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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 13.12.2005
Aktenzeichen: I-4 U 205/04
Rechtsgebiete: BGB, VVG


Vorschriften:

BGB § 278
BGB § 280
VVG § 50
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Düsseldorf

Aktenzeichen: I-4 U 205/04

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 22. September 2004 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf - Einzelrichter - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abzuwenden, sofern nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 150 % des jeweils beizutreiben-den Betrags leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I. Die Kläger unterhalten bei der Beklagten seit dem 1. Januar 1987 für das Schloss M ... in L... eine Wohngebäudeversicherung zum gleitenden Neuwert auf der Basis des Jahres 1914 (Vers.-Schein: GA 12, SGIN 79 a: 34). Zuvor war das Schloss seit Oktober 1969 bei der P... (im Folgenden: P...) versichert (Vers.-schein: GA 51, Vers.-antrag: GA 45, Gebäudebeschreibung: GA 53, Berechnung des Versicherungswertes 1914: GA 55).

Der Versicherungsvertrag mit der Beklagten kam durch die Vermittlung ihres (inzwischen verstorbenen) Agenten, F ... v. S ... (im Folgenden: Agent), zustande. Die Versicherungssumme betrug zunächst 556.000 Mark 1914.

In den folgenden Jahren führten der Kläger zu 2) und die Rechtsvorgänger der Kläger zu 1) und 3) Renovierungsarbeiten durch. Deshalb regte der Agent die Erhöhung der Versicherungssumme um den - mit 500.000 DM angesetzten - Wert der Arbeiten an. Beginnend ab dem 16. April 1991 wurde daher eine Versicherungssumme von 586.700 Mark 1914 vereinbart (Nachtrag: GA 8).

Am 19. Juni 2000 wurde das Schloss durch ein Feuer stark beschädigt (GA 2). Der Neuwertschaden belief sich auf 8.639.932 DM. Da das Schloss nach den Berechnungen der Beklagten unterversichert war, leistete sie nur eine Entschädigung in Höhe von 6.525.400 DM. Den Differenzbetrag (2.114.532 DM = 1.081.140,04 €) machen die Kläger mit der Klage geltend. Sie haben behauptet: Der Agent der Beklagten habe ihnen angeboten, das Schloss unter gleichzeitiger Anhebung der Versicherungssumme um den von der P ... vorgeschlagenen Betrag zu günstigeren Prämien zu versichern (GA 3). Dabei habe er ausdrücklich erklärt, die von der P ... vorgeschlagene Versicherungssumme (556.000 Mark 1914) reiche aus (GA 41). Entsprechend habe er sich geäußert, als vor einigen Jahren das Nachbarschloss abgebrannt sei (GA 5). Auf die mit der Übernahme der bisherigen Versicherungssumme verbundenen Risiken habe er nicht hingewiesen.

Die Kläger haben beantragt,

die Beklagte zur Zahlung von 1.081.140,04 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19. Mai 2002 zu verurteilen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet: Ihrem Agenten sei nicht offenbart worden, dass die P ... die Erhöhung der Versicherungssumme empfohlen habe. Er habe von dem von P ... ursprünglich akribisch ermittelten Wert ausgehen können. Es habe für ihren Agenten keine Veranlassung bestanden, die Beauftragung eines Sachverständigen anzuregen.

Das Landgericht hat durch Vernehmung von Zeugen (Rosemarie Nagel, GA 97) und Prinzessin C... von M ..., GA 99) Beweis erhoben und der Klage in Höhe von 1.049.564,47 € nebst Zinsen stattgegeben, weil aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme feststehe, dass der Agent eine umfassende Absicherung des Schlosses zugesichert habe. Selbst wenn man das jedoch anders sehe, ergebe sich die Haftung der Beklagten daraus, dass ihr Agent bei der Ermittlung des Versicherungswertes nicht zur Einschaltung eines Gebäudesachverständigen geraten habe, weil mit der ungeprüften Übernahme des vom Vorversicherer ermittelten Versicherungswertes das Risiko einer Unterversicherung einhergehe. Unbegründet sei die Klage nur in Höhe von 31.575,57 €, da die Kläger sich unter dem Gesichtspunkt der Vorteilsanrechnung entgegenhalten lassen müssten, dass sie durch die Vereinbarung einer zu geringen Versicherungssumme Versicherungsprämien in dieser Höhe erspart hätten.

Dagegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung. Sie rügt: Da bereits die P ... einen sachkundigen Mitarbeiter mit der Ermittlung des Versicherungswertes beauftragt hatte, habe ohne konkrete Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit seiner Berechnungen keine Notwendigkeit bestanden, die Einschaltung eines weiteren Sachverständigen zu empfehlen. Die Beweisaufnahme habe auch keine Zusicherung, dass die Versicherungssumme ausreichend sei, ergeben. Prinzessin C... von M ... habe nur ausgesagt, dass der Agent erklärt habe, die Kläger seien bei der Beklagten besser versichert. Ebenso unergiebig seien die Bekundungen der Zeugin N..., zumal sie erst nach Abschluss der Versicherung bei der Beklagten in die Dienste des Klägers zu 2) getreten sei.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil teilweise abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Kläger, die das angefochtene Urteil für richtig halten, bitten um

Zurückweisung der Berufung.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils sowie auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II. Die Berufung bleibt ohne Erfolg.

Ob die Beklagte den Klägern vollen Ersatz des Neuwertschadens schuldet, weil sie im Rahmen der Erfüllungshaftung dafür einzustehen hat, dass ihr Agent eine umfassende Absicherung des Schlosses zugesagt hat, kann offen bleiben, weil auch die vom Einzelrichter (hilfsweise) bejahte Verletzung einer Aufklärungspflicht die Verurteilung der Beklagten rechtfertigt.

1. Die Verantwortung für die Wahl der richtigen Versicherungssumme liegt normalerweise beim Versicherungsnehmer; er trägt das Risiko der Über- und der Unterversicherung (BGH VersR 1964, 36, 37; OLG Düsseldorf r+s 1998, 290; Kollhosser, a.a.O., § 56 Rn. 21; Römer in: Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., § 50 Rn. 5; Schauer in: Berliner Kommentar, VVG, § 50 Rn. 10). In Einzelfällen treffen den Versicherer jedoch Hinweis- und Beratungspflichten. Solche Pflichten bestehen insbesondere bei der Vereinbarung des Versicherungswerts 1914. Zur ordnungsgemäßen Belehrung gehört dann der Hinweis, dass ein im Bauwesen nicht sachverständiger Versicherungsnehmer mit der Bestimmung des richtigen Versicherungswerts in aller Regel überfordert sei und es sich deshalb empfehlen könne, einen Sachverständigen zu konsultieren. Alternativ genügt der Versicherer seiner Hinweispflicht dadurch, dass er dem Versicherungsnehmer seine eigene fachkundige Beratung anbietet (BGH VersR 1989, 472, 473; OLG Celle VersR 1995, 333; OLG Saarbrücken, VersR 2003, 195,196; Kollhosser, a.a.O., § 56 Rn. 25; Römer, a.a.O., § 50 Rn. 6; Schauer, a.a.O., § 50 Rn. 11). Diese Hinweispflicht hat der Agent verletzt. Dass er die Kläger bzw. deren Rechtsvorgänger bei der Festlegung der Versicherungssumme fachkundig beraten oder eine solche Beratung durch die Beklagte angeboten hat, behauptet diese nicht, obwohl sie im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast gehalten ist darzutun, in welcher Weise sie ihren Beratungspflichten nachgekommen sein will (BGH VersR 1989, 472, 473 a.E.; Palandt/Heinrichs, BGB, 64. Aufl., § 280 Rn. 35). Ebenso wenig hat sie geltend gemacht, dass ihr Agent die Hinzuziehung eines Gebäudesachverständigen angeregt habe.

2. Die damit an sich gegebene Pflichtverletzung entfiele aber, wenn besondere Umstände gegeben wären, bei denen ausnahmsweise ein Beratungsbedarf zu verneinen ist. Diese lagen jedoch nicht vor.

a) Kein Beratungsbedarf hätte bestanden, wenn die Forstverwaltung des Schlosses, mit der der Agent - ausweislich des Versicherungsscheins vom 29. Januar 1987 und des Nachtrags vom 22. April 1991 - verhandelt hat, so sachkundig war, dass sie um die mit der Ermittlung des Versicherungswertes 1914 verbundenen Schwierigkeiten wusste. Das ist jedoch - entgegen der Argumentation der Beklagten (GA 24, 25) - nicht erkennbar, da nichts darauf hindeutet, dass die Forstverwaltung der Kläger einen größeren Immobilienbestand betreut und sich mit der Berechnung des Versicherungswerts 1914 auskennt.

b) Eine Belehrung erübrigte sich auch nicht, weil die P ... bei Abschluss der Vorversicherung in 1969 einen bei ihr beschäftigten Baumeister mit der Wertermittlung beauftragt hat (GA 64) und der Agent in Kenntnis dieser Berechnung darauf vertrauen durfte, dass die seinerzeit getroffenen Feststellungen nach wie vor den tatsächlichen Verhältnissen gerecht wurden (GA 136 f., 160 f., 218 f.). Einer Belehrung bedarf es nicht mehr, wenn der Versicherungsnehmer von sich aus einen Sachverständigen beauftragt hat. Deshalb hat das OLG Oldenburg (VersR 1993, 1226) ein Beratungsverschulden des Versicherers verneint, wenn ein entsprechend geschulter Mitarbeiter der Bank des Versicherungsnehmers aus gegebenem Anlass für diesen den Versicherungswert 1914 errechnet hat. Das kann jedoch nicht dahin verallgemeinert werden, dass der Belehrungsbedarf stets entfällt, wenn der Versicherungsnehmer schon einmal - gleichgültig wann und durch wen - sachkundig beraten worden ist. Die Belehrungspflicht besteht nämlich nicht nur bei der erstmaligen Versicherung eines Gebäudes (vgl. dazu BGH VersR 1989, 472). Das gilt im Streitfall umso mehr, da zwischen dem Vertragsschluss mit der P ... und dem mit der Beklagten annähernd zwanzig Jahre lagen und zwischenzeitlich auf Seiten des Versicherungsnehmers Rechtsnachfolge eingetreten war. Die Vorversicherung war noch vom Fürsten von M ...-W ... abgeschlossen worden (GA 51). Zu berücksichtigen ist außerdem, dass die richtige Bestimmung des Versicherungswertes 1914 selbst für einen Bausachverständigen äußerst schwierig ist (BGH VersR 1989, 472, 473) und bei der Bewertung eines Schlosses mit einer höheren Schätzungsbreite als bei einem normalen Wohngebäude zu rechnen ist. Das belegen auch die im Streitfall vorgenommen Berechnungen. Diese divergieren nämlich weniger bei der Ermittlung des umbauten Raumes als bei der Veranschlagung der Baukosten für das Dachgeschoss, die Balustrade, Stützmauern und Fundamente (vgl. GA 55, 65). Der Agent durfte deshalb nicht ohne weiteres darauf vertrauen, dass die von der P ... vorgenommene Berechnung richtig war, zumal er - wie die Beklagte zugesteht - zu deren Überprüfung nicht sachkundig war. Erschwerend kommt hinzu, dass der ursprünglich mit der Beklagten vereinbarte Versicherungswert 556.000 Mark 1914 nicht auf den Berechnungen basierte, die 1969 zum Vertragsschluss mit der P ... geführt haben. Deren Mitarbeiter hat nämlich noch einen Wert von 445.000 Mark 1914 errechnet (GA 59). Wie der mit der Beklagten vereinbarte Versicherungswert ermittelt wurde, ist dagegen ungeklärt. Dem steht nicht entgegen, dass - wie die Kläger vortragen (GA 3, 42) - vor dem Angebot der P ... auf Erhöhung der Versicherungssumme in 1986 mehrere Mitarbeiter und Sachverständige das Schloss besichtigt haben. Dass das zu einer verlässlichen Neuberechnung des Versicherungswerts geführt hat, ist nicht dargetan. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Agent der Beklagten in Kenntnis einer solchen Neuberechnung von einer Belehrung über die damit verbundenen Schwierigkeiten abgesehen hat. Schließlich wirft die Beklagte den Klägern vor, sie hätten ihrem Agenten gegenüber nicht erwähnt, dass die bisherige Versicherungssumme nach den Erkenntnissen der P ... nicht mehr auskömmlich gewesen sei (GA 25).

3. Zutreffend ist das Landgericht weiterhin davon ausgegangen, dass die Verletzung der Hinweis- und Beratungspflicht für die Unterversicherung ursächlich geworden ist, weil die Empfehlung, einen Sachverständigen einzuschalten, nach der Lebenserfahrung zur Feststellung des wahren Versicherungswertes und zur Vereinbarung einer angemessenen- Versicherungssumme geführt hätte. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Beklagte dafür darlegungs- und beweisbelastet, dass die Kläger bzw. deren Rechtsvorgänger sich nicht "aufklärungsrichtig" verhalten hätten, weil eine tatsächliche Vermutung dafür spricht, dass ein Versicherungsnehmer einem entsprechenden Hinweis gefolgt und die Versicherungssumme dementsprechend festgesetzt worden wäre (BGH VersR 1989, 472, 473; OLG Koblenz VersR 1997, 226, 228). Diese Vermutung hat die Beklagte nicht entkräftet. Zwar hat sie geltend gemacht, Rechtsanwalt Dr. O... habe als Vertreter der Kläger nach dem Tode ihres Agenten im Jahr 2000 gegenüber dessen Sohn und Nachfolger, M... G... v. S..., hartnäckig versucht, die Versicherungssumme im Interesse einer Prämienersparnis zu senken. Dass ihm dabei bewusst gewesen ist, dass das zu einer Unterversicherung bzw. zu deren Vergrößerung führen würde, ist jedoch nicht dargetan. Nur wenn der Versicherungsnehmer um die Gefahren bei der Festlegung der Versicherungssumme weiß, kann aber angenommen werden, dass er eine Unterversicherung bereitwillig in Kauf nimmt. Davon abgesehen ist auch ungeklärt, ob Dr. O... überhaupt zur Vertretung der Kläger befugt war. Unwiderlegt haben sie nämlich vorgetragen, er sei nur Vertreter eines Teils der Erben gewesen. Damit deckt sich auch das Vorbringen der Beklagten, dass die auf der Klägerseite bestehende Erbengemeinschaft aufgrund interner, sowohl vor deutschen wie vor belgischen Gerichten ausgetragenen Streitigkeiten von 1995 bis Mitte 2000 praktisch handlungsunfähig gewesen sei (GA 29).

4. Die Verletzung der Hinweis- und Belehrungspflicht durch den Agenten, für die die Beklagte gemäß § 278 BGB einzustehen hat, hat zur Konsequenz, dass sie sich nicht auf das Bestehen einer Unterversicherung berufen kann. Ein Mitverschulden der Kläger oder ihrer Rechtsvorgänger an der Entstehung der Unterversicherung steht dem nicht - auch nicht teilweise - entgegen. Zwar hätten sie sich fahrlässig verhalten, wenn sie der Beklagten verschwiegen hätten, dass die P ... die Vereinbarung einer Versicherungssumme von über 556.000 Mark 1914 für nötig befunden habe. Dass dem so war, ist jedoch unbewiesen. Die Kläger haben unwiderlegt vorgetragen, dass die von der P ... vorgeschlagene - erhöhte - Versicherungssumme bei dem Vertragsschluss mit der Beklagten übernommen worden sei (GA 3). Das ist nicht ohne weiteres mit dem Inhalt des Versicherungsantrags vom 27. Dezember 1986 in Einklang zu bringen. Dort ist im Zusammenhang mit der bisher bestehenden Versicherung eine Versicherungssumme von "556.000 DM" vermerkt (GA 33). Möglich bleibt jedoch, dass hier die von der P ... empfohlene neue Versicherungssumme eingesetzt worden ist. Dass an dieser Stelle nur eine bereits fest vereinbarte Versicherungssumme einzutragen war, ist der Fragestellung nicht zwingend zu entnehmen (GA 33). Der damit fehlende Nachweis eines Mitverschuldens geht zu Lasten der Beklagten.

5. Aufgrund der Pflichtverletzung schuldet die Beklagte den Klägern noch 1.049.564,47 €. Insofern nimmt der Senat auf die zutreffende Berechnung des Landgerichts, die auch die Prämienersparnis durch Vereinbarung einer zu niedrigen Versicherungssumme berücksichtigt, Bezug.

6. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Berufungsstreitwert: 1.049.564,47 €.



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