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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 23.11.2007
Aktenzeichen: I-3 W 125/07
Rechtsgebiete: EuGVÜ, CC, AVAG, BGB, ZPO


Vorschriften:

EuGVÜ Art. 27
EuGVÜ Art. 28
EuGVÜ Art. 34 Abs. 2
EuGVÜ Art. 46
EuGVÜ Art. 47
CC Art. 254
AVAG § 12 Abs. 1
AVAG § 14
BGB § 394 Satz 1
ZPO § 850 b Abs. 2
ZPO § 850 b Abs. 3
1. Die Entscheidung eines französischen Gerichts (hier: "Nichtversöhnungsbeschluss"), die eine Wertsicherungsklausel enthält, wonach die Unterhaltsleistungen jedes Jahr am 01. Januar variieren gemäß dem französischen Verbraucherpreisindex der städtischen Haushalte, deren Familienvorstand Arbeiter oder Angestellte sind - Serie ganz Frankreich - und der am 01. März 2000 gültige Bezugswert maßgeblich ist, ist hinreichend bestimmt und daher - soweit andere Umstände nicht entgegen stehen - für vollstreckbar zu erklären.

2. Eine im Exequaturverfahren mögliche Aufrechnung ist unzulässig, wenn die betreffenden Forderungen zwei verschiedenen Rechtsordnungen unterliegen (hier: Gläubigerforderung französischem Recht; Schuldnerforderung deutschem Recht) und sie nicht den Voraussetzungen beider Rechtsordnungen genügen (hier: Verbot der Aufrechnung gegen eine nach deutschem Sachrecht unpfändbare Unterhaltsforderung).


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

I-3 W 125/07

In dem Verfahren

auf Vollstreckbarerklärung einer ausländischen Entscheidung

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Vorsitzenden der 4. Zivilkammer des Landgerichts Kleve vom 23. April 2007 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht G. sowie der Richter am Oberlandesgericht von W. und D.

am 23. November 2007

beschlossen:

Tenor:

Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.

Der Antragstellerin wird mit Wirkung ab dem 27. Juni 2007 ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt und zur vorläufig unentgeltlichen Wahrnehmung der Rechte im Beschwerdeverfahren Rechtsanwalt V. aus Düsseldorf beigeordnet.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin beabsichtigt, aus dem Nichtversöhnungsbeschluss des Tribunal de Grande Instance de Nancy vom 10. März 2000 im Verfahren Nr. 9905627 gegen den Antragsgegner in Deutschland zu vollstrecken. Auf ihr Gesuch hat der Vorsitzende der 4. Zivilkammer des Landgerichts Kleve mit Beschluss vom 23. April 2007 angeordnet, die genannte Entscheidung mit der Vollstreckungsklausel zu versehen. Gegen diesen ihm am 12. Mai 2007 zugestellten Beschluss wendet sich der Antragsgegner mit seiner am 5. Juni 2007 eingegangenen Beschwerde. Zu deren Begründung macht er im wesentlichen geltend:

Der Vollstreckungstitel sei durch ein Urteil des Großinstanzgerichts Nancy vom 16. Mai 2003 aufgehoben worden. Darüber hinaus sei das vorliegende Verfahren auszusetzen, bis über die gegen das vorbezeichnete Urteil eingelegte Berufung entschieden sei. Was den titulierten Unterhaltsanspruch für das Kind anbelange, so sei dieser - was unstreitig sei - jederzeit gezahlt worden und werde das vorliegende Verfahren von den Anwälten der Antragstellerin vollmachtlos betrieben. Schließlich stünden ihm, dem Antragsgegner, weitestgehend titulierte, im übrigen unstreitige Gegenansprüche gegen die Antragstellerin zu, mit denen er die Aufrechnung erklärt habe und erkläre.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akte Bezug genommen.

II.

Die innerhalb eines Monats nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung des Landgerichts Kleve eingegangene Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig (Artt. 36 Abs. 1, 37 Abs. 1 EuGVÜ, § 11 Abs. 1 u. 3 AVAG). Sie ist jedoch nicht begründet.

Auf das vorliegende Verfahren sind die Vorschriften des 2. Abschnitts des Titels III. des Brüsseler Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ), das 1973 für die damaligen Mitgliedstaaten der EG und damit sowohl für die Bundesrepublik Deutschland als auch für Frankreich in Kraft trat, sowie die Vorschriften des AVAG (gem. dem dortigen § 1 Abs. 1 Nr. 1 a) anwendbar.

Da hier die EuGVVO aus zeitlichen Gründen keine Anwendung findet (Artt. 66 Abs. 1, 76 EuGVVO), hatte die Antragstellerin die Wahl zwischen den Vorschriften des Haager Übereinkommens und dem EuGVÜ. Sie hat die Wahl nicht ausdrücklich, wohl aber zwischenzeitlich in schlüssiger Form ausgeübt. Das Landgericht ist - da es ohne Nachreichung einer weiteren Unterlage durch die Antragstellerin entschieden hat - erkennbar von der Anwendung des EuGVÜ ausgegangen. Im Beschwerdeverfahren gründet die Antragstellerin ihre Darlegungen ausschließlich auf Vorschriften des EuGVÜ und der EuGVVO. Damit hat sie sich in schlüssiger Form den Standpunkt des Landgerichts zu eigen gemacht und ihr Wahlrecht nunmehr im Sinne der Anwendbarkeit der Vorschriften des EuGVÜ ausgeübt.

Indem durch den angegriffenen Beschluss angeordnet worden ist, das Versäumnisurteil mit der Vollstreckungsklausel zu versehen, ist dieses nach §§ 4 Abs. 1, 8 Abs. 1 Satz 1, 9 AVAG für vollstreckbar erklärt worden. Die Rechtmäßigkeit dieser Vollstreckbarerklärung beurteilt sich nach den Vorschriften der Artt. 31 ff. EuGVÜ.

1.

Gemäß Art. 31 Abs. 1 EuGVÜ werden die in einem Vertragsstaat ergangenen Entscheidungen, die in diesem Staat vollstreckbar sind, in einem anderen Vertragsstaat vollstreckt, wenn sie dort auf Antrag eines Berechtigten für vollstreckbar erklärt worden sind. Der Nichtversöhnungsbeschluss des Großinstanzgerichts Nancy ist - noch immer - vollstreckbar.

a)

Er ist hinreichend bestimmt und damit vollstreckungsfähig.

Zwar bildet für die angestrebte Zwangsvollstreckung im Inland nicht die ausländische Entscheidung, sondern der Beschluss über deren Vollstreckbarerklärung den maßgeblichen Titel, so dass letzterer den an die Bestimmtheit von Inhalt und Umfang der Leistungspflicht für eine Zwangsvollstreckung im Inland zu stellenden Anforderungen gerecht werden muss, weshalb eine zusätzliche Konkretisierung der ausländischen Entscheidung durch Auslegung geboten sein kann; diese ist im Klauselerteilungsverfahren vorzunehmen und kann nicht dem später tätig werdenden Vollstreckungsorgan überlassen werden (Senat, Beschluss vom 9. Januar 2004 in Sachen I-3 W 353/03 m.w. Nachw., auch zur höchstrichterlichen Rechtsprechung). Jedoch ist ein Vollstreckungstitel regelmäßig als hinreichend bestimmt anzusehen, wenn er eine Wertsicherungsklausel enthält, die einen vom Statistischen Bundesamt erstellten Preisindex für die Lebenshaltungskosten in Bezug nimmt (BGH NJW-RR 2005, S. 366 f.).

Im vorliegenden Fall lautet die im Titel enthaltene Wertsicherungsklausel dahin, dass die Unterhaltszahlungen jedes Jahr am 1. Januar variieren gemäß dem französischen Verbraucherpreisindex der städtischen Haushalte, deren Familienvorsteher Arbeiter oder Angestellte sind - Serie ganz Frankreich -; darüber hinaus enthält der Nichtversöhnungsbeschluss die Ausführung, der maßgebliche Bezugswert sei der am 1. März 2000 gültige. Damit lässt sich hier der geschuldete Geldbetrag ebenfalls aus für das Vollstreckungsorgan zugänglichen Quellen bestimmen. Dass diese Quellen, anders als ein vom Statistischen Bundesamt erstellter Index, in Frankreich veröffentlicht werden, kann unter den heutigen Bedingungen der Zugänglichkeit per Internet (dazu auch BGH a.a.O.) keine Rolle spielen.

b)

Der Nichtversöhnungsbeschluss ist auch immer noch vollstreckbar. Die Antragstellerin hat in der Beschwerdeerwiderung unter Hinweis auf Art. 254 CC im einzelnen aufgezeigt, dass er durch das noch nicht rechtskräftige Scheidungsurteil vom 16. Mai 2003 nicht aufgehoben ist. Dem hat der Antragsgegner nicht in tauglicher Weise widersprochen. Denn es kommt weder darauf an, ob es sich bei dem zum Nichtversöhnungsbeschluss führenden und dem Scheidungsverfahren um formal getrennte Verfahren handelt oder nicht, noch spielt es im vorliegenden Zusammenhang eine Rolle, welche Auswirkungen ein - bis jetzt eben nicht vorliegendes - rechtskräftiges Scheidungsurteil hätte.

An dieser Lage hat sich durch den nach Behauptung des Antragsgegners für den 19. November 2007 anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren gegen das Scheidungsurteil vom 16. Mai 2003 feststellbar nichts geändert. Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 14. November 2007 angekündigt, das Ergebnis des Termins, das seiner Ansicht nach in einer unmittelbaren Entscheidung über die Zuständigkeit der französischen Gerichtsbarkeit bestehen werde, unverzüglich aktenkundig zu machen; dies ist nicht geschehen.

2.

Nach Art. 46 EuGVÜ hat die Partei, die die Vollstreckbarerklärung beantragt, eine Ausfertigung der Entscheidung vorzulegen, die die für ihre Beweiskraft erforderlichen Voraussetzungen erfüllt, außerdem Urkunden nach Art. 47 EuGVÜ. Diese Förmlichkeiten sind, wie vom Landgericht zutreffend festgestellt und auch vom Antragsgegner als solches nicht bezweifelt, hier erfüllt.

3.

Sodann darf die Vollstreckbarerklärung vom Senat als Rechtsmittelgericht gemäß Art. 34 Abs. 2 EuGVÜ nur aus einem der in den Artikeln 27 und 28 EuGVÜ angeführten Gründe abgelehnt werden. Für einen in Art. 27 EuGVÜ genannten Grund fehlt jeder Anhaltspunkt. Art. 28 EuGVÜ bezieht sich zwar unter anderem auf die Verletzung von Zuständigkeitsvorschriften, jedoch nur in Versicherungssachen, Verbrauchersachen und im Falle ausschließlicher Zuständigkeiten, worum es im Streitfall nicht geht.

4.

Auch die weiteren, die Zulässigkeit und die Begründetheit des Antrags der Antragstellerin betreffenden Einwände des Antragsgegners greifen nicht durch.

a)

Der Antrag der Antragstellerin ist auch insoweit zulässig, als der Kindesunterhalt betroffen ist. Der Titel berechtigt, wie sich auch der Verpflichtung zur Zahlung beider Unterhaltsleistungen an den Wohnsitz der Antragstellerin entnehmen lässt, die Antragstellerin, auch den Kindesunterhalt im eigenen Namen zu fordern und beizutreiben. Eine ordnungsgemäße Vollmacht der Antragstellerin für ihre Verfahrensbevollmächtigten jedoch ist nachgewiesen. Ebenso besteht für ihren Klauselerteilungsantrag auch angesichts dessen ein Rechtsschutzbedürfnis, das der Antragsgegner in der Vergangenheit den Kindesunterhalt immer gezahlt hat, denn dies erlaubt keine sichere Prognose auf sein Verhalten in der Zukunft, insbesondere wenn die Antragstellerin künftig wegen ihres eigenen Unterhalts zur Vollstreckung übergeht.

b)

Das vorliegende Verfahren ist auch nicht gemäß Art. 38 Abs. 1 EuGVÜ auszusetzen. Nach dieser Vorschrift kann eine Aussetzung stattfinden, wenn gegen die Entscheidung im Ursprungsstaat ein ordentlicher Rechtsbehelf eingelegt ist. Bei der Aussetzung darf aber das deutsche Gericht nur Gründe berücksichtigen, die der Schuldner vor dem Gericht des Ursprungsstaates noch nicht geltend machen konnte (OLG Frankfurt NJW-RR 2005, S. 1375; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 6. Aufl. 1998, Art. 31 EuGVÜ Rn. 5 sowie 8. Aufl., Art. 46 EuGVVO Rn. 5). Hier konnte der Antragsgegner mit seinem gegen das Scheidungsurteil eingelegten Rechtsbehelf die angeblich jeweils unzutreffende Annahme der Zuständigkeit französischer Familiengerichte und französischen Sachrechts geltend machen, und nach seinem eigenen Vortrag hat er dies auch getan. Auf eben diese Gründe stützt er aber auch sein Aussetzungsbegehren.

c)

Was die Aufrechnung des Antragsgegners mit verschiedenen Gegenforderungen anbelangt, mag zu seinen Gunsten unterstellt werden, dass er diese Einwendung gemäß § 12 Abs. 1 AVAG im vorliegenden Beschwerdeverfahren erheben kann und insoweit nicht auf die Vollstreckungsgegenklage nach § 14 AVAG verwiesen ist (vgl. hierzu BGH FamRZ 2007, S. 989 ff.).

Jedenfalls ist die von ihm erklärte Aufrechnung unzulässig.

Eine Aufrechnung von Forderungen, die zwei verschiedenen Rechtsordnungen unterliegen, - wie im vorliegenden Fall die Ansprüche der Antragstellerin der französischen, diejenigen des Antragsgegners der deutschen Rechtsordnung - kann nur stattfinden, wenn sie den Voraussetzungen beider Rechtsordnungen genügt; denn sie führt ja zum Erlöschen beider Forderungen (EuGH JZ 2004, S. 87 ff.).

Nach deutschem Sachrecht ist gemäß § 394 S. 1 BGB eine Aufrechnung gegen eine unpfändbare Forderung nicht möglich. Ein Unterhaltsanspruch ist nach § 850 b Abs. 1 ZPO so lange unpfändbar, wie nicht das Vollstreckungsgericht eine positive Entscheidung über ihre Pfändbarkeit nach § 850 b Abs. 2 und 3 ZPO getroffen hat. Letzteres ist hier nicht der Fall.

Im übrigen hat die Antragstellerin mit Schriftsätzen vom 18. und 26. Oktober 2007 im einzelnen dargelegt, dass die französische Rechtsordnung ebenfalls von einer Unpfändbarkeit von Unterhaltsansprüchen und einer daraus fehlenden Aufrechenbarkeit gegen diese ausgeht; dem ist der Antragsgegner nur durch ein pauschales Bestreiten der Richtigkeit dieser Angaben entgegengetreten.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Eine Wertfestsetzung ist für die Gerichtskosten nicht veranlasst, weil für das vorliegende Rechtsmittelverfahren eine Festgebühr erhoben wird (KV 1520 Anl. 1 zu § 3 Abs. 2 GKG).

Auf den zulässigen Antrag des beigeordneten Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin wird der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren auf bis 30.000 € festgesetzt. Bereits das Landgericht hat diese Festsetzung zutreffend begründet; in einem Verfahren auf Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Titels sind Rückstände aus der Zeit zwischen Erlass des Titels und dem Beginn des Verfahrens auf Vollstreckbarerklärung dem Jahresbetrag nicht hinzuzurechnen (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 24. Januar 1990 in Sachen 2 WF 11/90, zitiert nach juris).

Ende der Entscheidung

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