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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 13.06.2006
Aktenzeichen: I-3 Wx 140/06
Rechtsgebiete: AufenthG, FEVG, FGG


Vorschriften:

AufenthG § 57 Abs. 3
AufenthG § 62 Abs. 2
AufenthG § 62 Abs. 2 Nr. 1
AufenthG § 62 Abs. 2 Nr. 5
FEVG § 5
FEVG § 6 Abs. 2
FEVG § 7 Abs. 1
FEVG § 16 Satz 1
FGG § 13 a
FGG § 13 a Abs. 1
FGG § 13 a Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Der angefochtene Beschluss und die Haftanordnung des Amtsgerichts vom 23. Mai 2006 werden aufgehoben.

Das Gesuch des Antragstellers auf Anordnung der Sicherungshaft für drei Monate wird zurückgewiesen.

Der Betroffene ist sofort aus der Haft zu entlassen.

Der Antragsteller hat dem Betroffenen die im Verfahren der sofortigen und der sofortigen weiteren Beschwerde entstandenen notwendigen außergerichtliche Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Betroffene reiste am 16.02.1991 erstmals nach Deutschland ein. Er stellte einen Asylantrag, der am 18.12.1992 rechtskräftig abgelehnt wurde. Nach eigenen Angaben reiste der Betroffene sodann freiwillig nach Kinshasa und von dort aus nach Belgien ein, wo er einen Asylantrag stellte, diesen später aber wieder zurücknahm. Er hat mit seiner Ehefrau in Belgien 3 gemeinsame Kinder und wird dort unter dem Namen F., geboren X1965 in Kingshasa/Kongo, geduldet.

Am 22.05.2006 wurde der Betroffene von der Polizei in einer Wohnung in Wuppertal angetroffen. Er gab hierbei falsche Personalien an und legte eine belgische ID-Karte, ausgestellt auf den Namen M. vor. Es wurde festgestellt, dass der Betroffene bereits im März 2006 in Siegburg Papiere auf diesen Namen vorgelegt hatte und gegen ihn wegen des Verdachts eines Kontoeröffnungsbetrugs ermittelt wird. Bei seiner polizeilichen Vernehmung am 23.05.2006 gab der Betroffene an, er habe schon am Tag zuvor wieder nach Belgien zurückfahren wollen. Er hatte 200,00 € bei sich, die von der Polizei im Rahmen des eingeleiteten Strafverfahrens sichergestellt wurden.

Der Antragsteller hat am 23.05.2006 den Erlass eines Haftbefehls beantragt und zur Begründung ausgeführt, es lägen die Haftgründe des § 62 Abs. 2 Nr. 1 und 5 AufenthG vor; ob der Betroffene in Belgien ein Aufenthaltsrecht besitze werde derzeit noch überprüft.

Das Amtsgericht hat nach Anhörung des Betroffenen mit Beschluss vom 23.05.2006 antragsgemäß Sicherungshaft für höchstens 3 Monate angeordnet.

Hiergegen hat der Betroffen sofortige Beschwerde eingelegt, die vom Landgericht zurückgewiesen worden ist.

Nach einem vom zuständigen Sachbearbeiter des Antragstellers gefertigten Aktenvermerk vom 24.05.2006 ergab eine Anfrage am selben Tag bei der belgischen Liaisonbeamtin beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, dass der Betroffene - wie dargelegt - mit seiner Ehefrau und den gemeinsamen Kindern in Belgien lebe und dort geduldet werde.

Gegen den Beschluss des Landgerichts hat der Betroffene sofortige weitere Beschwerde eingelegt.

Er macht geltend, die Haftanordnung sei unverhältnismäßig, weil er freiwillig nach Belgien zurückkehren wolle.

Der Antragsteller tritt dem entgegen und trägt vor:

Der Betroffene sei bereits im Januar 2006 im Ausland aufgegriffen und im DÜ-Verfahren nach Belgien überstellt worden, dem Betroffenen sei also bekannt gewesen, dass er Belgien nicht verlassen dürfe. Eine freiwillige Ausreise nach Belgien sei dem Betroffenen nicht möglich, da er weder im Besitz eines gültigen Reisedokuments sei noch über finanzielle Mittel verfüge. Der Betroffene sei mehrfach mit unterschiedlichen Personalien im Bundesgebiet aufgegriffen worden und habe durch sein Verhalten gezeigt, dass er nicht bereit sei, sich der staatlichen Rechtsordnung zu unterwerfen. Aufgrund der vorliegenden Tatsachen habe man einer freiwilligen Ausreise nicht zustimmen können. Die Überstellung nach Belgien sei für den 14.06.2006 vorgesehen.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Das gemäß §§ 5, 6 Abs. 2, 7 Abs. 1 FEVG zulässige Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg, denn die angefochtene Entscheidung beruht auf einer Rechtsverletzung (§§ 27 FGG, 546 ZPO).

1. Die Kammer hat zur Begründung ihrer Entscheidung ausgeführt:

Die Haftgründe des § 62 Abs. 2 Nr. 1 und 5 AufenthG lägen vor. Der Betroffene sei aufgrund einer unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig. Ferner bestehe der begründete Verdacht, dass der Betroffene sich der Abschiebung entziehen wolle. Er sei bereits im März diesen Jahres mit den Alias-Personalien in Siegburg auffällig geworden. Aus dem Umstand, dass er sich offensichtlich öfter illegal und unter falschem Namen in der Bundesrepublik aufhalte, ergebe sich die gerechtfertigte Befürchtung eines Untertauchens im Bundesgebiet. Soweit er geltend mache, sich berechtigt in Belgien aufzuhalten, stehe dies der Anordnung der Sicherungshaft nicht entgegen. Ein Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet bestehe nicht. Unerheblich sei, dass, wie der Antragsteller nach Einholung einer Auskunft der belgischen Behörden mitgeteilt habe, der Betroffene zur Zeit in Belgien geduldet werde. Die Anordnung der Sicherungshaft erscheine auch nicht unverhältnismäßig.

2. Diese Ausführungen halten der dem Senat obliegenden rechtlichen Überprüfung nicht stand.

Die Aufrechterhaltung der Sicherungshaft über den 24.05.2006 hinaus ist unverhältnismäßig und damit rechtswidrig.

a) Hierbei ist davon auszugehen, dass das Landgericht die gegen den Betroffenen angeordnete Haft als Zurückschiebungshaft gemäß §§ 57 Abs. 3, 62 Abs. 2 AufenthG aufrechterhalten hat. Denn während bei Erlass des Haftbefehls durch das Amtsgericht noch nicht feststand, ob der Betroffene zur Sicherung der Abschiebung nach Angola oder aber zur Sicherung der Zurückschiebung nach Belgien in Haft zu nehmen sei, war nach den zwischenzeitlich durchgeführten Ermittlungen, wie sie im landgerichtlichen Beschluss wiedergegeben sind, bei Erlass der Beschwerdeentscheidung klar, dass durch die Haft eine Rückführung des Betroffenen nach Belgien gesichert werden sollte.

b) Eine solche Haft darf nicht angeordnet werden, wenn der Betroffene freiwillig und auf direktem Weg in das Land ausreisen will, in das er zurückgeschoben werden soll. Denn durch die Zurückschiebungshaft soll nur sichergestellt werden, dass der Betroffene Deutschland verlässt und in das Land zurückkehrt, in das er zurückgeschoben werden soll. Dieses Ziel wird ohne Haft erreicht, wenn der Betroffene freiwillig in dieses Land ausreisen will und kann (vgl. OLGR Schleswig 2006, 142). Das entspricht dem allgemeinen Grundsatz, dass eine Haftanordnung nicht allein aufgrund der Erfüllung der formalen Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 erfolgen darf, sondern stets auch das verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgebot zu beachten ist (vgl. Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl., § 62 AufenthG Rn. 11, mN.). Dieses aber ist verletzt, wenn der Betroffen zeitnah freiwillig ausreisen will und nicht festgestellt werden kann, dass ihm dies nicht möglich ist (vgl. Senat, Beschluss vom 03.03.2006 - I-3 Wx 47/06, unveröffentl).

c) Das ist vorliegend der Fall.

Aufgrund der von dem Antragsteller am 24.05.2006 erworbenen Erkenntnisse, wie sie sich aus dem Aktenvermerk vom selben Tag ergeben, stand fest, dass die Angaben des Betroffenen, er lebe mit seiner Ehefrau und gemeinsamen Kindern in Belgien zutrafen. Danach war Belgien auch zur Übernahme des Betroffenen nach der nach der VO (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (Dublin II, Amtsblatt der EU vom 25. Februar 2003 L 50/1 ) bereit, so dass hier offen bleiben kann, ob eine Übernahmeverpflichtung tatsächlich besteht, obwohl der Betroffene seinen Asylantrag in Belgien zurückgenommen hat und dort keinen Aufenthaltstitel besitzt, sondern nur geduldet wird. Es ist davon auszugehen, dass der Betroffene aufgrund seiner engen familiären Bindung und der Möglichkeit des legalen Aufenthalts dort, nach Belgien zurückgekehrt wäre. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass er nach seiner Ergreifung und der Sicherstellung der mitgeführten falschen Papiere, illegal in Deutschland bleiben wollte, bestehen nicht. Die Tatsache, dass er schon früher illegal nach Deutschland eingereist war, reicht für eine solche Annahme nicht aus.

Dass der Betroffene über kein gültiges Reisedokument verfügte und nach der Sicherstellung der mitgeführten 200,00 EUR eine Rückreise auch nicht mehr finanzieren konnte, rechtfertigt die Haft nach den zuvor dargestellten Grundsätzen ebenfalls nicht. Trotz dieser Umstände wäre eine Rückreise des Betroffenen auch ohne vorherige Inhaftierung ohne weiteres möglich gewesen. Dem Betroffenen hätte der Antragsteller zunächst Gelegenheit geben müssen, sich das für eine Rückfahrt notwendige Geld zu besorgen. Mangels anderer Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass er zumindest über seine Ehefrau die notwendigen Mittel rasch erhalten hätte. Vor einer Inhaftierung als dem letzten Mittel zur Sicherung der Ausreise wäre der Antragsteller möglicherweise auch verpflichtet gewesen, dem Betroffenen eine Bahnkarte vorzufinanzieren, was nicht nur den Betroffenen, sondern auch die öffentlichen Kassen wesentlich weniger beeinträchtigt hätte, als eine nahezu 3-wöchige Haft. Dass der Betroffene über keine Reisedokumente verfügte, stand einer freiwilligen Ausreise ebenfalls nicht entgegen. Hier hätte, wie dies jetzt auch bei der Zurückschiebung aus der Haft heraus geschehen sollte, mit den belgischen Behörden ein Übernahmetermin an der Grenze vereinbart werden können, zu dem der Betroffene dann freiwillig erschienen wäre.

III.

Die Auslagenentscheidung beruht auf § 13 a Abs. 1 Satz 1 FGG.

Eine Überbürdung der dem Betroffenen entstandenen außergerichtlichen Kosten auf die Gebietskörperschaft, der die Ausländerbehörde angehört entsprechend § 16 Satz 1 FEVG kommt nicht in Betracht, da dessen Voraussetzungen nicht gegeben sind. Das Verfahren hat nämlich nicht ergeben, dass ein begründeter Anlass zur Stellung des Antrags auf Anordnung von Sicherungshaft nicht vorlag. Erst durch die zeitnahe Überprüfung der Angaben des Betroffenen durch den Antragsteller am 24.05.2006 stand fest, dass dessen Angaben zu seinen familiären Bindungen und seiner Duldung in Belgien zutreffend waren. Nur dadurch entfiel die zuvor aufgrund des Verhaltens des Betroffenen berechtigte Befürchtung, dass er in Deutschland untertauchen und sich der Zurückschiebung entziehen bzw. nicht freiwillig ausreisen würde.

Auch wenn die genannte Vorschrift die Erstattung außergerichtlicher Auslagen im Freiheitsentziehungsverfahren in Abweichung von § 13 a FGG regelt, schließt sie eine Kostenerstattung aufgrund dieser Vorschrift nicht vollständig aus. Der Regelungsgehalt des § 16 Satz 1 FEVG erfasst nicht die Fälle, in denen eine Haftanordnung zwar zunächst geboten war, später aber Umstände eingetreten sind, die eine Aufhebung der Anordnung rechtfertigen und deshalb der Betroffene mit seinem Rechtsmittel Erfolg hat. Hier greift die Regelung des § 13 a Abs. 1 FGG zugunsten des zeitweise zu Unrecht Inhaftierten. Dadurch wird die Ausländerbehörde nicht unbillig betroffen, weil sie es in der Hand hatte, rechtzeitig auf die Aufhebung der Haftanordnung hinzuwirken (vgl. Senat FGPrax 2004, 141, m.w.N.).

Auf dieser Grundlage entspricht es der Billigkeit, dass der Antragsteller die Auslagen im Beschwerdeverfahren und im Rechtsbeschwerdeverfahren erstattet, weil ab dem 24.05.2006 die Haft rechtswidrig war und deshalb schon das Landgericht die Haftanordnung hätte aufheben müssen.

Ende der Entscheidung

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