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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 24.10.2007
Aktenzeichen: I-3 Wx 226/07
Rechtsgebiete: AufenthG, FrhEntzG, FGG


Vorschriften:

AufenthG § 60 Abs. 7 Satz 1
AufenthG § 62 Abs. 2 Nr. 1
AufenthG § 62 Abs. 2 Nr. 5
FrhEntzG § 3
FrhEntzG § 5
FrhEntzG § 5 Abs. 1
FrhEntzG § 5 Abs. 1 Satz 1
FrhEntzG § 11
FGG § 12
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen vom 16. Oktober 2007 wird der Beschluss der 18. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 01. Oktober 2007 - 18 T 59/07 - aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Verfahrens der sofortigen weiteren Beschwerde - an das Landgericht Düsseldorf zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Der Betroffene wurde am 30. August 2007 im Rahmen einer Gaststättenkontrolle des Hauptzollamtes Düsseldorf überprüft. Er wies sich mit einer laminierten Kopie eines nigerianischen Passes in der Größe einer Bankkarte, ausgestellt auf den Namen S., geboren am X1970 in Abeokuta, und einer entsprechenden Aufenthaltsgenehmigung aus. Er führte Monatstickets des VRR für die Monate April, Juli und August 2007 bei sich.

Bei seiner Vernehmung durch das Hauptzollamt gab er diese Personalien an und wollte keine weiteren Angaben machen, sondern sich mit einem Rechtsanwalt beraten.

Bei seiner Anhörung vor dem Amtsgericht am 31. Aug. 2007 (das Protokoll trägt wohl irrtümlich das Datum vom 31. Juli 2007) teilte ihm der Amtsrichter mit, dass Rechtsanwalt M. ihn vertreten wolle, jedoch wegen eines anderweitigen Gerichtstermins nicht an der Anhörung teilnehmen könne. Der Betroffene erklärte dazu, er wolle zunächst mit Rechtsanwalt M. sprechen, bevor er Angaben mache.

Mit Beschluss vom 31. August 2007 ordnete das Amtsgericht an, dass der Betroffene zur Sicherung seiner Abschiebung für die Höchstdauer von drei Monaten in Haft zu nehmen sei, und ordnete zugleich die sofortige Wirksamkeit seiner Entscheidung an.

Mit Schriftsatz vom 11. September 2007 legte der jetzige Verfahrensbevollmächtigte für den Betroffenen sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts ein. Er sei am 02. September 2007 mit der Vertretung beauftragt worden und habe am 06. September 2007 bei der ZAB Düsseldorf vorsorglich Asyl beantragt. Er machte weiter geltend, im Hinblick auf die menschenunwürdigen und katastrophalen Zustände in Simbabwe würde eine Abschiebung den Betroffenen extremer Gefahr für Leib und Leben aussetzen. Es liege das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.

Der Antragsteller vermutete, der Betroffene habe nur Asyl beantragt, weil er seine Abschiebung verzögern wolle. Denn er habe weder bei seiner Festnahme, noch bei seiner Anhörung vor dem Amtsgericht erklärte, dass er in seinem Heimatland verfolgt werde und einen Asylantrag stellen wolle.

Das BAMF wies den Asylantrag des Betroffenen mit Bescheid vom 26. September 2007 als offensichtlich unbegründet zurück und forderte ihn auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen.

Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss die sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Der Betroffene habe den Haftgrund des § 62 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG verwirklicht. Weil er sich mit der Kopie des nigerianischen Passes ausgewiesen habe, bestehe außerdem der begründete Verdacht, dass er sich der Abschiebung durch Untertauchen entziehen werde, wenn er auf freien Fuß kommen würde, § 62 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG.

Von der erneuten mündlichen Anhörung habe die Kammer abgesehen, weil neue tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte gegenüber der ersten Instanz, die eine weitere Sachaufklärung nahe legen würden, sich nicht ergeben hätten.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Betroffene mit der sofortigen weiteren Beschwerde. Er macht weiterhin geltend, dass eine Abschiebung nach Simbabwe in der derzeitigen Situation des Landes keinem Menschen zumutbar sei. Er habe gegen den ablehnenden Asylbescheid fristgerecht Klage erhoben und die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung beantragt.

Der Antragsteller weist in seiner Stellungnahme u.a. darauf hin, dass die Botschaft von Simbabwe nach einem Telefonat mit dem Betroffenen mitgeteilt habe, dass er nicht simbabwischer Staatsangehöriger sei.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde ist zulässig und führt in der Sache zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung an das Landgericht.

Das Recht des Betroffenen auf eine ordnungsgemäße Anhörung ist nicht gewahrt.

Die mündliche Anhörung des Betroffenen durch einen Richter gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 FrhEntzG zählt zu den Verfahrensgarantien, die Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG fordert und mit grundrechtlichem Schutz versieht (vgl. BVerfG NVwZ-Beil. 1996, 49).

Die nach § 5 Abs. 1 FrhEntzG gebotene Anhörung dient der richterlichen Sachaufklärung, wenn sie sich darin auch nicht erschöpft. Das Unterlassen der mündlichen Anhörung stellt mithin auch eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht dar, § 12 FGG i.V.m. § 3 FrhEntzG. Der Richter darf sich bei der Anordnung von Freiheitsentziehungen nicht auf die Prüfung der Plausibilität der von der antragstellenden Behörde vorgetragenen Gründe für die Sicherungshaft beschränken, sondern muss eigenverantwortlich die Tatsachen feststellen, die eine Freiheitsentziehung rechtfertigen. Hierfür ist die persönliche Anhörung des Betroffenen ein geeignetes Mittel (BVerfG a.a.O. m.N.).

Findet keine mündliche Anhörung statt, so ist dies nicht nachträglich mit Wirkung für die Vergangenheit heilbar (vgl. BVerfG a.a.O.), weil die persönliche Anhörung des Betroffenen ein Kernstück der Amtsermittlungspflicht ist, die als ein bedeutender Verfahrensgrundsatz bei Freiheitsentziehungen unter grundrechtlichem Schutz steht. Auch das Freiheitsentziehungsgesetz geht erkennbar davon aus, dass eine umfassende nachträgliche Heilung eines solchen Verfahrensverstoßes nicht zulässig ist, indem es eine nachträgliche Anhörung nur unter den engen Voraussetzungen des § 11 FrhEntzG zulässt (BVerfG a.a.O.). Verstößt der Richter gegen das Gebot vorheriger mündlicher Anhörung, so drückt dieses Unterlassen der gleichwohl angeordneten Freiheitsentziehung den Makel rechtswidriger Freiheitsentziehung auf, der durch Nachholen der Maßnahme rückwirkend nicht mehr zu tilgen ist (BVerfG NJW 1982, 691, 692; vgl. auch OLG Celle, Beschluss vom 26. Juli 2007 - 22 W(x) 32/07, zitiert nach Melchior, Abschiebungshaft - Internetkommentar; OLG Frankfurt NJW 1985, 1294; auch Pentz, NJW 1990, 2777, 2781).

Unterbleibt die gesetzlich vorgeschriebene mündliche Anhörung, ist allerdings dem Rechtsbeschwerdegericht eine eigene Sachentscheidung über den Haftantrag verwehrt, weil es die erforderliche mündliche Anhörung des Betroffenen nicht nachholen kann (vgl. BayObLG NJW 1997, 1713). Grundsätzlich wäre daher in einem solchen Fall die (amtsgerichtliche) Haftanordnung aufzuheben (BayObLGZ 1999, 12; vgl. auch Melchior, Rundbrief 13/2007 - Internetkommentar Abschiebungshaft) und zu prüfen, ob die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. § 11 FrhEntzG vorliegen (vgl. BayObLG NJW 1997, 1713).

Hier ist eine Anhörung des Betroffenen allerdings nicht gänzlich unterblieben. Jedoch war die Anhörung durch das Amtsgericht fehlerhaft, weil es den Betroffenen in Abwesenheit von Rechtsanwalt M. angehört hat, obwohl der Betroffene ausdrücklich erklärt hatte, er wolle zunächst diesen Rechtsanwalt sprechen, bevor er Angaben mache.

Im Abschiebungshaftverfahren ist dem Betroffenen die Möglichkeit einzuräumen, rechtlichen Rat einzuholen (OLGR Rostock 2006, 502 m.N.). Wenn der Betroffene durch einen Verfahrensbevollmächtigten vertreten wird, so ist diesem grundsätzlich Gelegenheit zu geben, an der Anhörung teilzunehmen (OLGR Schleswig 2007, 495). Sollte der Verfahrensbevollmächtigte nicht gänzlich verhindert oder unerreichbar sein, so wird in den meisten Fällen auch angesichts der Eilbedürftigkeit eine zeitliche Absprache zwischen Gericht, Ausländerbehörde bzw. Polizei und Anwalt zumutbar und möglich sein (OLG Schleswig, a.a.O.).

Dass im vorliegenden Fall eine solche Absprache mit Rechtsanwalt M., der nach dem Inhalt des Protokolls bereit gewesen sein soll, den Betroffenen zu vertreten, überhaupt versucht worden ist und dennoch eine Teilnahme des Anwaltes an der Anhörung nicht gewährleistet werden konnte, lässt sich der Akte nicht entnehmen.

Zu erwägen gewesen wäre auch, ob nicht ein anderer Anwalt um die Vertretung des Betroffenen hätte gebeten werden können.

Hier kommt hinzu, dass der Betroffenen schon bei der Überprüfung durch das Hauptzollamt - worauf der Antragsteller hingewiesen hatte - ausdrücklich erklärt hatte, er wolle keine Angaben machen, sondern sich zuvor mit einem Rechtsanwalt beraten. Daher hätte das Amtsgericht notfalls zu erwägen gehabt, ob nicht nur eine vorläufige Entscheidung im Wege der einstweiligen Haftanordnung verbunden mit der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit angezeigt gewesen wäre, um dem Betroffenen bis zur Durchführung eines neuen Anhörungstermins Gelegenheit zum Kontakt mit einem Rechtsanwalt zu geben (vgl. LG Mannheim, InfAuslR 2005, 425).

Jedenfalls unter diesen Umständen hätte das Landgericht, das ohnehin grundsätzlich zur mündlichen Anhörung gem. § 5 FrhEntzG verpflichtet ist, von einer (erneuten) Anhörung des Betroffenen im Beistand seines Anwaltes nicht absehen dürfen. Spätestens das Erstbeschwerdegericht muss dem Betroffenen Gelegenheit geben, sich in Anwesenheit seines Anwalts zur Sache zu äußern (OLGR Rostock 2006, 502 m. N.). Dies kann jedenfalls in einem Fall wie dem vorliegenden nicht mit der immer wieder verwendeten Formel entbehrlich gemacht werden, entscheidungserhebliche Erkenntnisse seien nicht zu erwarten gewesen (OLGR Schleswig 2007, 495).

Anders als im Fall einer gänzlich unterbliebenen Anhörung, die - wie vorstehend ausgeführt - nicht nachträglich geheilt werden kann, mit der Folge, dass die Haftanordnung aufzuheben ist, kann im Falle einer (nur) verfahrensfehlerhaften Anhörung der Verfahrensverstoß geheilt werden (OLGR Schleswig 2007, 495).

Aus diesem Grunde ist die angefochtene Entscheidung des Landgerichtes aufzuheben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen, weil nicht auszuschließen ist, dass der Betroffene im Beisein seines Anwalts Angaben macht, die für die Entscheidung des Gerichts von Bedeutung sind (vgl. OLGR Rostock 2006, 502; OLG Celle InfAuslR 1999, 462).

Soweit der Betroffene allerdings geltend gemacht hat, die menschenunwürdigen und katastrophalen Zustände in Simbabwe würden im Falle seiner Abschiebung eine extreme Gefahr für Leib und Leben bedeuten, steht das - ungeachtet der inzwischen offenbar aufgetretenen Zweifel an seiner simbabwischen Staatsangehörigkeit - einer Abschiebung im Hinblick auf die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zu einer eingeschränkten Prüfungskompetenz des Abschiebungshaftrichters (vgl. dazu Beichel-Benedetti/Gutmann NJW 2004, 3015) nicht entgegen. Es unterliegt nicht der Prüfung des Haftgerichts, ob die Ausländerbehörde die Abschiebung zu Recht betreibt (BayObLG NJW 1983, 522; BGH NJW 1981, 527; BVerwG DVBl 1981, 1108); dies unterliegt grundsätzlich ausschließlich der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle (BGHZ NJW 1981, 527; OVG NW InfAuslR 2007, 110). Diesen Grundsätzen liegt die Überlegung zugrunde, dass davon ausgegangen werden kann, dass die Betroffenen bei den Verwaltungsgerichten effektiven Rechtsschutz erhalten können und dass so einander widersprechende Entscheidungen verhindert werden. Allenfalls wenn verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz nicht mehr rechtzeitig verwirklicht werden kann, kann der Richter des Abschiebungshaftverfahrens zur Berücksichtigung solcher Umstände verpflichtet sein, die ansonsten dem verwaltungsgerichtlichen Bereich zugeordnet werden (vgl. insgesamt Beichel-Benedetti/Gutmann a.a.O. m.N.).

Ende der Entscheidung

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