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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 11.04.2008
Aktenzeichen: I-7 U 70/07
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 247
BGB § 286 Abs. 1
BGB § 288 Abs. 1
BGB § 2325 Abs. 3
BGB § 2325 Abs. 3 Halbsatz 1
BGB § 2329
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung der Kläger wird das am 13. März 2007 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Krefeld abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu 1) und an den Kläger zu 2) jeweils 9.500,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. September 2006 sowie weitere insgesamt 389,64 € zu zahlen.

Der Beklagte wird verurteilt, wegen eines Betrages von jeweils 106,25 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. September 2006 die Zwangsvollstreckung in das im Grundbuch des Amtsgerichts V., Blatt eingetragene Grundstück Flur , Flurstück , Waldfläche, D., groß 8,50 ar zu dulden.

Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch die Kläger gegen eine Sicherheitsleistung in Höhe von jeweils 15.700,00 € abzuwenden, wenn nicht jeder Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Kläger machen gegen den Beklagten Pflichtteilsergänzungsansprüche geltend.

Die Parteien sind Söhne der am 24.04.2006 verstorbenen Frau K. Sowohl die Kläger als auch der Beklagte haben das Erbe ausgeschlagen. Zwei weitere Abkömmlinge der Erblasserin haben vor deren Tod einen Erbverzicht erklärt. Die Erblasserin war Eigentümerin dreier Grundstücke, die sie mit notariellem Vertrag vom 08.03.1995 an den Beklagten verschenkt hat. Dabei hatte sie sich unter bestimmten Voraussetzungen einen Rückübereignungsanspruch vorbehalten. § 2 Ziffer 2 des notariellen Schenkungsvertrages sieht dazu vor:

"Der Veräußerer ist jedoch berechtigt, die unentgeltliche, kosten- und steuerfreie Rückübereignung des Grundbesitzes zu verlangen, wenn

a. in seinen Lebensverhältnissen wesentliche Verschlechterungen eintreten, insbesondere, wenn er nicht mehr in der Lage ist, einen standesgemäßen Unterhalt zu bestreiten und die ihm seinen Verwandten gegenüber gesetzlich obliegenden Unterhaltspflicht zu erfüllen, oder wenn Mittel zu außergewöhnlichen Ausgaben, zum Beispiel Krankheits- und Kurkosten aufgebracht werden müssen, die nicht durch die laufenden Einkünfte gedeckt sind,

b. der Erwerber sich durch eine schwere Verfehlung gegen den Veräußerer oder einen nahen Angehörigen des Veräußerers groben Undanks schuldig macht,

c. über das Vermögen des Erwerbers das Konkurs- oder Vergleichsverfahren eröffnet oder in den übertragenen Grundbesitz die Zwangsvollstreckung betrieben wird,

d. der Erwerber gegen die hiermit übernommene Verpflichtung verstößt, den übertragenen Grundbesitz zu Lebzeiten des Veräußerers nicht ohne dessen Zustimmung zu veräußern oder zu belasten,

e. der Erwerber vor dem Veräußerer verstirbt und dessen Abkömmlinge oder einer hiervon den Grundbesitz nicht im Wege der Erbfolge erhalten."

Mit notariellem Vertrag vom 03.09.2005 veräußerte der Beklagte das ihm geschenkte Grundstück "P.strasse" zu einem Preis von 52.000,00 €, mit notariellem Vertrag vom 28.01.2006 verkaufte er das geschenkte Flurstück "K." zu einem Preis von 5.000,00 €. Das weitere Flurstück "D." befindet sich noch im Eigentum des Beklagten.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 17.08.2006 haben die Kläger den Beklagten zur Begleichung ihrer Pflichtteilsergänzungsansprüche aufgefordert.

Die Kläger haben vorgetragen, der Nachlass der Erblasserin sei wertlos gewesen. Sie sind der Auffassung, ihnen stünde ein Anspruch auf Pflichtteilsergänzung gegen den Beklagten als Beschenkten zu, wobei die 10-Jahresfrist des § 2325 Abs. 3 BGB noch nicht abgelaufen sei. Das noch im Eigentum des Beklagten befindliche Flurstück habe einen Wert von 637,50 €. Zusammen ergebe sich ein Wert von 57.637,50 €, von dem ihnen jeweils ein 1/6, mithin jeweils 9.606,25 € zustehe, sowie gemeinsam 389,64 € vorgerichtlicher Anwaltskosten.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er vertritt die Auffassung, die 10-Jahresfrist sei abgelaufen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat dazu ausgeführt, die Zeitgrenze des § 2325 Abs. 3 BGB sei abgelaufen, da seit der Leistung der Erblasserin an den Beklagten im Jahr 1995 bis zum Zeitpunkt ihres Todes am 24.04.2006 über 10 Jahre verstrichen seien. Der Leistungserfolg beim Beklagten sei noch im Jahre 1995 eingetreten, da noch in diesem Jahr die Eintragung des Beklagten im Grundbuch erfolgt sei.

Dagegen wenden sich die Kläger mit ihrer Berufung und machen geltend, durch die in dem notariellen Schenkungsvertrag enthaltenen Rückübertragungsregelungen des § 2 Ziffer 2 sei der Leistungserfolg beim Beklagten erst eingetreten, als er die Grundstücke mit Zustimmung der Erblasserin veräußert habe bzw. die Rückübertragungsansprüche der Erblasserin in Bezug auf das im Eigentum des Beklagten verbliebene Flurstück mit deren Tod ihre Erledigung gefunden hätten.

Auf Hinweis des Senats beantragen sie nunmehr, das am 13. März 2007 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Krefeld abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an sie jeweils 9.500,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. September 2006 sowie weitere insgesamt 389,64 € zu zahlen, wegen eines Betrages von jeweils 106,25 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. September 2006 die Zwangsvollstreckung in das im Grundbuch des Amtsgerichts V., Blatt eingetragene Grundstück Flur , Flurstück , Waldfläche, D., groß 8,50 ar zu dulden.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Nachdem der Beklagte zunächst geltend gemacht hat, die Grundstücke seien im Zeitpunkt der Schenkungen (1995) weniger wert gewesen als die nunmehr von den Klägern zugrundegelegten insgesamt 57.637,50 €, hat der Beklaget diesen Betrag mit Schriftsatz vom 25. Februar 2008 unstreitig gestellt.

II.

Die zulässige Berufung ist begründet. Den Klägern steht gegen den Beklagten ein Anspruch aus § 2329 BGB auf Zahlung von jeweils 9.500,00 € sowie Duldung der Zwangsvollstreckung in den dem Beklagten verbliebenen Grundbesitz wegen eines Betrages in Höhe von jeweils 106,25 € zu.

1. Der Beklagte als Beschenkter ist Schuldner des Pflichtteilsergänzungsanspruchs der Kläger aus § 2329 BGB unabhängig davon, ob der Beklagte, wie erstmals in zweiter Instanz geltend gemacht, sein Erbe ebenfalls ausgeschlagen hat. Die Erbausschlagungen der Kläger und des Beklagten haben für den Pflichtteilsergänzungsanspruch keine Wirkung, da dieser ein selbständiger außerordentlicher Pflichtteilsanspruch ist, der neben dem ordentlichen Pflichtteilsanspruch steht und von dessen Bestehen unabhängig ist (vgl. Mayer/Süß/Tranck/Bittler/Wälzholz, in Handbuch Pflichtteilsrecht, Seite 235 f., Rdnr. 5 f.).

2. Die 10-Jahres-Frist des auch im Rahmen des § 2329 BGB anwendbaren § 2325 Abs. 3 BGB war zum Zeitpunkt des Todes der Erblasserin, dem 24.04.2006, noch nicht abgelaufen.

Der Fristbeginn erfolgt grundsätzlich mit Eintritt des Leistungserfolges der Schenkung, bei Grundstücken also mit der Eintragung des Beschenkten als neuem Eigentümer (§ 873 Abs. 1 BGB). Da diese unstreitig bereits 1995 erfolgt ist, lief die Frist spätestens Ende 2005 ab, wenn nicht der Fristbeginn aufgrund einer der von der Rechtsprechung entwickelten Ausnahmen hinausgeschoben gewesen wäre.

Trotz grundbuchamtlichen Vollzugs des Eigentumswechsels an einem Grundstück beginnt die 10-Jahres-Frist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der sich ihr anschließenden herrschenden Lehre nicht, wenn der Erblasser den verschenkten Gegenstand "im wesentlichen" weiter nutzt, insbesondere z.B. beim vorbehaltenen Nießbrauch oder einem Wohnungsrecht, wenn dem neuen Eigentümer keinerlei eigenständige Nutzungsmöglichkeit belassen wird (BGH NJW 1994, 1791; Meyer/Süß/Tanck/ Bittler/Wälzholz, Handbuch Pflichtteilsrecht, Seite 298 m.w.N.). Gibt der Erblasser bei der Schenkung eines Grundstücks den "Genuss" des verschenkten Gegenstandes nicht auf, liegt eine Leistung des verschenkten Gegenstandes i.S. von § 2325 Abs. 3 Halbsatz 1 BGB daher trotz Umschreibung im Grundbuch nicht vor (vgl. BGH a.a.O.).

Der Bundesgerichtshof hat bei seiner Entscheidung darauf abgestellt, dass der "Genuss" eines Grundstücks zwar einerseits im rein wirtschaftlichen Wert, andererseits aber nicht nur in dem in Geld zu bemessenden Tauschwert liege, sondern auch in der Möglichkeit, es zu veräußern oder seine Veräußerung zu verbieten, sowie, es zu nutzen oder anderen die Nutzung einzuräumen oder zu verwehren.

Die im vorliegenden Fall entscheidende Frage ist deshalb, ob die im Schenkungsvertrag festgelegten Rückübereignungsansprüche dahin zu werten sind, dass die Erblasserin trotz Eigentumsübergang den "Genuss" der Grundstücke nicht aufgegeben hat.

Ohne rechtliche Relevanz sind diesbezüglich die Rückübereignungsansprüche gemäß § 2 Abs. 2 a) und b); denn diese nehmen die ohnehin gesetzlich vorgesehenen Rückforderungs- (§ 528 BGB) bzw. Widerrufsansprüche (§ 530 BGB) wegen Notbedarfs oder groben Undanks auf.

Demgegenüber geben die Vereinbarungen in § 2 Abs. 2 c) bis e) des Schenkungsvertrages der Erblasserin ein über die schon gesetzlich eingeräumten Möglichkeiten hinausgehendes Rückforderungsrecht. Die Rückforderungsrechte gemäß § 2 Nr. 2 c) und e) zielen ersichtlich darauf, die Grundstücke "in der Familie zu halten", entweder im Falle einer Insolvenz des Beklagten oder beim Erbgang.

Diese vier Rückforderungsgründe sind also für die Frage, ob die Erblasserin den "Genuss" der Grundstücke aufgegeben hat oder nicht, letztlich ohne Bedeutung. Anders verhält es sich mit dem Recht gemäß § 2 Nr. 2 d) des Vertrages, wonach die Erblasserin die Rückübereignung verlangen konnte, wenn der Beklagte den Grundbesitz zu ihren Lebzeiten ohne ihre (erforderliche) Zustimmung veräußerte oder belastete. Diese Vertragsklausel beschränkt den Beklagten in seiner Eigentümerposition erheblich und zeigt die Absicht der Erblasserin, den wirtschaftlichen Wert (Tauschwert) der Grundstücke zu ihrer Verfügbarkeit zu halten. Sie hat zwar ihre formelle Eigentümerposition aufgegeben und mit ihr die Möglichkeit, selbst die Grundstücke zu verkaufen, zu verpachten oder sonstwie zu benutzen oder zu belasten. Für sie blieb der Wert der Grundstücke jedoch bis zu ihrem Lebensende erhalten, soweit sie nicht einem vom Beklagten geplanten Verkauf (bzw. einer Belastung) freiwillig zustimmte. Eine solche Zustimmung konnte sie aus grundsätzlichen Erwägungen schon deswegen verweigern, um die Grundstücke, beispielsweise im Fall, dass sie ihrer zur Wahrung ihres standesgemäßen Unterhalts pp. gemäß § 2 Nr. 2 a) bedürfen sollte, zur Verfügung zu haben. Sie konnte sich also, bis sie ein halbes Jahr vor ihrem Tod in den Verkauf des Baugrundstücks einwilligte, sicher sein, dass ihr die Grundstücke zur wirtschaftlichen Verwertung zur Verfügung stünden, wenn sie deren z.B. für eine Heimunterbringung benötigte. Sie hat sich also nicht völlig des Werts der Immobilien entäußert, sich damit nicht des "Genusses" der Grundstücke begeben.

Daraus folgt, dass der Leistungserfolg der Schenkung der Erblasserin bzgl. der veräußerten Grundstücke erst mit ihrer Zustimmung zu deren Verkauf im Jahr 2005 bzw. 2006 eingetreten ist bzw. er hinsichtlich des nicht veräußerten Grundstücks erst mit dem Tod der Erblasserin durch Wegfall ihrer Rechte aus § 2 Ziffer 2 des notariellen Vertrages eingetreten ist. Das hat zur Folge, dass die 10-Jahres-Frist des § 2325 Abs. 3 BGB dem von den Klägern geltend gemachten Anspruch aus § 2329 BGB nicht entgegensteht.

3.

Zur Berechnung der Höhe der Pflichtteilsergänzungsansprüche der beiden Kläger ist im vorliegenden Fall der Wert der Schenkung als fiktiver Nachlass anzusetzen, an dem die Kläger zu je 1/6 (= Pflichtteilsquote) beteiligt sind, da nach dem Erbverzicht der beiden weiteren Söhne der Erblasserin lediglich die Parteien dieses Rechtsstreits gesetzliche Erben geworden wären.

Die Höhe des Anspruchs der Kläger bestimmt sich nach dem Wert der verschenkten Grundstücke. Tragfähige Anhaltspunkte für den Wert zum Zeitpunkt des Erbfalls ergeben sich aus den beiden vom Beklagten getätigten Veräußerungsgeschäften Ende 2005 und Anfang 2006, bei denen er 52.000 € und 5.000 € erzielte. Der Wert des nicht verkauften Waldgrundstücks beträgt auf der Basis der Bodenrichtwertkarte der Stadt V. 637,50 €. Das ergibt bezogen auf den Zeitpunkt des Erbfalls einen Gesamtwert von 57.637,50 €. Diese Werte sind zwischen den Parteien zwischenzeitlich unstreitig geworden und können, nachdem der Beklagte seine Behauptung, die Grundstücke seien im Zeitpunkt der Schenkung weniger wert gewesen, nicht mehr weiter verfolgt, auch auf der Grundlage des Niederstwertprinzips zu Grunde gelegt werden.

Nach alledem beläuft sich der Pflichtteilsergänzungsanspruch eines jeden Klägers auf 1/6 von 57.637,50 € also 9.606,25 €.

Da der Anspruch aus § 2329 BGB in erster Linie auf Herausgabe des Geschenks und nur bei Geldgeschenken oder bei bereicherungsrechtlicher Werthaftung auf Zahlung gerichtet ist, steht den Klägern ein Zahlungsanspruch - wie von ihnen richtig ermittelt - in Höhe von 9.500 € zu, während wegen eines weiteren Betrages in Höhe von 106,25 € nebst Zinsen der Beklagte zur Duldung der Zwangsvollstreckung in das ihm verbliebene Waldgrundstück verpflichtet ist.

Mit Rücksicht darauf, dass die Pflichtteilsergänzungsansprüche der Kläger nach alledem begründet sind, hat der Beklagte auch die geltend gemachten vorgerichtlichen Anwaltskosten zu zahlen.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1, 247 BGB.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Die Revision wird gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zugelassen mit Blick darauf, dass die vorliegende Konstellation (der Beschenkte bedarf zur Veräußerung oder Belastung des geschenkten Grundstücks der vorherigen Zustimmung des Schenkers) bisher noch nicht höchstrichterlich entschieden worden ist.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 19.212,50 € festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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