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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 23.08.2005
Aktenzeichen: I-4 U 172/04
Rechtsgebiete: VVG, ZPO, BGB


Vorschriften:

VVG § 61
ZPO § 286
ZPO § 412
BGB § 827 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 12.08.2004 - 7 O 29/02 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung haben die Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe: I. Die Kläger machen gegenüber der Beklagten Kaskoansprüche aus einer Fahrzeugversicherung geltend, die von dem Ehemann der Klägerin und Vater des Klägers bei der Beklagten für den Pkw Opel Astra mit dem amtl. Kennzeichen ... unterhalten wurde. Der Versicherungsnehmer ist am 18.04.2001 infolge einer Selbsttötung, bei der er das genannte Fahrzeug mit der Folge eines Totalschadens in Brand setzte, verstorben und von den Klägern beerbt worden. Den Brand hatte er mit zuvor am 18.04.2001 käuflich erworbenem Benzin gelegt. Ebenfalls am 18.04.2001 hatte der Versicherungsnehmer die Kanister zum Transport des Benzins und Ätherflüssigkeit gekauft, welche wahrscheinlich seiner Betäubung dienen sollte. Die Kläger haben behauptet, der Versicherungsnehmer habe sich am 18.04.2001 in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden. Der Wagen habe einen Restwert i.H.v. 500,- DM und einen Wiederbeschaffungswert i.H.v. 19.900,- DM gehabt. Sie haben die Auffassung vertreten, der Restwert könne nicht in Ansatz gebracht werden, so dass sich nach Abzug der Selbstbeteiligung i.H.v. 650,- DM ein zu ersetzender Schaden von 19.250,- DM = 9.842,37 EUR ergebe. Die Kläger haben beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 9.842,37 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 16.08.2001 zu zahlen. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, nicht zum Schadensersatz verpflichtet zu sein, da der Versicherungsnehmer das Fahrzeug vorsätzlich in Brand gesetzt habe. Das Landgericht hat die Klage nach Beweiserhebung durch Vernehmung eines Zeugen, Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens und mündliche Anhörung des Sachverständigen mit Urteil vom 12.08.2004 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Beklagte sei nach § 61 VVG leistungsfrei. Die unstreitigen Abläufe am 18.04.2001 indizierten eine vorsätzliche Brandstiftung. Den ihnen obliegenden Beweis, dass sich der Versicherungsnehmer am 18.04.2001 in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden habe, hätten die Kläger nicht erbracht. Zwar habe der den Versicherungsnehmer behandelnde Arzt Dr. T... in seiner Stellungnahme vom 01.03.2004 eine schwere depressive Episode (F32.2) mit hierdurch bedingter Aufhebung der Willensfreiheit bestätigt, diese Einschätzung jedoch weder mit Tatsachen belegt noch in der Vernehmung vor der Kammer nachvollziehbar zu begründen vermocht. Der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. Dr. H... sei aufgrund des Hergang des Suizids und der seit längerem bestehenden depressiven Krise des Versicherungsnehmers mit wiederkehrenden Suizidgedanken zu dem Ergebnis gekommen, dass sich der Versicherungsnehmer nicht in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden habe. Im Zuge dieser Feststellung habe sich der gerichtliche Sachverständige auch mit der Einschätzung des Zeugen Dr. T... auseinander gesetzt und ausgeführt, dass nach Aktenlage kein Hinweis auf eine schwere depressive Episode des Versicherungsnehmers vorliege. Nur bei einer solchen sei mit einer derart massiven Einschränkung der freien Willensbestimmung zu rechnen, wie sie hier behauptet werde. Hiergegen wenden sich die Kläger mit der Berufung und machen geltend, das Landgericht habe die Beweislast verkannt. Der Vorsatz i.S.v. § 61 VVG sei vom Versicherer nach § 286 ZPO voll zu beweisen. Eventuelle Zweifel müssten daher zu Lasten der Beklagten gehen. Solche Zweifel seien aber nicht angebracht, da der Zeuge Dr. T... eine schwere depressive Episode des Versicherungsnehmers (F32.2) und eine damit einhergehende Aufhebung der Willensfreiheit bestätigt habe. Die vom Landgericht vorgebrachten Bedenken hinsichtlich der Feststellungen des Zeugen seien nicht gerechtfertigt, da dieser seine Stellungnahme vom 02.06.2003 begründet habe. Im übrigen hätte das Gericht anlässlich der mündlichen Anhörung des Zeugen Nachfragen stellen müssen, wenn es seine Angaben für nicht vollständig hielt. Die gutachterliche Stellungnahme des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. Dr. H... sei in sich widersprüchlich, nicht überzeugend und habe zur Aufklärung der Beweisfragen nicht beigetragen. Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil abzuändern und nach ihren in der Schlussverhandlung erster Instanz gestellten Anträgen zu erkennen. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie macht geltend, den Beweis für den Vorsatz des Versicherungsnehmers durch Indizien geführt zu haben. Der Gegenbeweis sei den Klägern nicht gelungen. Auch das Ergebnis des Sachverständigengutachtens und die Aussage des Zeugen Dr. T... ließen keine andere Beurteilung zu. II. Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Das Landgericht hat zutreffend festgestellt, dass die Beklagte gem. § 61 VVG von der Verpflichtung zur Leistung frei ist. Dass sich der Versicherungsnehmer zum Zeitpunkt der Brandstiftung in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befand, lässt sich zumindest nicht zweifelsfrei feststellen, was zu Lasten der insoweit beweispflichtigen Kläger geht. Zwar trägt für die Voraussetzungen des Ausschlusstatbestandes des § 61 VVG der Versicherer die Darlegungs- und Beweislast. Dazu gehört im Rahmen der vorsätzlichen Herbeiführung des Versicherungsfalles grundsätzlich die Darlegung und der Beweis, dass der rechtswidrige Erfolg von Wissen und Wollen des Versicherungsnehmers umfasst war. Vorliegend steht nicht in Zweifel, dass der verstorbene Versicherungsnehmer den Wagen bewusst und gewollt in Brand gesetzt hat. Fraglich ist nur, ob seine Willensbildung noch frei war oder ob sie aufgrund einer Bewusstseinsstörung nicht mehr frei war. Dazu obliegt gem. § 827 S.1 BGB dem Schädiger der Beweis für einen von ihm behaupteten Ausschluss der Verantwortlichkeit. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist § 827 S.1 BGB im Rahmen von § 61 VVG entsprechend anwendbar (BGH NJW 1990, 2387 f). Auf eine solche, die Willensbildung aufhebende, allein auf innere Störungen des Versicherungsnehmers rückführbare Bewusstseinsbeeinträchtigung berufen sich die Kläger. Den Beweis dafür haben sie nicht erbracht. Die Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. Dr. H... lassen an der inhaltlichen Richtigkeit der Bekundung des sachverständigen Zeugen Dr. T... zweifeln, beim Versicherungsnehmer habe ein krankhafter, die freie Willensbildung ausschließender Zustand vorgelegen. Das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen weist keine Mängel auf, so dass seine Verwertbarkeit nicht in Frage gestellt ist. Es ist ausführlich und widerspruchsfrei begründet. Zwar kannte der Gutachter den Versicherungsnehmer nicht. Er hat jedoch das zur Verfügung stehende Informationsmaterial einschließlich Strafakte sorgfältig ausgewertet und sich aufgrund der dort enthaltenen Angaben im Stande gesehen, den inneren Zustand des Versicherungsnehmers am 18.04.2001 zu beurteilen. Die Formulierung des Sachverständigen, "nach Aktenlage" sei eine schwere depressive Episode des Versicherungsnehmers nicht nachvollziehbar, ist nicht dahingehend zu verstehen, dass er die anderslautenden Angaben von Dr. T... übersehen hat. Vielmehr hat der Sachverständige zum Ausdruck gebracht, dass nach Aktenlage keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Einschätzung von Dr. T... zutreffend ist. Seine Auseinandersetzung mit den Angaben von Dr. T... findet sich u.a. auf S.59 unten und S.60 seines Gutachtens vom 10.06.2003 (Bl.167 f GA). Weshalb er die Einschätzung des Zeugen Dr. T... nicht teilt, hat der Sachverständige dort auch begründet. Gleiches ist nochmals auf S.4 des Ergänzungsgutachtens vom 15.12.2003 (Bl.195 GA) geschehen. Dort führt der Sachverständige aus, dass die von Dr. T... beschriebenen Ebenen (außen/innen) bestehen, aber nicht in der von Dr. T... angedeuteten Weise klar getrennt werden können. Dass der Versicherungsnehmer auf der "äußeren Ebene" noch so geordnet und berechnet funktioniert hat, sei nur möglich gewesen, weil auch zahlreiche "innere", seelische Bereiche noch gut funktioniert hätten. Die gutachterlichen Stellungnahmen von Prof. Dr. Dr. H... sind schlüssig, nicht in sich widersprüchlich. Da er dem Versicherungsnehmer nur eine (schlicht) depressive Episode attestiert hat, für einen die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand aber das Vorliegen einer schweren depressiven Episode erforderlich ist, ist die Schlussfolgerung des Sachverständigen, der Versicherungsnehmer habe sich nicht in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand befunden, folgerichtig. Insofern hat der Sachverständige auch klar herausgestellt, weshalb zwischen einem impulsiven Suizid wie z.B. einem Fenster- oder Brückensprung und dem Vorgehen des hiesigen Versicherungsnehmers ein Unterschied besteht. Zu der von den Klägern beantragten Einholung eines Obergutachtens besteht vor diesem Hintergrund kein Anlass. Gem. § 412 ZPO kommt die Einholung eines Obergutachtens nur in Betracht, wenn das bislang vorliegende Gutachten vom Gericht für ungenügend erachtet wird. Das ist eben nicht der Fall. III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 I, 100 I ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision, § 543 Abs. 2 ZPO, sind nicht gegeben. Berufungsstreitwert: 9.842,37 EUR

Ende der Entscheidung

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