein den Betriebsleiter befragt bzw. das reguläre Schichtende als zutreffenden Zeitpunkt vermutet und sodann der Lohnabrechnung zugrunde gelegt. Der Kläger war in diese Ermittlungen jedoch nicht einbezogen. Insofern liegt der Fall auch anders als die von den Beklagten genannte Entscheidung des LAG Mecklenburg Vorpommern (Urteil vom 07. September 2007, Az. 3 Sa 94/07; vgl. zum Stempeluhrmissbrauch auch BAG NZA 2006, 980). Denn dort hatte der Arbeitnehmer durch einen Kollegen veranlasst, ein entsprechendes Zeichen auf der Zeiterfassungskarte das Ableisten einer bestimmten Arbeitszeit zu stempeln. Er hatte also manipulierend in den Zeiterfassungsprozess eingegriffen und durch sein eigenes Handeln einen entsprechenden Irrtum über den Umfang der Arbeitszeit bei Arbeitgeber hervorgerufen. Solches kann dem Kläger hier nicht vorgeworfen werden.

Selbst wenn man im zu entscheidenden Fall eine Störung im Vertrauensbereich bejaht, so ist grundsätzlich auch in solchen Fällen eine Abmahnung erforderlich. Denn derartige Störungen sind regelmäßig auf ein steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers zurückzuführen (BAGE 86, 95 (102); BAG ZTR 2002, 45 f.; LAG Schleswig-Holstein, NZA-RR 2006, 240 ff.). Lässt das bisherige vertragswidrige Fehlverhalten keine klare Negativprognose zu und kann deswegen von der Möglichkeit zukünftigen vertragsgerechten Verhaltens ausgegangen werden, so ist eine Abmahnung auch bei Verstößen im Vertrauensbereich unverzichtbar (BAG NZA 1985, 96 ff.; 2006, 1033 ff.; LAG Schleswig-Holstein NZW-RR 2007, 402 ff.). Hiervon muss zugunsten des Klägers ausgegangen und unterstellt werden, dass er mit einer Abmahnung sein Fehlverhalten eingesehen und beendet hätte. Er hatte bei dem Arbeitgeber seit 1998, also bis zur Kündigung fast sechs Jahre, gearbeitet und es ist nicht ersichtlich, dass während dieser Zeit Störungen im Leistungsbereich zu beklagen waren. Schon dies rechtfertigt die Prognose, dass sich der Kläger nach einer förmlichen Abmahnung in Zukunft vertragsgerecht verhalten hätte.

(2)

Im Übrigen hat der Arbeitgeber die Versäumnisse des Klägers offensichtlich selbst nicht als gravierend beurteilt; denn er hat keine fristlose Kündigung gemäß § 626 BGB ausgesprochen, sondern das Arbeitsverhältnis fristgerecht zum 30. Juni 2006 beendet.

Bei einer außerordentlichen Kündigung ist vielfach eine Abmahnung nicht erforderlich. Denn der Kündigungsgrund ist in derartigen Fällen oft so gewichtig, dass dem Arbeitgeber nicht nur die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses überhaupt, sondern darüber hinaus die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht einmal bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zuzumuten ist (Schaub, a.a.O., § 132 Rn. 26). Werden die Kündigungsgründe vom Arbeitgeber indes als nicht so schwerwiegend angesehen, so lässt dies den Schluss zu, dass ein die Abmahnung entbehrlich machender Ausnahmetatbestand nicht vorliegt.

cc.

Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, dass das Fehlverhalten des Klägers zu einer nennenswerten betrieblichen Störung geführt hat. Wie die Beklagten selbst vortragen, ist es erst nachträglich und zufällig aufgefallen, ohne erkennbaren Zusammenhang mit dem Betriebsablauf.

2.

Das Landgericht hat den beim Kläger eingetretenen Schaden, der sich aus dem Verdienstausfall in Höhe von EUR 10.385,08 und den vor den Arbeitsgerichten entstandenen Gerichtskosten über EUR 1.043,62 sowie den vorgerichtlich entstandenen Anwaltskosten über EUR 837,52 zusammensetzt, zutreffend ermittelt. Dagegen haben die Beklagten in der Berufungsbegründung Angriffe nicht erhoben. Weiterer Ausführungen hierzu bedarf es somit nicht.

II.

Die weiteren in § 522 Abs. 2 Ziffer 2 und 3 ZPO genannten Voraussetzungen liegen ebenfalls vor.

Der Senat weist darauf hin, dass die Rücknahme der Berufung vor Erlass einer Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO gemäß GKG KV 1222 S. 1, 2 kostenrechtlich privilegiert ist; statt vier fallen nur zwei Gerichtsgebühren an.

Düsseldorf, den 11. September 2008

Ende der Entscheidung

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