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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 28.12.2006
Aktenzeichen: I-4 U 39/06
Rechtsgebiete: AUB 88, ZPO


Vorschriften:

AUB 88 § 2 Abs. 4
AUB 88 § 7
ZPO § 287
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 19. Januar 2006 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf - Einzelrichter - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger wird gestattet, die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Urteilsbetrags abzuwenden, sofern nicht die Beklagte ihrerseits Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils von ihr zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I. Der Kläger beansprucht weitere Invaliditätsleistungen aus der Unfallversicherung.

Der Kläger ist bei der Beklagten auf der Grundlage der AUB 88 (GA 4) mit einer Invaliditätssumme von 500.000 DM (= 255.645,94 €) unfallversichert. Am 12. Juni 2000 erlitt er beim Anschieben seines Autos einen Unfall. Die Verletzungen am linken Bein sind folgenlos ausgeheilt. Darüber hinaus klagte der Kläger über Rückenschmerzen, die seiner Darstellung zufolge zunächst über das Gesäß bis zur Knieaußenseite des rechten Beins ausstrahlten, wobei Anfang August 2000 ein Taubheitsgefühl im rechten Bein hinzugetreten sei (vgl. GA 7). Etwa sechs Wochen später (vgl. GA 15) sei das Taubheitsgefühl im rechten Oberschenkel von einem Taubheitsempfinden im rechten Unterschenkel abgelöst worden, das mit Kribbelparästhesien und zunehmenden, teils heftigen Schmerzen bis in die Zehen verknüpft sei. Diese Probleme seien dauerhaft verblieben.

Die Beklagte hat an den Kläger Leistungen in Höhe eines Invaliditätsgrads von 10 % erbracht und weitere Forderungen abgewiesen (vgl. Schreiben vom 18. März 2003, GA 32).

Der Kläger, dem Invalidität vor Ablauf der 15-Monatsfrist des § 7 AUB ärztlich attestiert worden war (vgl. GA 10 u. GA 12), verfolgt mit der Klage Invaliditätsansprüche in Höhe weiterer 25 %, geht also von einer Gesamtinvalidität von 35 % aus. Er hat behauptet, seine dauerhaft verbliebene körperliche Beeinträchtigung rechtfertige die Annahme eines solchen Invaliditätsgrads. Im Anschluss an das von ihm eingeholte Gutachten der Sachverständigen Prof. G.../Dr. G... vom 14. Dezember 2002 (GA 6 ff.) hat er ausgeführt, im Rahmen der festgestellten LWS-Distorsion sei es zu einer organischen Schädigung des dort austretenden Nervengeflechts mit einer Schädigung des Nervus peronaeus rechts gekommen, woraus sich ein schweres chronisches neuropathisches Schmerzsyndrom mit kausalgiformer Schmerzkomponente entwickelt habe, die von einer leichten Großzehen- und Fußheberschwäche begleitet werde. Es liege keineswegs eine "psychische Störung" im Sinne des Ausschlusstatbestandes des § 2 Abs. 4 AUB 88, vielmehr eine organische Schädigung der peripheren Nerven vor.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 63.911,49 € nebst 5 % über dem Basiszinssatz ab dem 18. März 2003 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Details der Unfallschilderung des Klägers bestritten. Ferner hat sie bestritten, dass die vom Kläger geschilderten Rücken-/Beinprobleme auf eine unfallbedingte organische Schädigung zurückzuführen seien. Ein orthopädischer Unfallschaden werde von allen Sachverständigen eindeutig verneint. Ein neurologischer Schaden, der die Schmerzhaftigkeit erklären könne, sei nicht zu objektivieren. Das wesentliche Beschwerdebild des Klägers sei psychisch bedingt und unfallunabhängig. Schließlich hat sie sich die Beurteilung der gerichtlichen Sachverständigen Prof. St.../Dr. K... zu eigen gemacht, beschwerdeursächlich sei eine unfallunabhängige Polyneuropathie des Klägers.

Das Landgericht hat die Klage (nach Einholung des vorerwähnten Gutachtens vom 26. Februar 2004 - GA 115 ff. - nebst Ergänzungen vom 30. November 2004 - GA 161 ff. - und vom 17. August 2005 - GA 189 ff. -) abgewiesen. Es hat sich den Ausführungen des gerichtlichen Gutachtens angeschlossen und eine weitergehende unfallbedingte Invalidität nicht für erwiesen gehalten. Auf das angefochtene Urteil wird verwiesen.

Mit seiner Berufung greift der Kläger die Würdigung des Landgerichts an. Er verweist darauf, auch beschwerdeverstärkende psychische Komponenten seien für die Invaliditätsentschädigung von Bedeutung; darauf erstrecke sich der Ausschluss des § 2 Abs. 4 AUB 88 nicht. Die Annahme, der Kläger leide unter Polyneuropathie, sei nicht überzeugend. Aus der neu eingeholten Stellungnahme des Sachverständigen Prof. F... vom 21. Februar 2006 (GA 254 ff.) ergebe sich, dass die Messungen der sensiblen Nervenpotentiale, auf deren Ergebnisse sich das gerichtliche Gutachten maßgeblich stütze, mit Blick auf Einflüsse der Umgebungstemperatur fragwürdig seien. Bei peripheren Nervenschädigungen, wie sie hier in Betracht zu ziehen seien, seien auch keine so hohen Amplituden-Werte wie gemessen zu erwarten. Der elektrodiagnostische Befund stimme nicht mit dem klinischen Bild überein und die beschriebenen Normabweichungen seien auch nicht so hochgradig, dass hiernach sicher eine Polyneuropathie zu diagnostizieren sei (GA 256). Überdies, so führt der Kläger weiter aus, hätten sich zwischenzeitlich keinerlei Anzeichen einer Neuropathie eingestellt.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte in Abänderung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, an ihn 63.911,49 € nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 18. März 2003 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Diagnose des gerichtlichen Gutachtens für zutreffend und meint, von der Berufung neu aufgezeigte Gesichtspunkte seien nicht mehr zu berücksichtigen.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II. Die Berufung bleibt ohne Erfolg.

Dem Kläger stehen (weitere) Invaliditätsleistungen aus der Unfallversicherung (AUB 88) nicht zu, weil nicht gesichert ist, dass die beim Kläger drei Jahre nach dem Unfall vom 12. Juni 2000 prognostizierbaren Dauerfolgen ihre Ursache in eben in diesem Unfall finden. Dieses Beweisergebnis geht zu Lasten des Klägers, dem auch die Beweiserleichterungen des § 287 ZPO (vgl. BGH VersR 2001, 1547) hier nicht weiterhelfen. Die sich ursprünglich vom Rücken über das Gesäß bis in den rechten Oberschenkel erstreckenden Schmerzen, die sich einige Wochen später zu Gefühlsstörungen und sich steigernden Schmerzen im Bereich des rechten Unterschenkels bis in die Zehen ausgewachsen hätten (vgl. GA 15), können, was die den Kläger besonders belastenden Beschwerden im rechten Unterschenkel und Fuß angeht, Unfallfolge sein, müssen es aber nicht. Weitgehend einig sind sich die mit dem Fall befassten Mediziner darin, dass der Kläger bei dem Unfall eine Lumbago erlitten hat (vgl. Prof. Göbel GA 23, Prof. Zillkens GA 59 und Prof. Noth GA 73, gerichtlicher Gutachter GA 118 u. GA 192). Unklar bleibt, ob die persistierenden Beschwerden noch irgendetwas mit der ursprünglichen LWS-Beeinträchtigung zu tun haben, oder ob es sich um neue unfallunabhängige, schicksalsbedingte Beschwerden handelt, welche die "alte" LWS-Problematik abgelöst haben. Eine überzeugende Antwort haben die medizinischen Gutachter insoweit nicht finden können. Gegen ein Fortwirken der durch äußere Krafteinwirkung auf die LWS ausgelösten Beschwerden spricht, dass eine Bandscheibenschädigung nicht feststellbar war und sich auch der Kennreflex für die Wurzel L 5 unauffällig zeigte (vgl. Prof. C..., GA 10; Prof. N..., GA 84; Prof. Z..., GA 59). Vor diesem Hintergrund kann die Auffassung von Prof. F..., GA 144 u. GA 256), es sei am ehesten an eine Wurzelschädigung L 5 zu denken, nicht voll überzeugen. Die Diagnose der Sachverständigen Prof. G.../Dr. G... (GA 25), die Beschwerden im Bereich des rechten Unterschenkels bis in die Zehen seien Folgen einer unfallbedingten Dehnungsschädigung des Nervus peronaeus, kann sich nicht auf positive Feststellungen stützen, sondern stellt sich nach Angaben der Gutachter als einzig plausible, aber nicht weiter zu erhärtende Erklärungsmöglichkeit der gegebenen Befundkonstellation dar. Eine andere, unfallunabhängige Erklärungsmöglichkeit zeigt jedoch das gerichtliche Gutachten auf (GA 118), das die Beschwerden auf eine unfallunabhängige Polyneuropathie mit Schwerpunkt im Bereich des Nervus peronaeus rechts zurückführt. Dieser Ansatz kann sich immerhin darauf stützen, dass die Beschwerden im rechten Unterschenkel bis in die Zehen mit zeitlicher Verzögerung von sechs bis acht Wochen (eher noch später, vgl. GA 15) nach dem Unfall aufgetreten sind, ferner darauf, dass der Kläger nunmehr auch am linken Fuß ein Kribbeln verspürt (vgl. GA 120), das auf eine Sensibilitätsstörung hinweist, die nicht unfallbedingt sein kann. Darüber hinaus hat die von den gerichtlichen Sachverständigen durchgeführte sensible Elektroneurographie einen pathologischen Befund ergeben (GA 164). Gegen die Zuverlässigkeit der Ergebnisse der Elektroneurographie, die mit Gutachten vom 30. November 2004 (GA 161 ff.) im Detail offengelegt worden waren, hat der Kläger erstmals im Berufungsrechtszug unter Vorlage einer neu eingeholten Stellungnahme von Prof. F... vom 21. Februar 2006 (GA 254) Bedenken erhoben. Mit diesem Vorbringen kann der Kläger nun nicht mehr gehört werden (§ 531 ZPO). Auch wenn es richtig ist, dass sich der Laie zu medizinischen Fachfragen nicht ohne sachverständige Beratung fundiert äußern kann (vgl. BGH VersR 2006, 242), so hätte der Kläger, der sich nach Vorliegen der Gutachtenergänzung vom 30. November 2004 medizinischer Beratung durch Prof. G... (vgl. dessen Stellungnahme vom 21. März 2005, GA 180) bedient hatte, doch auch diesen nun erstmals mit der Berufung angesprochenen Punkt problematisieren können und müssen. Es hätte nahegelegen, Prof. F..., der sich zum Hauptgutachten des gerichtlichen Sachverständigen vom 26. Februar 2004 (GA 115 ff.) schon kritisch geäußert hatte (GA 143), auch zu dem Ergänzungsgutachten vom 30. November 2004 zu Rate zu ziehen. Stattdessen hat der Kläger, nachdem sich der gerichtliche Sachverständige in einem zweiten Ergänzungsgutachten vom 17. August 2005 (GA 189) mit den von Prof. G... erhobenen Bedenken (GA 180 ff.) überzeugend auseinandergesetzt hatte, zur Sache überhaupt nicht mehr geäußert und auch im Verhandlungstermin vor dem Landgericht am 8. Dezember 2005 - ein Jahr, nachdem der Kläger von den Untersuchungen des gerichtlichen Gutachters im Detail informiert war - nicht zu erkennen gegeben, Bemühungen um eine fachkundige Stellungnahme seien noch im Gange. Der Kläger hat - auch in der mündlichen Verhandlung - nicht aufgezeigt, aus welchen Gründen er schuldlos nicht in der Lage gewesen sein will, das, was die Berufung nunmehr neu an Sachvortrag einführt, schon im Laufe der ersten Instanz geltend zu machen. Schließlich kommt es nicht darauf an, ob - wie Prof. F... ausführt (GA 256) - die vom gerichtlichen Sachverständigen angenommene Polyneuropathie "sicher" zu diagnostizieren ist. Jedenfalls liegt darin eine alternative Erklärungsmöglichkeit für die Probleme des Klägers, die zumindest nicht unwahrscheinlicher ist als die vom Kläger im Anschluss an das Gutachten Prof. G... angenommene Ursache. Bei dieser Sachlage kann eine unfallbedingte Verursachung der gesundheitlichen Probleme des Klägers im rechten Bein ab Unterschenkel bis in die Zehen hinein auch nicht nach Maßgabe des § 287 ZPO festgestellt werden. Dass allein isoliert zu sehende Beschwerden im Rücken und Gesäßbereich einen höheren Invaliditätsgrad als die von der Beklagten bereits entschädigten 10 % rechtfertigen würde, macht der Kläger nicht geltend.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision sind nicht erfüllt.

Berufungsstreitwert: 63.911,49 €.

Ende der Entscheidung

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