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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 29.06.2006
Aktenzeichen: I-4 U 203/05
Rechtsgebiete: DÜG, VGB 88


Vorschriften:

DÜG § 1
VGB 88 § 15 Nr. 4
VGB 88 § 20 Nr. 1 d
VGB 88 § 20 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 08. September 2005 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf - Einzelrichter - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 51.720 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins aus 66.720 € vom 17. März 2005 bis zum 13. Juni 2005 sowie Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins aus 51.720 € seit dem 14. Juni 2005 zu zahlen.

Die weitergehende Zinsforderung bleibt abgewiesen.

Die Kosten des ersten Rechtszuges werden der Beklagten zu 2/5, dem Kläger zu 3/5 auferlegt.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten wird gestattet, die Zwangsvollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Urteilsbetrags abzuwenden, sofern nicht der Kläger seinerseits Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils von ihm zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I. Der Kläger beansprucht Leistungen wegen eines Brandschadens vom 29. April 2002 an seinem bei der Beklagten auf der Grundlage der VGB 88 (GA 169 ff.) versicherten Haus.

Erstinstanzlich haben die Parteien insbesondere darüber gestritten, ob die von der Beklagten erbrachte Zeitwertentschädigung von 119.000 € ausreichend bemessen war. Ferner war Streitpunkt, ob die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Entschädigung in Höhe der unstreitig auf 66.720 € (abzügl. von der Beklagten zwischenzeitlich darauf erbrachter 15.000 €) zu veranschlagenden Neuwertspitze (§ 15 Nr. 4 VGB) bestand.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 161.824 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 1 des Basiszinssatzes nach § 1 des Diskontüberleitungsgesetzes aus 66.720 € seit dem 27. Dezember 2003 und aus 95.104,90 € seit Rechtshängigkeit abzüglich am 13. Juni 2005 gezahlter 15.000 € zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Landgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen und mit Blick auf die Abweisung des Neuwertanteils, um den es im Berufungsrechtszug allein noch geht, ausgeführt: Die Voraussetzung des § 15 Nr. 4 VGB 88 sei nicht erfüllt. Innerhalb der bis zum 29. April 2005 laufenden Dreijahresfrist sei die Verwendung der Neuwertentschädigung zur Wiederherstellung des brandgeschädigten Gebäudes nicht gesichert gewesen. Aus dem - auf gegen Fristende getroffenen Feststellungen beruhenden - gerichtlichen Sachverständigengutachten B... (GA 113 ff.) ergebe sich, dass der Innenausbau des Hauses großenteils noch nicht erfolgt gewesen sei. Angesichts dessen und weil sonstige Vorkehrungen nicht ersichtlich seien, könne nicht ohne vernünftige Zweifel davon ausgegangen werden, dass die Wiederherstellung fristgerecht gesichert gewesen sei. Auf das Urteil wird Bezug genommen.

Mit seiner Berufung greift der Kläger die Würdigung des Landgerichts an.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, an ihn 51.720 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 1 des Diskontüberleitungsgesetzes aus 66.720 € seit dem 27. Dezember 2003 bis zum 13. Juni 2005 und Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 1 des Diskontüberleitungsgesetzes aus 51.720 € seit dem 14. Juni 2005 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie tritt dem angefochtenen Urteil bei und verweist noch einmal auf ihre Rüge, der Beklagte habe gegen die Obliegenheiten des § 20 Nr. 1 d) VGB verstoßen, Belege vorzulegen.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II. Die Berufung ist begründet.

Dem Kläger steht der der Höhe nach unbestrittene Anspruch auf die Neuwertspitze zu, weil er innerhalb von drei Jahren nach Eintritt des Versicherungsfalls sichergestellt hat, dass er die Entschädigung verwenden wird, um das brandgeschädigte Gebäude wiederherzustellen (vgl. § 15 Nr. 4 VGB 88). Nach dem Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers, auf das es für die Ermittlung des Sinngehalts Allgemeiner Versicherungsbedingungen ankommt, erfordert die Klausel nicht, dass die zweckgebundene Verwendung der Entschädigung unumstößlich gewiss ist. Einer solchen Sichtweise steht insbesondere entgegen, dass § 15 Nr. 4 VGB für die Wiederherstellung selbst keine Frist nennt, die Wiederherstellung also durchaus erst geraume Zeit nach Ablauf der angesprochenen drei Jahre erfolgen kann (vgl. Martin, Sachversicherungsrecht, 3. Aufl., R IV Rdn. 36). Einer Sicherstellung haften nämlich insbesondere, wenn sie auf lange Sicht andauern kann, Unwägbarkeiten an, die, will man den Versicherungsschutz nicht entwerten, im Rahmen der gebotenen Prognose außer Ansatz bleiben müssen. So ist es denn auch - soweit ersichtlich - allgemeine Auffassung, dass die zweckgebundene Verwendung der Entschädigung (schon) sichergestellt ist, wenn fristgerecht getroffene Vorkehrungen keinen vernünftigen Zweifel an der künftigen Wiederherstellung aufkommen lassen (vgl. BGH VersR 2004, 512, 513).

Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Der Kläger hat nämlich die Wiederherstellung des schwer brandgeschädigten Hauses (vgl. Fotos GA 157 ff.) vor Ablauf der am 29. Mai 2005 endenden Dreijahresfrist nicht nur in Angriff genommen, sondern, wie sich aus den am 17. März 2005 (GA 114) vom gerichtlichen Sachverständigen aufgenommenen Fotos (GA 175 ff.) ergibt, schon ganz erheblich vorangetrieben. Der vom Sachverständigen festgehaltene Status (fast komplette Herrichtung des Dachgeschosses, im übrigen Vollendung des Rohbaues und begonnener Innenausbau des Obergeschosses, Aufgabe des mit Stahlbetondecke verschlossenen Kellergeschosses - vgl. GA 115/116 - ) lässt keinen Zweifel daran, dass der Kläger die Wiederherstellung ernsthaft beabsichtigt und schon in einem Umfang umgesetzt hat, der eine Einstellung der weiter erforderlichen Aufbaumaßnahmen wirtschaftlich wenig sinnvoll erschienen ließe. Dass der Kläger eine Wiederherstellungsabsicht nur vorschieben würde (was durch das Sicherstellungserfordernis lt. BGH a.a.O. verhindert werden soll), ist auszuschließen. Bei dieser Sachlage fehlt es an jedem greifbaren Anhalt dafür, dass der Kläger, der die bisherigen Arbeiten unbestritten überwiegend in Eigenleistung durchgeführt hat (vgl. GA 46 u. GA 69), die Arbeiten nicht fortführen wird. Dafür, dass dem die wirtschaftliche Situation des Klägers, zumal nach Erhalt der Neuwertspitze, entgegenstünde, ist nichts ersichtlich. Alles andere als eine Weiterführung des Baues wäre unvernünftig.

Schließlich vermag auch die Argumentation der Beklagten (GA 84) nicht zu überzeugen, es reiche nicht aus, wenn die Wiedererrichtung des Hauses gesichert sei, gesichert sein müsse vielmehr die Verwendung der Neuwertentschädigung hierfür. Das entspricht zwar dem Wortlaut, nicht jedoch dem Sinn und Zweck des § 15 Nr. 4 VGB 88, wie ihn der durchschnittliche Versicherungsnehmer versteht. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer sieht in der "strengen Wiederherstellungsklausel" (so schon die gängige Bezeichnung, vgl. BGH VersR 2001, 326) eine Vorkehrung dagegen, dass das versicherte Gebäude unrepariert bleibt und sich der Versicherungsnehmer an dem Neuwertanteil für sonstige private Zwecke bereichert. Davon kann keine Rede sein, wenn der Versicherungsnehmer durch Eigenleistungen für die Wiederherstellung des Gebäudes sorgt. Es kann nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers gereichen, wenn es ihm gelingt, preisgünstiger als gewöhnlich zu bauen, sofern seine Art der Wiederherstellung zu Beanstandungen keinen Anlass bietet. Letzteres ist auf der Grundlage dessen, was der Kläger bislang geleistet hat, nicht zu erwarten.

Die Ausführungen der Schrift der Beklagten vom 21. Juni 2006 hat der Senat erwogen. Sie geben ihm zu einer anderen Würdigung keinen Anlass.

Der Höhe nach ist die noch ungedeckte Neuwertspitze (66.720 € abzügl. gezahlter 15.000 € = 51.720 €) unbestritten.

Die Beklagte ist auch nicht mit Blick auf § 20 Nr. 1 d) i.V.m. § 20 Nr. 2 VGB 88 leistungsfrei. Soweit in den Bereich der Neuwertspitze vorstoßender Wiederherstellungsaufwand bereits angefallen war, hat die Beklagte - aus ihrer Sicht mit 15.000 € wertentsprechend - geleistet. Für noch nicht umgesetzte Maßnahmen gibt es in der Regel keine Belege. Im übrigen entfällt der Einwand der Leistungsfreiheit wegen etwaiger Obliegenheitsverletzungen, die erst nach Leistungsablehnung seitens des Versicherers begangen sind (vgl. Römer in Römer/Langheid, 2. Aufl., § 6 VVG Rdn. 29 m.w.N.).

Die Zinsforderung rechtfertigt sich, nachdem die Beklagte bereits zuvor die Entschädigung der Neuwertspitze verweigert hatte, erst ab dem 17. März 2005. Erst zu diesem Zeitpunkt hat der gerichtliche Sachverständige vor Ort die Feststellungen zum Ausbauzustand getroffen, welche die Grundlage für die Entscheidung des Senats bilden, dass die Voraussetzungen der strengen Wiederherstellungsklausel erfüllt sind. Erst für diesen Zeitpunkt ist gesichert, dass der Anspruch auf die Neuwertspitze erwachsen war. Verzug kann vor Entstehung des Anspruchs nicht eingetreten sein. Auch Prozesszinsen erwachsen erst mit Fälligkeit (vgl. Palandt/Heinrichs, 65. Aufl., § 291 BGB Rn. 5 m.w.N.).

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92, 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision sind nicht erfüllt. Nach Auffassung des Senats geht es vorliegend um eine von den Modalitäten des Einzelfalls abhängige Würdigung.

Berufungsstreitwert: 51.720 €.

Ende der Entscheidung

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