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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 07.11.2006
Aktenzeichen: I-4 U 249/05
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 1. Dezember 2005 verkündete Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger wird gestattet, die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Urteilsbetrags abzuwenden, sofern nicht die Beklagte ihrerseits Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils von ihr beizutreibenden Betrags leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I. Der Kläger beansprucht Versicherungsleistungen wegen Berufsunfähigkeit.

Der Kläger unterhält bei der Beklagten seit 1993 (GA 9 ff) und seit 1995 (GA 13 ff, GA 16) zwei Lebens- nebst Berufsunfähigkeitszusatzversicherungen. Berufsunfähigkeits-Leistungen stehen dem Kläger ab einer Berufsunfähigkeit von 50 % zu.

Der Kläger ist Zahnarzt. Im Jahre 2001 verlagerte er seine zunächst in O... betriebene Praxis nach B... in die Schweiz. Im August 2002 meldete er Berufsunfähigkeits-Ansprüche an. Er teilte der Beklagten mit, am rechten Auge an einer retinopathia centralis serosa zu leiden. Mit Schreiben vom 13. September 2004 (GA 20) verweigerte die Beklagte Versicherungsleistungen mit der Begründung, der Schwellenwert einer 50 %igen Berufsunfähigkeit sei nicht erreicht.

Der Kläger hat behauptet, im Jahre 2000, als er noch ausschließlich in Deutschland praktiziert habe, habe er pro Woche meist mehr als 45 Stunden gearbeitet (GA 83). Nunmehr könne er aus Krankheitsgründen nur noch 18 Stunden "am Stuhl" arbeiten, nämlich am Montag, Dienstag, Mittwoch und Freitag je 2 Stunden vormittags und 2 Stunden nachmittags, ferner am Samstagmorgen 2 Stunden. An diesen Tagen sei er zu weiteren Tätigkeiten nicht mehr in der Lage. Am Donnerstag, den er auf ärztliche Empfehlungen von Arbeiten "am Stuhl" frei halte - wofür er dann samstags praktiziere - erledige er in ca. 1 1/2 Stunden anfallende administrative Arbeiten. Schon rein organisatorisch werde dieser eine freie Tag benötigt, da Zahnarztassistentinnen laut Tarif ein freier Tag zustehe und die Lehrtochter an diesem Tag zur Schule sei.

Der Kläger hat beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 146.487,63 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klageschrift zu bezahlen;

2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger über die mit dem Klageantrag zu 1. bezifferte Forderung hinaus mit Wirkung ab Monat April 2005 monatliche Leistungen aus den Versicherungsverträgen ... und ... in Höhe von 3.756,09 € bis längstens 31.07.2020 zu erbringen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat bestritten, dass der Kläger in anspruchsberechtigendem Umfang berufsunfähig sei. Es sei nicht einsichtig, warum der Kläger nicht auch donnerstags am Stuhl arbeite, wenn er dies an den übrigen Werktagen - eingeschränkt - tun könne. Planerische, administrative und kaufmännische Tätigkeiten könne er nach Beendigung seiner handwerklich-körperlich Arbeiten noch erledigen. Diese zusätzlichen Aufgaben erforderten auch einen deutlich über 20 % der Gesamtarbeitszeit liegenden Zeitaufwand. Was der Kläger donnerstags in den erwähnten 1 1/2 Stunden im einzelnen erledige, werde nicht konkret gesagt. Die Tätigkeitsbeschreibungen im geradezu akribisch ausgefüllten Fragebogen (GA 67 ff) seien verlässlicher als seine teilweise davon abweichenden Angaben im Prozess.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil eine mindestens 50 %ige Berufsunfähigkeit nicht hinreichend dargetan sei. Ausweislich des Gutachtens Dr. V... (GA 86) sei der Kläger in der Lage, an einem Werktag jeweils 2 Stunden am Morgen und jeweils 2 Stunden am Nachmittag als Zahnarzt "am Stuhl" zu arbeiten, und dies in einer 5,5-Tage-Woche. Dies bedeute, dass er durchaus noch 22 Stunden "am Stuhl" arbeiten könne. Weiter unstreitig hindere die Augenerkrankung ihn nicht, Verwaltungs-, Fortbildungs- und ähnliche Maßnahmen wahrzunehmen. Selbst wenn man insoweit entgegen dem vorgerichtlichen Ansatz von 23 % nur einen Ansatz von 15 % der Gesamtarbeitszeit in Ansatz bringe, errechne sich daraus eine weiterhin von ihm noch zu erbringende Tätigkeit von 3,3 Wochenstunden. Mit 25,3 Wochenstunden, die er noch verrichten könne, sei er zu mehr als 50 % seiner bisherigen Wochenarbeitszeit von 43 Stunden leistungsfähig. Auf das Urteil wird verwiesen.

Mit seiner Berufung beanstandet der Kläger, das Landgericht habe die Stellungnahme Dr. V... verkannt. Dieser habe eine verbliebene Arbeitsfähigkeit von nur 45 % attestiert und sei keineswegs von Arbeitsfähigkeit "am Stuhl" für alle Werktage ausgegangen. Für den Donnerstag seien nur 1 1/2 Stunden administrative Tätigkeiten als aus ärztlicher Sicht möglich angesetzt. Das Landgericht habe den angetretenen Sachverständigen-Beweis für die Richtigkeit dieser Einschätzung übergangen. Falsch sei es auch, für planerische, organisatorische und kaufmännische Tätigkeiten 3,5 Stunden je Woche anzusetzen.

Der Kläger beantragt in Abänderung des angefochtenen Urteils:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 187.804,35 € nebst 5 % Zinsen über dem Basissatz seit Zustellung der Klageschrift aus 146.487,36 € und nebst 5 % Zinsen über dem Basissatz aus 41.316,99 € ab 01.03.2006 zu bezahlen.

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger über die bezifferte Forderung hinaus mit Wirkung ab März 2006 monatliche Leistungen aus den Versicherungsverträgen ... und ... in Höhe von 3.756,09 € bis längstens 31.07.2020 zu erbringen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie meint, eine medizinische Notwendigkeit, den Donnerstag "am Stuhl" zu pausieren, sei allein mit dem Hinweis, dies sei sinnvoll, nicht dargetan. Eine Verschlechterung des Augenleidens durch eine höhere Anzahl von Arbeitsstunden sei auch nicht zu befürchten (vgl. GA 205 i.V.m. GA 28). Dass der Kläger für administrative Arbeiten nur 1 1/2 Stunden aufwende, decke sich nicht mit seinen eigenen vorprozessualen Angaben. Es sei auch unerheblich, wenn der Kläger anfallende administrative Tätigkeiten, die er früher selbst wahrgenommen habe, seinen Mitarbeiten überantworte. Ferner lasse die Berechnung des Klägers die 100 Fortbildungsstunden im Jahr unberücksichtigt.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II. Die Berufung bleibt ohne Erfolg.

Im Ergebnis hat das Landgericht zutreffend entschieden, dass die Anspruchsvoraussetzung einer mindestens 50 %igen Berufsunfähigkeit im bisher ausgeübten Beruf nicht festgestellt werden kann.

1. Im Rahmen des für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit erforderlichen Vergleichs dessen, was der Kläger früher "in gesunden Tagen" beruflich geleistet hat, und zu welchen Tätigkeiten er nach Erkrankung nur noch in der Lage ist, hat das Landgericht für die Tätigkeiten, wie der Kläger sie früher verrichtet hat, zutreffend eine 43-Stunden-Woche in Ansatz gebracht. Dies deckt sich mit dem, was der Kläger offensichtlich gegenüber Dr. V.., auf dessen Stellungnahme (GA 87) der Kläger sich stützt, geäußert hat, und auch mit den Angaben gegenüber dem Ermittler der Eidgenössischen Invalidenversicherung (GA 110). Das davon abweichende Prozessvorbringen (GA 83: "jenseits von 45 Stunden pro Woche") ist nicht glaubhaft, weil der Kläger nicht erläutert, wie sonst wenn nicht infolge seiner eigenen Darstellung es zu den genannten 43-Wochenstunden gekommen sein sollte.

Das Landgericht hat auch zutreffend auf die früheren Arbeitszeiten abgestellt, wie sie für den Kläger angefallen sind, als er noch in Deutschland praktiziert hat. Diese Tätigkeit hat das Bild der Berufsausübung des Klägers geprägt. Die Zeit, während derer der Kläger sowohl eine Praxis in Deutschland als auch in der Schweiz parallel betrieben hat, war als Übergangszeitraum unberücksichtigt zu lassen (vgl. OLG Hamm r+s 2006, 339). Der Zeitraum von gut einem Monat, den der Kläger ohne gesundheitliche Beeinträchtigung in der Schweiz praktiziert hat, war zu kurz, um daraus auf das gängige Berufsbild zu schließen.

2. Die Schlussforderungen des Landgerichts zu dem, was der Kläger auch jetzt noch trotz seiner Krankheit beruflich zu leisten im Stande ist, erweisen sich nur im Ergebnis als zutreffend. Der Kläger, der sich auf die Stellungnahme des Arztes Dr. V... vom 7. Juli 2005 (GA 86/87) gestützt hat, hat damit keineswegs selbst vorgetragen, er könne auch donnerstags jeweils 2 Stunden am Morgen und am Nachmittag "am Stuhl" tätig sein. Dr. V... hat vielmehr den Donnerstag ausgespart und dafür nur 1 1/2 Stunden administrative Arbeiten in Ansatz gebracht. Der Kläger hatte unter Sachverständigenbeweis gestellt, zu keiner weitergehenden Tätigkeit als der, wie sie von Dr. V... dargestellt ist, in der Lage zu sein.

Darauf aber kommt es entscheidend nicht an: Auch dann, wenn man dem Kläger zugute hält, nur 18-Wochenstunden "am Stuhl" praktizieren zu können, bleibt offen, ob er nicht doch in der Lage ist, mehr als 21,5 Stunden (50 % von 43 Stunden) als Zahnarzt tätig zu sein. Den Beweis, in einem die Leistungsverpflichtung der Beklagten auslösenden Umfang berufsunfähig zu sein, kann der Kläger auf der Grundlage der erwiesenen sowie der von ihm unter Beweis gestellten Tatsachen nicht erbringen. Aufgrund der gutachtlichen Stellungnahme des Arztes Dr. H... (GA 23/28 unter 3.), welcher der Kläger nicht dezidiert entgegentritt, geht der Senat davon aus, dass der Kläger in seinen Tätigkeiten außerhalb der Arbeiten "am Stuhl" nur geringfügig eingeschränkt ist. Der Kläger behauptet allerdings, für solche "Bürotätigkeiten" wöchentlich nicht mehr als eineinhalb Stunden zu benötigen (GA 107). Daran verbleiben erhebliche Zweifel. Für die "Bürotätigkeiten", wie sie nach seiner Erkrankung anfallen und von ihm erledigt werden, hat der Kläger im vorgerichtlich ausgefüllten Fragebogen (GA 73/74) 15 % veranschlagt (ohne Berücksichtigung von Fortbildungsmaßnahmen u.ä.). Dies steht im Einklang mit dem prozentualen Zeitaufwand für Büroarbeiten in der Zeit der früheren Tätigkeit des Klägers in Deutschland, wie sie der Kläger ebenfalls im ihm vorgerichtlich übermittelten Fragebogen der Beklagten aufgelistet hat (GA 71/72). Bei einem 15 %igen Büroanteil der Gesamtarbeitszeit errechnet sich selbst auf der Grundlage von nur 18-Wochenarbeitsstunden ein zusätzlicher zeitlicher Aufwand für Bürotätigkeiten von wöchentlich 2,7 Stunden. Dass pro Woche 2,7 Stunden derartiger Bürotätigkeiten anfallen und von ihm wahrgenommen werden können, muss sich der Kläger aufgrund seiner vorgerichtlichen Äußerungen entgegenhalten lassen. Der Senat verkennt nicht, dass es schwierig ist, den durchschnittlichen Zeitaufwand für "Büroarbeiten" richtig einzuschätzen. Immerhin aber ist der Kläger - wie bereits erwähnt - insoweit für seine frühere Tätigkeit in Deutschland und späterhin in der Schweiz zu übereinstimmenden Ergebnissen gekommen. Offensichtlich unzutreffend ist seine Behauptung, er habe den ihm vorgerichtlich übermittelten Fragebogen ausgefüllt, ohne sich dabei sonderlich Mühe zu geben, weil ein Mitarbeiter der Beklagten ihm zu verstehen gegeben habe, auf die Richtigkeit komme es nicht so an. Das kann nicht stimmen, weil die Fragen nicht flüchtig, sondern auffallend sorgfältig beantwortet sind.

Der Kläger hat überdies sein Vorbringen, mit eineinhalb Stunden Bürotätigkeit pro Woche seien die anfallenden Arbeiten zu schaffen, trotz diesbezüglicher Beanstandungen der Beklagten auch nicht substantiiert. Das aber wäre insbesondere deshalb geboten gewesen, weil ohne Aufschlüsselung nicht nachvollziehbar ist, dass die Arbeit am Schreibtisch für einen in der Schweiz praktizierenden Zahnarzt deutlich geringer ausfällt als für einen in Deutschland arbeitenden Zahnarzt. Auch ist nicht ersichtlich, welche Bürotätigkeiten der Kläger seinen Helferinnen - so der Bericht der eidgenössischen Invalidenversicherung (GA 111), wo auch nur von 1 Stunde eigener Bürotätigkeit die Rede ist - überantwortet hat. Infolgedessen fehlt es an einer Grundlage für den erforderlichen Abgleich damit, ob er diesen Teil der Büroarbeiten zuvor in Deutschland selbst erledigt hatte.

Darüber hinaus zählt es zur beruflichen Tätigkeit des Klägers, sich fortzubilden, was er laut Bericht der Eidgenössischen Invalidenversicherung entsprechend den dortigen Vorschriften mit 100 Stunden pro Jahr tut (GA 111). 100 Jahresstunden entsprechen 8,33 Stunden im Monat, was wiederum 1,9 Stunden pro Woche ausmacht.

Daraus ergibt sich neben der Fähigkeit, 18 Wochenstunden "am Stuhl" zu arbeiten, ein weiter zu bewältigender Zeitaufwand von 2,7 Stunden für Büroarbeiten und weitere 1,9 Stunden für Fortbildungsmaßnahmen. Insgesamt finden sich somit deutliche Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger noch 22 1/2 Stunden beruflich tätig sein kann. Demzufolge ist nicht feststellbar, dass der Kläger zu mindestens 50 % außerstande ist, seiner früheren beruflichen Tätigkeit von 43 Wochenstunden Zahnarztarbeit nachzugehen.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision sind nicht erfüllt.

Berufungsstreitwert entsprechend der vorläufigen Festsetzung vom 9. März 2006: 272.691,98 €.

Ende der Entscheidung

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